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08 August 2011
Kommt Zeit, kommt Karte
Beim Stöbern in biografischen Devotionalien stieß ich neulich auf diese vergilbte Bewertungspostkarte zum 1981er Gaststättenwettbewerb der Hauptstadt der DDR.
Ich hatte sie am 17. Oktober 1981 im Ostberliner Interhotel Unter den Linden nach einem betrüblichen Restaurantbesuch zwar ausgefüllt, aber nie abgeschickt. Warum, ist mir entfallen.
Jedenfalls war die Karte aus lappigem Papier wieder mit zurückgereist gen Westen, zu Hause in irgendeiner Schublade gelandet, vielfach mit mir umgezogen und schließlich 30 Jahre später wieder aufgetaucht, nämlich – wie erwähnt – neulich.
Adressat wäre einst die Tageszeitung Neues Deutschland gewesen, damals Honeckers offizieller Blockflötenchor. Bei einer Auflage von über einer Million Exemplaren repräsentierte das ND zu jener Zeit 99,21 Prozent aller Stimmen bei Volkskammerwahlen. Heute gehört die Zeitung mehrheitlich der Partei Die Linke, die bei Bundestagswahlen mit rund zehn Prozent Zuspruch rechnen darf; die Auflage des ND liegt bei knapp 37.000.
File under Bedeutungsverlust.
Als mir diese Postkarte jedenfalls neulich wieder in die Hände fiel, erschien mir die Idee recht charmant, sie nun doch noch abzuschicken. Der Gaststättenwettbewerb 1981 ist zwar höchstwahrscheinlich längst entschieden, ebenso wie die VEB Sachsenring Zwickau wohl mittlerweile den letzten Trabi ausgeliefert hat. Doch das Porto war bezahlt, warum also nicht auch endlich die zugehörige Dienstleistung abrufen?
Eine kleine Recherche ergab, dass sich adresstechnisch zumindest beim Neuen Deutschland nichts verändert hat. Die Zeitung hält immer noch unverdrossen am Franz-Mehring-Platz 1 die sozialistische Stellung. Das Hotel Unter den Linden hingegen wurde 2006 abgerissen; heute steht dort das Upper Eastside Berlin.
Am vergangenen Freitag warf ich schließlich die Postkarte in den Briefkasten. Mehrere Fragen harrten seither einer Antwort. Würde die Deutsche Post AG als Rechtsnachfolgerin der DDR-Post das 1981 vorfinanzierte Porto auch 30 Jahre später noch als ausreichenden Obolus ansehen, um einen unterbezahlten Austräger loszuschicken? Wenn nicht, landete die Karte dann vielleicht mit einem „unzureichend frankiert“-Stempel bei meinen erstaunten Eltern auf dem Westerwald?
Und wenn doch: Würde das Neue Deutschland versuchen, mich nach 30 Jahren ausfindig zu machen? Schließlich herrscht storytechnisch gerade Sommerloch, da könnte so was Skurriles wie eine jetzt endlich eintreffende Meinung zum Gaststättenwettbewerb 1981 doch ganz interessant sein.
Gleich mehrere dieser Fragen sind inzwischen beantwortet, denn heute klingelte bei meinen Eltern auf dem Westerwald das Telefon. Das Neue Deutschland war dran, es bat um meinen Rückruf.
Mal schauen, ob sie die Geschichte auch dann noch interessant finden, wenn sie erfahren, dass die Postkarte keine 30 Jahre unterwegs war.
Sondern nur 0,008219178082192.
Ick bin sprachlos. Das erste Mal in diesem Blog.
AntwortenLöschenNa ja, nicht ganz.
AntwortenLöschen1) Sie waren schon immer jemand, der zu allem was sagen wollte, gell?
2) Sie hatten schon immer eine soziale Ader, oder? Ich denke 90% der Nicht-Verwandschafts-getriebenen Westbesucher hat 1981 nicht interessiert, wie viel ein Ostler verdient in Relation zu Preisen der Interhotels. Wen es interessiert: Bei mir waren es 1985 ca. 500 DDR-Mark als Ungelernte in einem 3-Schicht-Job.
