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29 Mai 2011
Flyer müssen draußen bleiben
„Ja, bitte?“, sagte ich in die Gegensprechanlage, denn es hatte geklingelt. „Schönen Tag“, kam es juvenil beschwingt herauf, „würden Sie bitte aufmachen? Ich möchte bei Ihnen ein bisschen flyern!“
Ein bisschen flyern also. Ungeachtet meiner spontan aufflammenden Bewunderung für diesen sehr sinnig dem Englischen entwundenen Neologismus vermochte ich seinem Ansinnen keinesfalls zu entsprechen. Mit so etwas war der junge Mann bei mir nämlich genau an der richtigen Adresse.
Auf unserem zum Glück im Treppenhaus aufgehängten Briefkasten prangt ganz in Rot „KEINE Werbung und Prospekte – danke!“, wobei das „danke“ als zähneknirschende Konzession an zivile Umgangsformen erst auf den allerletzten Drücker mitaufgenommen worden war. Auf der Robinsonliste stehen Ms. Columbo und ich selbstverständlich auch, und als sich neulich in unser parallel betriebenes Postfach ein Pizzeriaflyer verirrt hatte, warf ich ihn dem Postfilialenangestellten auf den Tresen, begleitet von der rhetorischen Frage, was das solle.
Der Mann war erstaunt über meine Erbostheit und riet, den Wisch doch einfach wegzuwerfen, doch genau so etwas beschleunigt die Entropie und muss aufhören. Ich meine: Er macht sich die Arbeit, den Flyer hineinzulegen, und ich, ihn wegzuwerfen – darin liegt doch kein Sinn, höchstens für Postbedienstete (was ein betrübliches Licht auf das Anspruchsniveau ihrer restlichen Tätigkeiten würfe).
Jedenfalls weigerte er sich, mir zuzusichern, künftig keine unadressierte Werbung mehr in mein Postfach zu legen. Dazu, erklärte der ganz offensichtlich intellektuell fehlgeprägte Heini, müsse ich die zuständige Posthotline anrufen und dort eine entsprechende Weisung hinterlassen.
Diesen Weg, antwortete ich schneidend, könne man ja wohl sehr deutlich abkürzen, indem er einfach hier und jetzt diese Weisung von mir entgegennehme, statt auf eine Order der Zentrale zu warten, die ja auch nur den Kundenwillen – also meinen – an ihn weiterleiten würde. Eine Logik von geradezu kristalliner Unanfechtbarkeit, die zu diesem fleischgewordenen Denkbunker aber leider nicht vordrang; er beharrte auf den Weg der entropischen Beschleunigung, obwohl er mit Sicherheit noch nie von diesem Phänomen gehört hatte.
Schnaubend verließ ich die Filiale, wandte mich an die Hotline, die schnelle Abhilfe zusicherte und dies gar in einem devoten Schreiben noch einmal bestätigte – doch gestern lag wieder ein Pizzeriaflyer im Postfach. Ich betrat dampfend die Filiale auf der Suche nach meinem weisungsresistenten Flyerverteilungsautomaten, prallte jedoch an einer meterlangen Schlange ab. Die Hotline sicherte in beschwichtigenden Worten zu, „die Sache nun eine Stufe höher zu hängen“. Da bin ich aber mal gespannt.
Von all dem konnte der junge Mann, der gestern morgen bei uns flyern wollte, natürlich nichts wissen, und deshalb behandelte ich ihn auch nach den Maßgaben der Genfer Konvention. Nein, beschied ich ihm durch die Gegensprechanlage, ich würde es bevorzugen, nicht zu öffnen, da wir dem Flyern als solchem nur wenig abgewinnen könnten.
„Und Ihre Nachbarn?“, fragte er. „Die bestimmt auch nicht“, sagte ich. „Na, dann noch einen schönen Tag.“ Das wünschte ich ihm auch. Konfliktlösung auf höchstem Niveau.
Ob das am Ende auch für meinen Spezi bei der Postfiliale gelten wird, ist noch nicht raus. Oh nein.
Niemand ist eine Insel wie Johannes Mario Simmel so richtig konsternierte...
AntwortenLöschenIch dachte, es hieße: „Niemand isst ein Gerinnsel“, aber ich kann mich auch täuschen.
AntwortenLöschenKäme ich all den Anliegen nach, die mir per Flyer vorgetragen werden, so müsste ich monatlich zwei bis fünf Autos verkaufen, ein halbes Dutzend Waschmaschinen reparieren lassen und meinem Handy/Computer drei Wasserschäden zufügen. Nicht zu vergessen: Ich müsste mich zum Christentum bekehren, um sogleich ein bis zwei Mal die Splittergruppe zu wechseln.
AntwortenLöschenUnd dagegen hilft kein Aufkleber der Welt.
