26 April 2019

Ein einziger Cent

Manchmal gerät das Universum urplötzlich in perfekte Harmonie. Klar, dieser Zustand dauert nur einen winzigen Moment, und dann ist das Universum wieder die übliche alte hämische keckernde bluttriefende Vettel, die dir den alltäglichen Tritt in den Hintern verpasst. Aber dieser Moment, diese urplötzliche Ausnahme: Sie bleibt in Erinnerung. Neulich erlebte ich so einen Moment. 

Ich war in einem Elektrofachgeschäft in Altona, hatte mit einiger Mühe und der Hilfe einer Fachkraft endlich gefunden, was ich suchte, und reihte mich in die Kassenschlange ein. Als ich drankam und die Kassiererin den krummen Betrag meines DSL-Adapters einbongte und den Schein sah, den ich bereits in der Hand hielt, fragte sie: 

„Haben Sie vielleicht einen Cent für mich?“

Reflexartig zuckte meine Hand Richtung rechter Jackentasche, wo traditionell mein gesammeltes Kleingeld sein behagliches Refugium hat, doch mitten in der Bewegung hielt ich inne. Denn mein Blick war auf den Boden vor mir gefallen, und was lag wie vom Himmel gefallen da, kupferfarben schimmernd? Ein Cent.

In einer fließenden Bewegung, die in einem Hollywoodkitschfilm leicht verlangsamt abgespielt worden wäre, bückte ich mich, ergriff die Münze (die im selben Hollywoodkitschfilm dank eines entsprechenden Kamerafilters das Deckenlicht sternenartig gespiegelt hätte), reichte ihn mit einem fassungslosen Lächeln der Kassiererin und sagte: 

„Ja, habe ich.“

Das Universum, meine Damen und Herren, war für einen Moment in perfekter Harmonie, an der Kasse eines Elektrofachgeschäfts in Altona, und ich war mittendrin statt nur dabei. Es war, als wenn du gerade deine Liebste anrufen wolltest, und eine Zehntelsekunde davor klingelt das Telefon, und sie ist dran. Oder als wenn du wegen einer S-Bahn-Panne zehn Minuten nach der planmäßigen Abfahrt am Bahnhof eintriffst und der ICE wegen geänderter Wagenreihung oder so doch noch dasteht und dir mit sanftem freundlichen Zischen die Tür öffnet.

Manchmal aber reicht ein einziger Cent. 
Und damit zurück ins Studio.


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02 April 2019

Dort, wo einst John Lennon stand


Der virtuose New Yorker Photoshopzauberer Robert Egan sucht seit vielen Jahren die Aufnahmeorte berühmter Filmszenen, Fotos und Albumcovers auf, um auf seiner Webseite zu zeigen, wie es heute dort aussieht. Dabei verschmilzt er auf kunstvolle Weise das Originalmotiv mit dem Hier und Jetzt. Die Zeit und Raum und Abrissbirnen transzendierenden Rekonstruktionen Egans sind von derart liebevoller Akribie, dass man sich glatt langlegt vor Respekt. 

Wer begreifen will, mit wie viel Energie und detektivischem Aufwand Bob vorgeht, schaue sich nur mal seine Spurensuche zum Coverfoto von Bob Dylans Album „Blonde on Blonde“ an. Zweifellos: Der Mann ist ein – ach was: der – Forensiker der Popgeschichte! Inzwischen hat er sogar einen eigenen Reiseführer herausgebracht, der Nostalgiker und Aurasucher auf den Spuren seiner Recherchen kreuz und quer durch New York schickt.

Kurz: Ich liebe Bobs Arbeit und Webseite. Vor einiger Zeit kam ich mit ihm ins (Mail-)Gespräch über Jürgen Vollmers berühmtes Beatles-Foto von 1961, das es 1975 aufs Cover des John-Lennon-Soloalbums „Rock’n’Roll“ geschafft hatte. Der Aufnahmeort in der Jägerpassage, ein Hofeingang der Wohlwillstraße auf St. Pauli, ist seither ein von Touristen aus aller Welt gern frequentierter Kultort. (Die Hausbewohner sehen das verständlicherweise ein wenig anders, wie ich bereits am eigenen Leib erfahren durfte.)  

Bob Egan jedenfalls war a) erpicht darauf, auch dieses Foto zur Basis eines seiner Projekte zu machen, aber b) nun mal in New York statt auf St. Pauli. Deshalb Auftritt Matt: Er bat mich, Panoramafotos der Jägerpassage anzufertigen, was mich erneut dazu brachte, herzklopfend den torgeschützten Hinterhof zu betreten. Und dann fragte er auch noch nach einem Video*, um die Umgebung näher kennenzulernen. Wie gesagt: Der Mann ist akribisch.

