16 Juli 2019

Die Eine-Million-Mark-Marke

Jetzt ein Geständnis: Als Kind habe ich eine Zeitlang Briefmarken gesammelt. Daran wurde ich am Wochenende erinnert, als ich in meinem hessischen Elternhaus auf das Ergebnis dieser Bemühungen stieß, nämlich das entsprechende Album. 

Es muss in den Siebzigerjahren letztmals aufgeschlagen worden sein und ist gefüllt mit allerlei Kuriositäten: ungarischen Markenserien mit Schmetterlings-, Vogel- und Raumfahrtmotiven (wann eigentlich war Ungarn im All?), die blaue Mauritius (allerdings nur als Kopie), immer wieder Queen Elizabeth (nicht nur aus Großbritannien, auch aus Kanada) und viel zu viel Franco aus Spanien. 

Dazu dreieckige Savannenmotive aus dem Tschad, Fitnessübungen aus China, diverse US-Präsidenten, die diese Bezeichnung noch verdienten, x-mal Walter Ulbricht, ein Berliner Viererblock zum Thema „50 Jahre Avus-Rennen 1921–1971“. Die merkwürdigsten Motive zeigen übergroße Fußballmarken aus dem arabischen Kleinemirat Adschman, auf einer davon die deutsche Abwehrlegende Karl-Heinz Schnellinger. Wer erinnert sich nicht an sein legendäres Ausgleichstor im WM-Halbfinale gegen Italien 1970 in mexikanischer Mittagsglut? Es lief schon die Nachspielzeit, Schnellinger, obzwar Verteidiger, stocherte uns in die Verlängerung (wo wir verloren). Und in meinem Album aus den 70ern ziert der blonde Hüne eine Marke aus Adschman, sie verdämmerte still die Jahrzehnte, bis sie an diesem Wochenende unversehens im Licht des 21. Jahrhunderts wiedererstrahlte.

Verschweigen möchte ich auch nicht die Motive aus dem Deutschen Reich vor und nach der fatalen Wahl von anno 33, inklusive eines komischen Vogels mit Schnauzer und Seitenscheitel, der es in meinem Album aber nur auf beschämende Briefmarkenwerte von sechs und zwölf Pfennige bringt. Mit nominellen Höchstleistungen punkteten hingegen zwei Postwertzeichen aus der Weimarer Republik, wohl aus dem Schicksalsjahr 1929, denn ihnen waren nachträglich eine bzw. zwei Millionen Reichsmark aufgedruckt worden. 

Beim versonnenen Blättern fragte ich mich, ob es sich bei einigen Marken vielleicht nicht nur um Kuriosi-, sondern gar um Raritäten handeln könnte. War das Album eventuell etwas wert? War die in ein gezacktes Dreieck gefasste tschad’sche Giraffe im Lauf der Dekaden vielleicht zur Preziose herangereift? 

Meine Expertise war, wenn ich mich recht entsinne, schon damals sehr schmal gewesen, inzwischen jedoch hatte sie der Zahn der Zeit auf null abgenagt. Hilfe versprach ich mir im Fachgeschäft, also suchte ich nach kurzem Gegoogel Molwitz & Treff in der Großen Theaterstraße auf.

Es öffnete mir die – wie ich vermute – Inhaberin persönlich, nämlich Carmen Treff. Mit einem einleitenden „Ich habe hier ein Album, das seit den Siebzigerjahren nicht aufgeschlagen wurde“ versuchte ich Frau Treff auf einen philatelistischen Schatz einzustimmen, doch bei Erwähnung der Siebzigerjahre machte sie nur „Ou-ha“ und verzog dabei das Gesicht, als hätte sie am Saft einer unreifen Pampelmuse genippt. Ich ließ bereits in diesem Moment alle Hoffnung fahren, während sie vorurteilsverifizierend durch die Seiten huschte und „Viele bunte Bildchen“ seufzte.

