21 April 2018

San Bernadino

Wir waren 16. Die dunkle, stille Spanierin aus meinem Dorf war vor allem still, weil sie damals noch schlecht deutsch sprach. Das fand ich geheimnisvoll. Aber ich war hilflos. 

Als ich es mal schaffte, sie zu einem Besuch in meinem Zimmer zu bewegen, spielte ich ihr Christies „San Bernadino“ vor. „Warum?“, fragte sie. „Weil es mich immer an dich erinnert“, sagte ich, „es klingt spanisch, verstehst du?“ Sie verstand nicht – wie auch? – und wurde noch stiller. Wenn ich allein in meinem Zimmer war, legte ich oft „San Bernadino“ auf.

Ein andermal saßen wir im VW-Käfer eines Freundes gemeinsam auf der Rückbank, und es gelang mir eine Weile, ihre Hand festzuhalten. In einem unachtsamen Moment entzog sie sie mir, und wir saßen still nebeneinander da. Nicht mal unsere Beine berührten sich. Zu Hause hörte ich mir „San Bernadino“ an.

Später heiratete sie einen Verwandten von mir, der sie im Suff prügelte und ihr Leben verpfuschte. Mit zwei Kindern floh sie schließlich ins Nachbardorf, viele Jahre zu spät.

Hätte sie mir damals nicht ihre Hand entzogen und hätte „San Bernadino“ besser funktioniert, würde sich dieser Text wahrscheinlich in nichts auflösen. Roberto Blanco hat den Song übrigens mal auf Deutsch gesungen. 

Jetzt ist die dunkle, stille Spanierin gestorben.

-->

15 April 2018

Die kulinarische Entdeckung des Jahres


Liebe italienische Gastronomen, ich sage es wirklich nur ungern, aber die besten Pizzen diesseits von Neapel gibt es nicht bei euch, sondern in einem veganen Restaurant in Ottensen: dem Froindlichst

Selbst getestet – und zwar nicht nur einmal.

Die dortige Wandbepflanzung hat übrigens auch ihren Reiz. Zumindest optisch.

09 April 2018

Die gemütlichsten Ecken von St. Pauli (132)

Steht wie eine Eins: Das Mangolassi im Restaurant Maharaja in der Detlev-Bremer-Straße hat den gefürchteten Matt-Wagner-Strohhalmtest mit Bravour bestanden. 


02 April 2018

Frikadellen mit Baby

Es fällt mir schwer, es zuzugeben, aber manchmal sehne ich mich nach jenen seligen Zeiten zurück, als nur Deppenbindestriche meinen Alltag beeinträchtigten.

Inzwischen sind sie großflächig verdrängt worden durch etwas sehr viel Schlimmeres: das brutalstmöglich Komposita meuchelnde Deppenleerzeichen

Anscheinend handelt es sich bei diesem Phänomen um eine so dumpf- wie stumpfsinnige Fehlentlehnung aus dem Englischen, welche auf deutsche Wörter indes wirkt wie ein Handshake von Nitro und Glyzerin.

Ein einziger Sonntagsspaziergang reichte, um mir bewusst zu machen, dass längst alles zu spät ist. Es regiert allerorten der Hirnriss; er hat jede Semantik ersatzlos verdrängt. Was mir bleibt, ist nur noch die Dokumentation der Katastrophe. Aus Ordnungsliebe folgen unten einige wenige Beispiele aus der Sphäre der Gastronomie und Backstuben – aus dem Bereich der Kulinarik im weitesten Sinne also, dessen Vorreiterrolle bei dieser Entwicklung unbestreitbar ist.

Diese Behauptung finden Sie vielleicht unhaltbar, doch ich kann sie beweisen. Denn schon im Jahr 2007 (!) stellten die ersten Deppenleerzeichen ihr kleines mieses Nichts öffentlich zur Schau, wie mein historischer Eintrag „Brat Kartoffeln, aber pronto!“ dokumentiert.