All diese Aufgaben übernahm ich klaglos und bewältigte sie zudem zu seiner Zufriedenheit – und seit gestern ist nun Bob Egans neustes Werk fertig: die Vorher-Nachher-, Gestern-und-heute-Rekonstruktion eines der berühmtesten Fotos der Popgeschichte, with a little help from his friend Matt. Samt Video.

Wie es übrigens vor einigen Jahren zu meiner hellsten Freude dazu kam, dass der Fotograf dieses ikonischen Beatles-Bildes mir einen Abzug desselben ebenso signierte wie meine nachgestellte Kopie, das steht alles hier.

*Das Video wirkt übrigens deshalb ein wenig holprig in puncto Kameraführung, weil ich mich an jenem Tag mit einem Muskelfaserriss durch die Wohlwillstraße schleppte. So viel zu meinem Einsatz für die Kunst.




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01 April 2019

Sensation: HSV wird Erstligist für immer!

Das ist der Knaller des Tages, des Jahres, des Jahrhunderts: Der Hamburger Sportverein wird, egal ob er aufsteigt oder nicht, ab kommender Saison in der Ersten Liga antreten – und das sogar für immer! Was dahintersteckt, verrät DFL-Präsident Reinhard Rauball in einem Exklusivinterview.

Herr Rauball, der HSV soll dauerhaft Erste Liga spielen dürfen, ohne jemals absteigen zu können – ein Novum in der DFB-Geschichte. Wer hatte diese verrückte Idee?
Uwe Seeler. Es war ein Herzenswunsch von ihm. Und wenn ein Ehrenspielführer der deutschen Nationalmannschaft so etwas äußert, hat das natürlich mehr Gewicht, als wenn so was von jemand wie – sagen wir – Lothar Matthäus kommt. Oh …
Ist diese sensationelle Neuerung nicht unfair den anderen Vereinen gegenüber?
Das ist nicht die Frage. Alle Erstligavereine haben sich dafür ausgesprochen. Einstimmig.
Auch Werder Bremen …?
In der Tat. Von den Zweitligisten war auch der FC St. Pauli dafür. Auch wenn da wohl eher ein bisschen Mitleid mitschwang.
Aber warum wollen die denn alle, dass der HSV auf ewig erste Liga spielt?
Zum einen, weil er auf regulärem Weg keine Lizenz mehr bekäme. Nach Sichtung der eingereichten Unterlagen mussten einige von uns medizinisch notversorgt werden, wegen Lachkrämpfen. Aber das Wahnsinnsentertainment, dass der HSV uns allen seit Jahren bietet, braucht nun mal die ganz große Bühne. Das ist unstrittig. Also haben wir nach einem neuen Weg gesucht. Da kam Uwe Seelers Vorschlag wie gerufen. Es gibt ja auch wirklich objektive Gründe, die dafür sprechen: Schließlich macht der HSV den Heimvereinen die Stadien rippelrappelvoll. Seine Fans fahren buchstäblich überall hin, wo der HSV rumgurkt. Und ich spreche von Abertausenden! HSV-Präsident Hoffmann nennt sie bei unseren Sitzungen nach ein, zwei Bier gern kichernd „rosa Hüpfer“, weil sie wirklich alles mit sich machen lassen. Nur ein Beispiel: Die juckeln immer und immer wieder in vollgekotzten Sonderzügen nach München, um sich dort die übliche Packung abzuholen, und feiern dann die ganze Nacht durch, weil es nicht zweistellig geworden ist. So sind die HSV-Fans! Mich als Fußballurgestein bewegt so was, es rührt mich sogar zu Tränen. Davon sollte sich Wolfsburg mal eine Scheibe abschneiden. Oder Leverkusen.
Na ja, wenn die „rosa Hüpfer“ wirklich so gestrickt wären, wie Sie sagen, würden die doch auch mit 7.000 Leuten beim SV West-Eimsbüttel IV in der Kreisliga B6 einfallen. Warum also unbedingt erste Liga?
Nur wegen der üppigen Fernsehgelder. Anders ist der Betrieb des HSV leider nicht mehr aufrechtzuerhalten. Und das kann keiner wollen – siehe oben.
Wird Hoffmann die TV-Erlöse nicht bunkern müssen, um irgendwann die neue Fananleihe ablösen zu können? Da geht es immerhin um 17,5 Millionen Euro.
Unsinn! Diese Anleihe hat der HSV äußerst clever als unendliches Schneeballsystem angelegt. Für die Rückzahlung wird er nie auch nur einen Cent aufwenden müssen. Auch am Sankt-Nimmerleins-Tag kann der HSV dank seiner rosa Hüpfer noch irgendeine Fananleihe durch irgendeine neue in beliebiger Höhe ablösen. Da mache ich mir überhaupt keine Sorgen.
Die Fernsehgelder finanzieren dann also eher die Spielergehälter, nehme ich an.
Haha, von wegen … Sobald der Verein ewiges Mitglied der ersten Liga ist, braucht er doch keine teuren Spieler mehr. Er kann ja eh nicht mehr absteigen. Das Geld ist frei für andere Dinge verwendbar. Abfindungen zum Beispiel, Vorstandsgehälter, solche Sachen.
Moment: Droht mit Billigkickern wie Ito und Wintzheimer dann nicht in jeder Saison der letzte Platz …?
Ja, na und? Den Hüpfern ist das doch pimpe! Kennen Sie nicht deren Credo? Es lautet: „Nur der HSV“! Vom Tabellenplatz ist da überhaupt keine Rede.
Das klingt alles ziemlich durchdacht, was die DFL da beschlossen hat. Gab es eigentlich Widerstand aus der Zweiten Liga?
Und ob! Die HSV-Fans würden schließlich auch Heidenheim die Hütte füllen. Aber wenn alle Erstligisten an einem Strang ziehen, hat das Unterhaus natürlich das Nachsehen. Und mal ernsthaft: Wer würde sich einen Verein wie den HSV nicht für ewig sichern wollen, wenn er die Chance dazu hätte?
Herr Rauball, wir danken Ihnen für das Gespräch.


