15 November 2007

Wie ein komatöses Krokodil

Der blöde Schnellbus 37 kommt zurzeit mal wieder jeden Morgen verlässlich zu spät. Meist stehe ich mir ab 9 Uhr rund 20 Minuten lang an der U-Bahn-Haltestelle St. Pauli die Beine in den Bauch und vertreibe mir die Zeit damit, zum Takt von Philip Glass den HVV zu verfluchen. Philipp Glass’ Musik ist übrigens sehr rhythmisch.

Die äußerst zuverlässig eintreffenden Busse der erheblich unbrauchbareren Linien 36 und 112 scheinen beim Eintreffen zu feixen. Ich habe es vorher auch nicht gewusst, aber verdammt: Busse KÖNNEN feixen, ich erlebe es jeden Morgen!

In der 37, so sie denn kommt, sitzt dann meist eine sehr blonde, sehr verlebte und deshalb sehr aufgetakelte Busfahrerin. Auch heute wieder. Das Auffälligste an ihr ist nicht ihre mimisch offen zur Schau gestellte Grundgenervtheit, sondern die Art, wie sie den Bus steuert. Nämlich einhändig.

Ihre linke Hand erledigt komplett alles, was nötig ist, um verlässliche 20 Minuten Verspätung zu erzielen, während ihre rechte wie eingeschlafen auf der Kasse ruht. Vier Finger liegen in mathematischer Akkuratesse auf dem Gerät, während der Daumen träumerisch hinter der unteren Kante des Kastens verschwindet. Selbst bei engen Kurven und schwierigen Ausweichmanövern bleibt die Blonde verbissen bei dieser manuellen Arbeitsteilung, als hätte sie eine Wette laufen.

„Wahrscheinlich“, vermutet Ms. Columbo, der ich ratlos davon erzähle, „ist die Kasse nicht verschraubt, und um den ständig drohenden Diebstahl zu verhindern, muss sie sie festhalten.“ Was Besseres fällt mir dazu ehrlich gesagt auch nicht ein.

Als wir am Bahnhof Altona eintreffen, geht es plötzlich nicht mehr weiter. Ich schaue vom Spiegel hoch und stelle fest: Niemand ist mehr im Bus außer mir. Vorne steht die Blonde neben ihrem Sitz und fuchtelt mit den Armen.

Ich nehme den Kopfhörer ab und erfahre so auch akustisch von ihrer Aufforderung, den Bus wechseln zu sollen. Hinter uns parkt ein weiterer 37er, dort sollen wir hinein aus irgendeinem Grund. Alle haben es schon kapiert, nur ich noch nicht, dank Philip Glass und Spiegellektüre.

Also wechsle auch ich den Bus, und erst unterwegs dorthin wird es mir bewusst: Ich habe doch wahrhaftig die rechte Hand der Busfahrerin bei einer anderen Tätigkeit erlebt, als auf dem Kassenkasten zu liegen wie ein komatöses Krokodil. Beim Fuchteln nämlich.

Somit ein ganz besonderer Tag. Doch morgen wird bestimmt wieder alles so sein wie immer.

PS: Wenn ich vor lauter 37er-Frust dann doch mal die 112 nehme, die mich immerhin in die Nähe meines Zieles bringt, dann führt die Route wenigstens über den Hafen, und ich kann Kräne kucken. Und schon habe ich wieder ein Kränefoto hier eingeschmuggelt. Ich bin echt ein Fuchs.

20 Kommentare:

  1. Herr Matt,

    das die Busfahrerin ausschließlich mit links lenkt, liegt höchstwahrscheinlich daran, dass sie das Fahren noch gelernt hat als man die andere Hand zum Schalten brauchte, und zwar locker 8 Gänge. Heutzutage erledigt das ja zumeist eine Automatik. Das sollte Ihr Vertrauen in die Fahrkünste der Dame erhöhen, denn sie hat die benötigte Fahrerlaubnis offensichtlich schon länger, was auf eine entsprechende Fahrpraxis Rückschlüsse zulässt.