Inzwischen stolpert man an jeder Ecke, auf jeder Speisekarte, in jedem Kiosk mit Verzehrmöglichkeit auf diese Minisprengsätze, denen Tag für Tag unzählige Worte zum Opfer fallen. Nehmen wir das Beispiel oben, verbrochen von der Brötchenhökerkette Backhuus: Es bietet „2 Butter“ an. Meint es damit Stücke? Und wenn ja, vielleicht ein halbes Pfund schwere? Das Backhuus will das an dieser Stelle noch nicht verraten, reicht dazu aber immerhin ein Croissant, damit man die 2 Butter draufschmieren kann.

Der Kumpirladen in der Nähe lässt uns die Wahl zwischen Jäger und Balkan. Wer sich nach heftigem Kopfkratzen für den einen oder anderen entschieden hat, erhält zur Belohnung Sauce. Aber welche? Der Kumpirladen möchte sich da lieber nicht festlegen.



Sehr nützlich dagegen das Angebot des Restaurants Tiffany am Neuen Wall: Es serviert „Frische Nordsee“. Als Hamburger müsste man andernfalls – gäbe es das Tiffany nicht – rund 80 Kilometer weit fahren, um in den Genuss frischer Nordsee zu kommen. Das spart also ganz konkret Sprit.



Geradezu kriminell agiert hingegen das Kleinhuis, ein sich zunächst harmlos gebendes Restaurant an der Esplanade. In Wahrheit aber frönt es unverhohlen dem Kannibalismus – und setzt Frikadellen mit Baby auf die Speisekarte. Müsste hier nicht unverzüglich die Mordkommission eingreifen?



Mit der werde auch ich es wohl bald zu tun bekommen – und dann auf Unzu Rechnungs Fähigkeit plädieren. Aus Grün den.


-->

-->

23 März 2018

The Käseshop rides again

Während mein liebster holländischer Käseshop sich weiterhin dagegen sperrt, seine Texte von mir korrigieren zu lassen, prasseln die fehlergespickten Newsletter unablässig weiter auf mich hernieder wie nadelspitze Kaskaden aus Spott und Häme. 

Damit mein Leid zum nicht nur doppelten, sondern vielfachen Leid wird, werfe ich Ihnen mal wieder die jüngste Sammlung vor die Füße. Leben Sie damit!

Hätten Sie z. B. gewusst, dass man es einem Käse anschmeckt, wenn er fürs Weltkulturerbe kandidiert? Ich auch nicht.



Enthält die Beemster-Passage immerhin noch so etwas wie Semantik, geht der Käseshop mit den folgenden Botschaften wirrsinnstechnisch aber so was von in die Vollen:




Während der Shop ja meine Mithilfe verschmäht (Sie sehen, ich bin immer noch nicht darüber hinweg), engagiert er anderweitig munter Hilfskräfte, darunter sogar einen waschechten MONAT:



Wäre ich zum Korrektor geadelt worden, so hätte natürlich auch die falsche Schreibweise unseres engen aquatischen Verwandten, des Narwals, niemals das Licht der Weltöffentlichkeit erblickt. Aber so schon:



Etwas besser als mit Meeressäugetieren kennt der Käseshop sich augenscheinlich mit Methoden der Haltbarmachung seines Milchproduktes aus. Zumindest nehme ich an, dass es in der folgenden Passage um irgendetwas in der Art geht:



Herzallerliebst, dieses verschmitzt um Nachsicht für vergangene Fehlleistungen bittende Augenzwinkern am Ende der Vakuumpassage, finden Sie nicht? 

Die immense Breite des Sortiments soll uns wohl mit den wuchtigen ersten vier Worten des folgenden Newsletterauszugs verdeutlicht werden – zumindest interpretiert sie so der weltweit kompetenteste Käseshopchefexeget von ganz St. Pauli:



Und aus all diesen Gründen fiele mir auch kein besseres Schlusswort ein als eins, das der Käseshop selbst schon nonchalant in petto hat:




-->

20 März 2018

Fundstücke (228)


Mit welcher Unverfrorenheit manche Klappskallis die Wildentsorgung ihres Ekelmülls als altruistische Tat verkaufen möchten, macht mich immer wieder fassungslos.

Entdeckt in der Seilerstraße.