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22 März 2019

Von Brabblern und Schlenkerern

Wer einst mit sich selbst brabbelnd durch die Stadt lief, hatte entweder einen an der Waffel und/oder Freigang. 

Dann kamen die Headsetleute. Sie hatten möglicherweise auch einen an der Waffel, redeten aber nicht mit sich selbst, sondern wahrscheinlich mit einem anderen Headsetter, der irgendwo anders auf der Welt gerade öffentlich verhaltensauffällig wurde. 

Mit der Zeit habe mich sich derart an dieses grassierende Phänomen der Scheinmonologisten gewöhnt, dass ich die Frau, die mir heute in der Seilerstraße (Symbolfoto) brabbelnd entgegenkam, automatisch dieser trendsetzenden Bevölkerungsgruppe zuschlug. Allerdings trug sie, wie ich beim Vorübergehen erstaunt erkannte, gar kein Headset. Sie brabbelte definitiv mit keinem anderen als sich selbst – und hatte ergo entweder einen an der Waffel und/oder Freigang. Kurz: Diese Frau war mir sofort sympathisch, durchaus auch aus nostalgischen Gründen. 

Das galt nicht für die zwei Jungs, die ich später vom Balkon aus beim Durchschlendern unserer Straße zu Gesicht bekam. Der eine, ein hagerer Schlaks in übergroßen Joggingklamotten aus wahrscheinlich edelstem Polyester schlenkerte überlange Extremitäten durch die Gegend, als seien seine Gliedmaßen gar nicht durch Gelenke miteinander verbunden, sondern nur durch Haut und Sehnen. 

So tänzelte er an den geparkten Autos in der Seilerstraße lang, und bei jedem Wagen, an dem er vorbeikam, testete er ohne stehenzubleiben – also buchstäblich en passant –, ob sich nicht vielleicht die Fahrertür öffnen ließe.

Er hatte durchweg keinen Erfolg, was ihn aber nicht sonderlich zu stören schien. Sein schlenkeriger Gesamtzustand, sein fließender, von schräggestellten Füßen geprägter Gang: All das signalisierte eine gewisse Gelassenheit, die ihn jede einzelne der kleinen Enttäuschungen, die ihm jedes verschlossene Auto nun mal zufügte, ohne Unmut wegstecken ließ. Nein, der Schlaks blieb cool, und weiter ging’s zum nächsten, während sein neben ihm hertrottender Kapuzenkumpel dem Treiben still und stumm und duldsam zuschaute.

Was hätten die beiden Jungs wohl genau getan, wenn unverhofft eine Autotür aufgegangen wäre – erfreut reinspringen, kurzschließen, abdüsen? Oder das Handschuhfach um ein wenig Ballast erleichtern?

Ich muss zugeben: Das hätte ich schon gern erfahren. Und Sie ebenfalls!





27 Februar 2019

Ein Mops namens Matt


Als ich mich gestern auf einer sonnenüberfluteten Alsterbank liebevoll meinem Mittagspausenbrot widmete, drang plötzlich ein herrisches „Thomas: nicht! THOMAS!!!“ an meine Ohren. Ich drehte mich um, um zu schauen, was der angeherrschte Herr wohl angestellt haben möge. Allerdings erblickte ich zu meiner nicht kleinen Überraschung kein Menschenmännchen, sondern einen Hunderüden, eine zottelige Straßenstrichmischung von grundsympathischem Äußeren. 

Das war also Thomas.

Ich dachte mir nicht allzu viel dabei, vermutete ein vielleicht etwas verpeiltes Frauchen, das in Form einer Haustierbenennung vielleicht einer verlorenen Liebe nachtrauerte oder ihr aus Rache ein Hundeego andichtet. Dann widmete ich mich wieder liebevoll meinem Mittagspausenbrot. Und vergaß Thomas.

