30 August 2023

Die gemütlichsten Ecken Deutschlands (199)







Die Lübecker Bucht zwischen Travemünde und Timmendorfer Strand.

Links: Unser Frühstückstisch im 19. Stock des Maritim.

28 August 2023

Die hohe Kunst des Kundenvergrätzens


Gestriger Dialog im Niederegger-Eiscafé, Travemünde:

„Guten Tag, ich hätte gerne zwei Kugeln in der Waffel, und zwar …“
„Wir haben keine Waffeln, nur Becher.“
„Gut, dann halt im Becher. Zwei Kugeln mit Schokoladensoße, und zwar …“
„Keine Schokoladensoße. Die gibt’s nur zur Schlemmertüte.“
„Äh, okay …? Dann einmal Walnuss und einmal Schokolade. Ich zahle mit Karte.“
„Keine Karte, nur bar.“

Die Niederegger-Zentrale in Lübeck kann natürlich überhaupt nichts für den außergewöhnlichen Liebreiz ihrer Filiale in Travemünde, aber als wir heute an der Zentrale vorbeiliefen, war uns beiden in stillem Einvernehmen klar, dass wir auf jeden Fall ein anderes Café ansteuern würden.

Ganz egal, welches. Hauptsache, nicht Niederegger.

25 August 2023

Sommer in Niendorf, mit Hund


Wahrscheinlich bin ich weltweit der Erste, der jemals mitten in der Ostsee von einem Dackel attackiert wurde. Allerdings muss ich zugeben, dass der Dackel das umgekehrt ebenfalls behaupten könnte.

Jedenfalls schwamm ich heute vor Niendorf bei null Wellengang gemütlich auf dem Rücken durch die Ostsee. Weit und breit war niemand sonst zu sehen, ich wähnte mich ganz allein im weiten Meer; deshalb auch mein arg- und sorgloses Rückwärtsschwimmen. Doch plötzlich kollidierte ich mit irgendwem oder irgendwas und spürte, wie mir etwas hektisch den Rücken zerkratzte.

Ich dachte im ersten Moment nicht einmal an einen Weißen Hai, wie es irrationalerweise vollkommen logisch gewesen wäre, sondern an einen Homo sapiens, vielleicht im mittleren Kindesalter. Doch als ich in milder Panik herumwirbelte, sah ich einen verängstigten Dackel, der mit schreckgeweiteten Augen eilends weiterpaddelte. Drei Meter weg sein Herrchen, das mir mit schmerzvollem Lächeln stumm Vorwürfe machte. Sogar meine hervorgestammelten lobenden Worte über seinen süßen Hund – eine Übersprungshandlung, ich weiß – ließ der Mann unkommentiert. Ich fühlte mich schlecht.

Später konstatierte Ms. Columbo rote Striemen auf meinem Rücken, die ein geübter Forensiker sofort als die typischen Folgen von Dackelpfotenkrallen identifiziert hätte. Freilich waren sie, die Striemen, nicht tief genug, als dass hätte Blut fließen können. Eigentlich schade, denn so wäre mir meine kürzlich erfolgte Tetanusimpfung noch nützlicher erschienen, als das eh schon der Fall ist.

Später sah ich Hund und Herrchen zwischen den Felsen am Ufer. Der Dackel guckte ängstlich. Er schien mich nicht zu mögen. Sein Herrchen ignorierte mich.

Fazit: niemals rückwärts schwimmen. Auch wenn du denkst, du seist ganz allein im weiten Meer.

Abends verunglückte Old Zitterhand dann auch noch ein Foto von der Küstenlinie in Travemünde (Foto).


 

20 August 2023

Fundstücke (259)

Dieser prachtvolle Lincoln Continental steht im Automuseum Loh Collection aufm Dorf in Hessen. Sinnigerweise wird er dort als der Wagen vorgestellt, den John F. Kennedy „zuletzt lebend verließ“. Das war am 22. November 1963 vormittags. Und in der Tat: Am selben Tag stieg JFK in eine dunkelblaue Variante des Lincoln um, tja, und dann kam Lee Harvey Oswald. Das dunkle Modell haben die USA aber ganz offensichtlich nicht rausgerückt, weshalb der autosammelnde Milliardär Friedhelm Loh zähneknirschend „nur“ das weiße anschaffen konnte. Deshalb musste er das Ausstellungsstück argumentativ ein wenig pimpen. Trotzdem auratisch, das Teil – am Wochenende selbst getestet. 

Ein Blogleser hat sich vom Foto eines Portals in Inverness aus diesem Eintrag zu einer – wie man sieht – sehr gelungenen Tuschezeichnung inspirieren lassen. Und da er mir postalisch sogar das Original vorbeischickte, hat nun unsere Bilderwand im Flur Zuwachs bekommen. 

Fußball spielt auf dem Kiez durchaus eine Rolle, für manche offensichtlich sogar eine derart wichtige, dass sie sich deswegen selbst das Betreten ihrer Loggia versagen. Entdeckt am Fischmarkt.


