01 Februar 2019

Nein, ich bin NICHT mehr fein!

Jede Ära hat ihr Dummdeutsch, unsere ganz be­sonders. Eine ganze Armada merkbefreiter Wortvermüller walzt die Sprache platt und rottet Geni- und Dativ aus mit Stumpf und Stiel. IQ-Abzugshauben auf zwei Füßen zerhäckseln Komposita mithilfe von Deppenleerzeichen und verman­schen die deutsche Grammatik derart dummdreist mit der englischen, dass nur noch ein Pidgindingsbums übrig bleibt.

Die Lage ist so hoffnungslos, dass willige Helfer aus dem Lehrkörper das alles schon zum „Globalesisch" verklären. Eine ganze WhatsApp-Generation wächst im Glauben auf, ihr in endlosen Chats erworbenes Kommunikations-Nie-wo be­reitete sie aufs Leben vor – also auf Bewerbungsgespräche, Vertragsverhandlungen oder Diskussionen im Dschungelcamp. Das Schlimmste: Wahrscheinlich haben sie recht.

Wie es sein wird, wenn die heute 13-Jährigen die Deutungshoheit haben? „hi ich gürse alle biker“, schreibt ein Dominik in seinem Chatprofil, „biker bleit biker weil bier senn cool gürse meine klasse SIX CROSS.“ Dieser vielfache Artikulationstrümmerbruch ist keine hin­geschlunzte Mail. Nein: So will der gute Dominik die Welt von seinem Liebreiz überzeugen. Ein Chatprofil dient der Balzvorberei­tung – doch welches Weibchen kann Dominik damit becir­cen? Man muss fürchten: irgendeins schon.

Doch wir wollen nicht nur auf Kindern rumhacken. Sondern auch auf Edeka, das uns auffordert, Zucker zu pudern. Oder der Firma Marena: Sie stellt Tütenessen her, laut Verpackung auch „Brat Kartoffeln". Die dafür verant­wortliche Halbsynapse aus der Marketingabteilung glaubt ernstlich, wir merkten nicht, dass sie uns damit barsch einen Befehl zuraunzt – den jeder mit Resthirn natürlich beherzt ignorieren wird. Doch wie viele sind das noch?

Das alles sind Attacken auf die Verständlichkeit; jedes im Halbkoma aus der englischen Grammatik geklaute Leerzei­chen wie in „Brat Kartoffeln" reißt eine Leerstelle in die Seman­tik unserer Sprache. Eingedeutschte Gebrauchsanweisungen hingegen lassen gleich das komplette Gebäude einstürzen: 

„Für iPod Bildschirm und 2. Erzeugung Nano, schlagen Sie einfach die Taste auf dem MicroMemo, um, für das neuere iPod zu notieren, das klassisch ist und 3-Erzeugung Nano, verwenden errichtet in der Schnittstelle auf dem iPod, um zu notieren, es ist einfaches das!“

Mag sein. Oder auch nicht.

Andererseits ist so was kaum schwerer zu kapieren als das eitle Dusseldenglisch, das Werber, Promoter und chief execuitve officers (früher: Geschäftsführer) täglich verzap­fen und von immer mehr Denkschnecken nachgelallt wird. „Jeder muss im Job“, salbaderte mal der Chef einer deutschen Bank, „permanently seine intangible assets mit high risk neu relaunchen.“ Kein Wunder, dass unsere Kredithäuser global nicht mithalten können: Ihre Chefs reden Blech.

Phonetische Verständigungsprobleme gibt es dank der Sprachmansche aber auch im Alltag. In einem Hamburger Bistro wurde in meinem Beisein mal ein „Baguette mit Chicken“ bestellt, weil es so auf der Karte stand. „Das ist nicht mit Schinken“, sagte die Frau hinterm Tresen, ,,das ist mit Huhn." „Dann halt ein Baguette mit Huhn“, korrigierte die Kundin. Rückfrage: „Grilled Chicken … ?“

Der Journalismus, eigentlich ja auf der guten Gegenseite zu Hause, metzelt längst fröhlich mit. So was wie Fälle etwa kennen viele nur noch vom Hörensagen. Da genehmigt Schleswig-Holstein doch wirklich einen „Abschuss von Wolf“  oder man schenkt uns ein Buch „von Gold-Experte Markus Bußler“. Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod? Nein, längst sind beide lethal bedroht. Und der Akkusativ gleich mit.