Heute Mittag saß ich wieder – dem Jahrhundertfebruar sei Dank – auf einer sonnenüberfluteten Alsterbank, als sich eine knautschgesichtige Bulldogge oder so etwas Ähnliches (ich kenne mich damit nicht so aus) nach meinem Geschmack etwas zu sehr für mein Mittagspausenbrot zu interessieren begann. Doch schon erscholl aus dem Off eine Frauenstimme: „Charlotte! Hierher! CHARLOTTE!!!“

Eine knautschgesichtige Bulldogge namens Charlotte also. Okay. Als ich abends Ms. Columbo von diesen beiden Fällen berichtete und andeutete, ich sei da möglicherweise einer ganz großen Sache auf der Spur, nämlich Hunden mit Menschenvornamen, winkte sie nur ab. Das sei ein Trend, der längst thematisiert sei, sogar schon auflagenstark im Spiegel oder dergleichen.

Ich habe also wieder einmal etwas nicht mitgekriegt. Zumindest aber kann ich hiermit diesen Trend, von dessen Allgemeinbekanntheit ich dank Ms. Columbo soeben erfuhr, aus persönlicher Anschauung vollauf bestätigen. Ja, auch an der Alster laufen Hunde herum mit Menschenvornamen. 

Allerdings darf, ja muss man sich schon fragen, was aus bewährten Modellen wie Bobby, Rex oder … ähem … Blondi geworden ist, was diese über Jahrhunderte pass- und zielgenau gewählten Hundenamen denn wohl falsch gemacht haben, dass sie plötzlich durch Thomas, Charlotte oder – Gott bewahre! – Matthias ersetzt werden.

Andererseits: Ein Mops namens Matt hätte ja schon Charme. Da wär ich tolerant.






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09 Februar 2019

Grauenvoll witzig: Ernst Kahl zum 70.

Dass Ernst Kahl, dieser geniale Struwwel-, Schlau- und Kindskopf, am 11. Februar schon 70 wird, klingt nicht nur surreal, sondern sollte auch unbedingt mit einem bundesweiten Feiertag begangen werden. Steinmeier, wie isses? Die unwiderlegbare Begründung dafür folgt unten in meinem Porträt über den Künstler als mitteljunger Mann, das zwar schon 1997 entstand, aber vor allem dank seines Protagonisten in Würde gereift ist. 

Die Caricatura in Frankfurt hat die Feiertagsidee beherzt aufgegriffen und sie völlig zurecht gleich auf ein ganzes Vierteljahr ausgelegt. So lange nämlich läuft die Ausstellung, die dem Giganten Ernst Kahl gewidmet ist, und wer im Umkreis von 600 Kilometern drumherum wohnt und sie nicht aufsucht, der wird sich dereinst vor seinem Schöpfer für dieses Versäumnis verantworten müssen. 

Nun aber zu meiner feuchtfröhlichen Ernst-Kahl-Homestory – eine aufrichtigere  Gratulation habe ich nicht in petto. Und vor allem keine wortreichere.



Komik ist Notwehr


Was kann Ernst Kahl eigentlich nicht? Gerade ist ein Kunstband erschienen, der ihn als Klon aus Busch, Magritte, Caspar David Friedrich und Hitchcock ausweist. Aber Kahl ist auch Musiker, Drehbuchautor, Humorist und Kolumnist. Was bleibt, wenn man all das wegrechnet? Ein Hausbesuch soll Klarheit bringen.


Wer zu Ernst Kahl will, muss in einen Hamburger Hinterhof. Der Gang dorthin ist dunkel – dass bloß der australische Chardonnay, den man vorsorglich dabei hat, nirgends aneckt! Denn Kahls Stimme am Telefon hob sich merklich, als man das geistige Mitbringsel erwähnte. „Flasche Wein? Eigentlich hatte ich heute Abend zwar einen Termin mit einer balinesischen Tempel- und Nackttänzerin, aber für einen australischen Chardonnay lasse ich alles stehn.“

Bei Kahl sieht es nach Bombenterror oder brünstigem Hauskater aus. Der legere Hausherr im gerippten Pulli ist damit sehr zufrieden. „Ich habe gerade ein wenig aufgeräumt“, sagt er nicht unstolz. Jeans liegen auf der Heizung, in den Ecken Gitarren. Herum hockt protzig ein Schlagzeug. Wir sind in Kahls Wohnzimmer, das auf eine kunstlose Art nicht eingerichtet ist. Kahl ist völlig unspießig, aber nicht aus Ideologie. Er findet einfach nichts dabei, wenn Stühle dastehen wie vom Spediteur vergessen. Wenn Boden und Tisch mit Blättern unterschiedlicher Wichtigkeit bestreut sind. Wenn die Wände alle kahl sind und nicht voller Kahls.