Nach nur wenigen Sekunden klappte Frau Treff das Album – den Stolz meiner Kindheit! – mit Verve wieder zu und fällte ein vernichtendes Urteil: „Alles Massenware.“ Also auch die Hommage der Magyaren an die Helden des Alls und der adschmanische Karl-Heinz. „Das können Sie so schnell feststellen?“, fragte ich schwach. „Kann ich“, sagte sie. „Auch die ungestempelte Eine-Million-Marke aus der Weimarer Republik?“, startete ich einen letzten kraftlosen Versuch und hielt ihr dabei das geschichtsträchtige Prachtstück noch einmal vor Augen; vielleicht hatte sie es ja überblättert. „Auch die“, sagte Frau Treff.

Auch die also. Mir blieb nichts anderes übrig als der geordnete Rückzug. Doch schon kurz danach ploppte eine Idee auf: Was, wenn ich einen schmucken Brief an mich selbst mit der Millionenmarke frankierte (ja: auch als satirisches Fanal gegen die jüngste Portoerhöhung!) und einfach mal schaute, was passiert? Wäre es nicht denkbar, dass ich einen versehentlichen Poststempel von 2019 auf der seit 1929 ungültigen Marke ergattern und sie damit nach 90 langen Jahren doch noch vom Makel der Massenware erlösen und in ein Zeit und Raum transzendierendes Unikat verwandeln könnte? Und was würde Frau Treff dann sagen? 

Nun, was soll ich sagen: Das Experiment läuft. Wie wird es dieser kleinen Zeitreisenden im durchdigitalisierten Ablauforganisationsmoloch des krakenartigen Monopolisten namens Post ergehen? Wird sie auffliegen? Oder Sand ins Getriebe streuen? Oder einfach zurückkommen inklusive Nachportoforderung?

Demnächst mehr.






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06 Juli 2019

Die gemütlichsten Ecken von Hamburg (148)


Mittags im Eichenpark, wo ich mir nach dem Pausenbrot gewöhnlich die Füße vertrete, werde ich jedes Mal schamlos um milde Gaben gebeten. 

Wer hat den charmantesten Bettelblick: der Schwan, Ente eins oder Ente zwei (v. l.)? 

Der Vogel mit den meisten Stimmen erhält am Montag eine Brotkrume extra – sofern ich ihn wiederfinde.


02 Juli 2019

Fast, als wäre nichts geschehen

Dank eines wertvollen Tipps des Bloglesers Lars, der sich damit um eine weitere Entlastung unseres Gewissens verdient gemacht hat, haben wir die im letzten Blogeintrag thematisierte Kreuzfahrt bei der Klimaschutzorganisation atmosfair kompensiert. 

Unsere persönlichen CO2-Emissionen der Reise kann man dort ausrechnen lassen; um unsere Umweltsauerei klimaneutral aus der Welt zu schaffen, waren schließlich 66 Euro nötig.

Die Spende fließt nun nach Indien, wo Kleinbauern dabei unterstützt werden, erneuerbare Energien aus Ernteresten zu gewinnen. Das spart fossile Kraftstoffe, gibt den Senfbauern eine zusätzliche Einnahmequelle und schafft Arbeitsplätze.

Nicht, dass damit wieder alles gut wäre. 
Aber es ist besser.

Foto: atmosfair





29 Juni 2019

Auf Schiffsreise


Das ganze Jahr über bemühen wir uns, unseren ökologischen Fußabdruck klein zu halten. Wir verzichten auf Convenience-Essen und werfen nichts weg, was noch verwertbar ist. Wir besitzen kein Auto und legen stattdessen jede notwendige Strecke mit öffentlichen Verkehrsmitteln, Fahrrad oder zu Fuß zurück. Und wir fliegen nicht. 

Unser ökologischer Fußabdruck dürfte im Vergleich zu vielen anderen Mitbewohnern dieses Landes also erfreulich klein sein – und erlaubt es uns deshalb, einmal im Jahr halbschlechten Gewissens 300 Meter lange Schiffsriesen zu besteigen, um eine Woche lang das Schlaraffenland einer Kreuzfahrt zu genießen. Denn schließlich fliegen wir nicht, und wie sollte unsereins sonst je im Leben nach Jerusalem, Casablanca, Rejkjavik oder St. Petersburg kommen? Sie sehen das Problem. 