Maß- und uferlos sind derweil die Fehlübersetzungen, mit denen inzwischen die arme Präposition „für“ grundlos verprügelt wird. Nur weil „wegen“ auf Englisch „for“ heißt, ersetzen die Denglischdeppen in den Redaktionen fast jedes „wegen“ durch ein falsches „für“. Bei der Hamburger Boulevardpostille Mopo, eh ein Hort blanken Horrors, war mal ein Mann „für seine Freundin“ nach Hamburg gezogen – also offenkundig an ihrer Stelle. Dennoch hatten sie das schwere Schicksal einer Fernbeziehung nicht zu wuppen, wie erfreulicherweise im Kontext deutlich wurde, denn die Mopo meinte „wegen“, als sie „für“ schrieb.

Solche Fälle, die ja nicht nur eine Unkenntnis der deutschen Grammatik, sondern auch unverstandenes Englisch dokumentieren, grassieren inzwischen derart, dass man sich ernsthaft Sorgen um die bisherige Semantik des Wörtchens „für“ machen muss. Besser gesagt: Das Wort ist längst verraten und verloren.

Apropos schlechtes Englisch: Einmal lehnte ein Bekannter ein Bier, das ich ihm anbot, mit den Worten ab: „Danke, ich bin noch fein.“ Hallo??? Wenn eine britische Sängerin „Baby, spend your time on me“ singt, heißt das auf Deutsch doch auch nicht: „Schatz, verbring deine Zeit auf mir“! So wird Idiomatik zur Idiotie.

Wer sagt, das sei doch alles nicht schlimm und eine Wut­rede dagegen sogar irgendwie chauvinistisch, der plädiert letztlich dafür, Quatsch zu quatschen, statt Quatsch abzu­schaffen. Gut, soll er – aber hoffentlich verbrennt er sich den Mund an seinem Coffee to go, den er gerade als Freebee be­kommen hat, weil das ein Must-have für die ln-Crowd ist.

Übrigens: Ja, ich bin noch fein. Aber nur noch bis zum Ende des Tages. Dann gehe ich für einen Amoklauf in die Innenstadt. 

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29 Januar 2019

Die gemütlichsten Ecken von St. Pauli (142)


Aufm Kiez gibt es nämlich nicht nur Bordsteinschwalben, sondern auch Laternenmastmöwen.

Park Fiction, heute Nachmittag.



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25 Januar 2019

Fundstücke (234)

Darf ich vorstellen: „Schuh- Reparatur“, die weltweit erste Kombi von Deppenbindestrich und -leerzeichen in einem einzigen gewagten Move. Und das mitten in Hamburg.

Ich weiß nur leider nicht mehr, wo. Der Mensch neigt eben dazu, die größten Traumata zu verdrängen.





















24 Januar 2019

Wo ist der Schlurfer?

Immer morgens gegen viertel nach neun stehe ich mit dem Rad an der Mörderkreuzung Alsterglacis/Alsterufer und warte darauf, dass das Heer der Feinstaubförderer widerwilig innehält, um mich die Mörderkreuzung überqueren zu lassen. Und jeden Morgen gegen viertel vor neun, wenn ich dort eintreffe, kommt just ein schiefer, bärtiger Bettler mit Krücke auf dem Grünstreifen zwischen den beiden zweispurigen Rennstrecken herangeschlurft. Sein Job beginnt anscheinend zur gleichen Zeit wie meiner. 

Wenn ich nachmittags gegen viertel nach drei (gelobt sei der Teilzeitjob!) auf der gegenüberliegenden Seite der Kreuzung dann erneut aufs Innehalten des Heers der Feinstaubförderer warte, passiert erstaunlicherweise genau dasselbe: Der Bettler schlurft auf dem Mittelstreifen Richtung Ampel – ganz so, als käme er just aus seiner (späten) Mittagspause und nähme seine Arbeit wieder auf. Der schlurfende Humpler und ich: Wir sind offensichtlich verschränkt wie Zwillingstquanten, die der geisterhaften Fernwirkung unterliegen. 

Diese verblüffende Verbindung nahm ich monatelang als gegeben hin, ohne mich groß zu wundern. Wir haben halt beide einen 9-to-3-Job, dachte ich mir, nur halt in unterschiedlichen Branchen. (Und ich könnte nicht mal sicher sagen, wer mehr verdient.) 

Neulich aber verschob sich meine Nachmittagsankunft an der Mörderkreuzung durch Umstände, die hier nichts zur Sache tun, um mehr als eine Stunde. Es war also nicht viertel nach drei, sondern gegen halb fünf, als ich dort eintraf. Und welcher Anblick bot sich mir? Sie ahnen es: Der schiefe, bärtige Bettler schlurfte erneut auf dem Mittelstreifen Richtung Ampel. 

Kam er etwa gerade aus der Kaffeepause, die dann allerdings einen unzureichenden Abstand zum späten Lunch gehabt hätte? War vielleicht die geisterhafte Fernwirkung, die dafür sorgte, dass wir immer gleichzeitig an der Mörderkreuzung Alsterglacis/Alsterufer eintrafen, auf unheimliche Weise realer, als es die Naturgesetze erlaubten? 

