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31 August 2006
Versteh einer die Frauen
Zum anderen wüsste ich – und alle interessierten Frauen sicherlich auch – sehr gerne, wo ich mich am 17. September nachmittags ab 15 Uhr denn einfinden muss, um überzeugende Argumente für diese verblüffend neue Erkenntnis präsentiert zu bekommen. Doch der Ort, er liegt im Dunkeln.
Die wichtigsten Fragen bleiben somit am Ende allesamt offen: Was soll dieser Zettel? Wer hat ihn aufgehängt? Und warum in einer Klarsichtfolie? Was kann die Rose dafür?
Hilfreiche Hinweise bitte via Kommentarfunktion.
Die Bettelblickattacke
Ich spüre seinen Hundeblick deutlich auf der linken Wange, es ist ein Bettelblick. Weil der Franke und ich es uns schon schmecken lassen, Frauchen und Herrchen aber noch aufs Essen warten, hat Waldi sich mit großer Konsequenz von ihnen ab- und uns zugewandt. Jetzt mustert er uns durch seine Zottelhaare mit treuherziger Traurigkeit. Sein Blick ist starr, er blinzelt nie. Können Hunde überhaupt blinzeln, oder befeuchten sie ihre Augen irgendwie anders? Immer dieses Viertelwissen.
Ich grinse ihn mit gespieltem Bedauern, in Wahrheit aber erschreckend herzlos an und nehme einen weiteren Bissen von der gebratenen Putenunterkeule, die ich auf der Gabel geschickt mit einem Stückchen Salzkartoffel und gedünstetem Walzenkürbis kombiniere. Zottels Blick scheint sich leicht ins Anklagende zu verschieben, wie ich aus dem Augenwinkel zu erkennen glaube.
„Man müssde“, mümmelt der Franke zwischen zwei Bissen seines blutigen Rindersteaks, welches im Begleitschutz einer quarkgefüllten Ofenkartoffel und eines unverschämt üppigen Salates unterwegs ist, „man müssde ihn auslachen, bevor man sich dann die letzde Gabel reinschiebd!“ Ein Vorschlag, der auf die in jedem von uns glosende dunkle Seite anspielt; insofern ein guter Vorschlag. Wir müssen zu dem stehen, was und wie wir sind.
Inzwischen ist auch der Nachbartisch bedient worden, Waldi wird mit kleinen Leckerlis versorgt. Nur noch ab und zu schaut er kurz zu uns rüber, und mir wäre es allmählich lieber, unsere dunklen Seiten verzögen sich recht zügig wieder ins Off.
Der Nachhall der Putenunterkeulenbratensoße überdeckt jedoch schon bald diesen trüben Gedanken, und der Rest des Tages verläuft ohne weitere Appelle an unser ethisches Empfinden.
(Bild: Maria Maehler)
Die bisherigen Teile der Frankensaga
19. Der Kulturstoffel 18. Fußball auf Fränkisch! 17. Auhuuu! 16. Die Bettelblickattacke 15. Der Franke bleibt störrisch 14. Der unvollendete Panini-Coup 13. Duck dich, Sylt! 12. Auf Partypatrouille 11. Laggs auf vier Uhr 10. Der Franke ist überall 9. Die Greeb-Pfanne 8. Erste gegen dritte Liga 7. Die verspätete Riesenkartoffel 6. Der historische Tag 5. Der Alditag 4. Der Faschingskrapfen 3. Der Klozechpreller 2. Der Dude 1. Das Alte Land
29 August 2006
Lemmy und die Häkeldamen
Gerade ist die neue Motörhead-Platte erschienen, und Zeitschriften, die schlau sind, haben ein Interview mit Bandboss Lemmy Kilmister (Foto) drin. Denn er ist für den wilden Rock das, was Michael Schumacher für die Formel 1 ist: eine lebende und sehr lebendige Legende. Auch ich habe Lemmy mal vorm Mikro gehabt. Das ist schon eine Weile her; der Text wurde damals in kulturnews gedruckt. Als Hommage an den größten Rocker der Welt wärme ich das alte hier noch mal auf.
Lemmy beäugt die kulturnews mit einer gewissen Skepsis. „Kultur?”, krächzt er, „if I hear kultur, I pull my gun.“ Trotz des imposanten Patronengürtels, der einen Teil seines überlappenden Bauchs stabilisiert, fühle ich den Drang, Lemmys Meinung zu korrigieren.
„Ähm, Lemmy“, sage ich vorsichtig, „du bist doch ein Teil davon … irgendwie.“
Lemmy wirft zwei Eiswürfel in seinen Jack Daniel’s, den er in einem für die Brause ungünstigen Verhältnis mit Cola verdünnt hat, und zieht an der Kippe. „Yeah“, sagt er, „irgendwie.“
Nach über einem Vierteljahrhundert Metalshouting für Hawkwind und Motörhead ist seine Stimme zu etwas geschrumpft, das klingt, als rutschte ein Schlitten über Sandpapier – der Preis des Ruhms. Würde man den Lemmy von heute nachmittag schockfrosten und in einem Hard Rock Café aufstellen, empörten sich die Gäste gewiss über die geballte Ladung Metalklischees, mit der das Denkmal ausstaffiert ist: aufgeknöpftes schwarzes Hemd mit hochgerollten Ärmeln, Kette mit eisernem Kreuz um den Hals, Tattoos an den Armen („Born to lose / Live to win“), pferdeaugengroße Totenkopfringe an den Pranken, eine zu enge Hose mit Schlag und dazu weiße Spitzstiefeletten, die dringend geputzt werden müssten. Und immer, wenn die Lemmy-Statue weibliche Cafégäste erblickte, würde sie „silly cow“ röcheln. So nennt er jedenfalls (wenn sie grad nicht da ist) die Blonde von der Plattenfirma, die dafür sorgt, dass ihm Whiskey, Eis und Cola nicht ausgehen – in dieser Reihenfolge.
Ich meine: Lemmy ist wirklich böse. Er hat kirschtomatengroße Warzen im Bartgesicht! Und Zottelhaare mit eisgrauen Strähnen drin. Damals, 1975, war es seine Idee, Motörhead mit „ö” zu schreiben. Das sah irgendwie deutsch aus, und die Deutschen, Mann, sind für einen Engländer echt „mean”.
Wir vereinbaren ein Stichwortinterview, das schont seine Kehle. Let's go, starten wir mit der Anatomie.
Seine arme Stimme … ? „Hat sich zur Ruhe gesetzt.“
Der Zustand seiner Ohren? „Ich hab genau verstanden, dass du mich das gefragt hast.“
Exduopartnerin Samantha Fox (… the breast and the beast, haha): „Geschichte.“
Britisches Rindfleisch? „Geschichte.“
Drogen? „Naturgeschichte.“
Techno? „Bald Geschichte.“
Lemmy trinkt schnell, er raucht schnell, aber er denkt auch schnell.
Tanzen? „Ich tanze nicht. Except for the totentanz, hehehe.“
Drei Dinge, die er am meisten hasst? „Politiker, organisierte Religion und – hmm – Intoleranz.“
Gott? „Welchen? Gibt's einen? Ich glaube daran, dass wir unsere eigenen Entscheidungen treffen müssen. Es gibt keinen Ausweg namens Gott.“
Alt zu sein? „Unvermeidlich.“
Lemmy wirft Eis nach und füllt mit Whiskey auf. Es ist 16 Uhr 11 an einem Dienstag. Wir sind in einem Hotel an der Kieler Straße, das bevölkert ist von ältlichen Frauen. Der Häkelclub Hodenhagen in der Großstadt. Und in einem der Zimmer, davon wissen die Damen nichts, sitzt Lemmy Kilmister. Der Melody Maker hält ihn für „radikal, roh, barbarisch und verrückt”. Was davon stimmt heute nicht mehr? „Nichts“, seufzt Lemmy, „alles stimmt.“
Danke, das war's, sage ich. „Das war leicht“, sagt Lemmy. Sein Händedruck ist sehr fest, ich fühle den Totenkopfring. Im Foyer wuseln aufgeregte Häkeldamen herum. Wahrscheinlich wollen sie heute Abend ins „Phantom der Oper“.
