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23 September 2018

Reeperbahnfestival 2018: Fotonachlese


Festival Village auf dem Heiligengeistfeld 


Basisausrüstung


Livebühne auf dem Spielbudenplatz; Eingangsbereich Bahnhof Pauli


Botschaft der geplagten Nachbarn des Nochtspeichers, die sich mit dem Club einen Eingang teilen


Die Präsenz der DSGVO auf dem Festival 


Die Schuhe der färöischen Sängerin Frum


Es werde Licht bei Jungle im Docks


Klaus Voormanns Porträt von Paul McCartney in der Arrestzelle auf der Davidwache (Festival Village)


Vorm Sommersalon


Spielbudenplatz


Vorm Panikmuseum


Was nicht rostet – auch nicht bis zum Festival im nächsten Jahr.
Versprochen.


20 September 2018

Alles wackelt – auch dank Günter Zint


Reeperbahnfestival! Jedes Jahr der höchste Höhepunkt in einem an Höhepunkten wahrlich nicht armen Viertel. Reeperbahnfestival heißt: sich über den Kiez treiben lassen, der von unzähligen Indieacts- und -bands zum Wackeln gebracht wird, mal in diesem Club vorbeischauen, mal in jenem (gilt natürlich auch für den Astra-Stand), und irgendwann ist es plötzlich nach Mitternacht und man freut sich auf morgen.

Bei dem Londoner Soulfunker Joel Culpepper in Angie’s Nightclub überzeugt vor allem das Outfit und sein Prince-Falsett, doch als er fragt, ob es cool sei, wenn er das Publikum ein wenig einbeziehe, muss ich mich leider absentieren. Ich gehöre zu jenem misanthropischen Publikumsteil, der auf keinen Fall einbezogen werden möchte, weder zum Mitklatschen noch -singen und erst recht nicht zum Auf-die-Bühne-geholt-Werden. Also tschüs, Joel – und hallo Frum

Die blonde färöische Sängerin führt eine Art Nachthemd aus und dazu etwas klobig Sneakerartiges, worauf man sich vor allem deswegen gut konzentrieren kann, weil ihre Stimme zu leise abgemischt ist. Im Publikum: die legendäre, ebenso winzige wie einen grotesk hoch aufragenden Hut tragende Sängerin, Komponistin und Produzentin Linda Perry.

Ach, ich weiß noch, welch ein Wahnsinns-Wow anno 1992 ihr 4-Non-Blondes-Song „What’s up” beim allerersten Ohrkontakt auslöste – und wie unerträglich das Stück beim tausendsten Mal geworden war. Dieses Schicksal – es tausendmal hören zu müssen – blieb in der ganzen westlichen Hemisphäre damals wohl keinem erspart. Ein Supersuperhit. Und jetzt steht Frau Perry hier im Nochtspeicher, starrt auf das Nachthemd einer Färöerin, deren Stimme zu leise abgemischt ist, und denkt wahrscheinlich: kein Supersuperhit, nirgends.

Auf dem Weg die Davidstraße runter stelle ich fest, dass der an einem Band um meinen Hals baumelnde Presseausweis des Reeperbahnfestivals die Huren so zuverlässig fernhält wie eine Knoblauchknolle Dracula. Bis jemand von links ein „Matthias, kommst du mal her?“ flötet. Da hat eine ziemlich gute Augen und meinen Namen auf dem Ausweis identifiziert. Er ist also doch keine Knoblauchknolle.

Vorm Sankt-Pauli-Museum, wo später zu Elektrobeats und Landschaftsfilmen eine verzaubernde Frauenstimme zu hören sein wird, die überraschenderweise einem muskulösen kahlköpfigen Franzosen namens Temperance gehört, treffe ich das Kiezurgestein schlechthin: Günter Zint.  

Wenn einer sowohl ein Chronist St. Paulis als auch der linken Protestbewegung der alten Bundesrepublik ist, dann der 77-Jährige mit seiner halben Brille, über deren Rand er dich mit gesenktem Kopf mustert. Irgendjemand müsste Günter mal über die immense Nützlichkeit von Gleitsichtbrillen informieren, aber dann wäre auch sein Markenzeichen flöten. Also lieber doch nicht. Der Mann war einst an allen Brennpunkten, Startbahn West, Gorleben, er war mit Wallraff undercover, und ich wundere mich ein bisschen, wieso er augenblicks nicht durch den Hambacher Forst kraxelt.

Weil er sich um sein Museum kümmert, vor dem ein Verkehrsschild steht, an dem er gerade wackelt. „Ich geb dir 200 Euro“, raunt er mir zu, „wenn du dieses Schild hier mit der Flex abschneidest.“ Das Schild informiert darüber, dass die Einfahrt in die Friedrichstraße zwischen 20 Uhr abends und 5 Uhr morgens verboten ist. Aber es steht halt auch direkt vorm Eingang von Zints Museum. „Dieses Schild“, sagt er und rüttelt wieder dran, „ist auf jedem Scheißtouristenfoto des Museums zu sehen!“

Eine junge Frau, die sich als eine Groninger Booking-Assistentin namens Myrte entpuppt, hört amüsiert mit, und Zint sagt: „Ich gebe dir 300 Euro …“ (was hier, in der Davidstraße, ein noch missverständlicheres Angebot sein dürfte als in irgendeiner anderen Straße Europas) „… wenn du das Schild hier mit einer Flex umlegst!“ Für mich 200, für sie 300. Schon verstanden.