Ich war verwirrt, ja fast verstört. Bis mir die Lösung dämmerte. Der fleißige Mann schlurfte nicht etwa nur zweimal täglich immer dann heran, wenn ich mich auf dem Fahrrad ebenfalls dem Ort des Wunders näherte, sondern absolvierte sein Schlurfen auf dem Mittelstreifen unablässig, den ganzen lieben langen Tag lang, immer hin und her. Wenn die Autoschlange zum Halten kam, humpelte er sie bettelnd ab, Wagen für Wagen, und wenn sie sich wieder in Bewegung setzte, schleppte er sich auf seiner Krücke zurück zur Kreuzung – wo er mir ins Blickfeld geriet. 

Es wäre demnach völlig egal, zu welcher Uhrzeit ich dort einträfe: Mir böte sich zuverlässig das immergleiche Bild, solange meine Arbeitszeit kürzer wäre als seine und von dieser zeitlich gleichsam umschlossen würde.

Der Mann arbeitete also hart, tagein, tagaus, wahrscheinlich sogar ganz ohne Mittags- und Kaffeepause. Dass ich ihm arglos solche Vergünstigungen unterstellt hatte, weckt nun in mir ein Gefühl der Scham. Von wegen 9-to-3 – wahrscheinlich 7-to-7! Wenn das mal reichte!

So war also dieses Rätsel gelöst. Doch seit einigen Tagen gibt es ein neues: Der Mann ist nämlich verschwunden. Weder morgens noch nachmittags taucht er auf. Wo ist er bloß – von seinem rumänischen Clan nach Lüneburg versetzt? Erkrankt, verletzt? Oder hat er nach jahrelangem 7-to-7-Einsatz an der Mörderkreuzung Alsterglacis/Alsterufer schlicht seine Schäfchen im Trockenen?

Ich weiß jedenfalls nicht recht, ob ich mich freuen oder sorgen soll. 
Eins aber weiß ich sicher: Diese Kreuzung ist nicht mehr dieselbe. 


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17 Januar 2019

Horrorszenario

Vom Elend des Boulevardjournalismus am Beispiel der Hamburger Morgenpost. 
Die Auswahl ist unvollständig. Sehr.





































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01 Januar 2019

Fundstücke (233)


Das neue Jahr hat sich anscheinend entschlossen, als schwarz-weißes in die Hamburger Geschichte einzugehen. Diesen Eindruck versuchte jedenfalls heute Mittag der Stadtpark zu erwecken. Wir werden das weiter beobachten.



Beim Kiezbäcker hingegen bleibt alles beim Alten – nämlich farbig und versaut. 



Dieser dahingeschiedenen Kiezratte, die wir heute Morgen an der Simon-von-Utrecht-Straße vorfanden, kann man nur eins hinterherrufen: Mit Astra wäre das nicht passiert. Oder noch schneller.




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31 Dezember 2018

Der übliche offene Brief zu Silvester (refurbished)

Seit 2006 versuche ich Sie jedes Jahr pünktlich zu Silvester mit einem so rührenden wie flammenden Appell davon abzuhalten, sich in der Neujahrsnacht Ihre Augen, Genitalien und/oder Resthirnzellen wegzubomben. 

Dennoch war das Studium der Presseberichte Anfang Januar für mich in allen Fällen seit 2006 mit viel Frustration verbunden, denn ich konnte aus den bestürzenden Meldungen über die bundesweiten Folgen unsachgemäßer Böllerbenutzung nur einen Schluss ziehen, und der war niederschmetternd:

Sie hören nicht auf mich. 

Anders gesagt: Ihnen ist es komplett pillepalle, was ich hier schreibe. Wenn ich Sie bitte, sich kein Loch in den Kopf zu sprengen, sagen Sie „Phh!“ und machen das erst recht. Wenn ich Sie darauf hinweise, wie kontraproduktiv es für Ihre Sehfähigkeit sein dürfte, wenn Sie sich über eine gerade selbst angezündete Feuerwerksrakete beugen, dann tun Sie was? Trotzig ebendas.

All das schließe ich – wie gesagt – rück aus den jeweiligen Presseberichten von Anfang Januar. Aber vielleicht sollte ich gar nicht so pessimistisch über Sie denken. Vielleicht hat das bisherige Dutzend offener Briefe zu Silvester ja bereits Tausende von Leben gerettet, ohne dass ich je davon erfahren hätte. 