13 März 2018

Der belagerte Hauseingang

Immer mal wieder machen es sich Menschen vor unserer Haustür bequem, die nicht zu den Bewohnern dieses Hauses gehören. Nicht nur das: Sie versperren uns auch den Aus- und Zugang. Am Sonntagmorgen war es erneut so weit. 

Schon aus dem Hausflur sah ich die außen an die Glastür gelehnte Tasche. Als ich die Tür öffnete, fiel sie mir halb entgegen, und zwei Männer in ihren Zwanzigern versperrten mir den Weg. Sie saßen auf den beiden Stufen vor der Haustür und waren gerade dabei, Utensilien auszupacken. „Danke“, sagte ich, als sie aufstanden, um mich durchzulassen. 

Für eine tiefergehende Ansprache oder gar eine Ermahnung sah ich keinen Anlass, wahrscheinlich war dieser Ruheplatz nur ein temporärer, und wenn ich vom Brötchenholen zurückkäme, sähe man bestimmt nur noch ihre Hinterlassenschaften (bei deren Provenienz allerdings einige unschöne Möglichkeiten abgedeckt werden konnten; ich möchte jetzt nicht ins Detail meines Erfahrungsschatzes gehen). 

Zehn Minuten später, als ich vom Kiezbäcker zurückkam, saßen die beiden allerdings immer noch da. Sie hatten es sich sogar gemütlich gemacht. Ich sah unter anderem ein kleines Klappmesser auf der obersten der beiden Stufen liegen; zu welchem Behufe auch immer. „Sie können hier nicht bleiben“, sagte ich, „das ist ein Hauseingang, hier wollen immer wieder Leute rein und raus.“

Der eine, ein braunhaariger Zausel mit gebeugtem Kopf, entschuldigte sich sofort. „Sie haben Recht, das stimmt, wir gehen, alles klar.“ Er räumte mit rundem Rücken seine Tasche beiseite, alles an ihm signalisierte Deeskalation. „Wir wollen keinen Ärger, alles klar“, schob er nach. 

Ich stand da und sah ihm beim Zusammenräumen zu, als ich bemerkte, wie der andere mich von der Seite anstarrte. Er war blond, sein Gesicht hager und hart, er hielt den Kopf oben. „Gehen Sie durch“, sagte er. 

„Wir wollen keinen Ärger, wirklich nicht“, sagte der andere. „Gehen Sie durch“, sagte der Blonde noch einmal. 

Während sein Kumpel Unterwürfigkeit simulierte, entströmte dem Blonden die Aura unterschwelliger Aggressivität. Wahrscheinlich waren die beiden Junkies. Mit Junkies ist bisweilen nicht zu spaßen. Manchmal müssen sie auf Teufel komm raus Handlungsprioritäten setzen, die einem verständnisvollen gesellschaftlichen Miteinander abträglich sind. 

Ich sah das Klappmesser auf der obersten der beiden Stufen. Es war aufgeklappt. „Wir wollen wirklich keinen Ärger“, sagte der Unterwürfige. Der Blonde starrte mich an, gerade und aufrecht. Er trug eine hellblaue enge Daunenjacke. 

Und dann ging ich durch, hoch in den zweiten Stock, in eine ganz andere Welt.


-->

05 März 2018

Fundstücke (227)

Natürlich könnte man dasselbe Tagesgericht theoretisch auch eine ganze Woche lang auf die Karte setzen, aber wäre es dann nicht ein Wochengericht? Aber was weiß ich schon.

Entdeckt im Fenster eines türkischen Restaurants am Paul-Nevermann-Platz.



20 Februar 2018

Flaschenwerfen ganz legal


Auf allen Altglascontainern an der Louise-Schroeder-Straße an der Grenze von St. Pauli zu Altona kleben unter den Hinweisen zum Verwendungszweck weiße Zettel, die bei mir zunächst als pfiffige Werbung für ordentliche Mülltrennung durchgingen.

