29 Januar 2010

Medialer Wandel in der Gosse

In den späten 70er Jahren lagen manchmal halbtote „Compact-Cassetten“ im Rinnstein. Teils meterweit hatten sie in bizarren Schlingen und Mustern Magnetband ausgewürgt.

Ich fragte mich immer, was da wohl drauf sein könnte, welche Musik oder welche Stimmen, nahm aber nie eine dieser verdreckten Plastikboxen mit. Wer hatte sie überhaupt dort hingeworfen, in den Rinnstein, und warum? Ungelöste Fragen.

In den späten 80ern nahm die Anzahl der Kassetten im Rinnstein dramatisch ab, dafür fand man dort nun manchmal Floppydiscs. Das war die Urform der sogenannten „Disketten“, mit denen damals Computer gefüttert werden mussten, weil es noch kein USB oder WLAN gab.

Floppys waren ungefähr so groß wie eine 45er-Vinylsingle, aber biegbar und – wenn man die Schutzhülle aufriss – vom gleichen Braun wie das ein Jahrzehnt zuvor aus Compact-Cassetten hervorgewürgte Magnetband.

Auch die Disketten hob ich niemals auf, obwohl die Neugier, welche geheimen Daten sie wohl bergen könnten, mich durchaus umtrieb, das gebe ich zu. Doch kollateral mikroskopisch kleine Kiesel, Haare und Hundekotkügelchen ins Innere meines gigantischen 20-Megabyte-Festplattenrechners zu befördern, erschien mir allzu riskant.

Heute morgen nun, als ich kurz vorm Frühstück schlaftrunken durchs Fenster hinab auf die Seilerstraße schaute, erblickte ich weder Compact-Cassetten noch Floppys, sondern: eine größere Anzahl verstreuter, ihrer schützenden Hülle beraubter CDs, die nackt und silbrig im Morgenlicht glitzerten.

Was da wohl drauf ist? Alles ist möglich, nicht nur Musik und Stimmen: Texte, Pornos, komische Fotos, Liechtensteiner Steuerdaten. Doch ich habe sie wieder liegengelassen, wie immer in den vergangenen 30 Jahren.

All das liegt übrigens erst dann im Rinnstein, wenn seine Lebenszeit vorüber ist. Und man erfährt nie, wer es dort hingeworfen hat und warum.


2 Kommentare:

  1. wenn wir dann alle online-speicher benutzen à la cloud-computing, wie kommt das dann in den rinnstein?
    ___________
    schönes bild

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  2. Diese goldenen Zeiten werden dann ein für alle Mal vorüber sein.

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