Tja Herr Wagner, wahrscheinlich haben Sie Simmel genauer gelesen...
AntwortenLöschenOff Topic: In meinenm RSS Programm auf dem IPhone (Free RSS) werden immer nur die ersten Zeilen des jeweiligen Beitrags Ihres Blogs angezeigt. Kennen Sie dieses Problem und wenn ja, gibt es Abhilfe?
Yann, Sie dürfen nicht so schnell aufgeben. Gemeinsam sind wir stark!
AntwortenLöschenBeraternase, das ist bewusst so eingerichtet, weil ich Sie viel lieber hier zu Hause begrüße, als mich von Ihnen aus der Ferne beobachten zu lassen.
vielleicht schafft ein VON INNEN auf ihre postfachtür geklebtes "bitte keine werbung" abhilfe? (das müsste der posthoschi doch dann bei der postfachbefüllung von hinten sehen können.)
AntwortenLöschenIch muß hier einem Kommentator widersprechen: Jeder ist eine Insel, hat Merle Haggard gesungen (ich glaube, auf seinem Album "1994").
AntwortenLöschenJa, manchen wird dieser Zorn ob der fehlgeleiteten Reklame verwundern; ich kann ihn aber doch gut verstehen, auch wenn ich kein Postfach nutze, sondern nur einen schnöden Hausbriefkasten (mit Aufkleber, versteht sich, seit mehr als fünfzehn Jahren).
Was ich sachlich auch wirklich nicht verstehe, das ist die Haltung der DP im Falle des Postfachs. Was berechtigt sie denn überhaupt, Werbung dort einzulegen? Der Vertrag wurde doch geschlossen, um personalisierte Postsendungen dort zu empfangen, sonst nichts. Wie kann man dort also einfach Werbung einschleusen, und nach welchen Kriterien wird die ausgewählt? Da kann man wirklich nur mit dem Kopf schütteln.
Also, dieser Postheini war ja sowas von auf dem Holzweg ...
AntwortenLöschenGemäß Urteil vom BGH bereits aus dem Jahre 1988 hat man einen Unterlassungsanspruch gegen einen Werbezettelverteiler, wenn man einen entsprechenden Aufkleber "Keine Werbung" o.ä. auf dem Briefkasten (oder Postfach) hat. Und das kann teuer werden ...
Wissen Sie, warum die Post-Hotline hier so springt? Na, weil sie's müssen (s.o.). Lustig wird's für den Postheini, wenn die Hotline über sein Verhalten und den sich daraus ableitbaren Unterlassungsanspruch informiert wird. Da geht bestimmt die Post ab. Und der Blutdruck runter.
Bei unerlaubten Hausverteilungen hat es sich bewährt, dass man den Werbetreibenden auf den o.g. Unterlassungsanspruch hinweist und ihn fragt, ob es in seinem Sinne ist, dass der von ihm bezahlte Verteiler seine von ihm bezahlte Werbung so rechtswidrig verteilt. Da kommt manch unerwartete (dankbare) Reaktion. Die Werbung aber nicht mehr.
blogspargel, vielen Dank für die Klärung der Rechtslage. Diese Information werde ich bei Gelegenheit zu nutzen wissen. Und der von Tommy angeregte Aufkleber innen ist auch eine gute Idee – wobei leider das Postfach in Oberschenkelhöhe angesiedelt ist, der Bestücker also beim Befüllen nie bis ans Ende schauen kann.
AntwortenLöschenEin kleiner Hinweis am Rande: die meisten unadressierten Postwurfsendungen werden nicht von der Post verteilt, sondern von privaten Verteilunternehmen. Beschwerden bei der Post sind also so sinnlos wie fettreduzierte Chips. Besser den Absender anrufen und zusammenfalten...
AntwortenLöschenBeste Grüße
My
Aber doch nicht bei Postfächern, Verehrteste. Da kommt nur der Postmann dran, von hinten.
AntwortenLöschenSie sind mir vielleicht ein Schlingel.
AntwortenLöschenHat der Postmann den auch zweimal geklingelt bevor er von hinten drankam?
Keine Ahnung. Ich bin ja nie dabei, wenn er aktiv wird.
AntwortenLöschenLustig wird es erst wenn man dutzendfach die slebe Werbung erhält.
AntwortenLöschenAls Postwurf viermal und dann noch drei mal an mich persönlich. Es lebe das Entertain der Telkom ^^
Alle kennen sich scheinbar mit Inseln aus, aber keinem fällt auf dass da "konsterniert" statt "konstantiert" steht.
AntwortenLöschenBeraternase macht einen kleinen Scherz. Und weil das jeder verstanden hat, hat es auch keiner thematisiert … ;)
AntwortenLöschenUnd wenn schon, dann müsste dort „konstatiert“ stehen.