Denn Sie, die Sie überlebt haben, Sie, denen kein vorfristig hochgegangener Chinakracher eine hübsche Echtblutfontäne aus dem Armstumpf schießen ließ: Sie machen natürlich keine Schlagzeilen. Niemand kümmert sich um Sie, niemand hält Sie einer Erwähnung wert, Sie sind der Presse wurscht. Nur Idioten landen in der Zeitung.

Deshalb habe ich beschlossen, die ganze Sache ab sofort positiv(er) zu sehen. Mindestens 80 Millionen von Ihnen werden die vor uns liegende Nacht relativ unbeschadet überstehen, und wenn das nicht an diesem jedes Jahr pünktlich zu Silvester platzierten so rührenden wie flammenden Appell liegt, sich weder Augen, Genitalien noch Resthirnzellen wegzubomben, dann weiß ich auch nicht.

Achten Sie aber bitte auch auf Ihre Leber.

Foto: Gruppe anschlaege.de




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04 Dezember 2018

Zappa und sein Struwwelpeter

Wie – ich habe noch nie erwähnt, dass ich mal Frank Zappa kennengelernt habe? Seit 1992 nerve ich meinen Bekannten- und Freundeskreis mit dieser Geschichte, und ausgerechnet mein erheblich vielköpfigeres Blogpublikum ließ ich bisher in Unwissenheit darben …? 

Jetzt, 25 Jahre nach Zappas Tod, soll dieser skandalöse Zustand sein wohlverdientes Ende finden. Denn, meine Damen und Herren, ich habe mal Frank Zappa kennengelernt! Den Meister aller Klassen! 

Er hatte sich – obzwar bereits schwer krank – entschlossen, mit dem Frankfurter Ensemble Modern seine Komposition „The yellow shark“ aufzuführen. Jetzt weilte er in Hessen und bat in einer Probepause zum Interview. Mit meinem Kollegen Carsten Beckmann, heute wie damals in Marburg bei der Oberhessischen Presse tätig und des flüssigen Englisch erheblich mächtiger als ich, tuckerte ich an den Main, wo wir in einem Hotelzimmer auf den fatalistisch vor sich hinrauchenden Genius trafen.

Zappa trug Jogginghosen und einen grau durchwirkten Zopf, sein Händedruck war schlaff. Und während Carsten ihn interviewte, schnürte ich durch die Szenerie und machte Fotos. Am Ende zückte Carsten ein leeres Notenblatt und bat um eine Spontankomposition. 

Zappa war nicht im mindesten irritiert. Er nahm den Stift, setzte an, überkritzelte den ersten Versuch und fetzte dann eine Preziose von etwa zwei Sekunden Länge hin. Er nannte sie „Struwwelpeter“. 

Woher bloß kennt ein Typ aus Baltimore, Maryland, der damals im Los Angeles lebte, diese wahrscheinlich deutscheste aller Figuren? Egal: Seither hängt die Kopie dieses Kleinods (das Original hat Carsten) an der Wand jeder Wohnung, die wir je bezogen haben, und so wird es bleiben, auf jetzt und immerdar. 

Hier das (an die aktuelle Rechtschreibung angepasste und in manch Zappa-Passage noch immer erstaunlich jung gebliebene) Interview, erschienen 1992 in kulturnews.


„Nimm ne Knarre mit!“


Der berühmte Bart, von dem ein Karikaturist einmal sagte, er sei neben den Ohren von Micky Maus die prägnanteste Popikone des Jahrhunderts, ist noch dran. Trotz grauer Strähnen, trotz wilder Gerüchte über die Schwere seiner Erkrankung wirkt Frank Zappa, 51, zehn Jahre jünger, als er ist. Die wuchernde Mähne zum Zopf gebunden und gemütlich an der Zigarette nuckelnd, empfängt er uns mit freundlichem Lächeln. Und binnen kurzem sind wir mitten in einem (zappaesken) Gespräch, das alles andere ist als bloßes Frage- und Antwortspiel: Es geht um Kultur und Politik, um den Mythos des freien Marktes und die Beschränktheit amerikanischer Politiker. Um seine Heimatstadt Los Angeles, Rockmusik, Vaclav Havel, TV-Shows, McDonalds – und natürlich um sein Werk „The Yellow Shark“, das er mit dem Frankfurter Ensemble Modern einstudiert hat. Gegen Ende möchte er aus dem Fenster springen, komponiert stattdessen aber aus dem Stegreif ein kleines Stück für uns. Titel: „Struwwelpeter“.