    Ihre Leidenschaft für Krane kann ich nachvollziehen, ich habe öfter beruflich damit zu tun und bin jedesmal fasziniert. Mein Vater hat einen Kranführerschein da er diese als Elektriker bei Mannesmann gewartet hat. Deshalb mein Hinweis, dass obwohl der Duden seit den 90ern mal wieder der breiten Masse nach dem Mund redet, Kran von Kranich (dem Vogel mit den langen Beinen und dem langen Hals) stammt und der korrekte Plural deshalb auch Krane lautet.

    Glück auf!

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  2. corax, Sie haben nur teilweise Recht. „Kräne“ ist der Standardplural, „Krane“ ist eine fachsprachliche Variante. Für den, der väterlicherseits früh mit einem Kranführerschein konfrontiert wurde, mag sich das anders darstellen, doch gerade der von Ihnen zitierte Duden gibt klaren Aufschluss über den wahren Sachverhalt.

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  3. Herr Matt,
    ich erwähnte doch genau diesen Umstand, dass der Duden sich hier in den 90ern irgendwann der Umgangssprache angeschlossen hat. Noch in den 80ern stand da ausdrücklich nur was von Kranen.
    Leider hab ich kein Belegexemplar aber damals etliche Wetten damit gewonnen. Wie es jetzt da steht macht es doch auch überhaupt keinen Sinn, denn warum sollten die Fachleute, die wissen wovon sie reden, einen falschen (anderen) Plural verwenden und das restliche Volk ausgerechnet den richtigen? Und auch von der Wortherkunft, dem Kranich ergibt sich das, da es Kraniche heißt und nicht Kräniche.
    Die Entwicklung, dass der Duden Sprachvariationen erlaubt sobald sich nur ein ausreichend hoher Prozentsatz an Pisaversagern dafür entschieden hat muss man doch nicht auch noch unterstützen. Oder kaufen Sie auch Pizzas? ;-)

    Glück auf!

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  4. Tja, der Duden arbeitet nun mal nicht normativ, sondern deskriptiv. Was sich etabliert, wird irgendwann in den Kanon aufgenommen. Und dabei ist es egal, ob Fachleute wissen, wovon sie reden – sonst dürften wir bis heute nicht „Ampel“ sagen, weil die Fachleute das „Lichtzeichenanlage“ nennen.

    Allerdings hoffe ich sehr, dass der Duden niemals in die Verlegenheit kommt, Ihr „das macht Sinn“ aufzunehmen. Das wäre mir doch zuviel der sprachlichen Verrohung … ;-)

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  5. Herr Matt,

    Sie sollten dem Herrn Sick nicht alles glauben. Zur "sprachlichen Verrohung" empfehle ich folgende Lektüre:

    http://www.iaas.uni-bremen.de/sprachblog/2007/10/01/sinnesfreuden-i/
    http://www.iaas.uni-bremen.de/sprachblog/2007/10/08/sinnesfreuden-ii/
    http://www.iaas.uni-bremen.de/sprachblog/2007/10/15/sinnesfreuden-iii/
    http://www.iaas.uni-bremen.de/sprachblog/2007/10/22/sinnesfreuden-iv/
    http://www.iaas.uni-bremen.de/sprachblog/2007/11/01/sinnesfreuden-v/

    Und ich ahnte, dass Sie drauf anspringen. ;-)

    Glück auf!

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  6. Sie werden’s mir wahrscheinlich nicht glauben, aber der Sick-Text war mir völlig unbekannt. Ja, unglaublich, aber wahr: Ich bin selbst auf die Machtsinnkritik gekommen!

    Was also der Bremer Sprachblog sich da mühsam zum Anti-Sick-Kompendium zusammenbastelt, ist mir ziemlich egal, weil mir auch der Herr Sick egal ist.

    Die Verarmung der Sprache durch „macht Sinn“ ist jedenfalls eine Tatsache, weil die ganzen verschiedenen Kontexte und Bedeutungen, die rund um „Sinn“ herum möglich sind, einfach reduziert werden auf eine dumme Floskel, welche die meisten Leute hirnlos nachplappern.

    Wovon ich Sie natürlich ausdrücklich ausnehme. Wahrscheinlich plappern Sie sie reflektiert nach … ;-)

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  7. Wenn Sie schon auf einem völlig ungebräuchlichen Plural herumhacken – wofür ich übrigens jederzeit Verständnis habe und es sogar ausdrücklich begrüße,
    dann ist es vollkommen unerklärlich, wieso Sie eine Formulierung wie „Sinn machen” verteidigen (lassen, denn selbst tun Sie es ja nicht).

