10 Oktober 2013

Cholerisch auf der Davidwache


Kaum etwas auf der Welt wirkt leerer als eine Wand mit metallenem Handlauf, von dem das morgens mit einer 40-Euro-Abus-Kette ordnungsgemäß gesicherte Fahrrad brutal abgeschnitten wurde. Laufen die Diebe neuerdings etwa mit einer ausgewachsenen Flex durch die Zeisehallen?

Abends stehe ich also mal wieder – zum inzwischen sechsten Mal – auf der Davidwache vorm Tresen und melde einen Fahrraddiebstahl. Doch bevor ich dran bin, muss ich mir das Elend der Leute vor mir in der Schlange anhören. Einem ist ein Rucksack mit allem Wichtigen drin gestohlen worden, und jetzt ist er derart aufgebracht, als hätten ihn die Ordnungshüter höchstselbst ums Eigentum gebracht.

Als der Polizist ihn bittet, ein Formular auszufüllen, fängt er an herumzubrüllen. „Hier sind doch die Kopien, da steht alles drauf!“, schreit er und klatscht mit den Händen auf die Vielzahl der Dokumente, die er auf dem Davidwachentresen ausgebreitet hat. „Warum soll ich das auch noch ausfüllen?“

Die beruhigenden Worte des anscheinend psychologisch geschulten Davidwächters verfehlen in der Folge komplett ihre Wirkung. Sie scheinen eher an der Eskalationsschraube zu drehen, wenn man die Reaktion des tobenden Wichtels vorm Tresen als Maßstab nimmt.

Mit rudernden Armen rafft der Choleriker seine kopierten Dokumente zusammen, ruft was von „Gehe jetzt zur Kripo! Mir reicht’s!“ und dampft ab wie ein Bulle nach der Nasenring-OP. Etwa eine Viertelstunde später – ich bin noch mitten in der Anzeigenaufnahme mit dem buddhaesken Polizisten – fliegt die Tür auf und der Giftzwerg wieder herein.

„Morgen früh ruf ich die Kripo an!“, brüllt er, als sei das etwas Neues für uns. „Ich nehm mir einen Anwalt! Und Sie werden versetzt!“ Er donnert die Fäuste auf den Tresen. Offenbar ist er erst draußen so richtig auf Betriebstemperatur gekommen.

„Sie sitzen nicht mehr lange auf diesem Stuhl“, schäumt er, „dafür werde ich sorgen! Das geht hoch bis nach Karlsruhe!“ Und weg ist er.

Zum ersten Mal in meinem Leben muss ich gemeinsam mit einem Polizisten losprusten. Aus dem Treppenhaus weht derweil noch ein abschließendes „Arschloch!“ zu uns herein. Der Polizist sitzt fein lächelnd vor seinem Computer und tippt die Rahmennummer meines Fahrrads in die Eingabemaske.

„Ich glaube, ich werde mal darauf verzichten, ihn wegen Beleidigung anzuzeigen.“ Ich stimme ihm zu. „Der liebe Gott muss dumme Menschen furchtbar lieb haben“, sagt er, „sonst hätt er nicht so viele davon gemacht.“ Mit diesem Schlusswort kann ich auch als Atheist gut leben.


Übrigens: Wer dieses Fahrrad – ein dunkelgrünes 28er Batavus Winner mit Dreigangschaltung und einem viel zu früh blockierenden Rücktritt – zufällig irgendwo herumstehen sieht, möge mich bitte konspirativ benachrichtigen. Danke.


20 Kommentare:

  1. Nihilistin11.10.13, 10:43

    Herr Matt, wie sind eigentlich so die "Klau-Vorbereitungs-Verhältniss" auf der RdR?
    Ist der Handlauf vorn am Haus, also durch Lauf-Diebe leicht einsehbar? Oder befindet er sich auf der Rückseite / dem Hof, wo es dann schon ziemlich viel mehr kriminineller Energie bedarf, um es dort abzuzwacken?

    Ich hab am Haus, in dem ich wohne, einiges zu meckern - aber an der Fahrradabstellmöglichkeit nicht: Ebenerdig, hinter zwei verschlossenen Türen im Hinterhof.

    PS: Nimmt Sie eigentlich noch einen Fahrradversicherung an, oder stehen Sie da schon auf der schwarzen Liste?

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Es handelt sich um Altona. Auf der RdR binde ich es immer voller Gottvertrauen auf der Straße an, und siehe da: Genau dort ist mir (glaube ich) noch nie eins geklaut worden.

      Löschen
  2. Lijbosz Nek11.10.13, 11:44

    @Nihilistin: Zeise-Hallen != RdR.

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Nihilistin11.10.13, 15:31

      @L.Nek: Als Hauptstädterin sind mir die lokalen Gegebenheiten nicht so vertraut, also danke.

      Löschen
  3. Hallo,

    Sie haben auch immer ein Pech..
    .
    Vielleicht hilft das ... für Drahtesel Nr. 7

    http://www.fahrradschlosstester.de/fahrradschloss-testsieger/

    Gruß Brick

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Brick, mein Fahrradhändler bescheinigte mir heute genau das Gegenteil, nämlich Glück gehabt zu haben. Immerhin durfte ich mich dreieinhalb Jahre lang dieses Rads erfreuen. Ich habe mich entschlossen, das genauso zu sehen wie er.

