Der Fahrradladen in der Clemens-Schultz-Straße liegt nicht weit weg von diesem hübsch verzierten Hauseingang. Sein Chef ist von recht kompakter Gestalt. Ich schätze ihn auf ungefähr 90 Kilo. Er legt die Handkante auf meinen Vorderreifen und wuchtet seine Masse hoch, so dass die kompletten 90 Kilo über die Handkante auf den Reifen drücken.
Er quetscht ihn zusammen bis auf die Felge. Mehrfach, um den Test auch wissenschaftlich zu fundieren. „Ssu wännik Luhft!“, verkündet er dann feierlich das Ergebnis. „Sinn swei Bar. Musse aber sein vier.“
Vier Bar also, staune ich. „Ginge schwär ssu fahre?“, fragt er und zeigt jenes sanfte Lächeln des überlegenen Fachmanns, das stets ein wenig mit Spott kontaminiert ist. Ich nicke ertappt.
Meine sporadische Daumenprobe hatte nie etwas Auffälliges ergeben; stets schien mir der Reifen ausreichend prall. Und jetzt das. Mir dämmert plötzlich: Zeit meines Radlerlebens habe ich mich mit zwei Bar zu wenig über Flachstrecken gequält. Absolvierte Abfahrten, die ich als schnell in Erinnerung habe, wurden in Wahrheit gebremst, von zwei Bar zu wenig.
Darin aber steckt auch etwas Tröstliches. Denn dass ich die Berge hochkroch wie ein asthmatischer Dackel, lag dann wohl doch nicht an mangelndem Training, den falschen Drogen oder daran, dass ich die Visitenkarte von Dr. Fuentes verlegt habe.
Der Chef holt seine Pumpe, steckt sie auf, drückt den Hebel runter mit der Kraft seiner 90 Kilo. Und dann haut er mir umstandslos vier Bar rein.
Als ich draußen aufsteige und losfahre, geht gleichsam die Sonne auf. Das Rad schwebt. Es eilt entfesselt dahin, als hätte es einen eigenen Willen und Super getankt. Es gehe leich ssu fahre! Und alles nur wegen zwei Bar mehr.
Die verlorenen Jahre des Kriechens muss ich jetzt ganz schnell vergessen.
Zu meiner Kommunion bekam ich von meinem Opa ein Rennrad geschenkt, also so etwas mit Licht und Schutzblechen aber mit 10-Gangschaltung. Tags darauf fuhr ich mit meinem Freund der ein ähnliches Rad besaß hier zu unserem Hausberg, der verdammt steil ist und sich gehörig hinzieht. Erst rauf und dann freihändig wieder runter. Das freihändig runter war kein Problem, das konnte ich. Bloß beim rauf haperte es, mein Freund fuhr mir jedesmal locker davon und wartete jedesmal oben betont gelangweilt, was ich nicht verstand weil er eigentlich auch nicht sportlicher als ich selbst war.
AntwortenLöschenIch kam immer total japsend oben an und bin zwischenzeitlich nur aus dem Grund nicht abgestiegen mir ja keine Blöße zu geben, obwohl ich jedesmal kurz vorm Umkippen war.
Bis ich nach etwa 3 Tagen bemerkte, dass der Bowdenzug des vorderen Ritzels nicht richtig eingestellt war und ich die ganze Zeit auf dem großen Blatt, also dem 6. Gang fuhr. Tja, als dieser Fehler behoben war bekam ich anschließend dieses Gefühl welches ich nun bei Ihnen vermute. Freut man sich mehr, dass es plötzlich so leicht geht, oder ärgert man sich mehr, dass es bisher selbstverschuldet so schwer war? Ich bin mir nach ca. 30 Jahren immer noch nicht ganz sicher. ;-)
Glück auf!
Ein Heidenrespekt habe ich vorm Uffpumpe, da mir während dessen mal ein Reifen geplatzt ist. In der Garage, mit mords Widerhall. Zwei Tage Tinnitus, gratis!
AntwortenLöschencorax, genau dieses Dilemma spüre ich auch. Doch ich versuche nach vorne zu schauen, nicht zurück.
AntwortenLöschenPhil, Cheffe hat mir als Obergrenze fünf bs sechs Bar genannt. Danach macht es bumm. Mt einer einfachen Luftpumpe ist das natürlich nicht genau zu ermitteln. No risk, no fun …
Nee, oder ... Matt?
AntwortenLöschenDa sind Sie nun immerzu als bekennender und großstadttückengebeutelter (Bindestriche? Trau mich nicht!) Radfahrer in den Eingeweiden meines Rechners unterwegs -- und die Empfehlung des Einhaltens gehobener Luftdruckwerte bekommen Sie erst jetzt?
Das ist natürlich mehr als bedauernswert, wird Ihnen jedoch jede Menge gutgemeinte Neunmalklugheiten wie diese hier bescheren:
Je nach Ventiltyp fortan einen Schraubadapter auf *Presta* (Autoreifen) mitführen und an einer beliebigen Tankstelle per Knopfdruck pumpen -- aufs Zehntelbar genau!
Dies ist erstens sehr komfortabel, kost' zweitens nix und macht drittens inmitten all dieser PS-Dickhosen an den Zapfsäulen einen äußerst renitenten Eindruck.
Und das wollen wir doch, oder?
Ja, es ist erschreckend, welche Lücken noch in meinem Alltagswissen klaffen, ich weiß.
AntwortenLöschenDanke für den Presta- und Tankstellentipp. Wenn das Aufpumpen dort allerdings notwendigerweise mit renitenter Ausstrahlung verbunden ist, dann lieber nicht.
Sie wissen doch: Ich bin harmoniebedürftig.
Lieber Matt,
AntwortenLöschensehen Sie es einfach so: Es gibt keine verlorenen Jahre, sondern nur gewonnene Erfahrung. Außerdem haben Sie in diesen beschwerlichen, weil fast barlosen Zeiten, wertvolle Dienste für Ihren Muskelaufbau geleistet, der es Ihnen bestimmt einmal danken wird.
Ja, aber wo gehen sie jetzt künftg hin, die ganzen Muskeln, unterm entlastenden Einfluss von vier Bar …?
AntwortenLöschenSie stürzen mich in Panik!
Keine Panik, lieber Herr Matt,
AntwortenLöschenvier Bar wollen erhalten bleiben.
Mundgeblasen sorgt das für den nötigen
Sauerstoffdurchsatz in Muskulatur und Lunge.
"Matt, da bläääääst er", wird der Ausguck rufen.
Keine Panik, Matt, der Körper hat die über die vielen, langen Jahre erworbenen Muskeln bereits assimiliert und als "körpereigen" in seiner Jahresabrechnung verbucht.
AntwortenLöschenDie verschwinden nicht mehr, die sind jetzt wie Knochen!
Ich kenn mich da aus...
Ich fahr mit dem alten Rad meiner Frau die ganzen 400 Meter in die Kneipe und wieder zurück. Das klappt sehr gut, obwohl die Reifen noch nie in der Bar waren...
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