20 November 2017

Rechtsruck in Swinemünde

Speisen in Polen: Das ist ein ganz eigenes Kapitel. Gestern wählte Ms. Columbo aus der Vitrine im sehr empfehlenswerten Swinemünder Lokal La Trompa  einen optisch sehr ansprechenden Kuchen aus, dessen Name nur auf Polnisch angegeben war. Der Lokalchef, ein Deutscher, übersetzte ihn, während er uns über den Rand seiner Lesebrille hinweg neugierig musterte: „Das heißt Zigeunerbrüste.“ 

So etwas hätte es in Deutschland inzwischen schwer. Eine denkbare Variante namens „Sinti-und-Roma-Brüste“ wäre als Vermeidungsstrategie nicht mal die wahrscheinlichste, sondern eher die vorauseilende Flucht in eine garantiert von keiner beleidigungs- und empörungsfähigen Minderheit anmahnbare Umbenennung. Vielleicht „Hügeltorte“ …? 

Unterhaltsam wird es auch, wenn die Swinemünder Gastronomie sich ans deutsche Touristenzielpublikum ranwanzen will. Eine Süßspeise aus der Pommestüte zum Beispiel nennen sie hier „Wuffel“; das ist schon sehr putzig. Allerorten sorgen zudem Karten und Schilder für kleine Entertainmentmomente – einfach nur dadurch, dass beim ungelenken Versuch, sich entgegenkommend des Schriftdeutschen zu bedienen, diese komischen Tüddelchen über den Vokalen fehlen („Brathahnchen“).

Auch in unserem Hotel hakt es überall ein bisschen, aber nirgends so sehr, dass man es deswegen mit Liebesentzug bestrafen müsste. Das hoteleigene Internet etwa schenkt uns seine Gunst nur sporadisch, glänzt dann aber mit Geschwindigkeiten von 217 Mbit/s. Von so was kann ich zu Hause auf dem Kiez nur träumen, o2! 

Im Bad ist derweil die Klobrille locker und kippt – konform zur momentanen polnischen Regierung – stark nach rechts, so dass jede Sitzung zu einem Balanceakt mit ungewissem Ausgang wird. Vom Vorhang vor der Balkontür, der einen knappen Meter überm Boden unversehens endet und Passanten interessante Wadenblicke bietet, berichtete ich ja gestern schon.

Der Swinemünder sieht das eben alles nicht so eng. Wer sich an solchen Petitessen stört, wandert halt ein paar Kilometerchen weit zum Soundtrack der Brandung über den festen Sandstrand nach Norden, wo ihn alsbald das urdeutsche Seebad Ahlbeck willkommen heißt.

Und dort – darauf würde ich eine ganze Wuffelladung verwetten – kippelt keine einzige Klobrille.



19 November 2017

Der Meister aller Chuzpeklassen

Auf dem riesigen Polenmarkt in Swinemünde, der auch im Wind und Regen der Nachsaison unermüdlich durchgeführt wird, inspizieren wir interessiert eine Funktionsjacke von Wellensteyn. Es gibt hier Hunderte davon, und alle sind günstig, aber sind sie auch echt?

Wahrscheinlich will man uns hier Fälschungen andrehen, das ist bekannt. Also heißt es auf dem Quivive sein. Zur Sicherheit haben wir kurz gegoogelt und herausgefunden, woran man echte von gefälschten Wellensteyn-Jacken unterscheiden kann: besonders an den Knöpfen und Reißverschlüssen, auf denen der Firmenschriftzug ebenfalls eingeprägt sein sollte. Diese Aufgabe scheint Fälschern zu komplex zu sein, weshalb sie sie sich gerne sparen. Sie setzen einfach darauf, dass der gemeine Kunde so genau nicht hinschaut, sondern sich von den applizierten Buttons blenden lässt. 

Wir wähnen uns nach dieser Recherche also gut genug gerüstet, um uns von den Händlern auf dem Polenmarkt von Swinemünde nicht übertölpeln zu lassen. Ja, mehr noch: Im Verkaufsgespräch werden wir sie gegebenenfalls mit unseren Erkenntnissen konfrontieren und somit schwer zum Schwitzen bringen. Wahrscheinlich werden sie sodann unter der Last der vorgebrachten Beweise zusammenbrechen und auf Knien schwören, hinfort nicht mehr zu sündigen wider die heilige Markenhoheit der Hersteller. 

Das sind die Rahmenbedingungen, unter denen wir an einem Klamottenstand auf dem Polenmarkt in Swinemünde interessiert eine Funktionsjacke von Wellensteyn inspizieren. Vor allem schauen wir uns die Knöpfe an. Und siehe da: Es gibt weder Wellensteyn-Logo noch imprägnierten -Schriftzug – das Teil ist gefälscht! Der noch arglose Händler schichtet in der Nähe Kleider auf und schaut nicht herüber. Er ahnt noch nichts vom hochnotpeinlichen Kreuzverhör, dem wir ihn gleich unterziehen werden. Doch er kommt uns zuvor. 

„Bittä nicht guckän Knepfe“, sagt er, „ist alläs nachgemacht.“ 

Ein Satz wie aus dem Nichts, einer wie ein nasser Waschlappen, der einem links und rechts um die Ohren gehauen wird. Wir sind komplett entwaffnet, unsere ganze Google-Munition löst sich in Luft auf. „Auch bei Ihren Kollegen?“, fasst sich Ms. Columbo als erste, während ich noch schwer an meiner Verdatterung zu knabbern habe. 

„Nadirrlich“, sagt der Meister aller Chuzpeklassen, während er einen weiteren Kleiderstapel von A nach B packt, „alläs nachgemacht.“

Ich glaube, es gibt kaum etwas Verblüfferendes als fehlendes Unrechtsbewusstsein, das auch noch offensiv vertreten wird. Eine ganz frische Erkenntnis, für die ich Swinemünde von jetzt an sehr dankbar sein werde.

PS: Gespart hat auch unser Hotel, nämlich an der Länge der Vorhänge (Foto). Man könnte von gegenüber also unsere Waden bewundern, aber dort steht nur eine unbewohnte Ruine.



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16 November 2017