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04 Mai 2010
Die richtige Entscheidung
Am Samstag wollte ich in Köln die Chance nutzen und spontan das letzte Saisonheimspiel des 1. FC gegen Freiburg besuchen. Dem Geißbockverein nämlich hänge ich seit Jahrzehnten bedingungslos an, in guten wie in bösen Zeiten. (Kölnfans wissen, welche Zeiten zuletzt überwogen; sie wissen aber auch, wie charakterbildend es sich auswirkt, in diesem Schicksal gefangen zu sein. Bayernfans werde das niemals begreifen.)
Das Maritim hatte für die Teilnehmer der Pressereise zwar eine Führung durch den Dom (Foto) organisiert, doch ich dachte mir, in einer Stadt mit genau zwei überzeitlichen Kulturdenkmälern – dem Dom und dem 1. FC – sei es im Grunde egal, für welches ich mich entschiede. Also schwänzte ich den Dom, schlich mich stattdessen in die Straßenbahn und landete kurz vorm Anpfiff an der Haltestelle Rhein-Energie-Stadion, wo mich nach menschlichem Ermessen bereits eine Armada Schwarzhändler mit Offerten hätte behelligen müssen.
Der Maritim-Rezeptionist hatte mir noch geraten, nicht direkt an der Haltestelle zu kaufen, sondern eher am Stadion: „Ist billijer.“ Doch hier standen nirgends konspirativ dreinschauende Dunkelmänner mit hervorblitzenden Ticketbündeln herum, mit denen ich in Last-Minute-Verhandlungen hätte eintreten können.
Am Stadion allerdings auch nicht, aber dafür Markus, ein FC-Fan von Mitte 20, dessen Blick bereits jetzt, um 15:25 Uhr, kölschvernebelt war. Er wollte ebenfalls auf den letzten Drücker noch Karten, und wir wurden sofort ein Team. Markus erzählte mir mit einer Stimme, die seinem Blick kongenial enstprach, so was hätte er noch nie erlebt. Normalerweise stünden hier immer Schwarzhändler, und 20, 25 Euro hätte er auch ausgegeben. So aber bliebe uns nur noch eine Sky-Kneipe.
Als er hörte, ich sei aus Hamburg, steigerte sich seine Begeisterung ins Unermessliche. „Aus Hamburg?“, jubelte er lauthals, „dat jibt’s nit: Meine Freundin is aus Hamburg!“ Wie sich herausstellte, stimmte das geografisch nicht ganz, sie kommt nämlich aus Ahrensburg, und das liegt in Schleswig-Holstein. Vom Rhein aus betrachtet ist das aber wahrscheinlich alles Südschweden.
Wie auch immer: Von nun an hatte ich bei Markus mindestens so viel Steine im Brett, wie der FC diese Saison Auswärtspunkte geholt hat. „Dat jibt’s nit: Du kommst aus Hamburg? Wie meine Freundin!“
Wir schlingerten zur Kneipe, wo bereits einige Dutzend Kölnfans vorm Flachbildfernseher standen, Kölsch tranken und auf ihre Mannschaft schimpften. Natürlich lief nicht die Konferenz, sondern das Kölnspiel. Bald nach unserer Ankunft fiel das 1:1 für Freiburg, was die Stimmung insgesamt verschlechterte.
Nicht so bei Markus. „Wat han wir ’n Glück, dat wir die 20, 25 Euro jespart han!“, grölte er mir freudestrahlend ins Ohr. „Dat is doch viel schönor, hier jemütlich Kölsch zu schlabborn!“ Wo er Recht hat.
Vom Spiel bekam ich nicht viel mit, denn immer wieder musste Markus seiner Begeisterung über meine Herkunft ekstatisch Ausdruck verleihen. „Dat jibt et nit, aus Hamburg!“, rief er, als müsse er eine halbe Fußballplatzlänge sonisch überbrücken, dabei sorgte er während des kompletten Spiels für eine maximale Distanz von acht Zentimetern zwischen seinem Mund und meinem Ohr.