Ex cathedra: Die Top 3 der Songs von Motörhead
1. „God was never on your side“
2. „Eat the rich“
3. „Stand“
28 August 2006
Vom Verschwinden des Walzenkürbis'
Das sechsteilige Set ist in etwa einer Stunde angelegt. Es gibt diverse Ausführungen; eine davon beschönigt einen Deutschen Schäferhund zum Golden Retriever. Und das Beste: „It also works on Rottweilers!“
Ähnliches widerfährt seit einigen Jahren auch der deutschen Sprache. Wie wir alle wissen, musste ein altgedienter Weißwein namens Grauburgunder erst zum Pinot Grigio gehypt werden, ehe sich auch die Toskanafraktion wieder rantraute.
Ein vergleichbares Schicksal erlitt zuletzt die arme, alte Rauke. Wer kauft schon so was bäuerisch rumpeliges, grobianisch ungebildetes, geradezu pisaeskes wie „Rauke“? Nur Landeier. Den Städtern jubelt man deshalb die Rauke seit einiger Zeit als Rucola unter – prompt kaufen die jubelnden Massen das Gartengold hoch in die Top-Ten der Gemüsetrendcharts.
Manch italophones Ersatzwort hat im Lauf der Jahre seine mediterranen Ellenbogen derart brutal eingesetzt, dass der Ursprungsbegriff ganz und gar untergebuttert wurde – und inzwischen sogar humanitäre Hilfe aus dem Ausland benötigt. Das eifrig Deutsch lernende ukrainische Aupairmädchen von Doktor K. aus Berlin kam gestern zu ihm und artikulierte einen besonderen kulinarischen Wunsch: Sehr gerne, sagte sie, würde sie einmal einen Walzenkürbis verzehren.
„Walzenkürbis?“, staunte Doktor K. „Nie gehört.“ Ich übrigens auch nicht. Die Ukrainerin schon. Es steht in ihrem Wörterbuch – und heißt auf Neudeutsch „Zucchini“ … Bestätigen kann ich das übrigens nicht. Der Duden weiß nix mehr davon, und im ganzen weiten Web gibt es nur noch eine einzige Fundstelle: auf einer Seite, die über die Ukraine informiert. Der Walzenkürbis, er ist gleichsam verschwunden.
Das sollte übrigens auch der Dobermann bedenken, bevor er sich in ein Pudelkostüm stecken lässt. Er hätte die Mittel, sich dagegen zu verwahren.
27 August 2006
Der Messermann
Gestern allerdings stieg sogar ich freiwillig vom Rad. Als ich nämlich die Ampel an der Holstenstraße erreichte und mich mit ausgestrecktem Arm genüsslich abstützte, begann ein neben mir stehender Radler Aufkleber von einem am Pfosten befestigten Mülleimer zu kratzen – mit einem stehenden Messer.
Da dies in unmittelbarer Nähe meiner Pulsadern geschah, zog ich das kleine lästige Unglück dem Verbluten vor. Der Mann, ein hagerer, dunkelhaariger Enddreißiger, war mit ärgerlichem Eifer bei der Sache, und ich rückte ein wenig ab von ihm und seinem seltsamen Gebaren.
Als die Ampel grün wurde, fuhr ich alleine los. Ich schaute mich um und sah, wie er sich inzwischen am Ampelmast der abzweigenden Straße zu schaffen machte, obwohl er „unseren“ Mülleimer noch gar nicht endbearbeitet hatte. Drüben jedenfalls schabte er mit seinem Messer erneut an einem Aufkleber herum, schien aber dann auf die Grünphase zu warten, um alsbald den beklebten Flächen auf der anderen Straßenseite seine flatterhafte Aufmerksamkeit widmen zu können.
Die durchscheinende Wut, mit der er jeweils das Messer führte, schien mir psychopathisch kontaminiert – zumal dem Ganzen etwas deprimierend Sinnloses innewohnte: Es gibt Millionen von Aufklebern auf jeder freien Fläche St. Paulis, und jeden Tag werden neue irgendwohin gepappt. Du kannst nicht gewinnen.
Irgendwann, so vermute ich, wird auch er das Sysyphoshafte seines Tuns begreifen, wird die Beklebung der kiezianischen Mülleimer und Ampelpfähle als irreparabel erkennen und die Welt somit als unrettbar.
Welchen sinnvolleren Einsatz seines Messers er sich dann überlegt, möchte ich mir lieber nicht ausmalen.
Der abgebildete Pfahl steht übrigens an einem Bahngleis in Lüneburg. Vielleicht wäre der Messermann dort glücklicher.
Ex cathedra: Die Top 3 der Songs über Stichwaffen
1. „Mackie Messer“ von Kurt Weill & Bertolt Brecht
2. „Sword of Damocles" von Lou Reed
3. „Throw down the sword" von Wishbone Ash
Gesichtszwillinge (11)
Ich tippte vage auf eine Figur aus „Star Wars“, eine SciFi-Filmserie, die ich ungefähr so gut kenne wie die Dark Rooms auf St. Pauli. Na gut: ein bisschen besser schon, denn ich habe zumindest den ersten Teil gesehen, dessen trashiger Charme mich allerdings derart kalt ließ, dass ich mir alle weiteren Folgen sparte. Lichtschwerter – also wirklich!
Doch siehe da, meine „Star Wars“-Vermutung stimmt zufällig sogar, wie mir der nicht nur kinematografisch weitgereiste Alexander erläuterte. Er weiß sogar noch mehr: „Das furchtbare Wesen“, schreibt er, „heißt Jar Jar Binks. Es ist eine der größten Peinlichkeiten, die die Filmgeschichte je hervorgebracht hat. Mit JJ hat George Lucas seine großen Fans so richtig vergrault.“
Zumindest in der Hinsicht hat Hackfresse Binks rein gar nichts mit dem großen Fußballer Ronaldinho gemeinsam. Sonst aber schon einiges – sonst zöge das Foto nicht schon eine ganze Weile durch die Blogs.
Weitere Gesichtszwillinge:
- Franz Beckenbauer und Erich Honecker
- Angela Merkel und Peter Ustinov
- Anthony Hopkins und Köbi Kuhn
- Udo Lattek und Sven-Göran Eriksson
- Gene Hackman und Luiz Filipe Scolari
- Corny Littmann und Homer Simpson
- Kofi Annan und Morgan Freeman
- Chris Stills und Jens Lehmann
- Robert Mitchum und Jean Reno
- Neil Young und Tony Joe White
Ex cathedra: Die Top 3 der besten SciFi-Songs
1. „Space oddity" von David Bowie
2. „In the year 2525" von Zager & Evans
3. „Flash" von Queen
26 August 2006
Wahn und Wirklichkeit
John Fowles’ meisterlicher Psychothriller „Der Sammler“ von 1963 (Originaltitel: „The Collector“) weist verblüffende Parallelen zu diesem beispiellosen Verbrechen auf. Auch im Roman bereitet der Täter akribisch die Entführung vor, baut seinen Keller zum schalldichten Gefängnis um und geht schließlich mit einem Lieferwagen auf die Pirsch, um eine junge Frau einzufangen wie einen seltenen Schmetterling.