Natürlich wissen wir, welche Sauerei die Dickschiffe anrichten. Unser Wohlverhalten das ganze Jahr über ist also eine Art Ablasshandel. Es ist der Preis, den wir bezahlen für unser ganz persönliches CO2-Zertifikat. Ob die Rechnung aufgeht und sich hinterher Soll und Haben ausgleichen: keine Ahnung. Ich befürchte eher nein, aber ich rechne lieber nicht nach. Ein bisschen Selbstbetrug gehört zu einem dialektischen Leben nun mal dazu. 

Jedenfalls pustet das Schiff der Aidaflotte, auf dem wir uns zurzeit befinden, gewaltige Mengen Schadstoffe in die Luft. Diese Tatsache macht den Zettel, der in unserer Kabine an der Badezimmerwand klebt, besonders interessant. Sein Text ist von bewundernswert putziger Chuzpe: 

„Möchten sie auch, dass noch viele Menschen die Wunder der Erde und der Ozeane bestaunen können? Dann helfen Sie uns bitte dabei, die Umwelt zu schützen. Setzen Sie ein Zeichen – mit Ihrem Handtuch!“ 

Wir sollen das Handtuch, wie es weiter heißt, am Halter hängen lassen („Das spart Waschmittel und Energie“) und so „die Wunder der Erde und der Ozeane“ retten, während das, was ein paar Decks über uns tonnenweise durch den Schornstein geblasen wird, genau diese Wunder tausendfach mehr gefährdet als es das tägliche Waschen der hier an Bord im Umlauf befindlichen zehntausend Handtücher je könnte. Selten war der Tropfen auf dem heißen Stein so ein Mickerling wie der, der von diesem Zettel tröpfelt. 

Wie wäre es stattdessen, Aida, du verfeuertest kein Schweröl mehr und schlügest die Mehrkosten auf den Reisepreis drauf, während wir nächstes Jahr umso freudiger wiederkämen und tagtäglich die kaum kontaminierten Handtücher frohgemut auf den Badezimmerboden schleuderten – Deal?

Wenn man mal von solch grundlegenden Fragen absieht, ist so eine Schiffsreise recht lehrreich. Vor allem für jene, die aus unverständlichen Gründen noch Defizite in Misanthropie aufweisen. Diese Lücken lassen sich hier an Bord mühelos schließen. Vor allem am Büffet. 

Gestern wurde ich von einem schirmbemützten Herrn hochmittleren Alters in Shorts, Polohemd und Sandalen gleich zweimal binnen einer Minute aus einer günstigen Position gerempelt, einmal natürlich an der Speiseeisstation. Überhaupt lässt der stählerne Ingrimm, mit dem vor allem die Rentnerhamas ihre hellebardisch gereckten Teller durch die das Büffet belagernde Menschenmenge furcht, düster ahnen, wie brachial es nach dem Ende der Zivilisation zuginge unter den Überlebenden. Die Serie „The walking dead“ hat die Situation, da lege ich mich fest, eher beschönigt.

Auch auffällig: Auf dem Fitnessdeck begnet man nur Schlanken, während die Wohlbeleibten andernorts ausschließlich ihre Kaumuskulatur trainieren. Dabei sollte es in einer perfekten Welt, liebe Menschheit, doch genau umgekehrt sein, nicht? Aber in einer perfekten Welt würden wir, die wir kein Auto haben und nicht fliegen, darüber hinaus auch nicht auf Kreuzfahrt gehen. 

Unsere Handtücher hängen übrigens seit Tagen ungewechselt am Halter.








07 Juni 2019

Fundstücke (238)


Vielleicht hat ihnen einfach noch niemand gesagt, wie kurz der Weg ist von „Tourist go home“ zu „Ausländer raus!“. 

Entdeckt in der Simon-von-Utrecht-Straße.


04 Juni 2019

Neuste Seltsamkeiten aus dem Kiezuniversum

Neulich sahen wir in der Clemens-Schultz-Straße etwas ganz und gar Verblüffendes: einen Mann auf einem Fahrrad, der beim Fahren nicht telefonierte. Wir starrten ihm fassungslos nach. 