3) Wenn Sie die Karte damals abgeschickt hätten - wer weiß, ob die DDR nicht schon früher zusammengebrochen wäre? Haben Sie vielleicht eine Revolution herausgezögert, Herr Matt?
4) Ich bin extrem interessiert daran, wie die Story mit dem ND weitergeht. Ick hab die damals nich jelesen und ick les die heute ooch nich.
Ich platze vor Neugier wie die Story weitergeht. Das ND hat sich in punkto Humor nicht mal so schlecht entwickelt, das könnte noch lustig werden.
AntwortenLöschenwie spanned
AntwortenLöschenWas manche Leute nicht alles tun um in die Medien zu kommen. Oder um schlichtweg Füllstoff für den Blog zu haben. Nenene.. Ich mein, es passt ja zum Viertel aber müssen sie sich denn soo tief bücken?
AntwortenLöschenWobei ich ja schon ein klein bischen gespannt bin, wies nun weitergeht. Sie wissen ja, das Spannertum ist in Deutschland (ost wie west) ein gern verübtes Hobby.
Also echt - manche Dinge sollten doch in den Tiefen diverser Schubladen bleiben!!!
AntwortenLöschenIch hoffe, werter Herr Matt, Sie lassen sich nicht von (alten und neuen) Kadern instumentalisieren ... hier tobt der Wahlkampf.
Frau-Irgendwas-ist-immer
Sie haben nicht zufällig damals eine Speisekarte mitgehen lassen? Würde mich brennend interessieren, für was man dort bis zu 200 Mark verlangt hat. Meine Erfahrung mit DDR Restaurants beschränken sich auf Schweinebraten (wahlweise Roulade) mit wechselnden Beilagen für 5 DM.
AntwortenLöschenDas war allerdings eine Dorfkneipe in Meckpomm, kein Interhotel für reiche Westler.
Hm, ich lese hier gerne und verzeihe auch die Themen, die mich persönlich nicht so interessieren (bzw. lese sie erst garnicht). Herkommen und ne Anti-Kritik hinterlassen kann jeder. Bitte machen Sie so weiter Herr Wagner, es kann nicht jeder jeden Tag so geistreiche Texte wie z.B. ihr Namensvetter Franz-Josef generieren (wobei ich den heutigen Beitrag für durchaus lesenswert halte ;))
AntwortenLöschenFrau Nihilistin, ich denke eher, ein Abschicken der Karte hätte den Zusammenbruch der DDR verzögert. Möglicherweise wäre meine Kritik ja auch offene Ohren gestoßen, man hätte irgendwas verbessert, und prompt wäre die Volkswut etwas weniger groß gewesen als ohne. Pi mal Daumen wäre die DDR, sofern sie die Karte empfangen hätte, erst 1992 zusammengebrochen.
AntwortenLöschenFoxxi, ich habe das ND der Einfachheit halber auf diesen Blogeintrag verwiesen. Das könnte das Interesse erlahmen lassen; schließlich haben sie die Geschichte nicht mehr exklusiv. Schaun mer mal, wie der Kaiser sagt.
Tom, ich muss hier gar nichts füllen, sondern schreibe grundsätzlich nach Lust und Laune. Das ist alles freiwillig, willkürlich und jederzeit änderbar, ob es Ihnen passt oder nicht. Das ist ja das schöne am Bloggen l’art pour l’art. Und deshalb muss ich mich auch um keine Meinung kümmern, nicht mal um Ihre.
Frau-Irgendwas, wann habe ich mich denn jemals instrumentalisieren lassen? Sie kennen mich doch!
Zaphod, zwar hatte ich in der Tat mal eine Phase, in der Speisekarten in der Fremde vor mir nicht sicher waren, doch die im Interhotel verschmähte ich, wahrscheinlich um später nicht von der BRD freigekauft werden zu müssen.
Ich fragte sie, werter Matt, ob Sie sich so tief bücken müssen und nicht ob sie was füllen müssen. Wobei das mir persönlich auch schon wieder zu intim wäre. Grad in Betracht ihrer Wohnsituation könnte es doch schnell zu Missverständnissen führen, die ich keineswegs beabsichtige. Zudem scheint ein gewisser Drang des sich Kümmern um Meinungen sehr wohl in ihrem Empfindungsschatz vorhanden zu sein da ich sie bisher schon als kommunikativen und auf die Meinungen ihrer Leser reagierenden Menschen kennen gelernt hab. Wenn auch sicherlich nur virtuell.