Das Schild steht heute morgen übrigens immer noch da, das Reeperbahnfestival geht in seinen zweiten Tag, und plötzlich wird es Mitternacht sein, und man freut sich auf morgen.



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13 Januar 2018

Zum 50.: Das Lexikon einer geilen Generation



A wie APO: Die 68er waren irgendwie gegen alles Alte, deshalb drehten sie das Wort –>OPA einfach um und erhielten sein Gegenteil. So entstand die APO. Sie wollte möglichst „jung“ wirken, deshalb verhielt man sich auch konsequent idiotisch, steckte sich Blümchen ins Haar und ging in kindlicher Unschuld massenhaft öffentlich duschen (–>Wasserwerfer). So was ist neuerdings wieder total in, siehe G20-Gipfel.
B wie Barrikaden: Auf die Straßen geschmissene Haufen aus Steinen, Türen (–>Kommune), Balken und was nicht alles. Damit wollten die 68er verhindern, dass die –>Wasserwerfer abhauen konnten, bevor sie Duschwasser bereitgestellt hatten. Heutzutage ist das Barrikadenbauen aus der Mode gekommen, weil die meisten Menschen eh kurze –>Haare haben.
C wie Che Guevara: Ein eitler Selbstvermarkter aus Kuba. Er ließ Millionen Poster von sich selber drucken, welche die gutmütigen 68er dann dezentral lagerten, meist an den Wänden ihrer ->Kommunenräume. Als Che wegen der Poster pleite war, floh er vor den Gläubigern in den Wald, aber sie fanden ihn trotzdem. Nach seinem Ableben wussten die 68er nicht mehr, wem sie die Poster zurückgeben sollten, und ließen sie einfach hängen. Bis heute.
D wie Drogen: Chemische Substanzen, die das Hirn weich und das Wesen sanft machen – und so verhinderten, dass aus 68ern –>Terroristen wurden.
E wie Establishment: Die zarte Poesie der 68er bezirct bis heute mit Zeilen wie „Wer zweimal mit derselben pennt, gehört schon zum Establishment“. Damit waren nicht nur Monogame gemeint, sondern auch Leute, die das Klo abschlossen und zum Duschen daheim blieben, statt den kostenlosen ->Wasserwerferservice zu nutzen.
F wie Flokati: Ein Teppich mit langen Haaren. Sie sollten den Dreck binden, der beim ungehemmten –>Sex in der aus revolutionären Gründen ungeputzten –>Kommune aufgewirbelt wurde. Als in den 90ern Cybersex aufkam, starb der Flokati aus. Für die letzten Exemplare wird immer noch ein sicheres Endlager gesucht.
G wie Gammler: Splittergruppe der 68er, die sich vor allem dadurch unterschied, dass sie nicht von –>Vietnam träumte, sogar öffentliches Duschen mied (–>Wasserwerfer) und immer wusste, wo es den billigsten Joint gab. Deshalb waren Gammler als –>Terroristen völlig untauglich.
H wie Haare: Ein praktischer Körperauswuchs, den die 68er in bis dahin ungekannter Form ausbildeten, um den Flokatiteppich beim Filtern des Staubs aus der Luft zu unterstützen. Die Säuberung erfolgte –>nackt und öffentlich (–>Wasserwerfer).
I wie Ideologie: Unverzichtbarer IQ-Ersatz für jeden 68er.
J wie Jesus-People: Komische Käuze, die zwar auch in –>Kommunen lebten, aber jede Chance aufs Rudelrammeln sausen ließen. Ähnlich tragische Figuren wie –>Terroristen.
K wie Kommune: Eine total demokratische Wohnform, die sogar Gerüche gleichberechtigt behandelte. Viele von ihnen waren jahrhundertelang gedisst und weggesperrt worden, doch die 68er befreiten sie, indem sie sämtliche Türen aushängten. Jetzt konnten sich sogar Klodüfte frei durch die Wohnung bewegen und etwa in der Küche nette Kollegen treffen. Heute ist man davon aber wieder weg.
L wie links: Eine Art holpriges Denken in Widersprüchen, das die 68er toll fanden. Linke lobten lauthals das damals noch „Proletariat“ genannte Prekariat, statt sich – wie heute alle bis auf Oskar Lafontaine – darüber zu beömmeln. Inzwischen ist längst erwiesen, dass man rinks und lechts leicht verwechseln kann, deshalb gilt Richtungsdenken generell als überholt. Genauso wie –>Ideologie übrigens.
M wie Muff: Biologische Sonderform eines sehr alten Schimmelpilzes, den die 68er unter der Standeskleidung (Talare) ihrer Professoren vermuteten und gern weggehabt hätten. Problem: Wenn man Talare lüftet, verbreiten sich die Sporen des Muffs in alle Winde und sorgen überall für neue Schimmelpilze. Darunter leiden die Unis bis heute, und alles nur wegen der 68er.