Das Buch wurde 1965 von William Wyler verfilmt, mit Terence Stamp und Samantha Eggar in den Hauptrollen. Im deutschen Kino startete der Film unter dem Titel „Der Fänger“ Anfang 1966, er wurde auf VHS und DVD vertrieben und ist bis heute regelmäßig im Fernsehen zu sehen.
Könnte der Psychopath Wolfgang P. etwa Fowles’ Roman oder den Film als eine Art Handlungsanleitung für seine kranke Fantasie benutzt haben?
Man kann natürlich nicht aufhören, Literatur zu schreiben oder Kunst zu schaffen, nur weil sich davon jemand zu einem Verbrechen inspiriert fühlen könnte – aber es ist dennoch eine beklemmende Vorstellung, dass vielleicht ein Roman wie „The Collector“ die Blaupause geliefert haben könnte für die acht Jahre währende Tortur eines kleinen Mädchens, das seine Kindheit in einem schalldichten Keller verbringen musste, das alle Qual alleine und haltlos zu ertragen hatte, das seine erste Monatsblutung dort beistandslos erlebte und erlitt, das pubertierte und heranwuchs und immer nur einen einzigen Menschen sah und sprach: seinen Peiniger.
Ich würde mir gern einmal die Bibliothek und die Filmsammlung von Wolfgang P. ansehen.
25 August 2006
Das Bein von Sibylle
Frau Berg ist eine Schweizer Schriftstellerin, der seit Jahren meine Bewunderung gilt, seit ich mal eine Lesung von ihr besuchte. Ich erlebte sie im damaligen Mojo Club (einst zu finden unter der gloriosen Adresse Reeperbahn 1), wobei mich nicht nur das, was sie las, zur Bewunderung hinriss, sondern auch die Art, wie sie saß.
Frau Berg nämlich ruhte, während sie sprach und rauchte, die ganze Zeit auf ihrem rechten untergeschobenen Bein. Selbiges hatte sie mit gymnastischer Gelenkigkeit, die man ihrem ranken, schmalen, wenn nicht gar hageren Körper auch durchaus zugetraut hatte, rechtwinklig abgeknickt unter ihren linken Oberschenkel geschoben.
Dies ist ebenso bequem wie orthopädisch bedenklich. Doch wenn ich das tue – und ich tue das gern, zum Beispiel in dieser Sekunde, denn es stabilisiert irgendwie die Sitzhaltung –, dann halte ich es nur kurze Zeit durch. Nach wenigen Minuten bereits beginnt ein Kribbeln im Unterschenkel, schiebt sich schleichend hoch zum Knie, und schon ist mir beinah unbemerkt das halbe Bein weggedrusselt.
Dann fluche ich, stelle das Bein zum Auftauen ab, schiebe nunmehr das andere zwecks Sitzstabilisierung unter den Oberschenkel mit dem tauben Ding untendran, und nach wenigen Minuten wiederholt sich das Beinchenwechseldich. So geht das bisweilen einen ganzen Abend lang.
Frau Berg hingegen sitzt die ganze Lesung lang stoisch auf ihrem rechten Bein, ohne dass sie es je herausziehen muss – und ohne dass es ihr danach einfach abfällt. Dafür bewundere ich Frau Berg sehr.
Heute, in ihrem Newsletter, informiert sie mich über ihr Musical „Wünsch dir was“, das am 29. September in Zürich Premiere hat. Sie zitiert sogar einen Song daraus, und der geht so:
Du hast doch immer so geträumt,
von etwas, das viel größer ist,
und hast dann morgens schon geweint
über all den tristen Mist.
Der Stapel Rechnungen im Müll,
in der Nacht lagst du starr still.
Nie würdest du den Oscar kriegen,
nie einmal um die Welt rumfliegen,
du gehst zur Arbeit früh um acht,
hast du das früher mal gedacht,
als du von Lady Di geträumt,
die deine Sachen dir nachräumt.
Was ist das schon, das kleine Leben,
ein Haufen Stunden voller Müll,
du drehst dich um und greifst den Menschen,
der aus Versehen bei dir ist,
du kraulst den Bauch und weißt dann eben,
dass du doch sehr glücklich bist.
Erst Mist und Müll, und am Ende wartet das kleine Glück: So kenne ich Frau Berg gar nicht, sondern eher umgekehrt.
„ansonsten“, schreibt sie abschließend, „wünsche ich euch ein ereignisreiches wochenende und grosse möpse, eure langgesichtige frau berg“. Das hat sie bestimmt alles getippt, während sie auf ihrem rechten Bein saß, welches garantiert kein bisschen einschlief.
Ich bewundere Frau Berg.
PS: Vor allem für den hochgeschätzten schwäbischen Blogdichter Poodle dürfte übrigens die Tatsache von höchstem Interesse sein, dass in Frau Bergs Stück ein böser Pudel namens Ralf sein Unwesen treibt.
Foto: Katja Hoffmann
23 August 2006
Im Gefühl
Guter Plan
Auf dem Rückweg wieder rein zu Penny, „Ritter Sport Voll-Nuss“ aus der Kühltruhe geholt, damit zur Kasse gegangen, bezahlt. Kein Kaufhausdetektiv zu sehen.
Im Büro die Tafel geöffnet, aber als noch nicht kalt genug empfunden. Des Franken Bemerkung „Das müssen wir professionalisieren!“ als konstruktiv eingestuft.
Nun entschlossen, das nächste Mal schlauerweise schon zu Beginn der Mittagspause eine „Ritter Sport Voll-Nuss“ bei Penny in der Pizzakühltruhe zu verstecken, um auf dem Rückweg eine optimal gekühlte Tafel mitnehmen und im Büro behaglich verzehren zu können.
Guter Plan, das.
Ex cathedra: Die Top 3 der Songs über Süßigkeiten
1. „Sweets for my sweet" von The Searchers
2. „Sugar sugar baby" von Peter Kraus
3. alles von Hot Chocolate
21 August 2006
Ich will nicht dumm sterben!
Seit 23 Uhr stürmen hunderte von Leuten meinen Blogbeitrag „Fundstücke des Tages“ vom 17. Februar. Alle kommen über Google, wo sie nach „rache an der ex“ und diversen Abwandlungen davon gesucht haben.
Wieso aber verhalten sich derart viele Menschen urplötzlich wie eine kreischende Masse tausender Teenies, der man einen nackt an den Marterpfahl gefesselten Bill Kaulitz zur beliebigen Verwendung vorgeworfen hat?
Warum tut ihr das? Seid ihr etwa auf der Suche nach dieser Thailänderin, die sich an ihrem Ex-Mann rächte, indem sie ihn erschlagen ließ und anschließend grillte?
Bitte, wer immer hier landet: Sagt es mir! Ich will nicht dumm sterben. Und dann geht weiter, hier gibt es nichts zu sehen.
PS: Der Mensch übrigens ist ein fremdes und seltsames Wesen. Und er macht mir im Großen und Ganzen immer mehr Angst.
PPS: Bill Kaulitz ist in Wahrheit ein Mädchen. So, jetzt wisst ihr's. (Foto: bill-kaulitz.net)
20 August 2006
Kant und die Folgen
Nun, zunächst einmal raffte es sämtliche Fastfoodketten dahin. Ich esse keine Hamburger, und wenn das nun mal keiner täte, könnten Burger King und McDonald's einpacken, aber in nullkommanichts. Blöd für die Gesamtsituation wäre natürlich das durch meine Autoabstinenz verursachte Zusammenbrechen des Individualverkehrs. Aber vielleicht könnte die Branche das kompensieren – durch den Mehrbedarf an Bussen und Taxen.
