Von den unzähligen Clubs rund um die Reeperbahn, für deren Besuch man nach Meinung meiner seligen Oma sicher in der Hölle gelandet wäre, habe ich erst drei von innen gesehen. Trotz unserer ausgesprochen günstigen Wohnlage.
Das wenig einladende Wesen der Koberer mag daran nicht ganz unschuldig sein. Bislang jedenfalls hat noch keiner der meist untersetzten, Shampoo skeptisch gegenüberstehenden Herren spätmittleren Alters den richtigen auf mich abgestimmten Lockton gefunden.
Der erste jener keinesfalls omakompatiblen Orte, den ich je betrat, war die Ritze an der Reeperbahn 140. Dabei handelt es sich jedoch nicht um einen Club jener Art, wie ihn angestellte Koberer tunlichst füllen sollen, sondern eher um eine Siffkneipe mit angelagertem Boxkeller.
Die Ritze hat es auch gar nicht nötig, Koberergehälter als Werbungskosten abzusetzen; sie hat ja ihren spektakulären Eingang. Man schreitet schamhaft kichernd durch weitgespreizte Frauenbeine. Dahinter indes wartet keinesfalls das Paradies.
Ich und Dr. K. aus Berlin enterten die Ritze morgens gegen drei. Uns beschlich gleich das Gefühl, die Einrichtung samt Anwesender sei seit 1970 nicht renoviert, geschweige denn ausgetauscht worden. Die vergilbten Autogrammpostkarten an der Wand, die noch vergilbteren Gestalten hinter und vor der Theke, die welken Witzchen, die man sich hin und her reichte wie zerzauste tote Mäuse: Das alles schien seltsam unwahr, wie inszeniert. Doch alles war echt.
70er-Jahre-Retrorock troff hoffnungslos aus den depressiven Boxen, und gegenüber der Theke an der Wand standen zwei betagte Röhrenfernseher. Sie zeigten lautlos und mit irgendwie frappierender Ungerührtheit immer das Gleiche: Hardcorepornos, etwa so alt wie die toten Mäuse, die an der Theke als Witze hin und hergereicht wurden.
Es war eine trübe, unvergessliche Szenerie mit der Faszination des Morbiden, die uns zwang, mehrere Saure zu trinken, ein eigentlich ungenießbares Gesöff, das es aus längst verschollenen Gründen geschafft hat, sich unbemerkt zum Ensemble der Kiezfolklorismen zu gesellen. Jetzt steht es auf jeder Getränkekarte zwischen Seiler- und Hafenstraße, und keiner wagt es mehr zu streichen – es gehört ja zur Folklore.
Die Ritze muss also auf jeden Fall einmal aufgesucht werden. Dr. K. und ich erinnerten uns noch lange danach mit wehmütigem Grusel an diese Kneipengruft, die man nur durch gespreizte Beine betreten kann. In den Boxkeller haben wir uns übrigens nicht getraut. Die Chance, dort die angeblichen Stammgäste Sasha oder Kai Ebel beim Sandsackvermöbeln anzutreffen, war einfach zu groß.
Der bereits erwähnte Text zur Aura des Samplers ist jetzt auch als Podcast online. Ich habe nach dieser achtminütigen Lesung allerdings das Gefühl, Belletristisches, Fiktionales eigne sich besser als Hörstoff.
Ex cathedra: Die Top 3 der Boxersongs
1. „Hurricane“ von Bob Dylan
2. „The Boxer“ von Simon & Garfunkel
3. „In Zaire“ von Johnny Wakelin
Irgendwann 2005. Die Eltern meiner Freundin zu Besuch in HH. Schönes Abendessen im Rexrodt. Mutter F.: "Und nachher gehen wir noch in die "Ritze!"
AntwortenLöschenWir perplex, verwirrt, schräg gegenüber der Ritze wohnend ohne je den Drang eines Besuchs verspürt zu haben.
Mutter F.: "Hab ich im Fernsehen gesehen, da will ich hin!"
Ich würde es gerne in Worte fassen, muss aber gerade feststellen, dass ich das nicht zur Genüge kann. Vielleicht mal irgendwann bei einem Bier in der Ritze.
Seid ihr denn hingegangen? Ich stelle es mir geradezu peinigend vor, mit meiner Schwiegermutter (oder gar Mutter!) in einem Raum zu sein, in dem fröhlich Hardcorepornos laufen. Schauder.
AntwortenLöschenWir sind. Glücklicherweise lief ein Boxkampf.
AntwortenLöschenPeinigend? Positiv. Ich habe mich noch nie in meiner eigenen Nachbarschaft so sehr wie ein Tourist gefühlt. Die Frau ist aber auch ein medienverzogenes Original. Schlimm.
Nuf said.
Nein, den noch.
AntwortenLöschenBardame kommt an den Tisch. Unwirsch: "Ihr seid als Letzte gekommen, ihr seid dran!"
Sie meinte die Musikbox. Vater und jüngere Tochter ziehen los, werfen Geld ein, Bardame trifft Auswahl.
Mutter, begeistert: "Ich hab' Sie im Fernsehen gesehen!"
Bardame (hätte offensichtlich gerne einen stumpfen Gegenstand): "Das glaub' ich kaum."
Mutter: "Nein, ich meine, ihren Laden hier!"
Bardame: "Das is ja wohl was völlig anderes." Verächtlicher Blick, Abgang, Familie vernichtet.
Du hast mein Mitgefühl. Ernsthaft.
AntwortenLöschenDas Interieur erinnert mich an ein anderes Etablissement: Café Sperrmüll
AntwortenLöschenAlter äh, geiler Laden.
AntwortenLöschenKeule
Hallelulija...........diese Kneipe ist die bekannteste der Welt, darauf würd ich wetten, Hallelulija........ick säch di Duuuuuuuu
AntwortenLöschenhey...wir waren erst gestern wieder dort!!
AntwortenLöschensind aus bayern und wenn wir hamburg besuchen dann ist die ritze ganz klar pflicht!!!! (kult)
einfach ne coole pils-boazn:-)
Bin am Sonntag mit Udo da gewesen....
AntwortenLöschenDer Laden ist Kult!
AntwortenLöschenDort lebten die Kiezgrößen der 70/80er Jahre, dort war das geschehen pur! Dieser Laden gehört zum Kiez!