Sollte seine junge, frische Freundin hier mal einziehen, was sie sich durchaus vorstellen kann und Kahl auch schon ein bisschen, dann will sie zuerst Struktur ins Chaos bringen. Das wäre dann die erste Struktur, mit der er leben könnte. Vielleicht. Hier haust offenbar ein Bohémien, vielleicht auch ein Chaot oder ein Bettler oder einer, der alles zusammen ist – aber doch keiner, dem der Filmproduzent Bernd Eichinger für eine Woche Drehbuchschreiben mal eben 10 000 Mark überweist, obwohl das Ding dann doch nicht verfilmt wird.

Ja, der Herr Kahl: ein verwuselter Wohner, aber ein genauer, manischer und verlässlich kreativer Kunstarbeiter. Drei Wochen lang hat er gerade gepinselt wie ein Galeerensklave, weil in Bochum eine Strindberg-Premiere seines Freundes Detlev Buck droht und im Schauspielhaus pünktlich echte Kahls hängen sollen. Alte Bilder malte er dafür groß nach. „Winzige Boshaftigkeiten auf große Formate – und plötzlich kriegen die was Klassisches“, wundert er sich. Winzige Boshaftigkeiten? Kahl meint Bilder wie „Mondscheinidyll“. Drauf ein Gör mit blutverschmiertem Mund, daneben ein Kampfhund mit durchbissener Kehle. „Das ist ganz merkwürdig“, sagt er ernst. „Niemand würde sich trauen, so ein Motiv ganz groß zu malen.“ Niemand außer Kahl.

Wissen die Bochumer eigentlich, welche Kulissenschocker da auf sie zukommen? Kahl grinst genüßlich und tut, was er unablässig mit seiner weitläufigen Bude tut: Er qualmt sie voll. „Ich glaube nicht. Fürs Theater ist es wahrscheinlich schon ein Hammer. Es hat eine … banale Hintergründigkeit. Dadurch, dass ich lakonisch und banal die absoluten Grausamkeiten beschreibe, haben sie etwas Alltägliches. Nicht wie Helnwein, der schockieren will mit richtigen Schmerzbildern. Meine sind ohne Blut, ohne Grauen, aber witzig. Viele werden sagen: Das ist doch keine Kunst. Aber diesen Kampf nehme ich gerne auf. Es wird Zeit, dass das Absurde und Komische Eingang in die Kunst finden. Beim Lachen hört die Kunst auf, und das ist ein Witz.“

Nach der wochenlangen Malorgie, zu der er sich gar die Matratze ins Atelier holte, kann Kahl kaum noch stehen. Er stakst einher wie ein Storch. Alle zwei Tage ein Bild, davor die Produktion des voluminösen Bandes „Kahls Künste“, zwischendurch Songs schreiben, sie mit Kumpel Hardy Kayser aufnehmen im kleinen Heimstudio, Konzerte geben, das Drehbuch für Wigald Bonings ersten Kinofilm „Die drei Mädels von der Tankstelle“ schreiben (Start: 12. Juni): Jetzt ist er schlapp, der Kahl.

Ein Wunder, dass er noch zum Aufräumen gekommen ist. Ein Wunder auch, dass das Telefon den ganzen Abend nicht klingelt. Aber Kahl ist ein Voodoopriester auf intuitivem Feldzug gegen funktionierende Technik. Wenn er kommt, versagen CD-Player, Platten gehen kaputt. Nacheinander werden sich heute abend vier Batterien weigern, das Aufnahmegerät zu betreiben. „Die Technik“, sagt der computerlose Kahl befriedigt, „mag mich nicht. Und ich mag die Technik nicht.“

Er ist jetzt 47 und berühmt. Seine Bio im Zeitraffer: in Kiel geboren, Kinderlähmung mit vier, zwei Lehren geschmissen, mit 17 von zu Hause abgehauen, Kunststudium in Hamburg an- und abgebrochen, Bildersammlung in der S-Bahn vergessen, Hilfslehrer auf der Hallig Hooge, nach vielen, auch amourösen, Wirren zurück nach Hamburg.

„Bin vom Leben“, grinst Kahl, „mit rauer Zunge beleckt worden.“ Zu den karrieregefährdenden Defekten der frühen Jahre gehörte nicht nur eine solide Grundrenitenz gegen „Strukturen“, sondern auch eine handfeste Paranoia. Die wurde er irgendwann wieder los, seinen Schiss vor Prüfungen dagegen nie. Bis heute examinierte noch keine Kommission dieser Welt den Kahl. Damals, auf der Kunsthochschule, haben sie ihn dank der mitgeführten Mappe genommen. Rechtzeitig vorm Abschluss schlich er sich.

So einer hat auch keinen Führerschein. Wenn man ihn fragt, warum, erzählt er immer, er sei mal mit dem Auto in eine Fußgängergruppe gerast. Drei Tote, aber nicht seine Schuld – Getriebeschaden halt. Dann genießt er die Betretenheit und grinst sich heimlich eins – Kahlscher Humor. Aufgeklärt wird die Schauermär natürlich nie.