Was ebenfalls augenblicks Geschichte wäre: alle Branchen, die an der Herstellung von Limonaden mittun. Ob Coca oder Pepsi, Fanta oder Ahoj-Brause mit Himbeergeschmack: pleite, allesamt. Den kompletten Kollaps gewärtigen müssten auch Schmuck- und Tabakbranche, das Bezahlfernsehen und natürlich Microsoft.
Jetzt zur Sonnenseite dieser Überlegungen. Geradezu explodieren durch mein verallgemeinertes Konsumverhalten würde der Markt für Zwischenraumzahnbürsten, und auch dem deutschen Winzertum stünden die glorreichsten Zeiten seiner Geschichte bevor; es müsste allerdings seine Anbauflächen komplett auf Riesling umstellen.
Restaurants fast jeder Couleur (außer den griechischen und „jugoslawischen” natürlich) wären auf beängstigende Weise überlaufen, und in Frankreich bräche wegen der ungeheuren Mengen auszuliefernder Rohmilchkäsemengen ein unsagbarer Jubel aus, wohingegen die weltweite Atombombenproduktion sofort dichtmachen könnte, denn dafür ist hier in der Seilerstraße noch nie der kleinste Bedarf angefallen.
Und für den dank Kant aufkommenden Megabedarf an hocharomatischen Ökostrauchtomaten müsste man leider sämtliche Anbauflächen für Hanf, Tee und Runkelrüben heranziehen – sie würden ja nicht mehr gebraucht, und irgendwoher müssen die Billionen Tomaten ja kommen, nicht wahr?
Das alles geschähe, wenn sich die Menschheit unisono einigen meiner wichtigsten Konsumgewohnheiten anschlösse. Die Welt wäre eine andere. Aber ganz sympathisch, wie ich finde.
Eigentlich könnte man aus diesem Beitrag fast wieder mal ein Stöckchen … okay, okay, ich hab nichts gesagt.
Schweinchen gehabt
„Wie?“, ruft Ms. Columbo perplex ihrem Monitor zu, „keine einzige Mail? NICHT MAL SPAM?“
Ja, das ist schlimm. Im Rahmen eines spontanen Tröstungsversuchs führe ich einfühlsam aus, dass eine Nachricht der Nigeria-Connection ihre Lage auch nicht entscheidend verbessert hätte. Sie sieht das ein und schwenkt um auf einen gesunden Fatalismus: „Dann hat die Welt mich halt einfach mal vergessen.“
Abends läuft auf 3Sat eine Sendung über Tiertelepathen. In Worten: TIERTELEPATHEN. Das sind Leute, die Herrchen und Frauchen beibringen, die Gedanken ihrer Lieblinge zu verstehen. (Diese Gedanken werden übrigens immer in klar verständlichem Deutsch formuliert, was eine sehr gute Einrichtung ist.)
Unter anderem sehen wir die weinende Besitzerin eines Meerschweinchens. Sie ist zutiefst erschüttert, weil der Nager sich telepathisch über Frauchens mangelnde Selbstkritik beklagt hat.
Das sind Schicksale! Da kommt einem ein Tag ohne Spam doch gleich viel weniger deprimierend vor.
Ex cathedra: Die Top 3 der Songs über Tiere
1. „Me and you and a dog named Boo" von Lobo
2. „Human guinea pig" von Suicidal Tendencies
3. „Lone wolf" von Jerry Jeff Walker
(Foto: petwebsite.com)
18 August 2006
Gesichtszwillinge (10)
Whites neues Album kommt übrigens am 8. September in den Handel – und ist ein Meisterstück.
Weitere Gesichtszwillinge:
- Franz Beckenbauer und Erich Honecker
- Angela Merkel und Peter Ustinov
- Anthony Hopkins und Köbi Kuhn
- Udo Lattek und Sven-Göran Eriksson
- Gene Hackman und Luiz Filipe Scolari
- Corny Littmann und Homer Simpson
- Kofi Annan und Morgan Freeman
- Chris Stills und Jens Lehmann
- Robert Mitchum und Jean Reno
Ex cathedra: Die Top 3 der besten Songs von Young und White
1. „Thrasher" von Neil Young
2. „Rainy night in Georgia (2006)" von Tony Joe White
3. „Like a hurricane" von Neil Young
Ein Scanner macht Witze
Unverzüglich bricht Heiterkeit aus in allen Schlangen. Ich empfehle der Wandschrankkundin kichernd, auf Zahlung zu bestehen und rasch zu entschwinden. Kundin und Kassiererin nehmen es als Scherz. Da ist mir ein echter Schenkelklopfer gelungen. Beider Wangen röten sich vor Glucksigkeit.
Der Franke, herkunftstypisch praktisch veranlagt, macht auf eventuelle Probleme bei einem späteren Umtausch aufmerksam. Auch das ist witzig. Ein Chef hastet herbei und reguliert die Situation, zuungunsten der Wandschrankkundin und des halben Pfunds virtueller Tomaten. Alles lacht und freut sich.
Was sich während der WM schon andeutete, wird bei Penny in der Bahrenfelder Straße neu und eindrucksvoll bestätigt: Wir haben doch Humor! Zum Glück sind sogar ein paar langgewandete Kopftuchmatronen anwesend, die das hoffentlich deutlichst mitkriegen.
Tomaten sind übrigens genau genommen kein Gemüse, sondern Obst. Weil sie nämlich – Klugscheißermodus an – die essbare Frucht einer Pflanze sind, und so ist Obst definiert.
Das weiß ich aus der FAS vom letztem Sonntag, aber der Artikel ist online kostenpflichtig. Tja.
Ex cathedra: Die Top 3 der Songs über Obst im weitesten Sinne
1. „Strange fruit" von Billie Holiday
2. „Under the cherry moon" von Prince
3. „Peach pickin' time in Georgia“ von Jimmie Rodgers
16 August 2006
Eine wilde, wütende, ganz & gar ungerechte Schimpfkanonade
Unter Kulturkritikern gibt es eine gar nicht kleine Fraktion Verbohrter, deren geschmackspolizeiliches Gehabe zutiefst reaktionär ist. Diesen Leuten sind ihre zementierten Vorurteile heiliger als jede Kunst, und deshalb könnte ein von ihnen einmal als verachtenswert eingestufter Künstler auch mit einem überraschenden Meisterwerk nie mehr reüssieren.
Wer einmal als irrelevant abgehakt wurde, hat es bei den Geschmackskapos auf ewig verschissen. Und manchmal reicht ihnen als Grund fürs Todesurteil schon das Geburtsdatum im Pass – als wenn das biologische Alter automatisch große Kunst verhindern würde. Das tut es manchmal wirklich, aber halt nicht immer. Doch den Vernagelten entgeht die späte Spitzenleistung auf jeden Fall.
Manchmal lassen sie eine Ausnahme zu – wie im Fall Johnny Cash –, aber nicht, weil sie selbst den Künstler wiederentdeckt hätten. Nein, weil junge Fans, deren Hirn noch nicht vollvernagelt war, überraschenderweise angerührt wurden von der zeitlosen Kunst eines großen Alten, die ihnen vermittelt wurde von einem Produzenten, der bisher nur die Jugendkultur bedient hatte. Ihm haben sie geglaubt, er hat sie hingeführt zu einer wundersam spröden Musik der Gefühle, die ihnen ganz und gar unbekannt geblieben wäre, wenn die Verbohrten allein die Sache geregelt hätten.
Aber plötzlich hören die Kids Johnny Cash, und die Vernagelten reiben sich die Augen und hören auch mal wieder zu – aber nur, damit sie sagen können: Wir sind gar keine Vorurteilsfaschisten, wir hören uns doch alles an! Und im nächsten Augenblick fahren sie besinnungslos fort mit ihrer Lieblingstätigkeit, dem pawlowschen Verachten all dessen, was nicht als hip und cool gilt.