N wie nackt: Was inzwischen selbstverständlich ist, haben die 68er für uns mutig erstritten: das Nacktsein. Sie rissen sich überall und im Affenzahn die Kleider vom Leib, ob in der WG (–>Kommune), an der Uni (–>Muff) oder vor Gericht, und das ohne jede Rücksicht auf ästhetische Erwägungen. Hauptsache, die –>OPAs regten sich auf. Außerdem kam man so beim –>Sex viel schneller zur Sache.
O wie OPA: Das Gegenstück zur –>APO und letztlich Ursache ihrer Gründung. Sammelbecken für Altnazis, Monogame, Kloabschließer, –>Wasserwerferfahrer und Leute, die BILD lasen statt Bildblog (wenn es das damals schon gegeben hätte).
P wie Porno: Weil die 68er unheimlich locker waren, hatten sie auch nichts dagegen, sich beim –>Sex filmen zu lassen – fertig war der erste Porno der Welt. Vorher wusste man nicht mal, wo man was reinstecken sollte; dank der 68er konnte man sich das jetzt genau anschauen. Wie alles Gute wurde aber auch diese super Idee sofort vermarktet bis zum Gehtnichtmehr (vgl. Youporn).
Q wie quasseln: Neben dem Poppen, Kiffen und ->Barrikadenbauen gehörte das ständige Quasseln zu den nervtötendsten Eigenschaften der 68er. Ein Erbe, das heute in sogenannten Talkshows verwaltet wird. Dass die Lanzens und Illners nicht einmal das Maul halten können, liegt nur an den 68ern.
R wie Revolution: Die 68er wollten nicht mehr von –>OPAs regiert werden und schimpften deshalb rum. Ein gewisser Schröder rüttelte später sogar am Zaun des Kanzleramtes und rief: „Ich will da rein!“ Viele Jahre später klappte es sogar, und das war dann die Revolution.
S wie Sex: Die Fortpflanzung vor 1968 liegt völlig im Dunkeln. Man vermutet eine Mitwirkung von Störchen. Ab 68 wurde dann alles anders: Man poppte, was das Zeug hielt, das eh keiner mehr anhatte (–>nackt). Seither weiß man erst genau, wie das funktioniert mit der menschlichen Fortpflanzung. Allerdings ist die 1968 etablierte Methode inzwischen schon wieder überholt, dank Gentechnik.
T wie Terroristen: Gescheiterte 68er, die zu tüddelig waren, sich die richtigen –>Drogen zu besorgen. Tagelang irrten diese Dummerchen durch die falschen Viertel und stießen dort natürlich auf keinen einzigen Dealer. Das machte sie unheimlich sauer – mit bekannten Folgen (RAF, Stammheim, Mogadischu).
U wie Universität: Beliebte Sammelstellen für 68er, vor allem, weil es dort Stühle gab. In den –>Kommunen gab es ja nur noch –>Flokatis.
V wie Vietnam: So wie wir uns heute nach Bali sehnen, so verzehrten sich die 68er nach Vietnam. Endlose Strände, entlaubte Wälder, dünne Menschen in Erdhöhlen: All das löste eine romantische, letztlich aber unstillbare Sehnsucht aus. Denn die meisten 68er waren wegen der kostenlos bereitgestellten Stühle an der –>Universität und hatten kein Geld für den Flug, deshalb demonstrierten sie zu Tausenden für staatliche Reisekostenzuschüsse. Weil das im Budget nicht drin war, bot die Regierung ersatzweise mobile öffentliche Duschen an (–>Wasserwerfer), womit sich die 68er dann auch begeistert zufrieden gaben.
W wie Wasserwerfer: Ein Fahrzeug, das die Polizei zur Verfügung stellte, um die verweigerten Reisekostenzuschüsse (–>Vietnam) zu kompensieren und zugleich das hygienische Niveau der 68er zu heben. Vor allem lange –>Haare waren Schmutzfänger erster Kajüte, und weil in vielen –>Kommunen aus revolutionären Gründen kein Wasser lief, versammelten sich die 68er auf großen Plätzen und Straßen, wo sie sich abbrausen ließen. Vor allem der –>Sex war danach deutlich angenehmer.
XY wie Aktenzeichen xy … ungelöst: Fahndungssendung, die am 20. Oktober 1967 von –>OPAs erfunden und quasi zum Begleitformat der 68er wurde. Da praktisch jeder mit langen –>Haaren verdächtig war, hatte die xy-Redaktion unglaublich viel zu tun. Heute fahndet die Sendung allerdings vor allem nach Kurzhaarigen.
Z wie Zausel: Liebevoller Ulkname für Rainer Langhans, den letzten noch aktiven 68er aller Zeiten.