Nicht nur wegen seiner Prüfungsangst wird Kahl kaum noch zum Führerschein kommen; er ist einfach ausgelastet bis zum Nichtmehraufräumenkönnen. Bei dem, was er so alles macht, wird einem ganz schwindlig, und dabei ist der Wein gerade erst entkorkt.

Kahl malt und zeichnet, mal wie ein alter Meister, mal kunstvoll ungelenk wie ein Pennäler; Kahl schreibt, singt, macht dies und das und irgendwie alles richtig. Ist die Zeit der Universalgenies nicht vorbei? War nicht circa Goethe der letzte, der dichtete, dokterte und kritzelte? Kahl macht das auch, nur komischer, respektloser. Der Clash der Hoch- und Tiefkulturen – wenn Kahl kommt, rasselt es richtig. Er, der ein Traktat mal ironisch „Die kleine Kunst des geraden Blicks“ taufte, ist nämlich ein Kreuz-und-quer- und Drunter-und-drüber-Gucker.

So verblüffend leicht er auch zwischen Vermeer und Disney, zwischen Karl Kraus und Heinz Erhard changiert, so wenig achtet er den Ernst der Lage. Nach allem, was so rauszulesen und -lachen ist aus seinem Werk, ist Kahl ein Nihilist.

Man stößt auf Mönche, die Tote begatten, und auf Kinder, die Lehrer enthaupten. Keine Werte, nur Werke? Ein Gott nach Kahlschem Gusto muss ein Freak sein. „Gott?“ japst Kahl. „Unvorstellbar für mich. Ich arbeite gerne mit Klischees, die es über Religion gibt, um zu irritieren. Aber so überstark, dass sie schon wieder komisch sind.“ Als Knabe sang er im Chor, doch kurz nach der Konfirmation sagte er Tschüs zur Kirche. Der Pastor versuchte noch, ihm ins Gewissen zu reden. Nützte nichts: Kahl hatte gar keins.

Ihm scheint nichts heilig zu sein. „Ein völlig falscher Eindruck“, wehrt er ab. „So vieles ist mir heilig – ich versinke in Ehrfurcht davor. Nehmen wir die Punks mit ihrer Hoffnungslosigkeit und zugleich ihrer ganzen Liebe. Die sind mir heilig: die Parias unserer Gesellschaft.“

Ernst Kahl ist das, was Kris Kristofferson mal über Johnny Cash sagte: „a walking contradiction“. Nichts an ihm ist stimmig. Kahl hat keine Glatze, und Ernst ist witzig. Und sein Spaß fängt da an, wo er gemeinhin aufhört. Dabei will er gar kein Wadenbeißer mit Ansage sein wie Wiglaf Droste. Nur sich lustig machen über „Strukturen“, wie er alles nennt, was einengt, niederdrückt oder uns Blödsinn nachplappern lässt.

Das kostete ihn 1989 den Job beim Politmagazin Konkret. Wegen Rassismus. Was hatte er getan? Den linken Kuscheltierblick auf Ausländer veralbert, indem er eine Galerie malte mit Ausländern, die wählen dürfen sollen und solchen, die nicht; und letztere waren dann alles Verbrecher und phsyiognomisch Missratene. Da durchfuhr ein „Huch!“ die Redaktion, und ihren Rat kann Kahl bis heute auswendig hersagen: „Auf die Deutschen kannst du einhauen, wie du willst“, beschied man barsch, „aber nicht auf die Ausländer!“

Die Satirezeitschrift Titanic füllte die publizistische Lücke, Kahl dagegen keine Konkret-Seiten mehr. Inzwischen hat er auch mit den Titanic-Leuten Probleme: „Das sind alles Oberschüler. Kein Platz für einen einfachen Scheißwitz, der nicht intellektuell sein will.“

Einen wie den, den Kahl mal malte: Hängt ein Spiegelei am Himmel, und drunter steht – „Ei in the sky“. Ein echter Kahlauer. Oder den: Liegt eine verreckende Vettel im Sterbebett, Gevatter Hein steht schon am Bettpfosten, und sie begrüßt ihn in letzter Lüsternheit mit: „Tod, wo ist dein Stachel?“

Zeit, mit Kahl über Kunst zu reden. Er zeigt auf einen Pflasterstein in der Ecke, auf dem eine Steinkugel liegt. Nicht irgendeine, ein Mahlstein aus der Steinzeit. „Ist das Kunst?“ fragt er rhetorisch. „Ich könnte es auch auf einer Ausstellung für sich selber sprechen lassen.“

Heute nacht noch, nach dem Chardonnay, will er irgendwo im Viertel ein komisch geformtes Holzstück auflesen, das ihm mittags beim Spaziergang auffiel. „Ein Stamm mit ner Gabel“, erinnert er sich. „Sieht aus wie eine früheisenzeitliche Götterstatue, die sie in Schleswig manchmal aus dem Moor holen. Das wird hier irgendwann stehen.“ Aber Kunst? Jedenfalls Kahl-genehm. Genau wie das Morbide, Böse und Banale, wie Perfides und Peinliches, Plattes und Naives, die Zote, das Hochkünstlerische und der Kalauer. Bei ihm koexistiert all das durcheinander. Deshalb eckt er oft an, nicht nur bei Snobs.

