28 Juni 2021

Die Frage ist nicht ob, sondern wann


Die Fassade gegenüber ist frisch gestrichen worden, gestern haben sie das Gerüst abgebaut. Heißt: Graffitischmiererei in drei, zwei, eins …

Mehr in aller Bälde.


24 Juni 2021

Als wären sie nie da gewesen

Unten im Treppenhaus, direkt hinter der Eingangstür, hat es sich ein Paar gemütlich gemacht, das hier definitiv keinen Mietvertrag besitzt. Es versperrt mir, der ich das Haus verlassen will, den Weg. Nach der Größe der herumliegenden Rucksäcke zu schließen, haben die beiden ihren halben Hausrat dabei; eher ist es sogar ihr ganzer. Auch zwei Fahrräder gehören dazu.

Eins davon ist ein Herrenrad. Es wirkt selbst auf einen Laien wie mich recht hochwertig. Ich bezweifle ehrlich gesagt, dass sein Besitzer schlüssig und rechtskonform herleiten könnte, wie er dessen habhaft wurde. Die Frau verbirgt sich halb unter einer Hoodiekapuze, tut geschäftig und brabbelt wirr vor sich hin, während er ansprechbar wirkt.

„Bitte gehen Sie“, sage ich zu den beiden, die nach meinem Auftauchen – wohl aus langjähriger Vertreibungserfahrung klug geworden – bereits eigeninitiativ damit begonnen haben, ihr Lager abzubrechen. „Wie sind Sie überhaupt hereingekommen?“

Der Mann trägt Radlerhosen und Haar- und Bartfrisuren, die schon lange nicht mehr von einem Profi in Augenschein genommen wurden – und Letzterer würde sich bei einem entsprechend vorgetragenen Anliegen wahrscheinlich auch weigern, ohne Gefahrenzulage tätig zu werden.

„Die Tür stand auf“, antwortet der Mann, ohne mich anzuschauen.
„Ich warte, bis Sie weg sind“, sage ich.

Es dauert lange Minuten, ehe alles weitgehend still und stumm verstaut ist. Auch ein Ladegerät will aus der frei zugänglichen Steckdose, die dummerweise über dem Stromkasten angebracht ist, entfernt werden. (Notiz an mich selbst: Hausverwaltung um ein Steckdosenschloss bitten.)

Ich bin den beiden nicht böse, auch sie wollen schließlich über die Runden kommen. Aber einfach über ihr Treppenhauslager hinwegsteigen und sie in Ruhe lassen, das kommt mir auch nicht richtig vor. Nach einer Weile ist das Lager geräumt. Ich verlasse hinter ihnen das Haus und überprüfe von außen, ob die Haustür sich aufdrücken lässt. Tut sie nicht.

Später sehe ich vom Balkon aus, wie die Hoodiefrau gegenüber unter einem Gerüst sitzt und sich anscheinend Substanzen zuführt, ich vermute intravenös. Er geht ab und zu rüber, lässt sich anbrabbeln, und irgenwann, als ich mal wieder vom Balkon aus die Lage checke, sind die beiden verschwunden.

Den Hausflur hinterließen sie übrigens rückstandlos sauber. Als wären sie nie da gewesen.

PS: Das irgendwie passende Foto zeigt den Bauzaun an der Taubenstraße.




22 Juni 2021

Die Tauben eskalieren wieder

Heute auf dem Balkon wurde ich, obzwar von guten Mächten – nämlich unserem Sonnenschirm (Foto) – wunderbar geborgen, Opfer eines im Flug in Einzelteile zerfallenen Guanogeschosses. Dessen Farbe (grünweiß) und Konsistenz (schleimig) lenkten meinen Verdacht schnell auf eine Vertreterin der Taubenvögel. Obwohl ich nicht genau weiß, warum, wäre mir eine Möwe lieber gewesen.

Aber egal: Ich wurde getroffen, und zwar am rechten Brillenbügel sowie am Unterarm, und der fetteste Batzen dieser ordentlichen Portion Taubenkacke landete mitten auf dem Monitor meines MacBook Pro von 2018. Eine Fotodokumentation erspare ich Ihnen; schließlich sollen sie nicht auf unschöne Weise an einen der größten cineastischen Fehler Ihres Lebens erinnert werden, nämlich den Besuch von Faith Akins Film „Der Goldene Handschuh“ – oh, Verzeihung. Ich sage nur so viel: Dieser grünweiße Schleim war flüssig genug, um pfützenartig aufzuplatzen, jedoch auch ausreichend kohäsiv, um nicht gravitationsbedingt in Fluss zu geraten.

Dass er mich und mein MacBook Pro überhaupt traf, obwohl wir beide eigentlich wunderbar geborgen unterm Sonnenschirm saßen, lässt einen wichtigen forensischen Rückschluss zu. So kann der tatverdächtige Vogel keinesfalls aus einer Ruheposition heraus aktiv geworden sein. Es saß also nicht irgendwo über uns herum und führte gemütlich ab. Nein, im Flug muss er seine Last losgeworden sein, wodurch diese eine schräge Falllinie einnahm. Die Schutzfunktion unseres Sonnenschirms ist indes nur für Geschosse TÜV-lizenziert, die in einem akkuraten 90-Grad-Winkel herniederprasseln.