(Dieses Lexikon ist die aktualisierte Fassung eines Textes, der für die Zeitschrift umagazine entstand.)

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28 Oktober 2017

Sympathisch derangiert

Der Hein-Köllisch-Platz im Südwesten von St. Pauli mit seinem buckligen Pflaster und den Kneipen und Restaurants, die ihn malerisch umsäumen: Das wäre durchaus eine Wohnlage, die wir uns auch vorstellen könnten – sofern die Wege dorthin nicht so diskutabel wären. 

Wenn man etwa den Platz von Osten her erreichen möchte, muss man durch die Bernhard-Nocht-Straße – und somit Bock darauf haben, durch eine Phalanx afrikanischer Dealer zu huschen, die einem manchmal ein erwartungsarmes „Hallo“ zuraunen. 

Und wenn man von der Reeperbahn kommt, gilt es zunächst die von trunkenen Kieztouristen heimgesuchte Silbersackstraße heil zu überstehen, ehe ein rechts abzweigender Pfad namens Silbersacktwiete uns an einem von dunklen unheimlichen vollgepissten Hecken flankierten Sportplatz entlangzwingen möchte. 

Beide Varianten sind unschön, doch wenn man eine davon schadlos absolviert hat und erst einmal angekommen ist auf dem Hein-Köllisch-Platz, dann entfaltet sich rotlichtferne St.-Pauli-Gemütlichkeit in ihrer ganzen Pracht. Vor allem an jedem letzten Freitag des Monats, wenn im Stadtteilzentrum Kölibri ein sogenanntes Küchenkonzert stattfindet.

Das geht so: Bemühte Amateure, über die sich ob ihres von jedwedem Können ungetrübten Eifers sofort ein Füllhorn mitleidsgetriebener Publikumsovationen ergießt, geben ihr Bestes (was nicht viel ist), derweil ehrenamtliche Kräfte schmackhafte vegetarische Speisen zubereiten und über den Tresen reichen. Gestern war es zum Beispiel Kürbis mit Bulgur, bestreut mit Koriander, und als Nachtisch Windbeutel mit Himbeeren. Fürs Essen wird so wenig ein Preis erhoben wie für die Musik (was auch noch schöner wäre!), aber Spenden für beide Angebote sind willkommen, fürs Essen werden sogar Richtwerte genannt. 

Im Kölibri hält man sich übrigens trotz des alternativen Anstrichs penibel an die Gesetze. Als ich bei der höchstens 16-jährigen Thekenkraft ein Wasser und einen Wein bestellte, rief sie eine erwachsene Kollegin herbei mit den Worten: „Machst du ein Glas Wein? Ich darf doch keinen Alkohol ausschenken.“ Hier dürfen 16-Jährige also nicht nur ordnungsgemäß keinen Stoff trinken, sie dürfen ihn nicht einmal einem Gast zu trinken geben

Das nicht immer in Würde gealterte, optisch sofort als gewerkschaftsnah zu identifizierende Kölibri-Publikum  wirkt überdurchschnittlich derangiert, doch auf äußerst sympathische Weise. Es sind Menschen, die jederzeit „Refugees welcome“-Schilder hochhielten, die natürlich gegen die Elbvertiefung sind und auch noch der flachsten künstlerischen Darbietung bis an die Gestade der Euphorie wohlgesonnen gegenüberstehen, solange sie nur gutgemeint ist.

Kurz: Nichts, aber auch gar nichts spricht dagegen, an jedem letzten Freitag des Monats gutgelaunt und hungrig im Kölibri aufzuschlagen. Natürlich werden Sie weiterhin auch uns dort regelmäßig antreffen – sofern wir den Hein-Köllisch-Platz unbeschadet erreichen.


15 August 2017

The walking dead

John Lennon hielt einst die Beatles für größer als Jesus. Allerdings hatte er einen übersehen: den größten Star aller Zeiten. Vor 40 Jahren starb Elvis Presley. Doch er könnte kaum präsenter sein.


Da steht er, im weißen Glitzer der späten Jahre. Der Kragen ist riesig, scheint zu wachsen und bald zu einem großen wehenden Weiß zu werden, das ihn umfließen wird wie Supermans Cape oder wie die Flügel für die Himmelfahrt. Eine Elvis-Fantasie. 

Viele begegnen ihm auch real. Immer wieder Sichtungen – in einem McDonald’s in Oklahoma, einer Bar in Tel Aviv (die er selbst betreibt), auf einem Kneipenklo in Nürnberg, als Tramper am Berliner Ring. 

Jeden Tag sieht ihn irgendwer irgendwo. Er sieht gut aus für einen, der seit 40 Jahren tot ist, und meist hat er einen Sinnspruch parat und ein trauriges Lächeln, ehe er verschwindet wie ein Windhauch.

Elvis Presley, ein Lastwagenfahrer aus East Tupelo in Mississippi, ist der einzige globale Geist, den Amerika je hervorgebracht hat. 

Er ist immer noch derart übergroß, dass man glauben könnte, er habe nie existiert, sondern sei eine Kunstfigur, ein früher Avatar. Es ist, als habe sich die Verehrung der Massen, die Analyselust der Kulturwissenschaftler und die Bedeutung, die Elvis gewann für jeden Aspekt des kulturellen Amerika und der Popkultur schlechthin, als habe sich all das zu einer großen festen Masse verdichtet, die ihn einerseits hinaufhob wie ein Gebirge, das sich auftürmt durch die Gewalt der kollidierenden Erdplatten, und ihn andererseits auf dem Gipfel einschloss in einen Kokon, der am Ende immer mehr einer Gummizelle ähnelte.

Presleys Bedeutung liegt nicht nur an seinem Erfolg, essenziell ist auch sein Untergang. Elvis’ Leben und Sterben – es steht für Größe und Tragik, für die seither zum Klischee geronnene Erkenntnis, dass es verdammt einsam ist dort oben, es steht fürs Umschwirrtsein von geldgeilem Geschmeiß, für vollkommenes Verlorensein inmitten grenzenloser Umsorgtheit.

Die ganze Dimension des Pop steckt in diesem Leben und Sterben, und es war von geradezu lächerlicher Logik, als Michael Jackson, entrückter Herrscher von Neverland, Lisa Marie Presley heiratete, die Tochter des Kings von Graceland. Ein Fest für Freudianer.