Denn die Behauptung „Hier droht bei Flaschenwurf keine 3,5 jährige Haftstrafe“ ist ja – trotz des unverzeihlichen, die Aussage stark überlagernden Deppenleerzeichens – eine durchaus richtige. Und als clevere hanseatische Werbeagentur, die endlich einmal einen städtischen Auftrag an Land gezogen hat, traut man sich natürlich was und ermuntert unsereins einfach mal per Anspielung auf Ereignisse vom vergangenen Juli zu farbkorrekter Altglasseparierung.

So weit, so gut, so nachvollziehbar. Skeptisch stimmte mich allerdings das künstlerische Niveau des Entwurfs. Ich konnte und kann keine Gestaltungshöhe im eigentlichen Sinne feststellen. Nein, so was wäre bei Jung von Matt krachend an der internen Qualitätskontrolle gescheitert.

Gewissheit über die Urheberschaft der Aufkleber verschaffte mir dennoch erst das Aufsuchen der am unteren Rand abgedruckten Webseite. Der Zettel stammt also von G20-Gegnern, die auf diese Weise ihre Solidarität mit Inhaftierten vom Juli 2017 demonstrieren wollen.

Gleichwohl hätte, wie mir scheint, auch die Stadtreinigung mit etwas Hilfe einer hiesigen Werbeagentur diese Klebeaktion wagen können – zum Beispiel in einem Anfall augenzwinkernden Sarkasmus’. Das soll ja selbst in Beamtenkreisen vorkommen.

Übrigens sollten Sie die angegebene Webseite nur dann besuchen, wenn Sie starke Nerven haben. Auch dort wird nämlich dem bereits auf den Altglascontainern dokumentierten Hang zu Deppenleerzeichen schamlos nachgegeben („G20 Aktivisten“).

-


04 Februar 2018

Re-up von 2009 aus gegebenem Anlass: Gigant am Strand

Nach stundenlanger Countryberieselung aus der Kurmuschel in Travemünde drangen heute plötzlich ganz andere Klänge gen Strand.

Verantwortlich dafür schien ein lustloser Stand-up-Komiker aus Berlin zu sein; das manchmal vom mittelstarken Ostseewind etwas zerfleddert herüberwehende „Icke“ legte das nahe.

Ich schaute mir den Mann an. Trotz des wolkenarmen Sommerwetters (Foto) hatte er sich in puncto Outfit für eine zwiebelartige Schichtung entschieden. Von außen nach innen trug er …

– einen eierschalenfarbenen Anzug über dunkler Weste,
– ein schneeweißes Oberhemd mit weit aufgeknöpftem Kragen,
– darunter ein blaues Halstuch sowie ein Unterhemd;
– um die Hüfte hatte er sich etwas geschlungen, das ich als braunen Pulli zu identifizieren glaubte, ein Ärmel davon baumelte ihm jedenfalls recht unvorteilhaft im Schritt, und
– komplettiert wurde diese keineswegs wettergemäße Aufmachung durch eine Baseballmütze mit asiatischem Schriftzeichen und
– Turnschuhen, auf denen groß „BÄR“ stand.


Und dieser Mann war sage und schreibe: der legendäre Rolf Zacher.

Eins der größten deutschen Schauspielorginale, ein Gigant, demgegenüber Til Schweiger nichts weiter ist als ein Molekül eines vertrockneten Krümelchens Eintagsfliegenschiss, einer vom Schlage Klaus Kinskis oder Udo Kiers, ein Ex-Krautrocker, Ex-Knastie und Ex-Junkie – und der stand also unverhofft vor mir in der Travemünder Kurmuschel.

Das einzige Mal, dass ich Zacher vorher begegnet war, ist schon ungefähr 20 Jahre her. Damals beschlich mich während einer Berlinale-Party ein menschliches Bedürfnis. Ich betrat die sanitären Anlagen, und wen fand ich vor am Pissoir? Rolf Zacher. In der Hand sein bestes Stück, im Mund eine schon lange nicht mehr abgeaschte Kippe, irgendetwas vor sich hinbrabbelnd mit der Stimme von Nicolas Cage aus „Wild at heart“ .