Kahl ist ein Toleranzgrenzentrüffelschwein. Wie erleichternd, dass selbst so einer seine Vorurteile hat. „War heute beim Griechen essen. Da lief so eine Blubberhiphopscheiße, so ‘n Kommerzquatsch. Ich bin richtig explodiert.“ Dem Kahl kann man nur mit Stones kommen und Animals. Der Grenzverletzer und Genrevermischer, der noch jedes Idyll per Pinselstrich gekillt hat: Hier ist er dogmatisch. Hier gilt das Wahre, Schöne, Gute, nicht der Hip von heute. Seine eigenen Songs sind niedliche Pseudo-Kinderlieder („Die rüstige Frau Reimann/sieht aus wie Billy Wyman/Marie, die alte Fotz/geht weg als Charlie Watts“). Sie haben Plinkergitarren und hopsigen Takt. Und zwischen zwei Endreimen flieht bisweilen ein Einsamer zur tiefgefrorenen Lieblingsleiche.

„Es kommt immer darauf an, wie man sich einem Thema nähert“, findet der Geist, der sich solches ausdenkt. „Unbeholfen etwas Gemeines erzählen, kommt konspirativer daher.“ Das versteht nicht jeder. Kahl ist vielen ein Rätsel. Wie und was er malt und schreibt: Das beflügelt die Fantasie über den Urheber. Dabei ist er keiner, der Drogen braucht, um ein schlangenjagendes Karnickel zu visionieren. Nein, mit koksgetrübtem Blick wäre die sich dahinter perspektivisch perfekt verlierende Landschaft nicht zu schauen und nicht zu malen. Für so etwas musst du wach sein. Und eine Hand haben, die nicht zittert.

Max Goldt, das hat Droste ihm geflüstert, hält Kahl für einen bitterbösen Menschen. Das versteht er kein bisschen. Vielleicht hat Goldt zu lange vorm Gemälde „Abendfrieden“ gestanden, wo eine Familie unter einem Galgen rastet, an dem noch ein Gehenkter baumelt. Und helle, wie Kahlsche Bilderkinder sind, haben Brüder- und Schwesterlein der Leiche ein Brett zwischen die Füße gebunden, damit sie als Schaukel taugt.

Kahl travestiert das Erhabene durch das Gemeine, meint eine Exegetin. Macht ihn das bitterböse? „Nein, wirklich nicht“, sagt Kahl, „für mich ist das Lebenshilfe, Dinge absurd zu betrachten. Komik ist Notwehr.“ Gegen Strukturen natürlich.

Alle Kunst und Komik schöpft er aus sich selber, denn er konsumiert die Kinkerlitzchen der Konkurrenz nicht. Wie bei so wenig Input soviel herausfließen kann, ist das größte Rätsel. Durchs Dauerknutschen mit Kahl will die Muse wohl ins „Guinness Buch der Rekorde“. Und sie steckt ihm wirklich komische Sachen. Einem Kasseler documenta-Funktionär schlug Kahl vor, den Bahnhofsvorplatz umzugestalten, dies jedoch von Pygmäen tun zu lassen. „Fragt der Typ nach der Aussage“, feixt Kahl. „Und ich sage: Scheiß auf die Aussage! Ich find‘s einfach klasse!“

Nein, Kahl ist kein Intellektueller. Wer mit ihm über die Bedeutung des Kreises im Spätwerk Kandinskys reden will, kriegt einen Korb und Chardonnay nachgeschenkt. Kahl weiß ja nicht, was Kunst ist. Er weiß nur, was dabei herauskommt, wenn er etwas klasse findet.

Und das reicht wahrscheinlich für die Unsterblichkeit.

(Erstmals erschienen 1997 in kulturnews)


alle Bilder: Ernst Kahl

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05 Februar 2019

01 Februar 2019

Nein, ich bin NICHT mehr fein!

Jede Ära hat ihr Dummdeutsch, unsere ganz be­sonders. Eine ganze Armada merkbefreiter Wortvermüller walzt die Sprache platt und rottet Geni- und Dativ aus mit Stumpf und Stiel. IQ-Abzugshauben auf zwei Füßen zerhäckseln Komposita mithilfe von Deppenleerzeichen und verman­schen die deutsche Grammatik derart dummdreist mit der englischen, dass nur noch ein Pidgindingsbums übrig bleibt.