Elvis Aaron Presley, dieser Fernfahrer aus East Tupelo, war bei den Sun Studios vorbeigefahren, um schnell eine private Single für seine Mutter zu besingen. Und danach musste er den Himmel durchschreiten und die Hölle hintendrein, und wer kann schon sagen, ob das eine schwerer war als das andere.

Jedenfalls musste er da durch, ganz allein und als Erster überhaupt – für uns alle, für das ganze 20. Jahrhundert. Seine Mission ging tödlich aus und verschaffte ihm und uns doch etwas schrecklich Kostbares: die säkulare Version des ewigen Lebens.

Gestern hat ihn wieder jemand gesehen, in einem Schuhladen in Hull. Es war mittags, Elvis fragte nach blauen Wildlederschuhen. Dann lächelte er ein trauriges Lächeln und verschwand wie ein Windhauch.


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04 Juli 2017

G20: Haut Trump die Elphi kurz und klein?


Für zwei hochkarätige Teilnehmer des G20-Gipfels verspricht das Konzert in der Elbphilharmonie am Freitagabend besonders aufregend zu werden. 

Recep Tayyip Erdoğan etwa wird bass erstaunt darüber den Kopf schütteln, dass dieser einst als Trainer in der Türkei erfolglose Teufelskerl Jogi Löw neuerdings sogar in der Lage ist, ein Sinfonieorchester zu dirigieren (Bild). 

Donald Trump hingegen wird sich mächtig aufregen über die dargebotene „Fake music!“, weil das Fraud-Media-Programmheft böswillig verschweigt, wer das von Jogi Löw dirigierte Stück namens „Beethoven“ in Wahrheit schuf – nämlich der große amerikanische Komponist Chuck Berry.

Viel Konfliktpotenzial also am Wochenende. Bleiben Sie lieber zu Hause oder in Travemünde.

Quelle: Hamburger Abendblatt, 28.06.2017


12 Mai 2017

Der Mondpreiseffekt des ESC

Der deutsche Schauplatz des Eurovision Song Contest ist ja, wie Sie auch als Nichthamburger sicherlich wissen, der Spielbudenplatz hier auf St. Pauli, direkt an der Reeperbahn. Uns trennt genau eine Häuserzeile vom Ort des Geschehens, und bei geöffneter Balkontür bekämen wir – wie schon mehrfach mitgeteilt – auch ohne Fernsehton alles mit. 

Diese Veranstaltung erreicht zwar zugegebenermaßen nicht ganz die Vergrätzungskraft der Harley Days oder gar des Schlagermove, doch sie löst hier im Viertel reflexhaft einen ähnlichen Impuls aus – nämlich den fraglichen Abend (also diesen Samstag) lieber ganz woanders zu verbringen, zum Beispiel auf einer Almhütte oder der internationalen Raumstation.

Angesichts solcher instinktiv richtigen Fluchtreflexe umso unfasslicher ist allerdings die Tatsache, dass es anscheinend Menschen gibt, die den Kiez nicht nur nicht weiträumig meiden, sondern an diesem Wochenende wegen des ESC sogar gezielt anreisen. Die extra hierher kommen, nach St. Pauli, nur wegen des Eurovison Song Contest. 

Und das scheinen sogar erfahrungsgemäß nicht wenige zu sein – wie sonst wäre die auf dem Foto dokumentierte Mondbepreisung des Ibis-Hotels bei uns um die Ecke zu erklären? Dort rechnet die Geschäftsführung mit einem deutlich erhöhtem Gästeaufkommen – und lässt deshalb den Doppelzimmerpreis an diesem Wochenende auf sagenhafte 209 Euro explodieren. 

Zweihundertneun Euro! Dabei hat diese Absteige Etagenbetten! Sie ist mehr Jugendherberge als Vier Jahreszeiten! Und wenn schon nicht die Veranstaltung als solche, so sollte doch derlei leicht durchschaubare Melk- und Ausquetschabsicht auch den gutmütigsten Eurodancetolerierer sofort von einer Anreise Abstand nehmen lassen.

Andererseits … Möchten Sie stattdessen vielleicht lieber bei uns übernachten? Ab 666 Euro würden wir mit uns reden lassen. 

(Wobei ich Ms. Columbo über diese Offerte noch gar nicht informiert habe; da bleibt also ein Restrisiko.)



06 Februar 2017

Zweikilowälzer zu gewinnen!


Zugegeben: Gedruckt wirkt „3000 Plattenkritiken“ erst mal … nun … hochpreisig, auch wenn es sich dabei um einen 2034 Gramm schweren Trumm handelt. Aber 58,99 Euro, heidewitzka! Doch bedenken Sie bitte Folgendes: Allein die Grundkosten liegen nicht weit weg von 50 Euro, und Verlag und Vertrieb wollen ja auch ihren Anteil. Auch der Autor freut sich am Ende über ein kärgliches Überbleibsel im einstelligen Bereich.

Das 572-Seiten-Werk macht sich jedenfalls – das habe ich selbst getestet – ausgesprochen gut auf jedem Kaffeetisch. Diese Erfahrung möchte ich teilen. 

Deshalb verlose ich den Brocken kurzerhand. 

Und zwar unter allen, die nachweisen können, irgendein Werk aus meinem kleinen, feinen Büchershop erworben zu haben. Zum Beispiel die E-Book-Version von „3000 Plattenkritiken“ für beschämende 2,99 Euro. Nur so als Anregung.