Diejenigen aber, die gerade als hip und cool gelten, denken da (natürlich) oft anders. Junge Künstler wissen in der Regel, auf wessen Schultern sie stehen, und wenn sie die Chance haben, ihre glühende Verehrung fürs Vorbild zu demonstrieren, dann nutzen sie die gern. Deshalb schwärmen Jungstars wie die Kooks oder Nerina Pallot für Bob Dylan, deshalb freut sich der New Yorker Hippiefolkie Devendra Banhart einen Wolf, wenn er auf einem Album des vitalen Folkrentners Bert Jansch mitsingen darf, deshalb schreibt Will Oldham Songs für die alte Souldame Candi Staton, deshalb gibt es fast jedes Jahr einen neuen Tribute-Sampler mit Songs der Rolling Stones.
Die Kapos aber raffen das nicht. Sie suhlen sich lieber im faden Schlamm ihrer kleinen, kleinen Welt; sie wissen nichts von Geschichte, von der dreidimensionalen zeitlichen Struktur von Kunst und Kultur. Einen Roman wie „Robinson Crusoe“ hätten sie gar nicht erst gelesen, denn der Dichterdebütant Daniel Defoe war schon 60, als er ihn veröffentlichte – Rentnerprosa, hätten sie genasrümpft und nicht mal die Schutzfolie entfernt. Beethovens 9. Sinfonie wäre ihnen nicht in den Player gekommen, denn was kann man schon erwarten von einem alten tauben Wirrkopf, dessen beste Zeiten Jahrzehnte zurückliegen?
Geschmackspolizisten haben natürlich nicht die Spur einer Ahnung davon, wie unglaublich scheiße sie sind. Sie leben in einer Pfütze, die mit den Brettern vor ihrem Kopf umzäunt ist, und diesen flachen Wasserklecks halten sie für die ganze Welt. Das uralte und tiefe Meer, die Schaumkronen und Brandungswellen: All das kennen sie nicht, weil sie es nicht kennen wollen – oder sie leugnen es prophylaktisch.
Das alles wäre natürlich herzlich egal, wenn solche Kritiker nicht wesentlich die Wahrnehmung neuer Platten, Bücher, Filme und bildender Kunst bestimmen würden. Doch über ihre armseligen Texte sickern die Vorurteile ein in die Köpfe des Publikums; und dort erstarren sie zum gleichen reaktionären Zement, auf den die Kapos so stolz sind.
Ich spare mir Namen. Lest ihre Texte, hört ihnen zu. Sie sind leicht zu erkennen.
[:Nestbeschmutzungsmodus aus]
So, und jetzt zurück an die Arbeit: Platten rezensieren.
Ex cathedra: Die Top 3 der tollsten Songs von geschmackspolizeilich misshandelten Künstlern
1. „If you think you know how to love me" von Smokie
2. „Johnny W." von Marius Müller-Westernhagen
3. „Lyin' eyes" von The Eagles
15 August 2006
Der Franke bleibt störrisch
Wie auch immer: Jetzt hat er den Salat, nämlich ein Windows-Notebook. Und plötzlich ist er ein anderer Mensch. Der Franke, so grobschlächtig er gemeinhin auf die Außenwelt wirken mag, verfügt nämlich durchaus über zärtliche Seiten, und sein Windows-Notebook fördert sie unverhofft zutage. Dessen Wohlergehen widmet er sich nun mit gluckenhafter Hingabe.
Essenziell dafür: ein vorsorglich mitangeschafftes Notebookpflegeset. Das Rundumsorglos-Ensemble umfasst nicht nur eine dezent anthrazite Neoprentasche („Wasserabweisend!“, erläutert er mit leuchtendem Blick), sondern auch einen Bildschirmwischflausch, ein leicht gröberes Tuch fürs Gehäuse, eine feine Bürste für die Tasten und eine langhaarigere für jene verflixten Flusen, die tief im Tastenuntergrund aufs Überleben hoffen, sowie einen speziellen Notebookreiniger („Alkoholfrei!“, berauscht er sich). Alles zusammen, wie der schwabenverwandte Franke stolz verkündet, für lediglich 9,95 Euro.
Bei mir freilich erntet er mit diesem Mutterkomplex nur Häme. „Vergiss es!“, beömmle ich mich, „auch dein Notebook wird schon bald genauso durch die Gegend fliegen wie alles andere diesseits von rohen Eiern.“ Er werde nämlich unweigerlich daran zu zerren und zuppeln beginnen, kläre ich ihn schonungslos auf; unwirsch wegschieben werde er es, wenn es im Weg stünde, brutal werde er es sogar über raue Untergründe schubsen; alle möglichen Dinge werde er achtlos darauf ablegen und in unmittelbarer Nähe des Notebooks sogar Bier- und Mineralwasserflaschen öffnen, so dass sich der hochgeschwind herauszischende Tröpfchennebel feinverteilt auf Display und Tasten niederlassen und selbst die interessanten Schlünde sämtlicher USB- und Firewire-Eingänge erkunden könne.
Ja, so werde es kommen, rufe ich erregt aus, weil das nun mal der Lauf der Dinge sei, und niemand könne daran etwas ändern, selbst er, der Franke, und sein Notebookpflegeset für 9,95 nicht. Und Punkt.
Nützte alles nichts: Der Notebooknovize bleibt unbelehrbar. Trotz aller offenkundigen Evidenz zweifelt er an meinen Worten und streichelt weiter zärtlich übers Neopren seiner Schutztasche. Ich, einmal in Schwung, führe die Wunden und Kratzer meines tapferen Powerbooks (Foto) ins Feld, schildere sein grobes und unummanteltes Verstautwerden im Rucksack beim Reisestart, entwerfe dem Verstockten schließlich das schillernde Bild einer freien und ungebundenen Notebookexistenz, die das Gerät fordert statt fördert, die es der ganzen Härte des Daseins aussetzt, damit es selbst härter wird unterm Einfluss dessen, was es nicht umbringt.
All das aber kümmert den Franken keinen Deut. Er ist fest gewillt, weiter zu wischen und zu windeln, er will sein Baby schützen vor einer Wirklichkeit, vor der auf Dauer doch gar kein Schutz möglich ist. Irgendwann, gebe ich ihm zu verstehen, wird er loslassen müssen. Und die wichtigste Kraft, die dabei wirkt, ist die wohl mächtigste überhaupt nach der Gravitation: die Kraft der menschlichen Faulheit.
Meinem Notebook geht es übrigens prächtig. Es trägt seine Schmisse mit dem souverän schiefen Lächeln des Kriegsveteranen. Der Franke wird auch noch dahinterkommen. Sofern sein Windows-Weichei überhaupt den ersten groben Rempler übersteht.
Die bisherigen Teile der Frankensaga
19. Der Kulturstoffel 18. Fußball auf Fränkisch! 17. Auhuuu! 16. Die Bettelblickattacke 15. Der Franke bleibt störrisch 14. Der unvollendete Panini-Coup 13. Duck dich, Sylt! 12. Auf Partypatrouille 11. Laggs auf vier Uhr 10. Der Franke ist überall 9. Die Greeb-Pfanne 8. Erste gegen dritte Liga 7. Die verspätete Riesenkartoffel 6. Der historische Tag 5. Der Alditag 4. Der Faschingskrapfen 3. Der Klozechpreller 2. Der Dude 1. Das Alte Land
Wenn Mahmud bloggt
Allerdings schaltete der Präsident meinen eigentlich recht interessanten Beitrag nicht frei, was mir aber auch bei MC Winkel und Gerhard Seyfried schon passiert ist. Womit ich nicht sagen will, die drei hätten außer einem Bart weitere Gemeinsamkeiten, zumal Seyfried nicht mal einen Bart hat.