Seither hat sich Rolf Zacher, wie ich heute erfreut feststellen durfte, nicht wesentlich verändert. Wahrscheinlich färbt er sich – anders als Gerhard Schröder – die Haare, aber sonst waren seine Gesichtsschluchten ganz die alten; er sah sogar gesünder aus als damals mit seinen gegeelten Haaren der Vollfettstufe und jener speziellen Hagerkeit, die Heroin hervorzurufen weiß.

Rolf Zacher jedenfalls lebt, das kann ich hier froh verkünden, auch wenn er jetzt in Travemünde am hellen Nachmittag in „BÄR“-Sneakers singend und blödelnd Badegäste irritiert, die nicht wissen, welche Type sie vor sich haben. 


Bei YouTube könnten sie es sich anschauen. Auf eigene Gefahr.




01 Februar 2018

Dramatischer Preissturz bei der Frankensaga!

Neulich schaffte es Ferrero in Frankreich, mit einem kurzzeitigen Nutella-Kampfpreis Supermärkte lahmzulegen. Das versuche ich jetzt auch mal mit meinem E-Book „Die Frankensaga“, nur ohne das mit den Supermärkten.

Will sagen: Das Buch gibt es ab sofort knapp vier Wochen lang erschütternd verbilligt, nämlich für nur noch 1,99 Euro das Stück. Es ist für jeden E-Reader verfügbar; wenn Sie es bei Amazon erstehen, funktioniert es auf dem Kindle, bei allen anderen Verkäufern bekommen Sie das Buch als Epub.

Wenn Sie mehr erfahren wollen über dieses Werk, so verweise ich auf meinen durchaus werblichen, aber entschieden werbesprechfreien Text vom Dezember 2016. Alles, was dort zu lesen ist, stimmt immer noch – außer dass „Die Frankensaga“ ab sofort und für vier Wochen zum Dumpingpreis von 1,99 zu haben ist.

Für Nutella müssen Sie auf jeden Fall mehr zahlen, sogar in Frankreich.


Hier etwas zum Inhalt:

Meine erschütternden Erlebnisse in Hamburg mit einem glottal herausgeforderten, dem Fußball wie dem Fassbier gleichermaßen zugeneigten Naturburschen aus Würzburg finden seit 2005 ein Ventil im Weblog „Die Rückseite der Reeperbahn“ (https://rueckseitereeperbahn.blogspot.de/), anders wären sie auch gar nicht zu verarbeiten. Dieses Buch fasst nun alle Frankengeschichten in überarbeiteter und ergänzter Form zu einer chronologischen Saga zusammen, in der mehr Tiere zu Schaden kamen als in der Gesamthistorie aller kasachischen Zoos. Sie wird ergänzt um die definitve Analyse des innersten Frankenwesens durch den unvergleichlichen Michael Rudolf. Das Lesen all dieser Texte erfolgt ausdrücklich auf eigene Gefahr. Sollten Sie aber alle bisherigen Staffeln von „The Walking Dead“ ohne Schaden überstanden haben, wird Ihnen auch dieser erschütternd tiefe Einblick ins Leben des Franken nichts anhaben können. Oder nur wenig.

29 Januar 2018

Einer hat überlebt


Auf Nichthamburger mag es befremdlich wirken, doch hier in der Stadt gibt es einen sogenannten Schwanenvater. Er hat wahrscheinlich einen der bundesweit seltensten Jobs, vielleicht sogar den einzigen seiner Art; sofern in Ihrer Kommune etwas derlei Sozialversicherungspflichtiges zu beobachten ist, belehren Sie mich bitte eines Besseren. 

Dieser Mann jedenfalls (es ist immer ein Mann, so weit ich weiß) hat die Aufgabe, sich um das Wohl und Wehe der Alsterschwäne zu kümmern, dem ältesten Wahrzeichen Hamburgs. Zur vordringlichsten Aufgabe des Schwanenvaters und seiner Helfershelfer gehört es, die Vögel im Herbst in ihr Winterquartier zu bringen. Bei dieser Unterkunft handelt es sich um den Eppendorfer Mühlenteich, der angeblich eigens per Umwälzpumpe beheizt wird, um es den Schwänen kommod und eisfrei zu machen und sie nicht den Drang spüren, sich des Winters aus der Hansestadt zu absentieren. Michel und Elphi bleiben ja auch ganzjährig hier.  