kulturnews: Frank, ich fürchte, nach all den Interviews wird’s jetzt ein paar Wiederholungen geben...
Zappa: Die gibt’s im Universum auch. Schau dir das an (zeigt auf eine Glasschale mit Würfelzucker). Alles Wiederholungen, Reproduktionen. Und doch mit Funktion.
kulturnews: Klappt es nach all den „orchestralen Dummheiten“, die du in deiner Autobiografie beschrieben hast, mit dem Ensemble Modern besser?
Zappa: Absolut. Zum einen ist das Ensemble Modern kein Orchester, das ist der erste wichtige Schritt. Der nächste Schritt ist: Wir schlagen uns hier nicht mit staatlichen Fördermitteln herum. Eine Sache, die in der Vergangenheit – insbesondere in Wien – immer wieder für Probleme gesorgt hat.
kulturnews: Generell würdest du also sagen, private Sponsoren sind verlässlicher als staatliche Geldgeber?
Zappa: Das Problem mit dem Staat ist: Regierungen wechseln. Je länger es dauert, bis ein Kulturprojekt realisierbar ist, um so größer ist die Gefahr, dass der Beamte, der dein Projekt gutgeheißen hat, längst nicht mehr im Amt ist, wenn die Sache losgehen soll. So kommt es dann zu Problemen.
kulturnews: Abgesehen von der besseren Finanzierung: Was ist besser oder anders an der Zusammenarbeit mit dem Ensemble Modern?
Zappa: Nun, das Interesse der Musiker ist viel höher, als man das normalerweise bei einem Orchester antreffen würde. Arbeitest du mit einem 100-köpfigen Orchester, dann schauen die meisten ständig nur auf die Uhr – hier macht das keiner.
kulturnews: In der Zusammenarbeit mit Musikern glaubst du nicht gerade an demokratische Beziehungen zwischen Komponist, Dirigent und Gruppe …
Zappa: Ich glaube nicht, dass das ein guter Weg ist, gute Musik zu machen. Wenn du über jede Phrase, über jeden Rhythmus, über jede Intonation eine demokratische Entscheidung fällen müsstest, würdest du nie zu Ergebnissen gelangen. Es gibt einfach die autoritäre Situation zwischen Musikern und Dirigent, der ihnen sagt, wann und wie laut sie zu spielen haben. Das ist sein Job, er ist der Boss. Wenn die Musiker kompetente „Mechaniker“ sind, dann helfen sie, etwas aufzubauen, was du mit der Konstruktion eines Wolkenkratzers vergleichen kannst. Na ja, und wenn die Komposition  schlecht ist, kommt anstelle des Wolkenkratzers eben ein McDonalds-Imbiss dabei raus. Ich finde es immer wieder ironisch, dass mir die Frage nach Autorität und Demokratie so oft gestellt wird in einem Land, wo es Dinge wie den Tusch gibt: Tataa, Tataa, Tataa, lachen Sie jetzt!
kulturnews: Na, das gibt’s bei dir in Amerika doch auch zur Genüge, etwa in Fernsehshows.
Zappa: Sicher, das und viel schlimmere Dinge. Doch zurück zur Musik: Zu einer bestimmten Zeit, an einer bestimmten Stelle muss jemand da sein, der sagt: „OK, jetzt fangen wir an“ oder „OK, jetzt hören wir auf“. Das heißt noch lange nicht, dass der Dirigent das Leben seiner Musiker bestimmt. Ein bisschen Organisation muss schon sein, ansonsten hat es gar keinen Zweck zu versuchen, ein Stück Musik zu „bauen“.
kulturnews: Hier zumindest ist die Zusammenarbeit mit Dirigent und Ensemble wohl ideal?
Zappa: Ja, wir haben hier absolut keine Probleme, uns selbst über die absurdesten Ideen zu verständigen.
kulturnews: Na, du wusstest nach den Proben in Los Angeles im vergangenen Jahr ja ohnehin ziemlich genau, worauf du dich hier einlässt. Das bringt mich zurück zu deinem Stück, zu „The Yellow Shark“. Darüber wissen wir sehr wenig. Gibt es da eine Thematik, eine Geschichte, eine generelle Idee?
Zappa: Es wird ein Abend des Entertainments. Wir hätten die ganze Sache genausogut „Die purpurne Gurke“ nennen können, aber jetzt heißt es nun mal „Der gelbe Hai“, was wir Andreas Mölich-Zebhauser zu verdanken haben, dem Geschäftsführer des Ensemble Modern. Es wird eine Abfolge von Stücken, die zumeist Programmmusik sind. Daraus ergibt sich eine Art visuelle Idee, die von diesen Stücken heraufbeschworen wird. Stilistisch sind sie sehr unterschiedlich, trotzdem ist keine Varieté-Show zu erwarten.
kulturnews: Unterschiedliche Elemente – also Zusammenspiel von Musik, Tanz, visuellen Effekten?
Zappa: Na ja, es wird wohl nicht eine dieser großen Multimediashows werden, aber sicher, es wird getanzt, und es gibt auch eine Textebene.