Was war nur los mit diesem Mann – hatte er keine Freunde? Waren seine Kommunikationsskills verkümmert? Oder noch schlimmer: Gab es etwa gerade nichts Wichtiges zu sagen, also Sachen wie „Ich radle gerade durch die Clemens-Schultz-Straße und ein Paar starrt mich komisch an“? 

Wir werden es nie erfahren. Wäre der nicht telefonierende Radfahrer jedenfalls unlängst in der Rindermarkthalle zufällig dabeigewesen, als die Schauspielerin Nina Bott (41) eines Cafés verwiesen wurde, weil sie am Tisch ihr Kind stillte, hätte das zumindest ein Telefonthema sein können. 

Dass hier auf St. Pauli jemals eine Frau in Schwierigkeiten geraten würde, weil sie blankzieht, hätte ich mir in den ganzen 23 Jahren, die ich inzwischen hier wohne, niemals (alp)träumen lassen. Wo in Salambos Namen ist Kalle Schwensen (65), wenn man ihn mal braucht als Hüter und Verteidiger hiesiger Sitten und Gebräuche? Nina Bott (41) jedenfalls soll Tränen in den Augen gehabt haben, und ich kann sie verstehen.

Zurück zum Fahrradfahren und trotzdem zu einem ganz anderen Thema: Analog zur Elektroautoprämie hätte ich nämlich gern eine Nichtnutzungsprämie. Da ich nachgewiesenermaßen freiwillig praktisch komplett auf den Gebrauch jedweder motorisierter Verkehrsmittel verzichte, entlaste ich die öffentliche Hand, senke sogar dramatisch den Bedarf an Straßenbau- und Luftsäuberungsmaßnahmen, an Waggons, Kraftfahrern, Kontrolleuren. 

Kurz: Ich spare der öffentlichen Hand eine Menge Geld, das als generelle Nichtnutzungsprämie u. a. in den Unterhalt der polizeilichen Pferdestaffel (Foto), aber zum Teil vor allem zurück in meine Tasche fließen sollte, und zwar zu einem großen. Dafür verpflichtete ich mich auch, beim Radeln niemals zu telefonieren – selbst wenn ich beim Vorbeifahren mitbekäme, wie Nina Botts Brüste gerade eines Kiezcafés verwiesen würden. 

Meine Kontodaten, Finanzsenator Dr. Andreas Dressel (44), gibt es gern auf Anfrage.


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16 Mai 2019

Fundstücke (237)


Was man halt so erblickt, wenn man auf dem Kiez seinen Balkon betritt.
Entdeckt in der Seilerstraße.



09 Mai 2019

Was Kiezbesucher WIRKLICH befriedigt

Draußen auf der Seilerstraße steigen zwei schrankartige Typen gemeinsam aus dem Auto (Foto) und fallen sich lachend und juchzend in die Arme. 

Der Grund: Es ist spätnachmittags auf dem Kiez, und sie haben einen Parkplatz gefunden. 

Wahrscheinlich werden sie ihn nie wieder aufgeben, und wenn sie für den Rest ihres Lebens Taxi fahren müssen.


26 April 2019

Ein einziger Cent

Manchmal gerät das Universum urplötzlich in perfekte Harmonie. Klar, dieser Zustand dauert nur einen winzigen Moment, und dann ist das Universum wieder die übliche alte hämische keckernde bluttriefende Vettel, die dir den alltäglichen Tritt in den Hintern verpasst. Aber dieser Moment, diese urplötzliche Ausnahme: Sie bleibt in Erinnerung. Neulich erlebte ich so einen Moment. 

Ich war in einem Elektrofachgeschäft in Altona, hatte mit einiger Mühe und der Hilfe einer Fachkraft endlich gefunden, was ich suchte, und reihte mich in die Kassenschlange ein. Als ich drankam und die Kassiererin den krummen Betrag meines DSL-Adapters einbongte und den Schein sah, den ich bereits in der Hand hielt, fragte sie: 

„Haben Sie vielleicht einen Cent für mich?“

Reflexartig zuckte meine Hand Richtung rechter Jackentasche, wo traditionell mein gesammeltes Kleingeld sein behagliches Refugium hat, doch mitten in der Bewegung hielt ich inne. Denn mein Blick war auf den Boden vor mir gefallen, und was lag wie vom Himmel gefallen da, kupferfarben schimmernd? Ein Cent.