    Beim Lesen der zitierten der Beiträge fallen mir übrigens eine Menge guter Kommentare auf, die der Autor wiederum nicht kommentiert.

    Der fünfte Teil ist übrigens nur noch konstruiert: „Sinn machen” sei eine Meinungsäußerung, „nicht sinnvoll sein” dagegen eine Tatsachenbehauptung – also unlogischer gehts ja echt nicht mehr. Und dann zum Beweis eine Internetstatistik, die behauptet, daß 0,01% eine signifikante Abweichung sei.

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  8. Herr Matt, GP,

    ich plapper nach Möglichkeit gar nichts nach. Und ich will auch nichts verteidigen. Ich wollte lediglich darauf hinweisen, das nicht alles unbedingt so ist wie es scheint. Und das ich das mit dem "Sinn machen" oder "ergeben" nicht sooo eng sehe. Ich bin kein Germanist und der Autor ist immerhin Sprachwissenschaftler, wenn man dem nicht glauben kann, wem dann? Ich versuche auch nach Möglichkeit gewisse Formulierungen zu vermeiden, z.Bsp. "etwas kommunizieren zu wollen" das machen Röhren, oder "das hat damit zu tun" unseres Ex-Kanzlers oder den "frühen Wurm". Ich habs auch bloß hier angeführt weil wir hier so ein Sprachfaß aufgemacht haben, sozusagen für Stimmung sorgen. ;-)

    Glück auf!

    PS: Lichtzeichenanlage halte ich eher für Behördensprache als Fachsprache, ich glaube jeder Elektriker würde ebenfalls Ampel sagen.

    PPS: Kriegt man nicht eventuell dieses Kommentarfenster etwas größer? Ist sehr anstrengend hier reinzutippern.

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  9. Schön – bei all den Beispielen bin ich voll bei Ihnen, denn, am Ende des Tages ist es ja schön zu sehen, daß eine Diskussion über das Thema wo immer geführt werden kann. Was es ist, ist schön.

    Und das mit dem „Sinn machen”: Ist halt so eine meiner Grundideen, das nicht zu benutzen.

    ;-)

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  10. Gab es denn gar nichts aus dem anderen Bus zu berichten?

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  11. corax, unten rechts gibt es eine kleine gestrichelte Ecke, mit deren Hilfe sie das Kommentarfenster so groß ziehen können, wie Sie wollen. Oder oben links der grüne Punkt: ein Klick, und der Bildschirfm wird komplett ausgefüllt mit diesem Kommentarfenster.

    Übrigens haben Sie zu dem entscheidenden Argument der Verarmung der Ausdrucksmöglichkeiten nichts gesagt – was ich vielsagend finde.

    Nein, dein_koenig, im anderen Bus verbrachte ich nur noch sehr kurze Zeit. Ich weiß nicht mal, welches Unikum da hinterm Steuer saß.

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  12. Sie wissen aber schon, Matt, daß noch nicht die Mehrheit der Menschen dieses Betriebssystem mit dem netten grünen Knopf links oben benutzt? Ich weiß ja nicht, wie das auf so Monopolistensystemen aussieht, aber da muß man vermutlich Str–Alt–F12 halten, während man „machbittedasfenstergrossgrösserstopkleiner” ins Mikrofon brüllt und anschließend eine zwanzigstellige Pin eingibt (wegen der Sicherheit) und anschließend, weil man Änderungen vorgenommen hat, das System neu starten.

    Kann mich aber auch irren.

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  13. Ich bin ja immer noch ganz verblüfft, dass keiner bemerkt hat, dass Matt, der Fuchs, schon wieder so ein schönes Kränefoto eingeschmuggelt hat.

    In der Stille der Winternacht standen die Kräne fröstelnd und rückten zusammen, um sich vor dem kalten Wind zu schützen. Und es sprach der große Kran zu den kleinen, zitternden Kränchen:
    "Habt keine Angst, er ist es schon wieder.. der Fotograf, der uns fast täglich fotografiert."

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  14. Ich sach mal, die gestrichelte Linie und den grünen Punkt hab ich nich gefunden.