kulturnews: Über Kultursponsoring haben wir bereits kurz gesprochen. Glaubst du, dass auch die unabhängige, ungeförderte Kunst eine Zukunft hat, oder wird das Kultursponsoring immer wichtiger?
Zappa: Ich sehe da eine Sache, die überall auf der Welt passiert: Mehr und mehr beginnen die Leute zu verstehen, dass es mehr Mythos als Tatsache ist, wenn behauptet wird, der freie Markt könne alle Probleme lösen. Das gilt insbesondere für die Kultur. Wenn die Kräfte des Marktes darüber zu entscheiden hätten, welche Art von Kunst überlebt, würden wir im Moment alle kulturell bei McDonalds essen. Um experimentelle Kunst zu betreiben, führt kein Weg am Sponsoring vorbei.
kulturnews: Würdest du sagen, dass Amerika in dieser Hinsicht eine Vorreiterrolle einnimmt?
Zappa: Ich würde sagen, das Land mit der größten Tradition für Kultursponsoring ist Deutschland. Ich kann da völlig falsch liegen, aber was ich bisher so gesehen habe, ist: mehr Unterstützung als in irgendeinem anderen Land.
kulturnews: … während wir hier den Eindruck nicht loswerden, dass da noch eine ganze Menge zu tun ist. Außerdem betrachten viele deutsche Künstler die Vernunftehe mit privaten Sponsoren nicht ohne Argwohn.
Zappa: Jeder Künstler, der private Geldgeber kritisiert, ist herzlich eingeladen, in die USA zu kommen. Da gibt es nämlich überhaupt keine Geldgeber. Konsequenterweise muss der amerikanische Künstler, wenn er weiter von seiner Kunst leben will, die banalsten Sachen tun, wenn er nur eine Ausstellung finanzieren will. Du kannst bestimmte Dinge nicht malen, weil du sie nicht zeigen kannst, kannst bestimmte Dinge nicht sagen, weil das keiner hören will, kannst bestimmte Musik nicht spielen, weil kein Etat für Probenarbeit da ist.
kulturnews: Wo wir schon bei banalen Dingen sind: Wird es weitere Rockalben von Frank Zappa geben? Womit ich dich keinesfalls beleidigen will, denn ich denke, keines deiner Alben ist wirklich banal.
Zappa: Ach, hör mal, da musst du schon ganz andere Dinge anstellen, um mich zu beleidigen. Aber im Ernst: Ich habe nicht vor, noch Rock’n’Roll zu spielen.
kulturnews: Ist das definitiv?
Zappa: Ich bin zu alt. Wenn ich an mein Alter denke und die Tatsache, dass ich 1988 400.000 Dollar verloren habe, die ich in die Tour steckte mit der vielleicht besten Band, die ich je zusammengestellt habe – das gibt mir nicht gerade viel Ansporn, in diesem Bereich noch aktiv zu werden.
kulturnews: Was hältst du von Musikern, die in der gleichen Zeit kein Geld verloren, sondern zehnmal so viel verdient haben und sich jetzt mit symphonischen Dingen beschäftigen wie Paul Mc Cartney und Sting?
Zappa: Ich habe mal in die McCartney-Musik reingehört, und es ist nicht gerade meine Art von Musik, um ehrlich zu sein. Und dann ist da ein großer Unterschied: Er hat jemand anders dafür bezahlt, die Musik zu schreiben.
kulturnews: Ein Ghostwriter, obwohl Mc Cartney in Anspruch nimmt, es sei seine Musik … ?
Zappa: Wie auch immer: Ich weiß, dass meine Sachen von mir sind, dass ich auch physisch daran gearbeitet habe.
kulturnews: Lass uns über Politik reden, falls dir das am frühen Morgen nichts ausmacht. Ich habe gehört, du bist ein guter Freund von Vaclav Havel.
Zappa: Na ja, guter Freund würde ich nicht gerade sagen, aber ich habe ihn getroffen und respektiere ihn sehr. Ich denke, die Entwicklung in der CSFR ist sehr unglücklich, es war ein Fehler, das Land zu zersplittern. Ich glaube auch, es war ein Fehler, schnelle Wirtschaftsreformen nach polnischem Muster durchzuführen. Ich glaube auch, die Tschechen und Slowaken haben ein ganz anderes Temperament als die Menschen in Polen. Zur Zeit des Umbruchs ging es der Wirtschaft der CSFR wesentlich besser als der in Polen; trotzdem waren die Leute in der Tschechoslowakei natürlich nicht glücklich darüber, den Gürtel enger schnallen zu müssen. Aber in Polen war die Lage so desolat, dass es gar nicht mehr schlimmer ging, während in der CSFR noch das eine oder andere funktionierte. Dann kam plötzlich der Zusammenbruch, und da sagen die Menschen natürlich: Warum haben wir das eigentlich gemacht, warum wählen wir diesen oder jenen wirtschaftspolitischen Kurs?
kulturnews: Siehst du die Entwicklung in der CSFR im Zusammenhang mit nationalistischen Tendenzen in anderen Staaten, etwa Jugoslawien?