Diese Umbettung des Cygnuskomplettbestands schien auch zu Beginn dieser Saison gut vonstatten gegangen zu sein, denn die Alsterschwäne waren von einem Tag auf den anderen verschwunden. Ich kann das gut beurteilen, weil ich fast täglich meine Mittagspause kauend und sinnierend am Ufer der Außenalster verbringe, auch im Winter. 

Die verbliebenen Vögel – Rallen, Enten, Möwen – bejubeln jedesmal begeistert die Umquartierung, da sie plötzlich nicht mehr von diesen langhalsigen Riesen bedrängt werden, deren Fauchen, wie ich bezeugen kann, sogar schon manchen vorwitzigen Haushund das Fürchten lehrte. Und sogar mir, wie ich gestehen muss, weshalb ich es tunlichst vermeide, den traditionell übellaunigen Schwänen das Gefühl zu vermitteln, ich machte mir nichts aus sozialer Distanz. 

Die Schwäne sind dank des Schwanenvaters also schon seit längerem nicht mehr an der Alster, sondern bis zum Frühjahr auf dem Mühlenteich daheim. Doch vorvergangene Woche sah ich plötzlich einen kapitalen Burschen im Tiefflug zur Landung ansetzen, und als Bremsschwall und Gischt die Sicht nicht mehr verdecken, sah ich: Es war ein Schwan. Ein einziger (Foto).

Seither ist der Großvogel an der Außenalster quasi der Hecht im Karpfenteich. Nirgends ein aus demselben Holz geschnitzter Konkurrent, sein Regime über die winterliche Alstervogelwelt ist unumschränkt und von keiner Widerstandsgruppe gefährdet. Täglich tummelt er sich in der Nähe der Krugkoppelbrücke, vergrämt lustvoll Blässhühner, schwimmt mal hierhin und mal dorthin, faucht Hunde an, kurz: Er liefert passables Entertainment für kauende und sinnierende Mittagspausenverbringer.

Fragt sich nur, was der Schwanenvater und seine Helfershelfer zu diesem Renegaten sagen. Werden sie noch einmal aktiv? Erlösen sie die Rallen, Enten und Möwen von ihrer Nemesis? Und warum hat die Mopo noch nicht berichtet?

Ich bleibe dran. Jeden Mittag.