So sah mich St. Pauli heute Vormittag fluchend auf einem Retinadisplay herumrubbeln. Die letzten Spuren der Attacke entdeckte Ms. Columbo noch nachmittags, und zwar oberhalb meines rechten Ohrs, inzwischen geruchsneutral eingetrocknet.

Nach mehr als zwölf Jahren der relativ friedlichen Koexistenz im Anschluss an die legendären Taubenkriege von St. Pauli interpretiere ich diesen Zwischenfall nun als erstmalige Erhöhung der Eskalationsstufe. Jetzt muss über Reaktionsoptionen nachgedacht werden. Ich meine: Was täte Joe Biden, wenn ein nordkoreanischer Torpedo das Heck des Flugzeugträgers USS Theodore streifte?

Eine Frage, die sich vor allem die hiesigen Vertreter der Taubenvögel stellen sollten. Aber egal, was passieren wird: Ich habe nicht angefangen.




17 Juni 2021

Kalauer (7–15)

Vier Jahre lang machte diese Rubrik Pause, was aber nicht an mangelndem Basismaterial lag, sondern an den weltmeisterlichen Prokrastinationsskills des Blogbetreibers.

Hier nun ein paar weitere Preziosen, gewachsen auf dem Mist engagierter Unternehmer unter Leadership (natürlich) von Friseuren. Den visuellen Konsum dieser Dokumente möchte ich allerdings nur geistig und mental gefestigten Personen empfehlen.










Entdeckt zumeist in Hamburg, aber durchaus auch in Erfurt.

15 Juni 2021

Fundstücke (253)

Da fragt man sich doch unwillkürlich, wie viel denn „Sex für 39 Euro“ zu überteuerten Preisen kosten würde. Na ja, jedenfalls geht es wieder los auf der Reeperbahn und drum herum, wenn auch unter Auflagen.

Entdeckt am Eingang des Geiz-Clubs an der Reeperbahn.

13 Juni 2021

Unter Corona (14): Die Rückkehr des Bösen

Seit Monaten pinkelte, kotzte und kackte uns niemand mehr in den Hauseingang, und samstagsmorgens, wenn ich zum Brötchenholen aufbrach, musste ich von dort auch keine Junkies mehr verscheuchen. Ehrlich gesagt: Nicht alles war schlecht am Lockdown. So sorgte er zum Beispiel auch für einen spürbaren Krakeelerschwund.

Natürlich, diese jeglicher Außenwirkungskontrolle abholden Herumbrüller waren auch vor Corona auf St. Pauli nicht endemisch, doch sie empfanden unser Viertel als natürliches Habitat und prägten durchaus das hiesige Biotop. Vor allem durch die kiezspezifisch beständige Zufuhr von Alkoholika vermochten die Krakeeler St. Pauli akustisch mit großem Erfolg in Beschlag zu nehmen. Demzufolge war ihr Besatz im Viertel vor Corona enorm.

Doch nachdem hier alles schließen musste, sank der Krakeeleranteil signifikant. Dem verbliebenen Restbestand erwuchs allerdings ein Killerfeature, welches den zahlenmäßigen Schwund mehr als auszugleichen in der Lage war. War die von ihnen ausgehende Belästigung bisher ausschließlich sonischer Natur, so wurden diese Leute im Zuge der Krise nun auch zu hoch effizienten Aerosolemittenten. Zwar war das auch vorher schon der Fall, aber auch ziemlich egal, da ihre eruptiven Speichelwölkchen coronafrei waren. Nun hatte dieses Phänomen seine Unschuld verloren. Wir hielten in den Monaten der Einschränkungen also noch mehr Abstand zu den Restvorkommen dieser Spezies als eh schon.

Jetzt, seit den Lockerungen, ist im Grunde alles wie vorher: Enthemmte Teilnehmerinnen von Junggesellinnenabschieden torkeln wieder Lieder kreischend durch die Straßen, ohne sich im Geringsten um Ton- und Textsicherheit zu scheren, Horden junger Betrunkener versuchen sich selbst auf Kurzdistanz so zu verständigen, als wären ihren Saufkumpanen die Hörgeräte abgestürzt, und die Rückkehr der Harleyhirnis führt uns vor Ohren, welch erstaunlich unterstützende Wirkung 120 Dezibel auf unsere Mordlust haben.

Doch nicht nur der Lärmpegel nähert sich hier wieder seiner Vor-Corona-Infernalität. Vor unserer Haustür liegt auch sonntagsmorgens wieder das übliche Junkiebesteck (Foto), und beim Kiezbäcker hörte man wieder Dialoge wie folgenden (absolut authentisch, ich schwör): „Digger, machst du mir ’n Brötchen mit Pute klar? Und ’ne Capri-Sonne? Und 'n Eistee, Digger!"

Lockdown, wo bist du, wenn man dich mal braucht?