Zappa: Klar, das passiert überall. Einer der Gründe für diese fürchterliche Entwicklung ist … na, nehmen wir einfach das Beispiel Amerika. Wenn du dir Amerika anschaust und dir anhörst, was die Menschen dort von ihrer Regierung halten, dann merkst du, dass es da überhaupt kein Vertrauen in die Bundesregierung oder in irgendeine andere Regierung mehr gibt. Die Amerikaner, die selbst eine politische Karriere eingeschlagen haben, sind von einem derart kleinen Kaliber – allesamt gemeine, banale, schreckliche kleine Leute. Politik hat eine große Anziehungskraft auf die schlimmsten Elemente innerhalb der US-Gesellschaft. Sie werden Politiker, und dann kannst du sie dir im Fernsehen ansehen, Tag für Tag live aus dem Kongress auf zwei Fernsehkanälen. Du siehst, wie sie ihrer „Arbeit“ nachgehen, wie sie ihre Reden halten, stellst fest, dass sie nicht einen Satz in vernünftigem Englisch sprechen können – und das sind deine gewählten Volksvertreter …
kulturnews: Siehst du dir diese Sendungen an?
Zappa: Na klar.
kulturnews: Heute hast du die Chance, das deutsche Parlament im Fernsehen zu sehen, da geht’s um den Marineeinsatz in der Adria.
Zappa: Weißt du, in den USA geht das 24 Stunden am Tag so. Wenn der Senat tagt, zeigen sie den Senat live. Tagt der Kongress, strahlt das der andere Sender live aus. Dazwischen wird von Ausschusssitzungen berichtet, und so geht das Stunde für Stunde. Und dann schaltest du auf die „normalen“ Nachrichten um und siehst den Präsidenten auf einem dieser idiotischen Fototermine, wo er nie wirklich etwas zu sagen hat. Nur Flaggen, Fotos und Leute, die „Hurra“ schreien – das ist alles falsch, alles Shit. An diese Art von Politik kann ja keiner glauben. Du sitzt fest, möchtest an das glauben, was du nun mal gewählt hast, aber sie geben dir zwei wirklich schlechte Alternativen.
kulturnews: Du hast das auf der Pressekonferenz die Wahl zwischen Tweedledee und Tweedledum genannt …
Zappa: Ja, und es ist immer so, nicht nur in diesem Wahlkampf. Nimm Bush und Dukakis, da ging es auch um Tweedledum und Tweedledee. Es geht immer darum. Nie ist jemand da, bei dem die Leute das Gefühl haben: Ja, der könnte etwas für uns bewegen.
kulturnews: Du hattest selbst mal Pläne, in die Politik einzusteigen.
Zappa. Ja, ich habe darüber nachgedacht, aber dann kam mir meine Krankheit dazwischen.
kulturnews: Glaubst du, dass Künstler politisch aktiv sein sollten und möglicherweise bessere Politik machen als „professionelle“ Politiker?
Zappa: Als ich Vaclav Havel zum ersten Mal traf, sagte er mir: Unsere Revolution wurde von Künstlern gemacht, und wir müssen bessere Politik machen als die Politiker. Unglücklicherweise hat das nicht geklappt.
kulturnews: Reagan war doch wohl auch so etwas wie ein Künstler.
Zappa: Ein Künstler??
kulturnews: Immerhin zählte er als bezahlter Schauspieler zum Kreis der Künstler.
Zappa: Ein lausiger Schauspieler ist kein Künstler. Wenn ich das höre, könnte ich gerade hier aus dem Fenster springen!
kulturnews: Wir sitzen im Erdgeschoss.
Zappa: Ich will mich ja auch nicht verletzen, nur so als Demonstration.
kulturnews: Du wirst ständig nach deinem Gesundheitszustand gefragt.
Zappa: Vor drei, vier Wochen war ich in der Klinik. Was mich selbst gewundert hat, war: Nach drei Tagen war ich wieder draußen, fühlte mich wesentlich besser und kam hierher. Klar, ich weiß nie, wie es mir am nächsten Tag gehen wird, aber im Moment sitze ich hier, mache Witze und so weiter …
kulturnews: Aber du hast zur Zeit keine konkreten Pläne für die Zukunft?
Zappa: Nein. Da gab es einige Leute, die mich fragten, ob ich für diese oder jene Idee zu haben sei, aber momentan läuft nichts, was ich hier diskutieren könnte.
kulturnews: Du wohnst in Los Angeles …
Zappa: Ja, ja, die Stadt mit den vielen Bränden, dem Rauch und den Unruhen.
kulturnews: Wird das weitergehen?
Zappa: Ja. Klar.
kulturnews: Lohnt es sich denn, länger als einen Tag in Los Angeles zu verbringen?
Zappa: Natürlich. Es ist so bizarr, überhaupt nicht mit dem Rest der USA zu vergleichen. Wenn du clever bist und willst die Kultur eines dir total unbekannten Ortes verstehen, musst du dahinfahren. Videos machen dich nicht schlau, Fotos nicht und auch keine Interviews. Fahr hin und bleib eine Weile da. Aber nimm ne Knarre mit.

