Im 37er Bus. Sitze neben einem hageren älteren Herrn offenbar kleinasiatischer Herkunft, der mir mit seinem grobleinenen Anzug und einer dem Modegeschmack der 50er Jahre schmeichelnden Mütze recht wenig urban wirkt. Indes klingelt es plötzlich ganz modern in seiner unmittelbaren Nähe, ja geradezu aus ihm heraus.
Er zückt fix ein grellrotes Teenie-Handy von Nokia, in das er nach einem kurzen Moment der Vergewisserung, wer denn da am anderen Ende ein Gesprächsbedürnis hat, hineinzusprechen beginnt – genau gesagt: Er BRÜLLT.
Der gute Mann scheint mit den technischen Fähigkeiten eines Mobiltelefons nicht zur Gänze vertraut zu sein. Denn ich – und wohl auch der Rest der Fahrgäste, wie man an den erschreckt sich drehenden Köpfen ablesen kann – habe das Gefühl, er will die Distanz zum Anrufer komplett mit der physischen Kraft seiner Lungen und Stimmbänder überbrücken. Und, meine Damen und Herren, es ist kein Ortsgespräch.
Eine unbekümmert lautstarke Präsenz in der Öffentlichkeit scheint mir unter Mitbürgern nichtdeutscher Genese viel verbreiteter zu sein als – sagen wir – unter Ur-Övelgönnern oder den Fischern aus der Flens-Werbung. Zum Beispiel ein Nachbar von uns: Er ist sichtbar afrikanischer Herkunft und neigt dazu, frühmorgens gegen 5 bei grundsätzlich offenem Fenster hochinteressante Telefonate mit Daressalam o. ä. zu führen – mit einer Stimme, für die Screamin' Jay Hawkins seine Mutter verkauft hätte.
Seine selbst durch unser isolierverglastes Schlafzimmerfenster praktisch ungefiltert dringende Suada scheint stets aus Beschimpfungen, Schmähreden und Wutausbrüchen zu bestehen und wird explosiv hervorgestoßen mit dem souveränen Selbstvertrauen desjenigen, der sich klar im Recht wähnt. Vielleicht ist das aber auch der ganz normale Tonfall, in dem er gewöhnlich zum Geburtstag gratuliert oder Bankverbindungen durchgibt.
Wie auch immer: Ganz St. Pauli erfährt davon, morgens um 5. Sonst ist das aber eine sehr ruhige Familie.
Die heute erwähnten Mitbürger habe ich (natürlich) nicht fotografiert. Dafür aber eine renovierungsbedürftige Fassade in der Beckers Passage. Ein paar Häuser weiter werde ich gleich Andreas abholen, um mit ihm im El Dorado noch einen zu heben. Cheerio.
Große Musik, die heute durch den iPod floss: „Lust for life“ von Iggy Pop, „Outsiders“ von Franz Ferdinand und „Helden/Heroes“ von Six By Seven.
Also ich habe bei diesen Dezibelräubern zwei verschiedene Ursachen ausmachen können:
AntwortenLöschen1. Gedankenlosigkeit gepaart mit Promille.
Ich musste mal nachts um halb drei meinen Nachbarn bitten, auf der Terrasse nicht mit Freisprecheinrichtung zu telefonieren - hicks. Gleiches im Urlaub in der Pension beim hauseigenen Azubi nachts um halb eins vor meinem Fenster erlebt - Gäste, was sind Gäste?
2. Es gibt einseitig Hörgeschädigte. Weil sie mit dem "guten" Ohr telefonieren und dieses dadurch verdecken, hören sie ihre Stimme nicht mehr so laut und fangen dann an, lauter zu reden, vergleichbar mit dem Reden unterm Kopfhörer.
Aber eigentlich hat doch ein öffentlich geführtes Privatgespräch auch seinen Reiz, je privater, desto besser *spann*.
Grundsätzlich stimmt das. Aber dann sollten sie bitte nicht auf Swahili brüllen.
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