Bei der Gelegenheit fällt mir übrigens noch etwas ein, was ich schon länger loswerden möchte; und jetzt, wo Mahmud bloggt, ist die Zeit reif dafür. Islamisten werfen uns Westlern ja regelmäßig vor, wir seien verderbt und sexbesessen. Angesichts mancher Beiträge nicht nur dieses Blogs – zum Beispiel dem von gestern – mag da auch etwas dran sein.
Aber sich selbst in die Luft zu sprengen, nur um endlich mit 72 Jungfrauen rummachen zu dürfen – das nenne ich sexbesessen.
Zum unentwirrbaren Geschwurbel aus Sex und Religion passt natürlich ein Foto von St. Pauli am besten. Voilà: die Talstraße. Gegenüber befindet sich übrigens ein Schwulenpornokino.
Ex cathedra: Die Top 3 der Songs über Staatschefs mit laxem Demokratieverständnis
1. „Leopard-skin pill-box hat" von Bob Dylan (inspiriert von Mobutu)
2. „Drugstore truck drivin man" von The Byrds (über Ronald Reagan)
3. „„Washington bullets von The Clash" (über Fidel Castro)
13 August 2006
St.Pauli-Nacht
Gute Idee, fand ich, als Opa Edi vorschlug, ich könne doch dem zu Besuch weilenden Münchner Bloggerkollegen Fellow Traveller mal den Kiez zeigen. Das allerdings blieb eine gute Idee bis zum Schluss.
Gemeinsam nämlich gewannen wir interessante Erkenntnisse. Der alte Elbtunnel (Bild) etwa schlägt den neuen in punkto Fotogenität und symmetrische Reize um Längen.
Wir bewunderten zudem die Choreografie der stolzen Huren in der Davidstraße. Immer, wenn eine aus der Phalanx ausbrach, um auf die Beute loszugehen wie eine furchtlose Taube auf einen Plastikraben, rückte sofort eine Kollegin auf. Nie entstanden Lücken. Ein Hurenballett vorm Burger King.
Dann verschlug es uns via Herbertstraße in den erstklassigen Tabledanceclub Dollhouse, und auch dort wartete eine interessante Erkenntnis: Die Silikonära ist offenbar vorbei. Man präsentierte uns überwiegend knabenhafte Brüste. „Im Gegensatz zur Herbertstraße“, merkte der inzwischen sachkundige Fellow trocken an.
Der Mann lernt schnell.
Ex cathedra: Die Top 3 der Songs über Tunnel und andere Röhren
1. „Down in the tube station at midnight" von The Jam
2. „Tunnel of love" von Dire Straits
3. alles von The Tubeway Army
Gesichtszwillinge (9)
Außerdem ist die Ähnlichkeit zwischen beiden Schauspielern auch nicht soooo frappant. Aber sie reicht gerade so eben für die Gesichtszwillingsrubrik.
Mir zumindest.
11 August 2006
Die Fundstücke des Tages (23)
2. Im Fremdwörterbuch auf Seite 444 steht mein Lieblingswort des Tages: Insinuationsmandatar. Das ist jemand, der berechtigt ist, Eingaben entgegenzunehmen; eine Art Notar für Beschwerden. Mein Produkt des Tages hingegen ist der sehr nützliche Mündungsschoner für Bockbüchsflinten. Kostet lachhafte 14,85 Euro. Noch – bald ist Mehrwertsteuererhöhung.
3. Die Süddeutsche Zeitung hält das fallweise vom Duden schon immer erlaubte Deppenapostroph für so empörend neu, dass sie einen leidenschaftlichen Deppenapostrophensammler dazu interviewt. Schönste Passage: „Manchmal setzen die Menschen auch statt des Deppenapostrophs ein Deppenkomma, weil sie die Apostrophtaste auf der Tastatur nicht finden.“
4. Auf einem tschechischen Server habe ich nun in perfekter Aufbereitung alle Radiosendungen von Bob Dylan entdeckt. Der reinste Präsentierteller. Und er wird jede Woche voller.
5. Der Komiker Stephen Colbert lieferte beim traditionellen Dinner, das US-Präsidenten jährlich für Korrespondenten geben, eine unglaubliche Performance ab. Die Quote an vergifteten Komplimenten für George W. Bush war derart niederschmetternd, dass der am Ende die Mundwinkel nicht mal mehr zum höflichen Lächeln hochkriegte. Ein Giftpfeil: „Dieser Mann weiß, wo er steht. Er glaubt am Mittwoch das Gleiche wie am Montag – egal, was dienstags passiert ist.“ Und Colberts vernichtende Parodie auf verschwurbelten Patriotismus ist einfach glorios: „Ich glaube an Amerika. Ich glaube, dass es existiert. Mein Bauch sagt mir, dass ich dort lebe. Ich fühle, dass es sich vom Atlantik bis zum Pazifik erstreckt. Und ich glaube felsenfest daran: Es hat 50 Staaten.“ Sein Fazit lieferte er schon mittendrin: „Misery accomplished!“ Hier folgt der erste Teil von Colberts Glanzstück im Angesicht des Opfers; die restlichen zwei gibt es dort.
Alle bisherigen Fundstücke des Tages:
1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10, 11, 12, 13, 14,
15, 16, 17, 18, 19, 20, 21, 22, Oh, my Google!
Nachtrag vom 14.8.2006: Nachricht von: Ales Pavelka – Hi Matt, I found out that some people accessing my web site directly from you blog. Because my site is not a primary source of TTRH please add to your site notice about the main server and people who are the bravest of all and thanks to them we all have possibility to listen Bob Dylan's TTRH. Please see Patrick Crosley blog http://www.whitemanstew.com/2006/05/12/bob-dylans-theme-time-radio-hour/
10 August 2006
Hornochse!
Ms. Columbo amüsiert meine Irritation sehr, und sie fühlt sich bemüßigt, sie souverän mit einem „Potzblitz!“ zu verdoppeln, worauf ich nur mit einem recht lahmen „Heidewitzka!“ zu kontern imstande bin.
Wohin verschwinden eigentlich solche altgedienten Wörter? Gibt es irgendwo eine Art Seniorenresidenz für aus der Mode gekommene Vokabeln? Was zum Beispiel macht das Wörtchen „dalli“ heute? Wie geht es dem ergrauten „Gammler“? Hört er noch immer „Schallplatten“? Irgendwo in der hintersten Ecke des Wortseniorenstifts muss auch noch das gute alte „Fräulein“ einsame Tränen in seine Caprisonne weinen.
Anders als echte Rentner, deren genetisches Programm gnadenlos abläuft, könnte man ausgemusterte Worte revitalisieren, man könnte „knorke“ wie zufällig wieder einfließen lassen ins Ensemble der tagtäglich benutzten Superlative, man könnte ab und zu ein „mannigfach“ einstreuen oder zur Überraschung aller ein „behufs“.
Vor allem der Kanon der Beschimpfungen, von denen ich nachgewiesenermaßen ein feuriger Anhänger bin, erführe durch die Einbeziehung aller leichtfertig Ad-acta-Gelegten eine womöglich inspirierende Auffrischung. Nehmen wir die schöne, doch bereits fast komplett vergessene Beleidigung „Hornochse!“. Müsste nicht der mit dem Messer fuchtelnde und „Ich stech dich ab, Alda!“ krakeelende Grundschulabbrecher geradezu verblüfft verstummen angesichts dieses kapitalen Dreisilbers?
Wahrscheinlich gelänge uns das sogar mit Ms. Columbos Altersheiminsassen „Donnerwetter!“, aber drauf ankommen lassen würd’ ich's dann lieber doch nicht.