Fotos: Matt Wagner

PS: Sollte ich diese Struwwelpetergeschichte hier doch schon einmal veröffentlicht haben, so teeren und federn Sie mich gerne – solange Sie mich auch mit dem Quellenverweis versorgen.




17 November 2018

09 November 2018

Fluchtpunkt Topinamburschaumsüppchen


Eins muss man ja mal deutlich festhalten: Ohne den schlüpfrigen Santa-Pauli-Weihnachtsmarkt und das Varietézelt Palazzo wäre die Vorweihnachtszeit in Hamburg nichts weiter als eine fantasielose Glühweinverklappungstortur vor bisweilen wenigstens schöner Kulisse.

Während uns Santa Pauli alljährlich vielerlei unchristliche Aktivitäten wie etwa ein geschlechterübergreifendes Stripzelt anempfiehlt (sie schrauben drüben aufm Spielbudenplatz übrigens just die Buden zusammen), setzt die Dinnershow Palazzo im Spiegelpalast an den Deichtorhallen heuer zum fünften Mal auf die Verbindung von Kulinarik und Artistik. Und diesmal spart die Mottoshow namens „Kings & Queens!“ sich – im Gegensatz zum vergangenen Jahr – glücklicherweise auch die derben Zoten. Ohne freilich bei den Akrobatennummern auf Erotik zu verzichten.

Sogar für Interessierte mit eher fließenden Geschlechterdefinitionen ist einer abgestellt: Der Spanier Omar Cortes Gonzalez (großes Foto), einst Turnolympionike in Sydney 2004, hangelt sich in Travestiemontur an baumelnden Bändern durch die Tiefe des Raums und vor allem dessen Höhe. „Er sieht ein wenig aus wie der Bruder von Conchita Wurst“, flüstert mir mein Schwippschwager zu. Korrekt.

Mit Ms. Columbo, dem Franken und besagtem Schwippschwager saß ich an einem optimal platzierten Tisch: nah genug am Geschehen, doch ausreichend weit weg, um bei der in einer halbvollen Badewanne startenden Luftnummer von Fréderique Cornoyer-Lessard ohne Wasserflecken auf dem Sakko davonzukommen; dicht dran und doch auf der richtigen Seite des Tisches, um den üblichen Mitmachspäßken zu entgehen und stattdessen weiter vergnügt am weißen D’Artagnan nippen zu können.

Palazzo – das bedeutet reinsten Eskapismus. Denn was kümmern uns noch Trump, Horst und Erdogan, was Schäfer-Gümbels Griff nach der Macht in Hessen oder die zweifelhafte Zukunft der gesetzlichen Rente, wenn wir unter einer rot illuminierten Zeltkuppel gemütlich Angeldorsch und Speckknusper aus Cornelia Polettos Topinamburschaumsüppchen fischen dürfen?

Die Realität in Form einer fantasielosen Glühweinverklappungstortur vor bisweilen wenigstens schöner Kulisse holt uns noch früh genug ein. Denken Sie an meine Worte.


Disclaimer: Zu dieser Veranstaltung war ich eingeladen.



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23 September 2018

Reeperbahnfestival 2018: Fotonachlese


Festival Village auf dem Heiligengeistfeld 


Basisausrüstung


Livebühne auf dem Spielbudenplatz; Eingangsbereich Bahnhof Pauli


Botschaft der geplagten Nachbarn des Nochtspeichers, die sich mit dem Club einen Eingang teilen


Die Präsenz der DSGVO auf dem Festival 


Die Schuhe der färöischen Sängerin Frum


Es werde Licht bei Jungle im Docks


Klaus Voormanns Porträt von Paul McCartney in der Arrestzelle auf der Davidwache (Festival Village)


Vorm Sommersalon


Spielbudenplatz


Vorm Panikmuseum


Was nicht rostet – auch nicht bis zum Festival im nächsten Jahr.
Versprochen.