Das Verfahren ist sehr einfach: Sie schicken mir ab sofort Ihre Kaufbelege per Mail (Adresse siehe rechts oben auf dieser Seite). Alle Belege mit einem Datum ab 6. Februar landen unabhängig von ihrem Nominalwert als Lose im Topf, und sobald sich hundert Stück angesammelt haben, verlose ich einmal die gebundene Ausgabe von „3000 Plattenkritiken“.

Es ist mir ganz egal, für welches meiner Bücher – gebunden oder digital – Sie mir Belege zusenden: Alle nehmen gleichberechtigt teil, so lange sie ein Kaufdatum haben, das nicht vor diesem Blogeintrag liegt. 

Ihre Chance auf das DIN-A4-große Plattenkritikenbuch (es ist huge, fantastic, tremendous, ich schwör!) ist also mit 1:100 sagenhaft hoch. Ja, im Vergleich zu Euromillions oder 6 aus 49 bedeutet das statistisch geradezu einen fast sicheren Gewinn …!

Sie können natürlich auch einen Kaufbeleg (oder mehrere!) über die gebundene Fassung von „3000 Plattenkritiken“ einreichen. Denn das bei der Verlosung fast sicher gewonnene Zusatzexemplar eignet sich bestens zum Verschenken.

Glaube ich zumindest, denn das habe ich noch nicht selbst getestet.

„
PS: Der Rechtsweg ist natürlich ausgeschlossen. Vertrauen Sie mir einfach.

29 Dezember 2016

540 Verrisse


Einige Anfragen aus der Gruppe jener, die bedrucktem Papier generell den Vorzug vor elektronischer Tinte geben, haben mich bewogen, das E-Book „3000 Plattenkritiken“ nun auch als gebundenes Hardcover drucken zu lassen.

Während das E-Book weiterhin mit fluffigen 2,99 Euro übern Tisch geht, erzwingen die Grundkosten für das kiloschwere Druckwerk indes einen etwas höheren Preis, den zu nennen ich mich an dieser Stelle nicht traue, der aber für schockresistente Interessenten einfach zu ermitteln ist, nämlich hier.

Wer sich zunächst mit einer Teilmenge des Rezensionskonvoluts begnügen möchte, hat dazu jetzt ebenfalls die Gelegenheit. Denn ich habe aus dem Gesamtwerk all jene Kritiken destilliert, die zu einem letztlich wenig schmeichelhaften Urteil über das betroffene Album kommen. Es heißt „540 Verrisse. Ziemlich schlechte Platten aus drei Jahrzehnten“ und ist ab sofort als Taschenbuch erhältlich – natürlich zu einem erheblich moderateren Preis als der Gesamtklotz. (Der meistverrissene Künstler ist übrigens Neil Young; ich konnte es selbst kaum glauben.)

Die Veröffentlichung von „540 Verrisse“ hatte für mich allerdings die zwingende Folge, unmittelbar nach Diktat zu verreisen und mich in die Obhut des Zeugenschutzprogramms für Musikrezensenten zu begeben. Der Text, den Sie in diesem Augenblick lesen, wurde daher aus dem Exil auf den Malediven übermittelt, wobei „Malediven“ ein Pseudonym für den weitaus faderen Ort ist, an dem ich mich in Wirklichkeit aufhalte.

Mit jedem Kauf von „540 Verrisse“, „3000 Plattenkritiken“ oder „Der Frankensaga – Vollfettstufe“ helfen Sie mir, mein künftiges Leben im Untergrund zu finanzieren, inklusive all der falschen Bärte und blickdichten Sonnenbrillen. Dafür schon mal vielen Dank vorab.

Für Signierstunden stehe ich trotz allem weiterhin zur Verfügung; Treffpunkt allerdings nur in einem Land meiner Wahl. Und seien Sie zeitlich bitte flexibel.

03 Dezember 2016

Fundstücke (216)


Vielleicht mache ich es wie Nico Rosberg und trete auf dem Höhepunkt meiner Karriere zurück.
 
Entdeckt auf Amazon, in den Kindle-Musikcharts.

13 Oktober 2016

Bob Dylan und ich haben den Nobelpreis



Heute hat Bob Dylan den Literaturnobelpreis bekommen. Grund genug, hier und jetzt mal wieder meinen Rang als wahrscheinlich weltweit fanatischster Dylan-Coversongsammler überzubetonen.

Ich weiß nicht mehr genau, wann ich damit begann, systematisch Coverversionen von Bob-Dylan-Songs zu sammeln. Ich weiß nur, dass es keineswegs an Vorbehalten gegen Dylans Stimme oder Gesangsstil lag, was viele Leute ja ins Feld führen, wenn sie begründen wollen, weshalb dieses oder jenes Cover angeblich „besser“ sei als das Original.

Nein, Dylan ist ein einmaliger Interpret seiner selbst und seine Stimme ein Wunder der Natur, von Anfang an. Mittlerweile erinnert sie zwar eher an die verkohlten Ruinen einer metallverarbeitenden Fabrik, aber auch das hat seine Reize. Jedenfalls lag es nicht im Mindesten an einer Aversion gegen Dylan selbst, dass ich Covers zu sammeln begann, sondern an der puren Brillanz seiner Songs.