In einer fließenden Bewegung, die in einem Hollywoodkitschfilm leicht verlangsamt abgespielt worden wäre, bückte ich mich, ergriff die Münze (die im selben Hollywoodkitschfilm dank eines entsprechenden Kamerafilters das Deckenlicht sternenartig gespiegelt hätte), reichte ihn mit einem fassungslosen Lächeln der Kassiererin und sagte: 

„Ja, habe ich.“

Das Universum, meine Damen und Herren, war für einen Moment in perfekter Harmonie, an der Kasse eines Elektrofachgeschäfts in Altona, und ich war mittendrin statt nur dabei. Es war, als wenn du gerade deine Liebste anrufen wolltest, und eine Zehntelsekunde davor klingelt das Telefon, und sie ist dran. Oder als wenn du wegen einer S-Bahn-Panne zehn Minuten nach der planmäßigen Abfahrt am Bahnhof eintriffst und der ICE wegen geänderter Wagenreihung oder so doch noch dasteht und dir mit sanftem freundlichen Zischen die Tür öffnet.

Manchmal aber reicht ein einziger Cent. 
Und damit zurück ins Studio.


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02 April 2019

Dort, wo einst John Lennon stand


Der virtuose New Yorker Photoshopzauberer Robert Egan sucht seit vielen Jahren die Aufnahmeorte berühmter Filmszenen, Fotos und Albumcovers auf, um auf seiner Webseite zu zeigen, wie es heute dort aussieht. Dabei verschmilzt er auf kunstvolle Weise das Originalmotiv mit dem Hier und Jetzt. Die Zeit und Raum und Abrissbirnen transzendierenden Rekonstruktionen Egans sind von derart liebevoller Akribie, dass man sich glatt langlegt vor Respekt. 

Wer begreifen will, mit wie viel Energie und detektivischem Aufwand Bob vorgeht, schaue sich nur mal seine Spurensuche zum Coverfoto von Bob Dylans Album „Blonde on Blonde“ an. Zweifellos: Der Mann ist ein – ach was: der – Forensiker der Popgeschichte! Inzwischen hat er sogar einen eigenen Reiseführer herausgebracht, der Nostalgiker und Aurasucher auf den Spuren seiner Recherchen kreuz und quer durch New York schickt.

Kurz: Ich liebe Bobs Arbeit und Webseite. Vor einiger Zeit kam ich mit ihm ins (Mail-)Gespräch über Jürgen Vollmers berühmtes Beatles-Foto von 1961, das es 1975 aufs Cover des John-Lennon-Soloalbums „Rock’n’Roll“ geschafft hatte. Der Aufnahmeort in der Jägerpassage, ein Hofeingang der Wohlwillstraße auf St. Pauli, ist seither ein von Touristen aus aller Welt gern frequentierter Kultort. (Die Hausbewohner sehen das verständlicherweise ein wenig anders, wie ich bereits am eigenen Leib erfahren durfte.)  

Bob Egan jedenfalls war a) erpicht darauf, auch dieses Foto zur Basis eines seiner Projekte zu machen, aber b) nun mal in New York statt auf St. Pauli. Deshalb Auftritt Matt: Er bat mich, Panoramafotos der Jägerpassage anzufertigen, was mich erneut dazu brachte, herzklopfend den torgeschützten Hinterhof zu betreten. Und dann fragte er auch noch nach einem Video*, um die Umgebung näher kennenzulernen. Wie gesagt: Der Mann ist akribisch.

All diese Aufgaben übernahm ich klaglos und bewältigte sie zudem zu seiner Zufriedenheit – und seit gestern ist nun Bob Egans neustes Werk fertig: die Vorher-Nachher-, Gestern-und-heute-Rekonstruktion eines der berühmtesten Fotos der Popgeschichte, with a little help from his friend Matt. Samt Video.

Wie es übrigens vor einigen Jahren zu meiner hellsten Freude dazu kam, dass der Fotograf dieses ikonischen Beatles-Bildes mir einen Abzug desselben ebenso signierte wie meine nachgestellte Kopie, das steht alles hier.