      Löschen
  4. Nachtrag:

    auch sehr schön: http://si6.mtb-news.de/fotos/data/500/normal_comic_007.jpg

    :o)

    Gruß Brick

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Für eine solche Lösung fehlt mir meistens die Zeit.

      Löschen
    2. Die Sie sich aber hätten nehmen sollen.. den jetzt fehlt ihnen das Rad :o)

      Löschen
  5. Seit 16,5 Jahren wohne ich mittlerweile auf St. Pauli, dem kriminellsten aller Stadtteile. Noch nie wurde mir ein Rad geklaut.

    Tipp: Ein neues Rad mit ner Neunfarben-Sprühdose hässlich machen und damit auch markieren wie ein vom Abschlachten bedrohtes Robbenbaby.

    AntwortenLöschen
  6. Na, wenn es das Schlösschen vom Foto war, wird keine Flex nötig gewesen sein. Wenn mensch unbedingt eher preiswerte Fahrradschlösser benutzen will, dann am besten immer zwei, die unterschiedlich zu knacken sind. Diebe haben meist nur eine Masche.

    AntwortenLöschen
  7. Statistisch scheint es in so einem abartigen Pflaster nicht ungewöhnlich zu sein, dass alles geklaut wird, was nicht (flexsicher) niet- und nagelfest ist. Findet sich da nicht - so nach und nach - Platz ein für eine Erkenntnis, dass ein Fahrrad, also nicht gerade ein wertloser Gegenstand, vielleicht nicht das geeignete Verkehrsmittel in einer bekannterweise schwerkriminellen Umgebung ist, in der man es unbewacht preisgeben muss?

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Immerhin wurde das Fahrrad, das 200 Euro gekostete hatte, drei Jahre lang NICHT geklaut. Und jetzt auch NICHT in St. Pauli.

      Löschen
  8. Wo man nirgends parken kann zu wohnen und zu agieren, d.h. nicht unantastbar mobil zu sein, ist nicht die helle Freude. Eine Entscheidung hierfür erfordert Entscheidungen im Vorfeld. Die für Sie natürlich aufgrund der enormen Vorzüge Ihrer Wahlheimatstadt und insbesondere -viertels ein Klacks waren. Das nenne ich mutig.

    AntwortenLöschen
  9. St.Pauli oder St. sonstwas (auch ohne St.), in dieser Agglomeration ist das Jacke wie Hose. Und dort auch nur 1 Cent unbewacht verlassen - werter Herr Wagner, das schreit nach Alternativen.
    In einer Publikation wurde postuliert, dass in der genannten Agglomeration ein Mörder durchschnittlich 0,75 Jahre räumlich an der weiteren Ausübung seiner Tätigkeit gehindert wird. Lässt das auf ein Gesamtaufkommen von Gesetzesübertretungen gewichtet mit der Schwere der Tat dividiert durch die lokale Gefängniskapazität schliessen? Wenn jemand wieder mal erwägt, z.B. ein paar Kilo Drogen durch den Zoll zu bringen, sollte er es in HH tun. Vielleicht kriegt er daraufhin noch Bonuspunkte, anstatt wie sonstwo in der Republik jahrelang aus dem Verkehr gezogen zu werden. Kriminelle, auf nach HH, wo eines der grösstmöglichen Verbrechen (s.o.) wie ein Kavaliersdelikt geahndet wird und schweremässig drunter bleiben. Nicht gut für Ihre eventuelle Fahrrad-Ersatzbeschaffung. Sollten Sie weiterhin erwägen, 200 €-weise Ihr Vermögen preiszugeben. Naja, vielleicht haben Sie nicht sukzessive Reste des "Leckerlis" (wie Sie es genannt haben), das Sie Ihrem Fahrrad beim Aufstieben von Tauben angetan haben, in Ihre Wohnung geschleppt, sondern der neue Besitzer kann das nichtsahnend vollenden.

    AntwortenLöschen
  10. BÜGELSCHLOSS BÜGELSCHLOSS BÜGELSCHLOSS BÜGELSCHLOSS BÜGELSCHLOSS BÜGELSCHLOSS!!!!!! Wie vieler Räder und Davidstraßenbesuche bedarf es noch, damit du mal testweise ein paar Euro mehr für ein weniger schnell und leise zu knackendes Schloss ausgibst, lieber Matt? (Und behaupte nicht, das hätte Dir nie einer gesagt.) Und die Hässlichmachen-Strategie, die oben vorgeschlagen wird wäre sicher auch hilfreich.

    AntwortenLöschen
  11. JA JA JA JA JA JA JA JA JA JA JA JA JA JA JA JA JA JA JA JA JA JA JA JA JA JA!!!!!!!

    AntwortenLöschen
  12. Ach Matt,
    Du solltest endlich anfangen, Dich an meine Fahrrad-Schloss-Regel zu halten, dann wird auch nichts mehr geklaut: Das Fahrrad sei genauso wertvoll wie die verwendeten Schlösser.

    Praxisbeispiel: Ein für 200 Euro erworbenes Rad wird mit Schlössern für 200 Euro gesichert - Voila.

    ciao - Axel

    AntwortenLöschen