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15 Februar 2011
Ausnahmesituation
Wann immer ich in den vergangenen Jahren das Obdachlosenlager an der Simon-von-Utrecht fotografierte, gewann das Motiv seinen widersprüchlichen Reiz aus einer ganz speziellen Wechselwirkung zwischen Reklame und Elend.
Meist schien das Werbemotiv auf geradezu absichtlich zynische Weise das Schicksal der Heimatlosen zu seinen Füßen zu kommentieren (zum Beispiel hier, hier und hier). Heute aber motivierte mich erstmals genau das Gegenteil zur fotografischen Dokumentation der Szenerie.
Denn ausgerechnet die Obdachlosenzeitung Hinz & Kunzt hat diesen Werbeplatz gebucht, und endlich ist die Gesamtsituation dort harmonisch und homogen. Kein Hintersinn, kein Sarkasmus, keine Bösartigkeit lädt die Lage mit Symbolik und Sozialkritik auf. Man sieht nur eine Werbung, die von der Realität bestätigt wird und umgekehrt.
Eine Rose ist eine Rose ist eine Rose.
Der polnische Obdachlose – nennen wir ihn Jaczek A. – war übrigens damit einverstanden, fotografiert zu werden. Trotzdem war es mir sehr unangenehm, die Linse auf ihn zu richten. Sie verwandelte sich dabei unversehens in eine Waffe, die auf einen Schutz- und Wehrlosen gerichtet war.
Trotzdem schien mir das Motiv wichtig genug, um mich über die Obszönität der Situation hinwegzusetzen. Denn wenn Jaczek A. schon mal nicht von einem Werbeslogan für Wohlstandsbürger düpiert und veralbert wird, dann sollte das ebenfalls dokumentiert werden.
Es wird eh die Ausnahme bleiben, so viel ist sicher. Demnächst wirbt an dieser Stelle wieder irgendjemand für „Kokowääh“, Flatratetarife oder den Heidepark Soltau.
Vielleicht auch für wahnsinnig günstige Baukredite.
„Ab in den Urlaub” – diese Plakate empfand ich persönlich immer am schlimmsten, wenn sie in einer solchen Situation zu sehen waren. Aber gerade deswegen auch am besten. Wenn der Gegensatz am größten ist, kommt selbst der größte Zyniker nämlich nicht umhin, darüber nachzudenken.
AntwortenLöschenDie jetzige Aktion ist natürlich großartig.
Bitte nicht übertreiben. Ich wurde dazu gezwungen, durch die Umstände.
AntwortenLöschenPlakat trifft Leben...
AntwortenLöschenHallo Matt,
AntwortenLöschenbin als fotografierender Begleiter der Demo für den Erhalt der Roten Flora auch an dieser Stelle vorbeigekommen, und war sehr betroffen von der Kombination des Obdachlosen und dem momentanen Plakat.
Eben hat mich ein Leser meines Blogs auf diesen Beitrag von dir aufmerksam gemacht, und ich bin froh, daß dies mehr Menschen auffällt und beschäftigt.
Bassig
Benjamin
P.S.: Mein Bild findest du unter http://bigbasspic.de/2011/05/01/am-rande-der-demo/#heimatlos
Lieber Benjamin, wenn ich dein Talent und deine Ausrüstung hätte, wäre das Foto oben wohl zehnmal so ausdrucksstark. Schade, dass du es damals nicht fotografiert hast.
AntwortenLöschenSieh es als Pingback, war auch mal da...
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