Dann orderte er noch zwei Kölsch. „Aus Hamburg!“ Er schüttelte fassungslos den Kopf und umarmte mich ungelenk, während im Hintergrund das 1:2 fiel und das Schimpfen der Fans kurz aufwogte, um alsbald paralytisch zu verebben.
Kurz vor Schluss schoss Freis den Ausgleich. Jubel, Trubel, noch ’n Kölsch. Zwischendurch wurde ich immer wieder von Markus’ Beileidsbekundungen wegen des Ausscheidens des HSV aus der Europa League überschüttet. „Dat tut mir soooo leid, ächt“, sprühnebelte Markus.
Ich hatte es nach drei vergeblichen Versuchen aufgegeben, ihm noch einmal zu erklären, dass man als St.-Pauli-Fan auf eine HSV-Niederlage nicht gerade mit äußerster Bestürzung reagiert. „Aber für den deutschen Fußball ist dat schlächt“, hatte Markus beharrlich eingewandt, und natürlich hatte er Recht.
„Aus Hamburg, wie meine Freundin, dat jibt’s nit!“, sagte er plötzlich wieder und wollte das wiederholt mit einer Runde Kölsch begießen, doch ich wand mich aus der allmählich bedrohlichen Promillespirale mit dem wahrheitsgemäßen Argument, ich müsse abends noch auf eine Weinprobe.
„Eine Weinprobe! Is dat jeil!“, schrie Markus mir aus acht Zentimetern ins Ohr. Er hingegen, gelang es mir semantisch aus seinen weiteren Ausführungen herauszudestillieren, werde jetzt auf eine Tour durch die Brauhäuser der Altstadt gehen. Kösch schlabborn.
Im Hotel war die Weinprobe zum Glück nur eine Option. Ich entschied mich stattdessen kölschvernebelt dafür, dem Koch dabei zuzusehen, wie er 30 lebende Flusskrebse in siedendes Wasser warf.
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Nein, ich fasse nicht! Meine ursprüngliche Heimat Ahrensburg wird mal im Internet erwähnt. Ich hatte schon fast nicht mehr damit gerechnet.
AntwortenLöschenAber "schlabborn" ... Entweder spreche ich das nur falsch aus, oder kam der Kölsche Jung eher aus dem Osten?
Und dieses Fußballgedöns werde ich wohl nie verstehen.
Nils, ich wusste nicht genau, wie ich das Verb verlautschriftlichen sollte. „Schlabborn“ schien mir dem Höreindruck am nächsten zu kommen. Vielleicht stammt Markus ja aus dem Osten Kölns, aus Deutz …
AntwortenLöschenAch verdammt, da hätt ich wirklich noch ein, zwei Tage an meinen Aufenthalt im Westen anhängen sollen. Klingt ja so, als hätten Sie sich spontan mit den Eingeborenen verständigen können.
AntwortenLöschenAls Kölner weiß ich nur allzu gut, wie sich das "Schlabborn" in Realität anhört und konnte mir bei der Lektüre ein Grinsen nicht verkneifen. Ich würde zum Verlautschriftlichen das "r" weglassen.
AntwortenLöschenMan versteht dann zwar beim Lesen das Wort nicht mehr, ist aber akustisch näher an der Realität.
Wie kommt man denn als St. Paulianer dazu, den FC zu mögen?
Sehr schöner Text, aber: "Bayernfans werde das niemals begreifen" - sorry, das ist Blödsinn. Alle Fans begreifen das, auch Bayernfans. Wer das nicht begreift, ist kein Fan, weder in München noch sonstwo.
AntwortenLöschenEin leises, wissendes Schmunzeln - Kölner sind liebenswert. Einfach liebenswert!!
AntwortenLöschenUnd ja, "Schlabbon" triffts lautmalerisch sehr gut, alternativ könnte man auch "drinke" sagen.
Hach, ich krieg grad Quasi-Heimweh (man möge mir die Wortkreation nachsehen)...
Mit einem tiefen Seufzen,
Josie
GP, die sind ganz herzallerliebst, die Kölner.
AntwortenLöschenDanny Wilde, danke für den Schreibtipp. Wie ich zum 1. FC kam, ist eine Geschichte, die lange zurückliegt und in Hessen spielt, am Fuß des Westerwaldes. Irgendwann erzähle ich sie hier mal.