*Das Video wirkt übrigens deshalb ein wenig holprig in puncto Kameraführung, weil ich mich an jenem Tag mit einem Muskelfaserriss durch die Wohlwillstraße schleppte. So viel zu meinem Einsatz für die Kunst.




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01 April 2019

Sensation: HSV wird Erstligist für immer!

Das ist der Knaller des Tages, des Jahres, des Jahrhunderts: Der Hamburger Sportverein wird, egal ob er aufsteigt oder nicht, ab kommender Saison in der Ersten Liga antreten – und das sogar für immer! Was dahintersteckt, verrät DFL-Präsident Reinhard Rauball in einem Exklusivinterview.

Herr Rauball, der HSV soll dauerhaft Erste Liga spielen dürfen, ohne jemals absteigen zu können – ein Novum in der DFB-Geschichte. Wer hatte diese verrückte Idee?
Uwe Seeler. Es war ein Herzenswunsch von ihm. Und wenn ein Ehrenspielführer der deutschen Nationalmannschaft so etwas äußert, hat das natürlich mehr Gewicht, als wenn so was von jemand wie – sagen wir – Lothar Matthäus kommt. Oh …
Ist diese sensationelle Neuerung nicht unfair den anderen Vereinen gegenüber?
Das ist nicht die Frage. Alle Erstligavereine haben sich dafür ausgesprochen. Einstimmig.
Auch Werder Bremen …?
In der Tat. Von den Zweitligisten war auch der FC St. Pauli dafür. Auch wenn da wohl eher ein bisschen Mitleid mitschwang.
Aber warum wollen die denn alle, dass der HSV auf ewig erste Liga spielt?
Zum einen, weil er auf regulärem Weg keine Lizenz mehr bekäme. Nach Sichtung der eingereichten Unterlagen mussten einige von uns medizinisch notversorgt werden, wegen Lachkrämpfen. Aber das Wahnsinnsentertainment, dass der HSV uns allen seit Jahren bietet, braucht nun mal die ganz große Bühne. Das ist unstrittig. Also haben wir nach einem neuen Weg gesucht. Da kam Uwe Seelers Vorschlag wie gerufen. Es gibt ja auch wirklich objektive Gründe, die dafür sprechen: Schließlich macht der HSV den Heimvereinen die Stadien rippelrappelvoll. Seine Fans fahren buchstäblich überall hin, wo der HSV rumgurkt. Und ich spreche von Abertausenden! HSV-Präsident Hoffmann nennt sie bei unseren Sitzungen nach ein, zwei Bier gern kichernd „rosa Hüpfer“, weil sie wirklich alles mit sich machen lassen. Nur ein Beispiel: Die juckeln immer und immer wieder in vollgekotzten Sonderzügen nach München, um sich dort die übliche Packung abzuholen, und feiern dann die ganze Nacht durch, weil es nicht zweistellig geworden ist. So sind die HSV-Fans! Mich als Fußballurgestein bewegt so was, es rührt mich sogar zu Tränen. Davon sollte sich Wolfsburg mal eine Scheibe abschneiden. Oder Leverkusen.
Na ja, wenn die „rosa Hüpfer“ wirklich so gestrickt wären, wie Sie sagen, würden die doch auch mit 7.000 Leuten beim SV West-Eimsbüttel IV in der Kreisliga B6 einfallen. Warum also unbedingt erste Liga?
Nur wegen der üppigen Fernsehgelder. Anders ist der Betrieb des HSV leider nicht mehr aufrechtzuerhalten. Und das kann keiner wollen – siehe oben.
Wird Hoffmann die TV-Erlöse nicht bunkern müssen, um irgendwann die neue Fananleihe ablösen zu können? Da geht es immerhin um 17,5 Millionen Euro.
Unsinn! Diese Anleihe hat der HSV äußerst clever als unendliches Schneeballsystem angelegt. Für die Rückzahlung wird er nie auch nur einen Cent aufwenden müssen. Auch am Sankt-Nimmerleins-Tag kann der HSV dank seiner rosa Hüpfer noch irgendeine Fananleihe durch irgendeine neue in beliebiger Höhe ablösen. Da mache ich mir überhaupt keine Sorgen.
Die Fernsehgelder finanzieren dann also eher die Spielergehälter, nehme ich an.
Haha, von wegen … Sobald der Verein ewiges Mitglied der ersten Liga ist, braucht er doch keine teuren Spieler mehr. Er kann ja eh nicht mehr absteigen. Das Geld ist frei für andere Dinge verwendbar. Abfindungen zum Beispiel, Vorstandsgehälter, solche Sachen.
Moment: Droht mit Billigkickern wie Ito und Wintzheimer dann nicht in jeder Saison der letzte Platz …?
Ja, na und? Den Hüpfern ist das doch pimpe! Kennen Sie nicht deren Credo? Es lautet: „Nur der HSV“! Vom Tabellenplatz ist da überhaupt keine Rede.
Das klingt alles ziemlich durchdacht, was die DFL da beschlossen hat. Gab es eigentlich Widerstand aus der Zweiten Liga?
Und ob! Die HSV-Fans würden schließlich auch Heidenheim die Hütte füllen. Aber wenn alle Erstligisten an einem Strang ziehen, hat das Unterhaus natürlich das Nachsehen. Und mal ernsthaft: Wer würde sich einen Verein wie den HSV nicht für ewig sichern wollen, wenn er die Chance dazu hätte?
Herr Rauball, wir danken Ihnen für das Gespräch.


