31 Dezember 2024

Der 18. offene Brief zu Silvester

Meine Damen und Herren und Diverse! Unzählige Male habe ich sie eindringlich und jährlich barmender davor gewarnt, ja, irgendwann sogar einmal kontraindikativ hinterfotzig dazu ermuntert, doch der Effekt war immer der gleiche:

Es gelang mir nie, nie, nie, Ihre Silvesteraktivitäten derart einzuhegen, dass die Verluste in Ihren Reihen signifikant gesunken wären, geschweige denn gen null. Seit 2006 frustriert mich das zuverlässig Jahr für Jahr.

Was also soll ich noch tun, jetzt, anlässlich meines achtzehnten Appells an die Restvernunft in Ihrem Resthirn? (Im Lauf der Jahrzehnte hatte ich mich übrigens angesichts der puren Fülle meiner offenen Silvesterbriefe bei deren Nummerierung vertan, sodass die Anzahl nun nach unten korrigiert werden musste. Sorry.)

Soll ich überhaupt noch etwas tun, oder ist wirklich alles eitel? Alles Schall und Rauch?

Letzteres muss wahrscheinlich spätestens um Mitternacht vehement bejaht werden. Sie – ja: genau Sie! – werden justament um diese Uhrzeit dermaßen viel Geballer und Geböller in die eh schon inversionswetterlagengeplagte Luft ejakulieren, dass dabei, wie Fachleute prognostizieren, auf einen Schlag ein Hundertstel der gesamten deutschen Jahresfeinstaubproduktion entsteht. Was anschließend von Ihnen wieder rückstandslos weggeatmet werden muss.

Leider auch von mir, und das fange ich allmählich an Ihnen übel zu nehmen. Wenn Sie es wirklich unabhängig von Besserwissern wie mir weiterhin für höchst geboten halten, sich Ihre besten Teile terminiert wegzusprengen, dann sollten Sie mit den feinstofflichen Überresten wenigstens niemand anderen behelligen.

Zu diesem Behufe wäre es deshalb wichtig, dass Sie es vermieden, Ihre Selbstverstümmelungen im öffentlichen Raum vorzunehmen. Benutzen Sie dazu bitte Ihr Wohn- oder Schlafzimmer, auch Dachboden oder Keller sind vorzüglich geeignet, sofern alle Schotten dicht sind und nichts von Ihrem Gebrösel und Gekrümel ins Freie entfleuchen kann.

Können wir uns wenigstens darauf einigen? Als Minimalkonsens?


Update 01.01.2025: Vielleicht sollte ich einfach aufgeben.


Update 03.01.2025: Weil die Leute seit achtzehn Jahren meine Silvesterappelle ignorieren?






Update 06.01.2025: Petition für ein Böllerverbot.


Foto: Gruppe anschlaege.de


 

25 Dezember 2024

Die gemütlichsten Ecken Deutschlands (211)


Ziegen, die auf Menschen starren: 
entdeckt im Wildpark Donsbach, Lahn-Dill-Kreis.


22 Dezember 2024

Mein Rotz wird recycelt

Natürlich kann man den reichhaltigen personellen Besatz des Kiez’ als „merkwürdig“ beschönigen, doch wahrscheinlich rührt die Verhaltensauffälligkeit nicht weniger Menschen auf St. Pauli von ernsthaften psychischen Störungen her. Und das ist durchaus weniger unterhaltsam als schlichte Exzentrik.

Nehmen wir den jungen Mann heute Morgen am U-Bahnhof St. Pauli. Er trat an einen offenen Mülltütenhalter, in dem ich soeben ein frisch beschnäuztes Papiertaschentuch entsorgt hatte. Die eingehängte Tüte war vor kurzer Zeit erneuert worden, denn es war sonst nichts darin, nur mein Taschentuch. Nun betrat der junge Mann die Szene. Er war gänzlich in Schwarz gekleidet und trug einen Hoodie mit der nicht leicht zu widerlegenden Botschaft „Die Reeperbahn besteht zu 3/4 aus Alkohol“ auf dem Rücken.

Er stellte sich vor den Mülleimer und stierte hinein, als wollte er meditieren. Nach einer Weile ergriff er mein frisch beschnäuztes Papiertaschentuch, hielt es sich unter die Nase und schnupperte ausgiebig daran. Unsere Verwunderung evolvierte rasch. Nach der anscheinend positiv ausgefallenen Geruchsprobe nahm er das Taschentuch, um damit ausgiebig über den metallenen oberen Rand des Mülltütenhalters zu wischen.

Damit fuhr er ungefähr eine Minute lang fort, ehe offenbar sein Bedürfnis nach einem sauberen Mülltütenhalterrand gestillt war. Ob dies mit einem von mir kontaminierten Papiertaschentuch überhaupt zu bewerkstelligen war, wagte ich zu bezweifeln, jedoch nur innerlich, denn das schien mir kein Thema, das ich mit einem ganz in Schwarz gekleideten Mann mit einem „Die Reeperbahn besteht zu 3/4 aus Alkohol“-Hoodie, der an fremden Papiertaschentüchern schnüffelte, ausgiebig diskutieren sollte.

Als die U-Bahn kam, stieg er in denselben Wagen wie wir. Den Weg zum Bahnhof nutzte er dann vor allem, um sich mit beiden Händen, die eben noch mit einem vollgeschnäuzten Papiertaschentuch einen Mülltütenhalterrand gewienert hatten, vielfach durchs Haar und übers Gesicht zu streichen.

Also: bloße Exzentrik oder Ausdruck ernsthafter psychischer Probleme? 

Händeschütteln als sozialer Akt verliert jedenfalls für mich weiter an Liebreiz.