13 Januar 2018

Zum 50.: Das Lexikon einer geilen Generation



A wie APO: Die 68er waren irgendwie gegen alles Alte, deshalb drehten sie das Wort –>OPA einfach um und erhielten sein Gegenteil. So entstand die APO. Sie wollte möglichst „jung“ wirken, deshalb verhielt man sich auch konsequent idiotisch, steckte sich Blümchen ins Haar und ging in kindlicher Unschuld massenhaft öffentlich duschen (–>Wasserwerfer). So was ist neuerdings wieder total in, siehe G20-Gipfel.
B wie Barrikaden: Auf die Straßen geschmissene Haufen aus Steinen, Türen (–>Kommune), Balken und was nicht alles. Damit wollten die 68er verhindern, dass die –>Wasserwerfer abhauen konnten, bevor sie Duschwasser bereitgestellt hatten. Heutzutage ist das Barrikadenbauen aus der Mode gekommen, weil die meisten Menschen eh kurze –>Haare haben.
C wie Che Guevara: Ein eitler Selbstvermarkter aus Kuba. Er ließ Millionen Poster von sich selber drucken, welche die gutmütigen 68er dann dezentral lagerten, meist an den Wänden ihrer ->Kommunenräume. Als Che wegen der Poster pleite war, floh er vor den Gläubigern in den Wald, aber sie fanden ihn trotzdem. Nach seinem Ableben wussten die 68er nicht mehr, wem sie die Poster zurückgeben sollten, und ließen sie einfach hängen. Bis heute.
D wie Drogen: Chemische Substanzen, die das Hirn weich und das Wesen sanft machen – und so verhinderten, dass aus 68ern –>Terroristen wurden.
E wie Establishment: Die zarte Poesie der 68er bezirct bis heute mit Zeilen wie „Wer zweimal mit derselben pennt, gehört schon zum Establishment“. Damit waren nicht nur Monogame gemeint, sondern auch Leute, die das Klo abschlossen und zum Duschen daheim blieben, statt den kostenlosen ->Wasserwerferservice zu nutzen.
F wie Flokati: Ein Teppich mit langen Haaren. Sie sollten den Dreck binden, der beim ungehemmten –>Sex in der aus revolutionären Gründen ungeputzten –>Kommune aufgewirbelt wurde. Als in den 90ern Cybersex aufkam, starb der Flokati aus. Für die letzten Exemplare wird immer noch ein sicheres Endlager gesucht.
G wie Gammler: Splittergruppe der 68er, die sich vor allem dadurch unterschied, dass sie nicht von –>Vietnam träumte, sogar öffentliches Duschen mied (–>Wasserwerfer) und immer wusste, wo es den billigsten Joint gab. Deshalb waren Gammler als –>Terroristen völlig untauglich.
H wie Haare: Ein praktischer Körperauswuchs, den die 68er in bis dahin ungekannter Form ausbildeten, um den Flokatiteppich beim Filtern des Staubs aus der Luft zu unterstützen. Die Säuberung erfolgte –>nackt und öffentlich (–>Wasserwerfer).
I wie Ideologie: Unverzichtbarer IQ-Ersatz für jeden 68er.
J wie Jesus-People: Komische Käuze, die zwar auch in –>Kommunen lebten, aber jede Chance aufs Rudelrammeln sausen ließen. Ähnlich tragische Figuren wie –>Terroristen.
K wie Kommune: Eine total demokratische Wohnform, die sogar Gerüche gleichberechtigt behandelte. Viele von ihnen waren jahrhundertelang gedisst und weggesperrt worden, doch die 68er befreiten sie, indem sie sämtliche Türen aushängten. Jetzt konnten sich sogar Klodüfte frei durch die Wohnung bewegen und etwa in der Küche nette Kollegen treffen. Heute ist man davon aber wieder weg.
L wie links: Eine Art holpriges Denken in Widersprüchen, das die 68er toll fanden. Linke lobten lauthals das damals noch „Proletariat“ genannte Prekariat, statt sich – wie heute alle bis auf Oskar Lafontaine – darüber zu beömmeln. Inzwischen ist längst erwiesen, dass man rinks und lechts leicht verwechseln kann, deshalb gilt Richtungsdenken generell als überholt. Genauso wie –>Ideologie übrigens.
M wie Muff: Biologische Sonderform eines sehr alten Schimmelpilzes, den die 68er unter der Standeskleidung (Talare) ihrer Professoren vermuteten und gern weggehabt hätten. Problem: Wenn man Talare lüftet, verbreiten sich die Sporen des Muffs in alle Winde und sorgen überall für neue Schimmelpilze. Darunter leiden die Unis bis heute, und alles nur wegen der 68er.