Latze, ich lasse mich gerne belehren. Aber wenn es das Schlimmste ist, mal ein CL-Finale zu verlieren, dann wisst ihr wahrlich nicht, was Leiden heißt.
Josie, Ihnen sehe ich alles nach, nur nicht den Bindestrich. „Quasiheimweh“ bitte, und nix anderes.
Hallo Herr Matt,
AntwortenLöschengeht das in den nächsten Wochen (vor allem im Juni) so weiter? So mit dem Fußballcontent?
Wenn ja: Haben Sie nen netten fussballfreien Blog zu empfehlen?
Das wird noch viel, viel schlimmer (WM!).
AntwortenLöschenAls Alternative empfehle ich das Blog von Mahmut Ahmadinedschad.
Na, dann bin ich ja beruhigt, Matt...
AntwortenLöschenErneut mit einem Schmunzeln,
Josie
P.s.: Sehr schönes Foto aus Köln.
Das Leiden der Bayernfans wird ja gerne verächtlich schnaubend aufgenommen. Immer nach dem Motto: "Aber ich, ich leide viel schlimmer!"
AntwortenLöschenDas ist aber Quatsch. Leid arbeitet auf vielen Ebenen. Es ist ein Unterschied zwischen dem Leiden, das eher an Scham erinnert, wenn der Verein in nur einer Halbzeit von Barcelona auseinandergenommen wird - und der Ohnmacht, nach 90 Minuten Dominanz in einem CL-Finale in 100 Sekunden ausgenockt zu werden.
Aber das wird ein FC-Fan nie verstehen. Wann sollte er auch ;-)
Da bohren Sie in einer ewig schwärenden Wunde, das muss ich leider zugeben.
AntwortenLöschenAllerdings waren wir bis vor ungefähr 20 Jahren noch der erfolgreichste deutsche Club aller Zeiten, bis die Bayern kamen. Und Bremen. Und überhaupt. Aber daran halte ich ich fest, irgendwie.
@Matt
AntwortenLöschenDann hoffe ich, dass "irgendwann" möglichst bald ist. Entstehungsgeschichten echter Fanliebe faszinieren mich, vor allem wenn sie nicht "auf natürlichem Wege", also zum Verein am Heimatort entstanden sind.
@Josie
Darf ich Sie mal zum Weinen bringen:
Wenn ich su an ming Heimat denke
un sin d’r Dom su vör mir stonn,
mööch ich direk op Heim an schwenke,
ich mööch zo Foß no Kölle jonn.
;-)
Liebe Grüße aus Köln von
Danny Wilde
(der sehr gerne einen Blog mit Handballcontent liest, obwohl er sich nicht für Handball interessiert)
Und, um noch mal nachzutreten: Die Bayern haben keine Fans, die haben Zuschauer. Und die sind für die Scheißstimmung verantwortlich. So!
AntwortenLöschenDanny Wilde, es gibt hier bereits Beschwerden über zuviel Fußballcontent; dann warte ich lieber noch eine Weile mit der Geschichte, wie ich als Bub vom Westerwald zum FC-Fan wurde … Jedenfalls spielte ein Bayernfan dabei wider Willen eine tragende Rolle: mein Vater.
AntwortenLöschenMatt, die Beschwerden habe ich gesehen und finde sie arg pingelig. Auch ich möchte hier ja kein reines Fuppes-Blog lesen, denn es ist alles gut so wie es ist.
AntwortenLöschenVon über 120 Beiträgen im Jahr 2010 beschäftigen sich aber gerade mal sieben mit dem Thema Fußball. Nun ist es natürlich Ansichtssache, ob einem fünfeinhalb Prozent Fußballcontent noch immer zu viel sind, in einem Blog, in dem St. Pauli ein zentrales Thema ist, in dem wiederum Fußball absoulut kein Randthema ist ...
Das Witzige ist ja, dass es in diesem Beitrag nur oberflächlich um Fußball ging. Es war ja kein Spielbericht oder so was, sondern in Wahrheit eine ethnologische Studie.
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