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  15. Allein das spricht schon dafür, endlich auf Firefox zu wechseln …

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  16. Herr Matt,

    tschuldigung das ich nicht auf Ihr Verarmungsargument eingegangen bin, auch wenn ich nicht begreife was Sie daran vielsagend finden. Konnte halt nicht ahnen, dass Sie dazu unbedingt eine Antwort erwarten und außerdem liegt das auch an dieser Kommentarfunktion hier. Weil, wenn ich auf kommentieren klicke, geht ein neues Fenster auf und verdeckt zum größten Teil das Geschriebene der Vorschreiber. Grüne Knöpfe oder gestrichelte Linien finde ich beim besten Willen nicht und wenn ich das Fenster bis zum Anschlag vergrößer bleibt das Kommentarfeldchen genauso klein wie vorher.
    Eine Verarmung sehe ich nicht zwangsläufig da ja das "Sinn machen" die anderen Kombinationen mit "Sinn" nicht ersetzen soll, also von mir aus jedenfalls nicht.
    Das Teile der heutigen Jugend Sprache nur sehr reduziert benutzen stelle ich auch bedauernd fest aber es gibt doch auch Lichtblicke wie Judith Holofernes und einige andere. Von daher kann ich keinen unmittelbaren Untergang des Abendlandes erkennen.


    @GP

    Ich versuche halt nach Möglichkeit auf sprachlichen Unfug zu verzichten, aber ganz gefeit ist man halt nie. Bei der ständigen Berieselung dringt leider so manches doch unbemerkt ins Unterbewusst sein. ;-)
    Und bei so winzigen Kommentarfeldern fällt das kurze Korrekturlesen auch ganz schön schwer.

    Glück auf die Herren und Frau Anna selbstverständlich. :-)

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  17. Oh, crossposting äh, Überkreuzgeschreibe.

    Ich benutze Firefox und sehe trotzdem nix an Knöpfen oder schraffierten Linien oder sonstwas in der Art. :-(

    Glück auf!

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  18. Oh, ich bin wohl wirklich Apple-verwöhnt, das hat mir Herr GP auch schon durch die Blume aufs Butterbrot geschmiert …

    Vielsagend fand ich an Ihrem Schweigen, dass genau das Verarmungsargument von Befürwortern des Ist-doch-egal-Sprech wie Ihnen nicht widerlegt werden kann. Denn dadurch, dass das reduzierende, komprimierende „macht Sinn“ inzwischen so monopolistisch verbreitet ist wie Windows Vista, werden die vielschichtigen Ausdrucksmöglicheiten de facto verdrängt. Das ist leicht festzustellen, wenn Sie sich mal umhören. Natürlich könnte man auch „es ist sinnvoll“, „das ergibt Sinn“ etc. noch verwenden, das verbietet einem ja keiner, doch die epidemische Verwendung von „macht Sinn“ hat ja bereits dazu geführt, dass viele Menschen die semantischen Nuancen gar nicht mehr wahrnehmen.

    Ich gehöre zu denen, die das bedauern. Das ist wohl unser entscheidender Streitpunkt.

    PS: Mit Jugendsprache habe ich mich übrigens noch gar nicht befasst in dieser Diskussion. Das Machtsinnphänomen ist wohl auch eher in der Sphäre der Erwachsenen verbreitet; so zumindest mein Eindruck.

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  19. corax, ich habe einen Duden von 1986 aufgetrieben. Dort steht das Gleiche drin wie heute: „Kräne“ ist der Standardplural, „Krane“ der in Fachkreisen übliche.

    Was sagen Sie jetzt …? ;-)

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  20. ähm.... darf ich kurz stören?

    Danke!

    Ich fahre auch täglich ab St.Pauli....mit dem 112, dem 36 oder dem 37..... nicht weil ich es muss, sondern weil ich die Kräne/Krane (what ever ->dev. die hohen Dinger mit denen man schwere Sachen bewegen kann) und Schiffe u.s.w. so gerne sehe!

    .... schönes Foto. Schön wäre es jeden Tag zur selben Zeit Fotos vom HHH zu machen -> wie in dem Film Smoke....der Besitzer des Tabakwahrenladen ... is eine schöne Sache!

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