N wie nackt: Was inzwischen selbstverständlich ist, haben die 68er für uns mutig erstritten: das Nacktsein. Sie rissen sich überall und im Affenzahn die Kleider vom Leib, ob in der WG (–>Kommune), an der Uni (–>Muff) oder vor Gericht, und das ohne jede Rücksicht auf ästhetische Erwägungen. Hauptsache, die –>OPAs regten sich auf. Außerdem kam man so beim –>Sex viel schneller zur Sache.
O wie OPA: Das Gegenstück zur –>APO und letztlich Ursache ihrer Gründung. Sammelbecken für Altnazis, Monogame, Kloabschließer, –>Wasserwerferfahrer und Leute, die BILD lasen statt Bildblog (wenn es das damals schon gegeben hätte).
P wie Porno: Weil die 68er unheimlich locker waren, hatten sie auch nichts dagegen, sich beim –>Sex filmen zu lassen – fertig war der erste Porno der Welt. Vorher wusste man nicht mal, wo man was reinstecken sollte; dank der 68er konnte man sich das jetzt genau anschauen. Wie alles Gute wurde aber auch diese super Idee sofort vermarktet bis zum Gehtnichtmehr (vgl. Youporn).
Q wie quasseln: Neben dem Poppen, Kiffen und ->Barrikadenbauen gehörte das ständige Quasseln zu den nervtötendsten Eigenschaften der 68er. Ein Erbe, das heute in sogenannten Talkshows verwaltet wird. Dass die Lanzens und Illners nicht einmal das Maul halten können, liegt nur an den 68ern.
R wie Revolution: Die 68er wollten nicht mehr von –>OPAs regiert werden und schimpften deshalb rum. Ein gewisser Schröder rüttelte später sogar am Zaun des Kanzleramtes und rief: „Ich will da rein!“ Viele Jahre später klappte es sogar, und das war dann die Revolution.
S wie Sex: Die Fortpflanzung vor 1968 liegt völlig im Dunkeln. Man vermutet eine Mitwirkung von Störchen. Ab 68 wurde dann alles anders: Man poppte, was das Zeug hielt, das eh keiner mehr anhatte (–>nackt). Seither weiß man erst genau, wie das funktioniert mit der menschlichen Fortpflanzung. Allerdings ist die 1968 etablierte Methode inzwischen schon wieder überholt, dank Gentechnik.
T wie Terroristen: Gescheiterte 68er, die zu tüddelig waren, sich die richtigen –>Drogen zu besorgen. Tagelang irrten diese Dummerchen durch die falschen Viertel und stießen dort natürlich auf keinen einzigen Dealer. Das machte sie unheimlich sauer – mit bekannten Folgen (RAF, Stammheim, Mogadischu).
U wie Universität: Beliebte Sammelstellen für 68er, vor allem, weil es dort Stühle gab. In den –>Kommunen gab es ja nur noch –>Flokatis.
V wie Vietnam: So wie wir uns heute nach Bali sehnen, so verzehrten sich die 68er nach Vietnam. Endlose Strände, entlaubte Wälder, dünne Menschen in Erdhöhlen: All das löste eine romantische, letztlich aber unstillbare Sehnsucht aus. Denn die meisten 68er waren wegen der kostenlos bereitgestellten Stühle an der –>Universität und hatten kein Geld für den Flug, deshalb demonstrierten sie zu Tausenden für staatliche Reisekostenzuschüsse. Weil das im Budget nicht drin war, bot die Regierung ersatzweise mobile öffentliche Duschen an (–>Wasserwerfer), womit sich die 68er dann auch begeistert zufrieden gaben.
W wie Wasserwerfer: Ein Fahrzeug, das die Polizei zur Verfügung stellte, um die verweigerten Reisekostenzuschüsse (–>Vietnam) zu kompensieren und zugleich das hygienische Niveau der 68er zu heben. Vor allem lange –>Haare waren Schmutzfänger erster Kajüte, und weil in vielen –>Kommunen aus revolutionären Gründen kein Wasser lief, versammelten sich die 68er auf großen Plätzen und Straßen, wo sie sich abbrausen ließen. Vor allem der –>Sex war danach deutlich angenehmer.
XY wie Aktenzeichen xy … ungelöst: Fahndungssendung, die am 20. Oktober 1967 von –>OPAs erfunden und quasi zum Begleitformat der 68er wurde. Da praktisch jeder mit langen –>Haaren verdächtig war, hatte die xy-Redaktion unglaublich viel zu tun. Heute fahndet die Sendung allerdings vor allem nach Kurzhaarigen.
Z wie Zausel: Liebevoller Ulkname für Rainer Langhans, den letzten noch aktiven 68er aller Zeiten.


(Dieses Lexikon ist die aktualisierte Fassung eines Textes, der für die Zeitschrift umagazine entstand.)

-->




01 Januar 2018

Die gemütlichsten Ecken von St. Pauli (129)




Ob ohne Netz, Geländer und doppelten Boden auf dem Dach eines Reeperbahnhauses oder fünf Stock tiefer auf der Seilerstraße: So ging’s zu auf dem Kiez in den ersten Minuten des Jahres 2018.