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22 März 2019

Von Brabblern und Schlenkerern

Wer einst mit sich selbst brabbelnd durch die Stadt lief, hatte entweder einen an der Waffel und/oder Freigang. 

Dann kamen die Headsetleute. Sie hatten möglicherweise auch einen an der Waffel, redeten aber nicht mit sich selbst, sondern wahrscheinlich mit einem anderen Headsetter, der irgendwo anders auf der Welt gerade öffentlich verhaltensauffällig wurde. 

Mit der Zeit habe mich sich derart an dieses grassierende Phänomen der Scheinmonologisten gewöhnt, dass ich die Frau, die mir heute in der Seilerstraße (Symbolfoto) brabbelnd entgegenkam, automatisch dieser trendsetzenden Bevölkerungsgruppe zuschlug. Allerdings trug sie, wie ich beim Vorübergehen erstaunt erkannte, gar kein Headset. Sie brabbelte definitiv mit keinem anderen als sich selbst – und hatte ergo entweder einen an der Waffel und/oder Freigang. Kurz: Diese Frau war mir sofort sympathisch, durchaus auch aus nostalgischen Gründen. 

Das galt nicht für die zwei Jungs, die ich später vom Balkon aus beim Durchschlendern unserer Straße zu Gesicht bekam. Der eine, ein hagerer Schlaks in übergroßen Joggingklamotten aus wahrscheinlich edelstem Polyester schlenkerte überlange Extremitäten durch die Gegend, als seien seine Gliedmaßen gar nicht durch Gelenke miteinander verbunden, sondern nur durch Haut und Sehnen. 

So tänzelte er an den geparkten Autos in der Seilerstraße lang, und bei jedem Wagen, an dem er vorbeikam, testete er ohne stehenzubleiben – also buchstäblich en passant –, ob sich nicht vielleicht die Fahrertür öffnen ließe.

Er hatte durchweg keinen Erfolg, was ihn aber nicht sonderlich zu stören schien. Sein schlenkeriger Gesamtzustand, sein fließender, von schräggestellten Füßen geprägter Gang: All das signalisierte eine gewisse Gelassenheit, die ihn jede einzelne der kleinen Enttäuschungen, die ihm jedes verschlossene Auto nun mal zufügte, ohne Unmut wegstecken ließ. Nein, der Schlaks blieb cool, und weiter ging’s zum nächsten, während sein neben ihm hertrottender Kapuzenkumpel dem Treiben still und stumm und duldsam zuschaute.

Was hätten die beiden Jungs wohl genau getan, wenn unverhofft eine Autotür aufgegangen wäre – erfreut reinspringen, kurzschließen, abdüsen? Oder das Handschuhfach um ein wenig Ballast erleichtern?

Ich muss zugeben: Das hätte ich schon gern erfahren. Und Sie ebenfalls!