AntwortenLöschenWie gesagt: Je nach Lust und Laune.
AntwortenLöschenI’m the master of my domain.
Ich möchte hier unbedingt den Satz des Franken zitieren, damit er nicht in Vergessenheit gerät:
AntwortenLöschen„Der Zusammenbruch bahnte sich ja schon dadurch an, daß das ND einen *Wettbewerb* ausgerufen hat”.
Äh, der Satz. Nicht der Franke. Ich Dummerchen.
AntwortenLöschenDer Franke sollte aber ebensowenig in Vergessenheit geraten, finde ich.
AntwortenLöschen@Nihilistin: 500 Ostmark als ungelernte Kraft in der Mitte der 80er Jahre? Da bin ich ja heute noch neidisch drauf!
AntwortenLöschenHerr Wagner: Ich finde diese Geschichte köstlich und bin sehr gespannt auf die Fortsetzung. (Im Übrigen finde ich es erstaunlich, dass es so einen Wettbewerb gab. Ich meine, so mit wo die Leuts mit eigenen Worten sich äußern durften. DAS grenzt ja schon an Meinungsfreiheit. Am Ende hat der Gaststättenwettbewerb den Umbruch eingeleitet. Derart ermuntert haben irgendwelche Leute ihre Meinung auch zu anderen Themen als Bockwurst mit und ohne frei zu äußern begonnen. Werweißwerweiß).
Ach, ob da noch mal was kommt. Habe dem ND der Einfachheit halber den Verweis auf diesen Blogeintrag gemailt, und jetzt haben sie wohl wegen weggefallener Exklusivität das Interesse verloren. Ginge mir genauso.
AntwortenLöschenJa, solche Geschichten lassen sich kaum erfinden.
AntwortenLöschenÜbrigens ist die Deutsche Post (ohne AG allerdings) namensgleich mit der erwähnten Post der DDR, denn die hieß auch so, wie man sogar heute noch auf alten Briefmarken nachlesen kann. Ich habe aber nie verstanden, wie man auf Briefmarken einfach das Wort "Deutschland" setzen kann, zu einem Zeitpunkt, an dem es plötzlich mehrere Post-Konkurrenten gibt.
Und noch was: Der Gaststättenwettbewerb in der Hauptstadt ist vor einiger Zeit wieder angelaufen! Heute berichten Berliner Tageszeitungen darüber, ob und wie Senatsverwaltungen oder Bezirksämter Gaststätten mit Piktogrammen auszeichnen oder brandmarken dürfen. Ich persönlich halte das (gähn!) für genauso überflüssig wie die umstrittenen Lebensmittelkennzeichnungen.
Der Franke hat nicht ganz Recht. Im Sozialismus wurden Wettbewerbe geführt ohne Ende, auf allen Gebieten: Stärkster Lehrling, Schnellste Kassiererin, Beste Brigade usw. usw. Schon Lenin hat theoretische Schriften über die Frage verfasst, wie man den wettbewerb organisieren soll. Wohin das praktisch führte, ist eine andere Frage. Oft zu besseren Ergebnissen in der Arbeit, weil man ja mit dem allseits herrschenden Mangel möglichst kreativ umgehen musste. Allerdings sollte jeder Wettbewerb erfolgreich enden, weil der Sozialismus sich auf der Siegerstraße befand, und um das hinzukriegen, wurde ebenfalls sehr kreativ gearbeitet - notfalls wurden im Betrieb Planvorgaben nach unten korrigiert, dann war die Erfüllung einfacher.
AntwortenLöschenDie Wettbewerbsdefinitionen unterschieden sich aber erheblich. In der DDR bedeutete Wettbewerb das Ringen um den effizientesten Weg zum von oben vorgegebenen Ziel und Interesse, während im Westen verschiedene Ziele und Interessen miteinander konkurrieren, und zwar vor allem um die Kaufentscheidungen der Konsumenten.
AntwortenLöschenWobei eine der im Volksmund kursierenden Wettbewerbslosungen lautete: Aus unseren Betrieben ist noch viel mehr rauszuholen!
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