15 April 2008

In Rosis Bar

„Ist das eine Lesbenbar?“, fragt GP irritiert. Das einzige (und zudem – wie ich aus Erfahrung weiß – falsche) Indiz dafür sind die beiden Frauen am Tresen, die mit der Wirtin schnacken. Nur sie bevölkern heute Abend Rosis Bar, die wir gleichwohl forsch betreten.

Die abgebildete Lampe über unserem Tisch wird im Lauf des Abends eine zunehmende Zahl leerer Astraflaschen gnadenlos ausleuchten, und für die Mehrzahl davon wird GP verantwortlich sein, das muss hier mal gesagt werden.

Sobald das Wochenende vorbei ist, fällt der Kiez in eine Art Schockstarre. Alles ruht, einsam wacht – ja, wer eigentlich? Höchstens die mächtige Discokugel, die unermüdlich ihre Runden dreht, über Heteros und Lesben, über Gut und Böse und über zwei Bloggern am Tisch neben dem Eingang, das ist ihr ganz egal.

Wir sitzen da, nuckeln am Astra, und GP erläutert mir irgendwelche komplexen Gedanken über Gutgemeintes, das effektlos bleibt, und Egoistisches, das anderen zugute kommt. Auf irgendeine Weise will er mich so von den Vorzügen des Kapitalismus überzeugten, doch es gelingt ihm nicht.

Solange durchdrehende Banker bei Wetten Milliarden einfahren und wir in dem Moment, wo der ganze Irrsinn explodiert, mit Steuergeldern die Wettschulden blechen müssen, ist die Strahlkraft des Kaptalismus von eher fahler Provenienz, in meinen Augen. Allerdings hält sich der Widerstand dagegen trotzdem in engen Grenzen – oder nimmt recht merkwürdige Pseudoformen an.

Nehmen wir die organisierten Spontanversammlungen namens Flashmobs: Sie stürmen Burgerläden, bestellen tausende Fleischklopse auf einmal, bezahlen ordentlich und freuen sich darüber, dass die immigrierten Mindestlohnjobber in der Küche zwei Stunden lang mal richtig ins Schwitzen kommen. Der Burgerladen bejubelt den Umsatz des Jahres – und die Kurzstreckendenker des Flashmobs glauben, ihnen wäre eine irgendwie systemkritische Aktion gelungen. Käse.

Wir ordern noch ein Astra. Draußen stöckeln zwei bonbonbunte Transen durch die Nacht, und ich sage zu GP: „Mann, bin ich froh, in einer Stadt zu leben, wo bonbonbunte Transen unbetuschelt durch die Nacht stöckeln können.“

Wir stoßen an auf diese Stadt, auf die leere Bar, auf die Frauen am Tresen, auf die Discokugel, die über uns einsam kreiselnd wacht, und dann kommt die Wirtin und räumt die leeren Astraflaschen ab, damit die ganze Szenerie ein wenig unpeinlicher aussieht.

Ich lobe sie dafür, doch sie lächelt nicht. Welch eine Stadt!

12 Kommentare:

  1. sie müßen ein auge auf den herrn GP werfen, werter matt, der wird sonst noch fett... ;-)

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  2. Gut, dass GP wieder in HH weilt. Ich wähnte ihn schon durch die Komplikationen in Heathrow im südlichen Italien oder im kühlen Schottland - von Undermindestlohnjobbern als Gepäckstück deklariert.

    Der Sprecher von McDonalds hat sich über die Aktion des Mobs gefreut, die übrigens nichts, rein gar nichts mit Improvisationstheater zu tun hat, auch wenn dies oftmals in anderen Medien so dargestellt wird. Dieses Statement musste sein, Matt, bitte haben Sie dafür Verständnis.

    Vielleicht sollte das Video "Bittersweet Symphony" nochmals mit euch verfilmt werden, fällt mir dazu spontan ein. Einer geht die Straße rauf, der andere runter ...

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  3. Ad, wir leben in einem freien Land … ;-)

    Joshua, natürlich freut sich McDonald's über die Aktion – das war ja der Anlass meines kleinen Flashmobbashings.

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  4. nicht betuschelt ist ja gar nicht wahr! sogar betuschelt und das betuscheln dann noch beblogt!

    aber HH ist wirklich ne liebenswerte stadt - find ich.

    blondyonly

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  5. Herr blondyonly, wie könnte man denn das Nichtbetuscheltwerden überhaupt loben, wenn nicht verbal? Sie sehen das Dilemma, nicht wahr?

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  6. Nur habe ich diesen Satz gar nicht im Zusammenhang mit der zu dem Zeitpunkt gerade abgeschlossenen Kapitalismusdiskussion gesagt, sondern als Entgegnung auf Ihren Einwand, daß Herr Henkel das Richtige aus den falschen Gründen sage. Das war in meinen Augen schon eine neue Diskussion: Ist es besser, das Falsche aus den richtigen Gründen oder das Richtige aus den falschen Gründen zu tun?

    Sagen wir es so: Am falschen Ende eines Gewehrlaufes ist mir jederzeit lieber, wenn der Soldat am anderen Ende das Richtige tut. Egal, aus welchem Grund.

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  7. Und wenn der Soldat dann das aus seiner Sicht Richtige tut?

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  8. wenn man das nichtbetuscheln betuschelt, betuschelt man doch implizit auch das nicht betuschelte - oder!? folglich ist hamburg, bzw. ein gewisser herr wagner, doch noch nicht so weit, daß besagte transen unbetuschelt durch die nach stöckeln könnten.
    ;)
    blondyonly

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  9. heute is vorbei mit der schockstarre denn der gloriose fc st.pauli hat heimspiel und der flashmob trifft sich um 17:30 uhr am/im millerntor.^^

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  10. Oh, eine Sinfonie in bonbonbunt. Toll!

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  11. ich sage ja: hamburch, hamburch, hamburch! aber betuschelt wird auch hier recht viel. einmal schanzen-piazza lauschen - und schon klingeln einem die ohren.

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  12. Herr GP, Sie müssen meine Misinterpretation aufs Bier schieben und Sie mir nachsehen. Was den Soldaten angeht: Angesichts IHRER Vergangenheit und Vorlieben ist es wirklich noch nicht raus, was das Richtige ist, da hat Herr Ramses schon recht.

    blondyonly, das wird mir jetzt zu kompliziert. Ich klinke mich aus.

    Tommy, woher wussten Sie das? 3:1 ist wirklich glorios!

    eins60, klar wird getuschelt – aber über andere Dinge als in Castrop-Rauxel. Das reicht mir schon.

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