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17 September 2010
Allein unter Stäbchenstümpern
Bin beim Sushiessen im Viersternehotel East auf St. Pauli.
Gegenüber sitzt eine silberhaarige Frau in Schneeleopardenbluse. Sie hat eine spezielle Stochertechnik, die eine orale Zufuhr des Fischs zuverlässig verhindert, nicht aber ein einzigartiges Gebrösel auf ihrem Teller.
Das Sushi löst sich unter ihrem beharrlichen Stochern gleichsam in seine Moleküle auf. Man könnte es nur noch per Löffel oder Staubsauger aufklauben, aber definitiv nicht mehr mit Stäbchen.
Ihr Nachbar, ein Yuppietyp mit Mittelscheitel und Protzuhr, arbeitet hingegen beidhändig. In jeder Hand hält er ein Stäbchen, um das hölzerne Duo optimal links und rechts am Häppchen positionieren zu können. Sobald das zu seiner Zufriedenheit gelungen ist, klemmt er beide Stäbchen vorsichtig in die rechte Hand und versucht die Californiaroll in einem Rutsch zum Mund zu führen. Natürlich fällt sie runter und zerbröselt sorgsam in ihre Einzelteile. Der Silberhaarigen in Schneeleopardenbluse wird der Mann wahrscheinlich immer sympathischer.
Ich hingegen bin heute Abend endlich mal ganz weit vorne. Denn ich habe dank sachkundiger Lektüre erfahren, der gemeine Japaner – und der ist ja wohl maßgebend in Sachen Sushi – äße die Rohfischspezialität niemals mit Stäbchen, sondern aussschließlich mit: den Fingern.
Und darin bin auch ich – ohne mich allzusehr loben zu wollen – ein geborener Virtuose, wenngleich in der heutigen Runde der einzige. Alle anderen dilettieren komplett unhistorisch mit ihren Stäbchen herum und glauben, sie seien authentisch. Diese Pseudokultursensibelchen! Diese Multikultischwachmaten! Diese Aufdenleimgeher!
Zu allem Überfluss tunken sie das Sushi auch noch mit der Reisseite in die Sojasoße, dabei sagt doch der gemeine Japaner, und der ist ja wohl maßgebend: nur mit der Fischseite!
Ach, es ist schon ein großartiges Gefühl, endlich mal stylish und authentisch zu sein – wenn auch nur aus Opportunismus aufgrund mangelnden Geschicks. Denn ich und Stäbchen, das ist eine Geschichte voller Tragik und Tristesse. Satt wurde ich nur, indem ich mir die Röllchen in dunklen Ecken verschämt händisch zuführte. Und jetzt stellt sich heraus: Genauso muss es sein! So und nicht anders!
Voller Stolz hätte ich schon immer mitten im Rampenlicht die manuelle Kunst des Sushiverzehrs vorführen können, und alle anwesenden Japaner hätten mir respektvoll lächelnd zugenickt. Stattdessen hatte ich stets Frau Schneeleopardenbluse und Herrn Protzuhr als Ideal vor Augen, ich kleinmütiges Herdentier.
Den Triumph von heute Abend kann mir jedenfalls niemand mehr nehmen. Auch wenn ich mir die Hände hinterher etwas gründlicher waschen musste als alle anderen.
Sie gehen in das East? Oha... ;-)
AntwortenLöschenDa sei es Ihnen gegönnt aufzufallen, neben den schönen Menschen (kann man Die noch unterscheiden oder sehen Sie nicht alle gleich aus, diese Herdentierchen, deren Herde *Wirsindwasundschönauchnoch* heißt?), was sicher nicht nur durch das Mitdenhändenessen kam.
Ups...., Ihre Schönheit wollte ich nicht in Frage stellen aber ich stelle mir Sie-also Sie Herrn Matt- anders schön vor.
Mit den Händen zu essen ist eh ein ganz besonderer Genuss, da macht das Wort begreifen auch mal wieder Sinn.
Lukullische Grüße
Wiebke
Gibt es im East das beste Suhi in Hamburg? Besser als als unten am Hafen?
AntwortenLöschensushi ist sowas von 80er... aber lecker
AntwortenLöschengruss, wh
Ich sah Leute die versuchten Sushi mit Messer und Gabel zu essen! Das war gruselig. Ich lernte es es von einer netten Japanerin - mit Stäbchen.
AntwortenLöschenIhr Beitrag erinnert mich an einen Zeitungsartikel vor vielen Jahren, nach denen über deutsche Manager gelästert wurde, die in Fernost sich auf englisch einen abbrachen, während die Japaner hierzulande einfach das tun, was sie am besten können: Japanisch.
AntwortenLöschenMerke: Nicht immer ist es angebracht, sich anzupassen. Wirkt meistens lächerlich.
In diesem Fall HABE ich mich aber angepasst – und es war toll.
AntwortenLöschenAnonym 09:32, Ihre Japanerin hat sicherlich nur deshalb mit Stäbchen gegessen, weil sie dachte, das macht man hier in Deutschland so.
Anonym 08:29, Kartoffeln sind übrigens so was von 17. Jahrhundert – und trotzdem lecker.
Yael, für Vergleiche fehlt mir die systematische Grundlage. Allerdings ist es schwer vorstellbar, in Hamburg besseres Sushi zu finden.
Wiebke, der Luxustempel East hat durchaus seine Reize, vor allem das Design. Eine Pracht – und gemütlich zugleich. Da hat der Herr Mozer sich schon was Feines ausgedacht.
Eine Schneeleopardenbluse? Stehen die nicht unter Artenschutz? Wonöglich noch kombiniert mit einem Ozelothalstuch und Ameisenlederhandschuhen.
AntwortenLöschenUnglaublich!
Immer dieser Tierhass!
:-)
;-)
"Wonöglich" schrieb mein Unterbewusstsein wahrscheinlich deshalb, weil ich nörgelig herumnölte.
AntwortenLöschenEs soll aber "womöglich" heißen, bevor sich wieder einer beschwert..
Matt "Kartoffeln sind übrigens so was von 17. Jahrhundert – und trotzdem lecker."
AntwortenLöschenGroßartig!!
Mit einem zufriedenen, sehr breiten Grinsen,
Josie
P.s.: Ich esse kein Sushi - weder mit Stäbchen, Messer und Gabel noch ohne all dieser Hilfsmittelchen ;-) Aber mit dem frisch gewonnenen Wissen kann ich bestimmt mal herrlich angeben :-)
Da frage ich mich doch jedesmal, warum diese widerspenstigen Stäbchen eigentlich vorne stumpf sind. Steht nicht in jedem Restaurant für Walspezalitäten-in-Seetang ein Stäbchenanspitzer vorne auf dem Tresen?
AntwortenLöschenIch werde das nie herausfinden. Ich esse keinen Fisch.
Essen nicht grade Japaner grade Nudelsuppe begeistert mit Stäbchen?
Natürlich – genauso gerne, wie sie Sake aus Sieben trinken.
AntwortenLöschenHier liefern Sie ein Beispiel, warum Getrenntschreibung mit Bindestrich nicht immer Deppen-, sondern manchmal einfach lesbarer ist. Sonst hätte ich nicht Su-schießen gelesen, sondern auf Anhieb Sushi-Essen. Aber jeder, wie er will.
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