Apropos Fischmarkt: Hier präsentiere ich mit Stolz und Freude ein Sonntagmorgen-um-halb-zehn-Schnäppchen für insgesamt drei Euro. Und das Beste (und die große Ausnahme): keine verschimmelten dabei! 


04 August 2023

Mein erstes und letztes Interview mit Lemmy Kilmister

In Wacken wollen sie jetzt einen Teil seiner Asche endlagern, denn Lemmy ist für das Festival so etwas wie ein Säulenheiliger. Und als ich das lese, fällt mir auf, dass der große wilde Mann noch gar nicht in meiner oben genannten In-memoriam-Serie auftaucht – eine Lücke, die zum Glück leicht zu schließen ist. Hier also ein Rückblick auf mein Lemmy-Treffen aus dem letzten Jahrtausend. Damals war er 50. Tempi passati …

Lemmy beäugt die mitgebrachte Ausgabe der Zeitschrift kulturnews mit einer gewissen Skepsis. „Kultur?”, krächzt er, „if I hear kultur, I pull my gun.“ Trotz des imposanten Patronengürtels, der einen Teil seines überlappenden Bauchs stabilisiert, fühle ich den Drang, Lemmys Meinung zu korrigieren.

„Ähm, Lemmy“, sage ich vorsichtig, „du bist doch ein Teil davon … irgendwie.“

Lemmy wirft zwei Eiswürfel in seinen Jack Daniel’s, den er in einem für die Brause ungünstigen Verhältnis mit Cola verdünnt hat, und zieht an der Kippe. „Yeah“, sagt er, „irgendwie.“

Nach über einem Vierteljahrhundert Metalshouting für Hawkwind und Motörhead ist seine Stimme zu etwas geschrumpft, das klingt, als rutschte ein Schlitten über Sandpapier – der Preis des Ruhms. Würde man den Lemmy von heute Nachmittag schockfrosten und in einem Hard Rock Café aufstellen, empörten sich die Gäste gewiss über die geballte Ladung Metalklischees, mit der das Denkmal ausstaffiert ist: aufgeknöpftes schwarzes Hemd mit hochgerollten Ärmeln, Kette mit eisernem Kreuz um den Hals, Tattoos an den Armen („Born to lose / Live to win“), pferdeaugengroße Totenkopfringe an den Pranken, eine zu enge Hose mit Schlag und dazu weiße Spitzstiefeletten, die dringend geputzt werden müssten.

Und immer, wenn die Lemmy-Statue weibliche Cafégäste erblickte, würde sie „silly cow“ röcheln. So nennt er jedenfalls (wenn sie grad nicht da ist) die Blonde von der Plattenfirma, die dafür sorgt, dass ihm Whiskey, Eis und Cola nicht ausgehen – in dieser Reihenfolge.

Ich meine: Lemmy ist wirklich böse. Er hat kirschtomatengroße Warzen im Bartgesicht! Und Zottelhaare mit eisgrauen Strähnen drin. Damals, 1975, war es seine Idee, Motörhead mit „ö” zu schreiben. Das sah irgendwie deutsch aus, und die Deutschen, Mann, sind für einen Engländer echt „mean”.

Wir vereinbaren ein Stichwortinterview, das schont seine Kehle. Let's go, starten wir mit der Anatomie.

Seine arme Stimme … ? „Hat sich zur Ruhe gesetzt.“
Der Zustand seiner Ohren? „Ich hab genau verstanden, dass du mich das gefragt hast.“
Exduopartnerin Samantha Fox (… the breast and the beast, haha): „Geschichte.“
Britisches Rindfleisch? „Geschichte.“
Drogen? „Naturgeschichte.“
Techno? „Bald Geschichte.“

Lemmy trinkt schnell, er raucht schnell, aber er denkt auch schnell.

Tanzen? „Ich tanze nicht. Except for the totentanz, hehehe.“
Drei Dinge, die er am meisten hasst? „Politiker, organisierte Religion und – hmm – Intoleranz.“
Gott? „Welchen? Gibt's einen? Ich glaube daran, dass wir unsere eigenen Entscheidungen treffen müssen. Es gibt keinen Ausweg namens Gott.“
Alt zu sein? „Unvermeidlich.“

Lemmy wirft Eis nach und füllt mit Whiskey auf. Es ist 16 Uhr 11 an einem Dienstag. Wir sind in einem Hotel an der Kieler Straße, das bevölkert ist von ältlichen Frauen. Der Häkelclub Hodenhagen in der Großstadt. Und in einem der Zimmer, davon wissen die Damen nichts, sitzt Lemmy Kilmister. Der Melody Maker hält ihn für „radikal, roh, barbarisch und verrückt”. Was davon stimmt heute nicht mehr? „Nichts“, seufzt Lemmy, „alles stimmt.“

Danke, das war's, sage ich. „Das war leicht“, sagt Lemmy. Sein Händedruck ist sehr fest, ich fühle den Totenkopfring. Im Foyer wuseln aufgeregte Häkeldamen herum. Wahrscheinlich wollen sie heute Abend ins „Phantom der Oper“.