Stücke wie „Desolation Row“, „Wedding song“, „The ballad of Frankie Lee and Judas Priest“ oder „Don’t think twice“ sind so wunderbar komponiert, ihre Melodieführung so hinreißend, dass mir das Immerwiederhören der Originale irgendwann einfach nicht mehr reichte. Nein, meine Gier nach Varianten wurde im Lauf der Jahre immer größer – zumal man als Musikfan im Lauf seiner Sozialisation sowieso immer wieder mit verblüffenden Neu-, Um- und Ausdeutungen von Dylans Songs konfrontiert wird. Van Morrisons dramatisch zwischen Verlustangst und Angstlust schwankendes „It’s all over now, baby blue“ wird jeder Mensch mit Geschmack irgendwann kennen- und liebenlernen, ob er nun 1940 geboren ist oder 2001.

Ich jedenfalls begann vor einigen Jahren systematisch damit, alle – alle! – Bearbeitungen von Dylan-Kompositionen zu sammeln. Zunächst schlachtete ich die eigene LP- und CD-Sammlung aus, parallel dazu recherchierte ich Veröffentlichungen und schaufelte mir unzählige Coverblogs in den RSS-Reader (ich LIEBE das Internet!), um keine Interpretation zu verpassen, sei sie alt, abgelegen, scheußlich oder neu. Ich kaufte, kopierte, lud runter – kurz: Ich warf ein riesiges Dylan-Coversongsschleppnetz aus, und zwar mit recht passablem Erfolg.

Es gibt übrigens Fanatiker, die katalogisieren jedes einzelne gecoverte Stück, was eine unschätzbar wertvolle Quelle ist, aber auch ein steter Quell der Qual. Denn natürlich sind die bereits deutlich über 30.000 verzeichneten Studioeinspielungen von Dylan-Songs niemals alle zu beschaffen, und das frustriert schon ein bisschen. Andererseits gibt diese Tatsache mir auch die beruhigende Gewissheit, dass die Suche immer weitergehen kann und wird.

Denn das wäre ja das Schlimmste für einen Jäger und Sammler: dereinst den letzten, allerletzten Schatz gehoben zu haben.

Mein entsprechender iTunes-Ordner verzeichnet momentan jedenfalls nur rund sieben Prozent aller bekannten Covers, das sind exakt 2171 Stück mit einer Laufzeit von gut sechs Tagen – oder, digital gesprochen, 17,26 Gigabyte.

Darunter befinden sich epische Progrockversionen („All along the watchtower“, Affinity), ranschmeißerische Anschmachter („He was a friend of mine“, Cat Power), wildestes Cowpunkgeprügel („Blowin‘ in the wind“, Me First & The Gimme Gimmes), japanischer Kleinmädchenkitschpop („Mr. Tambourine man“, Kumisolo), superglitschige Schnulzepen („Wigwam“ von Drafi! Deutscher!!), virtuose Mash-ups („All along the love lockdown (Bob Dylan vs. Kanye West), ToTom) oder unfassbar grottige Poprockfassungen einer galizischen Amateurcombo namens 7 Ivvas.

Es gibt buchstäblich kein Genre, das es nicht gibt im Kosmos der Dylan-Covers, und jede einzelne Adaption beweist nur eins: wie inspirativ und befeuernd die jeweilige Originalkomposition ist. Kurz: Dylan hätte nicht nur den Literaturnobelpreis verdient, sondern auch den Musiknobelpreis. Den ich hiermit anrege.

All die oben genannten Künstler und Künstlerchen und auch all seine Fans verleihen diesem Songdichter letztlich seine Bedeutung – und deshalb hat nicht nur Bob Dylan heute den Nobelpreis bekommen, sondern sie alle. Wir alle. Auch ich. Aber nicht die, die ihn für einen schlechten Sänger halten. Sie haben irgendetwas nicht richtig verstanden.

Unter diesem Link finden Sie alle zurzeit von mir verwalteten Coversongs. Die Liste ist, wie Sie sicherlich schon ahnten (oder befürchteten), außerordentlich vorläufig.

Aber so was von.


PS: Dieser Text ist die aktualisierte Fassung einer Vorschau auf eine von mir 2011 konzipierte Dylan-Sendung beim Internetradio Byte.fm.

PPS: Das Foto zeigt mich im Kreise Gleichgesinnter bei der Zelebration von Dylans 75. Geburtstag im Mai diesen Jahres.

Update vom 6. Januar 2017: Inzwischen ist der Bestand auf 2335 Coversongs gewachsen, nicht zuletzt dank einiger liebenswerter Leser dieses Blogtextes. Dafür ein aufrichtiges Dankeschön!



 

25 September 2016

Reeperbahnfestival 2016: Eine Fotonachlese


Als ich heute Abend beim Konzert der britischen Newcomerin Alexandra Saviour im Imperial-Theater war, dachte ich: In einer skurrileren und deshalb lebenswerteren Version unserer Welt würde Herr Naidoo sie heiraten und ihren Namen annehmen.

Die gute Alexandra habe ich nicht fotografiert – wie überhaupt wenige Künstler –, dafür aber das Drumherum, vor allem die Stilleben im Trubel. Hier eine kleine Nachlese dreier toller Tage auf dem Kiez, die so ganz anders waren als sonst wochenendüblich.



Große Freiheit, Bühnenhintergrund der Band Get Well Soon. Die Nutzungsgebühren gehen wohl an John Lennon bzw. Yoko Ono. Es sei denn, die Liebe ist immer noch gemeinfrei. Heutzutage kann man sich dessen ja nicht mehr sicher sein.