Ex cathedra: Die Top 3 der altbacken betitelten Songs
1. „Ich bin aus jenem Holze geschnitzt" von Reinhard Mey
2. „Wie schön blüht uns der Maien" von Hannes Wader
3. „Nearer my God to thee" von Pat Boone
Foto: universum.co.at
Gesichtszwillinge (8)
Heute ist Chris Stills selbst ein bekannter Popsänger – und falls es mit dem neuen Album kommerziell nicht hinhaut, kann er sich einfach einen neuen Job suchen: als Doppelgänger von Jens Lehmann (Foto: abendblatt.de).
09 August 2006
Hamburger Chaostage
Allerdings war noch alles drin. Was soll das? Ein anständiger Diebstahl hätte mich wahrscheinlich weniger beunruhigt. Denn es ist erstaunlich, was so eine Börse dem Interessierten alles an Informationen bereitstellt: Scheckkartennummern, Krankenkasse, wie ich mit 19 aussah (der Führerschein!), wie Ms. Columbo heute aussieht (toll!), wo wir wohnen … WO WIR WOHNEN!
Tja, und gestern habe ich mir auch noch beinah die Zungenspitze abgebissen, und zwar kurz vor Abschluss des Abendessens, als ich schon längst satt war. Gier und wilder, ungezügelter Hunger gehören gemeinhin zu den häufigsten Ursachen für Zungenspitzenabbisse; beides traf zu diesem Zeitpunkt aber nicht mehr zu. Warum also dennoch? Ich weiß es nicht.
Als der groteske Schmerz (der durch das heutige Foto treffend illustriert wird) leicht nachließ, tat der beschädigte Teil der Zunge so, als klebe ein gummiartiger Sticker drauf, und die unwillkürlichen und hochvorsichtigen Versuche, das imaginäre Geklebsel loszuwerden, bestärkten die Blutung nicht gerade darin, endlich aufzuhören.
Minutenlang kühlte ich die Stelle zu Betäubungszwecken mit einem sehr empfehlenswerten 2005er Riesling Kabinett vom Moselwinzer Kallfelz. Der Wein indes erwärmte sich recht rasch, und ich musste mehrfach nachgießen.
Am Ende saß ich blutend und bedüdelt im Sessel und wusste: Ich hab das Diplom.
Als Blödmannsgehilfe.
Ex cathedra: Die Top 3 der Songs über dummes Verhalten
1. „Ooops … I did it again" von Britney Spears
2. „Living next door to Alice" von Smokie
3. „One piece at a time" von Johnny Cash
07 August 2006
Das Camillo-Felgen-Mantra
Wow, dachte ich in meiner Versonnenheit, welch mutige Preisung des in unserer besinnungslos jugendvernarrten Zeit so verpönten Alters!
Doch dazu später. Zunächst einmal dieser Name, den ich schon halb vergessen hatte, so tief ist er eingesunken in die Fernseh- und Hitparadengeschichte und somit auch in mein Kindheitsgedächtnis: Camillo Felgen. Camillo. Felgen. Wenn man sich diese fünf Silben oft genug vorsagt, kommt man dem Nirwana näher, als man es je erwartet hätte. Wirklich wahr, ich hab's ausprobiert.
Dabei war das nicht mal ein Künstlername, zumindest fast nicht. Der Luxemburger, der für die Beatles deutsche Fassungen ihrer Hits textete („Sie liebt dich“; „Komm gib mir deine Hand“) hieß nämlich Camille Jean Nicolas Felgen. Man braucht nur das o aus Nicolas herzunehmen, es zu tauschen gegen das e in Camille, streiche dann den ganzen Rest bis auf Felgen, und schon landet man bei diesem Mantra. Camillofelgen. Om.
Doch ich schweife ab. Das Besondere an dieser Single von 1973 war nämlich das unverblümte Feiern und Preisen eines gesellschaftlichen Zustandes, den man damals eigentlich nicht einmal hätte erahnen dürfen: die Gerontokratie.
Erst jetzt stecken wir mitten in der Pubertät dieser Gesellschaftsform; es werden bereits Bücher über unsere dramatische Vergreisung geschrieben, niemand zeugt mehr Kinder, es gibt bereits Seniorensupermärkte, die Rente ist so realistisch wie die Apokalypse nach den Berechnungen der Zeugen Jehovas, und ich selbst erkenne mit jedem neuen grauen Haar plötzlich die wachsende Relevanz dieser beiden Lieder, ihre hellsichtige, geradezu avantgardistische Kühnheit.
Camillofelgen. Der Nostradamus der 70er Jahre. Ich glaube, es ist höchste Zeit für einen Remix, von A- und B-Seite.
Wer übernimmt – Sven Väth?
Ex cathedra: Die Top 3 der Songs übers alte Menschen
1. „Old man" von Neil Young
2. „When I'm 64" von The Beatles
3. „The ballad of Gary Glitter" von Al DeLoner
06 August 2006
Bei Fatih Akin hakt es
Aber es ist keine Falte. Es ist wirklich ein Hakenkreuz.
Neulich vertrat jemand mir gegenüber die Einschätzung, es sei erbärmlich billig, Leute wie den Papst oder Bush zu kritisieren, weil sie ein allzu leichtes Opfer abgäben; es erfordere einfach keinen Mut. Andererseits: Wenn sich jemand allein dadurch, dass er füchterlich schlechte Politik macht, gegen jede Kritik immunisieren könnte, wüchse der Anreiz für ihn, falsche Entscheidungen zu treffen, ins Unendliche. Also muss man draufhauen auf jene, die des Draufhauens würdig sind.
Auch auf Bush natürlich. Aber nicht so, Fatih. Einerseits ist das Verwenden verfassungsfeindlicher Symbole verboten, und das Hakenkreuz gehört dazu. Selbst Antifaschisten, die mit einem durchgestrichenen Hakenkreuz gegen Nazis demonstrieren wollen, werden zurzeit rechtskräftig bestraft – dem Gesetz ist es eben pimpe, welches Motiv dahinter steckt. Zeigen ist strafbar, und Punkt.
Fatih Akin muss also mit einem Verfahren rechnen. Das ist die juristische Seite. Doch auch die politische Seite spricht gegen ihn. Klar ist Bush ein gefährlicher Fundamentalist, und wir wissen, wie bedrohlich und gnadenlos Regimes handeln können, deren Handlungsoptionen religiös motiviert sind. Aber eins ist sicher: Bush ist nicht Hitler, und die USA im Jahr 2006 sind nicht vergleichbar mit dem Dritten Reich.
Wer ein T-Shirt trägt, auf dem das S in „BUSH“ als Hakenkreuz dargestellt wird, verharmlost Hitler – denn diese Symbolik sagt auch, dass jener nicht schlimmer war als Bush. War der Holocaust also wirklich so was wie Guantanamo Bay? Ist der Irakkrieg vergleichbar mit dem Überfall auf die Sowjetunion? War die reine Willkür der Nazijustiz unter Freisler wirklich dem Obersten US-Gerichtshof ähnlich?
Wenn ja – und all das ist latent mitgemeint, wenn man BUSH mit Hakenkreuz-S schreibt –, dann waren die zwölf Jahre des 1000-jährigen Reiches nicht so furchtbar, wie uns die Geschichtsbücher weismachen wollen.
Natürlich hat Akin das alles ganz anders gemeint. Nützt aber nichts.
05 August 2006
Zweiradsex
Und wenn wir an dieser Stelle schon mal so hirnrissig kühn sind und Zweirädern sexuelle Bedürfnisse unterstellen, so darf man die beiden eingewachsenen Drahtesel in der Beckers Passage wohl mit Fug und Recht als in dieser Hinsicht krass unterversorgt betrachten. Wer sich derart lange nicht reiten lässt, darf sich eben nicht wundern, wenn irgendwann Gras über die ganze Sache wächst.
