Das auf dem Foto ist Herr H. Dass er so heißt, habe ich von einem Nachbarn erfahren. Anscheinend hat Herr H. zu Hause keinen Raum, den er als Arbeitsplatz nutzen kann. Deshalb macht er Streetoffice. Herr H. ergreift dazu Stuhl und Laptop, betritt den Kiez, setzt sich auf den Gehweg und arbeitet. Ganz gerne wüsste ich schon, an was. Aber bisher habe ich eine gewisse Scheu, Herrn H. danach zu fragen. Manchmal errichtet Herr H. sein Streetoffice auch nicht auf dem Gehweg, sondern direkt auf der Straße. Dass dieser Anblick auf herannahende Autofahrer irritierend wirken könnte, kümmert Herrn H. keineswegs. Schließlich sind sämtliche Fahrzeuge mit Lenkrädern ausgestattet und somit in der Lage, mit wenig Aufwand einen Bogen um ihn herum zu fahren. Wenn sie das nicht in der Fahrschule gelernt haben, was dann.
Übrigens habe ich noch nie einen Autofahrer gesehen, der sich über Herrn H.s auf der Fahrbahn errichtetes Streetoffice echauffiert hätte. Man hört ja sonst so allerhand, wie es zugehen soll vor Ampeln und auf Autobahnen. Geschrei, Gepöbel, justiziable Eigenschaftszuschreibungen: All das scheint in Deutschland gar nicht selten vorzukommen. Doch nicht in Gegenwart von Herrn H. Man umkurvt ihn offenkundig verständnisvoll und deshalb kommentarlos. Was er als selbstverständlich hinnimmt.
Nein, Herr H. lässt sich bei dem, was immer er dort tut, nicht stören. Man kann sogar sagen, dass die resiliente Konzentration, mit der Herr H. sein Streetoffice-Pensum abarbeitet, bewundernswert ist. Nichts bringt ihn aus der Ruhe.
Herr H. richtet seinen Stuhl immer nach Westen aus. Zwar scheint ihm dann die Sonne mitten ins Gesicht, doch wenigstens nicht aufs Laptopdisplay. Das könnte schließlich bei der Arbeit stören, eventuell sogar die Qualität der Ergebnisse beeinträchtigen. Deshalb vermutlich nach Westen. Manchmal denke ich, dass Herrn H. eine Schirmmütze guttäte, aber wer bin ich, seine selbst geschaffenen Rahmenbedingungen infrage zu stellen.
Herr H. ist mir bisher ein Mysterium. Steht er vielleicht in der Tradition von Melvilles Schreiber Bartleby? Welche biografischen Wendungen und Winkelzüge führten zu seinem stoischen Dasein als Streetworker im wortwörtlichen Sinn?
Vielleicht überwinde ich demnächst meine Scheu und frage ihn einmal. Dann mehr an dieser Stelle.
Sie machen mich neugierig, bitte fragen Sie
AntwortenLöschenJetzt kann ich ja nicht mehr anders.
LöschenWie schaut es denn mit den Arbeitszeiten aus.
AntwortenLöschenHält Herr H. die gesetzlich vorgeschrieben Pausen ein? Hat er Verpflegung dabei?
Wie alt ist er überhaupt? Weiß Herr H., dass bei unzureichender Flüssigkeitszufuhr während des Tages ein Nierenstein oder schlimmeres droht?
Oder schaut er gar nur stets den Livestream der derzeit stattfindenden Olympiade und vergisst darüber Zeit und Raum? Eventuell, weil Frau H. jegliche kommerzielle Sportveranstaltungen verabscheut und ihn deshalb der gemeinsamen Wohnung verweist?
Ich bin geneigt, selber in HH vorbeizuschauen.
Sehr spannende Geschichte!
Von festen Arbeitszeiten kann keine Rede sein, zumindest nicht in der Seilerstraße. Sein Auftauchen folgt alleine dem Prinzip des Sporadischen. So bleibt auch ungewiss, wann wir seiner das nächste Mal ansichtig werden. Ihre Überlegungen sind gleichwohl bedenkenswert und werden in den Fragenkatalog aufgenommen.
AntwortenLöschenSpannend, mein Lieber, ist z.B., ob Kamala Harris die nächste Präsidentin wird oder ob der St.Pauli sein erstes Spiel in Liga eins gewinnt. Aber doch nicht, ob ein Bekloppter auf der Straße hockt und auf seinen Laptop schaut. Vermutlich ist das ein Mitarbeitender der Telekom, der die Netzqualität an verschiedenen Standorten prüft. Er hat doch auf dem ersten Bild auch das typische Telekom - Arbeitspoloshirt an!
