Die Bäume in Hamburg fragen sich zunehmend verständnisloser, wann denn endlich der Befehl zum Blättervergilben und -abwerfen kommt. Wahrscheinlich auch das abgebildete Exemplar an der Schulterblatt-Piazza, wo heute das Leben tobt wie zu besten Sommerzeiten.
Vor der portugiesischen Pastelaria Transmontana stehe ich wohlig 20 Minuten draußen in der Schlange, von oben die wärmste Oktobersonnendusche seit der letzten Eiszeit, von vorn ein Duftmix aus Natas, Galão und Toast und aus allen anderen Richtungen das gedämpfte Glücksgemurmel der sommerlich gekleideten Schanzenviertelmenschen, die heute nicht an gestern und morgen denken, sondern nur ans selige Hier und Jetzt.
Hamburger verwandeln sich augenblicklich von eingemummelten Raupen in juchzende Schmetterlinge, sobald die Sonne sagt: Hier bin ich! Wenn im Februar die ersten zagen Frühlingsahnungen aufkommen, stürmt der Hamburger dick verpackt ins Freie und wirft sich empört den Merinoschal über die Schulter, wenn seine Stammkneipe noch keine Tische rausgestellt hat. Die Chance ist aber klein, denn die Kneipiers sind ja selber Hamburger.
Und wer ein Cabrio hat, schlüpft beim ersten bleichen Spätwintersonnenstrählchen in Lammwollmantel und Thermohandschuhe und erkärt die Saison feierlich für eröffnet, natürlich mit versenktem Dach.
Jeder Hanseat ist tief im Herzen glühend mediterran, und er lebt das - der geografischen Lage zum Trotz - so oft und so lange aus wie irgend möglich. Heute ist es komplett ausgeschlossen, da nicht mitzutun. Ich reaktiviere also die Sonnenbrille und lese auf dem Balkon Zeitung, umwogt vom Soundtrack St. Paulis: von schräg gegenüber das Dauergebrumm der Klimaanlage des Spielsalons, aus südlicher Ferne das vereinzelte gutturale Sehnsuchtströten eines Kreuzfahrtschiffs, von der Reeperbahn her das urbane Grundrauschen des Individualverkehrs, vom Himmel das Wasserflugzeug und von irgendwoher die Hibbeligkeit einer Polizeisirene.
Und jetzt: der verdammte Mopedterrorist von gegenüber, der immer minutenlang öttelnd vorm automatischen Garagentor steht, bis es endlichendlich aufgegangen ist. Eine Kakophonie, klar. Doch sie klingt nach zu Hause.
Große Musik, die heute durch den iPod floss: „Lately“ von Vashti Bunyan, „Hope there's someone“ von Antony & The Johnsons und „Lelah Mae“ von Jeb Loy Nichols.
Zur Ergänzung dieses Beitrags kann ich dir und deinen Lesern diese Seite empfehlen: http://www.hamburger-riviera.de/
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