Spielbudenplatz, Grillstand.





Die Decke des Resonanzraums im Bunker. Als Soundtrack dazu müssen Sie sich bitte eine von Olga Scheps gespielte Chopin-Etüde vorstellen, dann sind Sie ganz nah an der Wahrheit.



Große Freiheit, Eingang zum Sanitärbereich. Die Leuchtschrift müsste aus der Zeit stammen, als das Wasserklosett gerade erfunden worden war.




Imperial-Theater, Wandbeleuchtung.




Hand mit Band. Mit diesem kleinen Accessoire kam ich überall rein – und hätte sogar die ganze Zeit auch öffentliche Verkehrsmittel benutzen können. Bei den kurzen Distanzen zwischen den Clubs waren Füße und Fahrrad aber die weitaus bessere Wahl.



Kaiserkeller, Wandbeleuchtung. Ob die auch schon dort war, als die Beatles hier spielten? Bestimmt.



Große Freiheit, Anna Ternheim (l.). Warum die Schwedin im Bademantel die Bühne betrat, erschloss sich dem Publikum nicht. Zumal das unförmige Teil auch leider wenig kleidsam war. 
Die Lautstärke rechts habe ich hingegen beim Konzert von Okta Logue im Grünspan gemessen. Laut DIN 15 905, welche als Höchstgrenze 99 db vorsieht, hätte die Veranstaltung also abgebrochen werden müssen. Was sehr schade gewesen wäre – und ja auch nicht passiert ist.

Deshalb kann es im kommenden Jahr weitergehen mit dem besten deutschen Clubfestival. Sollten Sie dann nicht anreisen, haben Sie vielleicht nicht die Kontrolle über Ihr Leben verloren – aber ganz sicher über Ihre Freizeitgestaltung.



24 September 2016

Streichereinheiten



Heute war für mich ein Streichertag auf dem Reeperbahnfestival. Und von James Johnston, früher bei den Quartalsrockern Gallon Drunk, hätte ich das keinesfalls erwartet.

Doch der Mann kam mit Kammerorchesterchen und mitteldüsterem Pop noir in den Bahnhof Pauli am Spielbudenplatz, und wäre plötzlich Nick Cave in Duettabsicht aus der Kulisse geschlurft gekommen, so hätte sich niemand gewundert.

Vorher bereits hatten mich die drei außergewöhnlich harmoniegesangbegabten Baselerinnen von Serafyn (zwei Celli, eine Akustikgitarre) bezirzt. Kammerfolk so zerbrechlich wie eine angedetschte Mingvase. Dafür hatten Choir Of Young Believers gar keine Streicher dabei, obwohl das angekündigt war, sondern spielten einen Portishead-artigen Elektropop.

Möglicherweise waren das aber auch gar nicht Choir Of Young Believers; so genau weiß man das manchmal gar nicht mehr, wenn man von Club zu Club schwebt wie eine von der Vielfalt herumschlierender Nektararomen halbberauschte Biene.

Was gab’s noch? The Slow Show etwa, ein Solokünstler mit einer Stimme, die an Bill Morrissey erinnert, und Songs, die eigentlich gar keine sind, weil dem Mann das Schema Strophe/Refrain fremd ist und dafür der Begriff Mantra umso vertrauter. Er sollte sich mit Thomas Dybdahl zusammentun, die beiden wären als schwer umwölkte Indiefolkies unschlagbar.

Anna Ternheim, meine ganz persönliche Lieblingsschwedin, geruhte abends in der Großen Freiheit im Bademantel aufzutreten und hallenkompatibel zu indierocken. Künstlerische Weiterentwicklung ist natürlich herzlich willkommen, ohne Frage, doch mir ist ihre „Shoreline“-Phase noch immer die allerallerliebste. Aber auf mich hört ja keiner, am wenigsten Anna Ternheim.

Dafür hören Okta Logue seit Jahren auf mich, obwohl ich gar nichts zu ihnen gesagt habe (na gut, in Form von Rezensionen schon). Diese blassen Griesheimer Jungs mit ihrer Affinität zu Grooves und Psychedelia bilden die weltweit beste deutsche Gitarrenband, und ich würde mich auf jeden beliebigen Kaffeetisch stellen und diese Behauptung aufrechterhalten. Punkt. 

Das gilt in keiner Weise für Connor Youngblood; kann ja auch gar nicht, weil er ein filzköpfiger Afroamerikaner aus Dallas, Texas, ist. Im Imperial-Theater startete der gerätegestärkte Mann mutig mit einer Akustikballade und einem stratosphärenhohen Stimmchen. Danach fing er an, allerlei Sachen wie Ukulelen, Drums etc. live zu samplen und den Status Quo des Lo-Fi zu definieren.

Da war es schon nach Mitternacht und für mich Zeit zu gehen. Schließlich wird der Samstag noch mal an den Kräften zehren, zumal ich mich jetzt schon nicht mehr an alle Bands erinnere, die ich außer den oben aufgelisteten heute alle gesehen habe.

Dieser dunkel pulsende Elektroact im Kaiserkeller zum Beispiel, mit dem (und einem Bier) ich spontan die Pause zwischen Okta Logue und Anna Ternheim überbrückte, war wirklich toll, aber ich bin jetzt zu müde, um ihn im Programmheft nachzuschlagen.

Bis morgen.