AntwortenLöschenHolla, keine Beleidigungen in meinem Blog! Auf dem Kiez gibt es allenfalls Exzentriker.
LöschenOkay, den Bekloppten nehme ich zurück, sorry! 😉
LöschenHerr H. scheint irgendwo bei ihnen an der Ecke zu wohnen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er, so exzentrisch er auch sein mag, mit einem sperrigen Stuhl und Laptop in den Öffis zu den Plätzen seiner Begierde fährt. Oder habe ich einen Klappmechanismus am Gestühl übersehen?
AntwortenLöschenNein, es handelt sich definitiv um einen schlichtestmöglichen Holzstzuhl, der selbst an Mindestanfordungen, die ein Büromodell erfüllen sollte, scheitert.
LöschenIst der Protagonist eigentlich ein reiner Schönwetterstreetworker oder trotzt er auch tapfer, eventuell gar beschirmt, dem berühmt berüchtigten Hamburger Schietwetter? Und wie sieht's in der dunklen Jahreszeit aus? Winterschlaf, Schlechtwettergeld, Urlaub? Fragen über Fragen... Aufklärung tut Not, werter Herr Wagner. Sie werden wohl um ein Interview nicht umhin kommen!
AntwortenLöschenHerzliche Grüße aus dem südwestfälischen Regenwald!
P.S.: in ca. 2 Wochen weile ich wieder für ein paar Tage in der heimlichen Hauptstadt (HH), vielleicht schaue ich dann mal in der Seilerstraße vorbei und frage ihn selbst, falls Sie es nicht bis dahin getan haben.
Ihre Eigeninitiative wäre höchst willkommen. Allerdings ist das einzig Verlässliche an unserem Streetworker sein unverhofftes Erscheinen. Dass er also gerade dann öffentlich seiner Bestimmung nachgeht, wenn Sie nach ihm Ausschau halten, scheint mir recht unwahrscheinlich. Aber einen Versuch ist es natürlich wert!
LöschenVielleicht sollte Sie ein paar Wildtierkameras aufhängen…
AntwortenLöschenIst im öffentlichen Raum illegal.
LöschenIllegal, in der Seilerstr?
LöschenGeht das?
Na, hören Sie mal! Das ist ein ganz normales Wohnviertel. Würden wir sonst seit fast drei Jahrzehnten hier wohnen? Sehen Sie.
LöschenWenn man genau hinschaut wo der Schatten beginnt, ergibt sich eine sinnvolle Antwort zu vielen gestellten Fragen: Der Mensch möchte wohl einfach ab und an ein paar Sonnenstrahlen abbekommen. :)
AntwortenLöschenDann wäre allerdings eine Gartenliege das sinnvollere Utensil.
LöschenAuf dem ersten Bild, rechts am Rande, steht eine Datensäule! Diese nutze ich hin und wieder, um am world wide web teilzuhaben, da mir zur Zeit eine Datenleitung seitens der Telekom verweigert wird. So findet man mich auch oft an anderen Orten mit einem Hotspot. Und ja, sofern die Sonne scheint, lasse ich mir gern von ein paar Strahlen mein Gemüt erhellen. Das Gestühl ist leichter Bauart und ich wohne auch nicht weit entfernt, so entfällt der Transport in öffentlichen Verkehrsmitteln. Zuweilen trinke ich aber auch einen Kaffee im „Lieblings“. Falls mich mal jemand treffen möchte.
AntwortenLöschenSind Sie es wirklich? Dann willkommen auf der Rückseite der Reeperbahn!
LöschenWieder mal eine dieser (fast) unglaublichen Geschichten, die man wohl nur auf der Rückseite der Reeperbahn erleben kann. Allerdings hab ich schon fast erwartet dass benachbarte Laptopexzentriker ihren Blog kennen, alles andere wäre enttäuschend gewesen.
AntwortenLöschenJetzt noch mal die Definition von "Straße" raussuchen und feststellen, daß die Fahrbahn Teil einer Straße ist, aber nicht die Straße selbst. Die beinhaltet nämlich u.a. auch noch den Gehweg. Vom Gehweg auf die Straße zu wechseln ist also nicht möglich, man befindet sich nämlich schon auf der Straße, wenn man auf dem Gehweg ist. :-o
AntwortenLöschenDa sag noch mal einer, dass dieses Blog keine Lernplattform ist. Danke für die Präzisierung!
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