Die Kleinanzeigenrubrik „Fisch sucht Fahrrad“ bekommt übrigens in meiner verqueren Fantasie gerade eine ganz seltsame Nebenbedeutung.
Ex cathedra: Die Top 3 der Songs übers Reiten
1. „Night ride home" von Joni Mitchell
2. „Ride a white swan" von T. Rex
3. „Ballad of Jolly Jumper" von Mardi Gras.BB
Alles wird gut
Doch etwas stimmt nicht am Gesamtbild.
Die Frau nämlich trägt ein Kopftuch, welches ihr Haar komplett verdeckt. Ihre Kleidung lässt bis auf Gesicht und Hände keine Haut sehen.
Eine Muslimin. Und sie sitzt in der Five-Bar am Tresen und unterhält sich giggelnd mit der Barkeeperin. Ein surrealistisches Bild.
Vielleicht wird doch noch alles gut.
03 August 2006
Der Sitzfreund
Und bevor sie Wein nachschenkt, legt sie dir jovial die Hand auf die Schulter wie einem alten Freund.
Ihr Energielevel amüsiert uns, wir fühlen uns wohl in ihrer Nähe. Am Ende des Dinners gehe ich zur Kasse und möchte zahlen.
„Von welchem Tisch kommst du?“, fragt sie.
Ich bin überrascht, sogar enttäuscht. Bis vor einer Sekunde habe ich mich noch gefühlt wie ihr alter Freund; sie saß doch gleichsam mit uns am Tisch!
„Du musst entschuldigen“, ergänzt sie eilig, „ich erkenne meine Gäste nur im Sitzen.“
Offenbar sehe ich von unten anders aus als von oben.
Ex cathedra: Die Top 3 der Songs über Kneipenbedienungen
1. „Highlands” von Bob Dylan
2. „Dear catastrophe waitress” von Belle & Sebastian
3. „Waiter there's a yawn in my ear" von Manfred Mann's Earthband
Eeeeebola!
Vor allem aber hätte mich interessiert, wie das Team Jung die üblichen Zottelbärte auf den hintersten U-Bahnsitzen angegangen wäre, bei denen milieubedingte Spezifika eine Stilberatung erschweren. Zum Beispiel bei jenen Gesellen, die dazu neigen, in ihrer eigenen Kotze einzuschlafen. Oder die, welche statt Haaren eine festgebackene Filzmasse hutartig herumtragen, der sich selbst die hartgesottenen Mikrobiologen vom Tropeninstitut wohl nur mit Handschuhen und Mundschutz zu nähern wagten.
Andererseits hätten ja gerade Herrschaften mit Naturfilzhut das segensreiche Wirken des Teams Jung und der kooperierenden Körperpflegemarke besonders nötig gehabt. Aber egal: Ich hab die sicher sehr unterhaltsame Aktion eh komplett verpasst.
Apropos Tropeninstitut: Es ist weltberühmt und befindet sich nur wenige Fußminuten von hier in der Bernhard-Nocht-Straße. Gar nicht so selten fällt mir schaudernd ein, welch possierliche Kleinstlebewesen dort liebevoll in Kost und Logis gehalten werden. Zum Beispiel das Ebolavirus: keine hundert Meter Luftlinie von hier. Marburgvirus, Gelbfieber, HIV – die Tropeninstitutler sagen allmorgendlich herzhaft hallo zu diesen Schlawinern, natürlich im Schutzanzug.
Ms. Columbo und ich haben uns übrigens mal eine Zeitlang mit dem kleinen makabren Scherz vergnügt, den Werbespot eines schweizer Hustenbonbonherstellers virologisch anzuverwandeln – und statt des typischen „Riiiiicola!“ ein genau ins Versmaß passendes „Eeeeebola!“ zu jubilieren. Inzwischen gucken wir aber keine Fernsehwerbung mehr.
Von hinten übrigens sieht der Gebäudekomplex, in dem sich auch das Tropeninstitut befindet, streckenweise so aus wie auf dem heutigen Foto. Da sollte unbedingt auch mal ein Hair Styling Team drübergehen.
Ex cathedra: Die Top 3 der Songs über Kleinstlebewesen
1. „Language is a virus" von Laurie Anderson
2. „Die Wahrheit ist ein Virus" von Rainer von Vielen
3. und alles von Biohazard
01 August 2006
Kollateralschäden der Klimakatastrophe
Kramer zum Beispiel schlurft seit Tagen nur noch barfuß durch die Räume, und gestern rollte ihm der Franke mit seinem Stuhl versehentlich über den linken großen Zeh.
Hätte Kramer Gummistiefel getragen oder eisenbeschlagene Straßenschuhe, wie es etwa winters durchaus Usus ist, nichts wäre geschehen. So aber brüllte er auf wie Godzilla, der gerade einen Panzerfausteinschlag im Schritt wegstecken muss.
Bestürzt stürmte ich rüber ins Nachbarbüro. „Nicht lachen“, mahnte der Franke bei meinem Eintritt beschwörend und mit ernster Miene, während Kramer durch wildes Fluchen und Herumspringen die Phase des akuten Schmerzgebrülls zu überbrücken suchte.
Keine Stunde später drang erneut ein urtümlicher Schrei aus diesem Abu Ghureib Ottensens, und wieder war unverkennbar Kramer das Opfer. Diesmal gemahnten Timbre und Ausdruckskraft seiner vokalen Eruptionen eher an King Kong auf dem Empire State Building (Remakefassung). Was war denn jetzt schon wieder passiert?
Gelassener als beim ersten Mal begab ich mich zur Erkundung der näheren Umstände hinüber. Der Franke hatte erneut diesen warnenden „Bloß nicht lachen!“-Blick, während Kramer durchs Büro marodierte wie eine amoklaufende Abrissbirne. Offenbar war er intuitiv zu der Überzeugung gelangt, es sei ein probates Mittel zur Linderung seines Leids, unschuldige Gegenstände wie Bücher, Sandalen oder halbplatte Minilederbälle in alle Büroecken zu pfeffern. Mir schien zwar spontan eine Packung Thomapyrin geeigneter, doch ich hielt schön den Mund.
Kramer jedenfalls hüpfte auf dem vor einer Stunde noch immobilen Fuß herum, was diesmal klar das rechte Pendant als geschädigt auswies. Allmählich kristallisierten sich auch vage die Details des Zwischenfalls heraus. Eine seiner Lautsprecherboxen war wohl durch letztlich unklärbare Umstände vom Tisch gerutscht und ihm dann direkt auf den rechten großen Zeh gedonnert – offenbar mit der Ecke voran, so dass sich die kinetische Energie der Box sehr effizient auf einer kleinen Stelle der Kramerschen Gesamtkonstruktion entladen konnte.
Den genauen Verlauf durch Rückfragen zu klären, kam keinesfalls in Frage. Dazu fehlte sowohl dem Franken als auch mir der Mut. So betrachteten wir stumm unser geschundenes Mitgeschöpf, welches seiner schmerzbefeuerten Wut auf Gott und die Welt und jedes Grad Celsius freien Lauf ließ und keinerlei Ansprache mehr zugänglich war.
Später, als ich noch einmal vorsichtig um die Ecke ins Nachbarbüro lugte, sah ich Kramer auf seinem Stuhl kauern und mit einem Eisbeutel hantieren. Für ein freundliches Wort war es aber immer noch zu früh. Und schuld ist wer? Die Klimakatastrophe.
Ex cathedra: Die Top 3 der Songs über Schmerz
1. „Hurt" von Johnny Cash
2. „Pain killer" von Turin Brakes
3. „A pain that I'm used to" von Depeche Mode