Die Lage ist so hoffnungslos, dass willige Helfer aus dem Lehrkörper das alles schon zum „Globalesisch" verklären. Eine ganze WhatsApp-Generation wächst im Glauben auf, ihr in endlosen Chats erworbenes Kommunikations-Nie-wo be­reitete sie aufs Leben vor – also auf Bewerbungsgespräche, Vertragsverhandlungen oder Diskussionen im Dschungelcamp. Das Schlimmste: Wahrscheinlich haben sie recht.

Wie es sein wird, wenn die heute 13-Jährigen die Deutungshoheit haben? „hi ich gürse alle biker“, schreibt ein Dominik in seinem Chatprofil, „biker bleit biker weil bier senn cool gürse meine klasse SIX CROSS.“ Dieser vielfache Artikulationstrümmerbruch ist keine hin­geschlunzte Mail. Nein: So will der gute Dominik die Welt von seinem Liebreiz überzeugen. Ein Chatprofil dient der Balzvorberei­tung – doch welches Weibchen kann Dominik damit becir­cen? Man muss fürchten: irgendeins schon.

Doch wir wollen nicht nur auf Kindern rumhacken. Sondern auch auf Edeka, das uns auffordert, Zucker zu pudern. Oder der Firma Marena: Sie stellt Tütenessen her, laut Verpackung auch „Brat Kartoffeln". Die dafür verant­wortliche Halbsynapse aus der Marketingabteilung glaubt ernstlich, wir merkten nicht, dass sie uns damit barsch einen Befehl zuraunzt – den jeder mit Resthirn natürlich beherzt ignorieren wird. Doch wie viele sind das noch?

Das alles sind Attacken auf die Verständlichkeit; jedes im Halbkoma aus der englischen Grammatik geklaute Leerzei­chen wie in „Brat Kartoffeln" reißt eine Leerstelle in die Seman­tik unserer Sprache. Eingedeutschte Gebrauchsanweisungen hingegen lassen gleich das komplette Gebäude einstürzen: 

„Für iPod Bildschirm und 2. Erzeugung Nano, schlagen Sie einfach die Taste auf dem MicroMemo, um, für das neuere iPod zu notieren, das klassisch ist und 3-Erzeugung Nano, verwenden errichtet in der Schnittstelle auf dem iPod, um zu notieren, es ist einfaches das!“

Mag sein. Oder auch nicht.

Andererseits ist so was kaum schwerer zu kapieren als das eitle Dusseldenglisch, das Werber, Promoter und chief execuitve officers (früher: Geschäftsführer) täglich verzap­fen und von immer mehr Denkschnecken nachgelallt wird. „Jeder muss im Job“, salbaderte mal der Chef einer deutschen Bank, „permanently seine intangible assets mit high risk neu relaunchen.“ Kein Wunder, dass unsere Kredithäuser global nicht mithalten können: Ihre Chefs reden Blech.

Phonetische Verständigungsprobleme gibt es dank der Sprachmansche aber auch im Alltag. In einem Hamburger Bistro wurde in meinem Beisein mal ein „Baguette mit Chicken“ bestellt, weil es so auf der Karte stand. „Das ist nicht mit Schinken“, sagte die Frau hinterm Tresen, ,,das ist mit Huhn." „Dann halt ein Baguette mit Huhn“, korrigierte die Kundin. Rückfrage: „Grilled Chicken … ?“

Der Journalismus, eigentlich ja auf der guten Gegenseite zu Hause, metzelt längst fröhlich mit. So was wie Fälle etwa kennen viele nur noch vom Hörensagen. Da genehmigt Schleswig-Holstein doch wirklich einen „Abschuss von Wolf“  oder man schenkt uns ein Buch „von Gold-Experte Markus Bußler“. Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod? Nein, längst sind beide lethal bedroht. Und der Akkusativ gleich mit.

Maß- und uferlos sind derweil die Fehlübersetzungen, mit denen inzwischen die arme Präposition „für“ grundlos verprügelt wird. Nur weil „wegen“ auf Englisch „for“ heißt, ersetzen die Denglischdeppen in den Redaktionen fast jedes „wegen“ durch ein falsches „für“. Bei der Hamburger Boulevardpostille Mopo, eh ein Hort blanken Horrors, war mal ein Mann „für seine Freundin“ nach Hamburg gezogen – also offenkundig an ihrer Stelle. Dennoch hatten sie das schwere Schicksal einer Fernbeziehung nicht zu wuppen, wie erfreulicherweise im Kontext deutlich wurde, denn die Mopo meinte „wegen“, als sie „für“ schrieb.

Solche Fälle, die ja nicht nur eine Unkenntnis der deutschen Grammatik, sondern auch unverstandenes Englisch dokumentieren, grassieren inzwischen derart, dass man sich ernsthaft Sorgen um die bisherige Semantik des Wörtchens „für“ machen muss. Besser gesagt: Das Wort ist längst verraten und verloren.

Apropos schlechtes Englisch: Einmal lehnte ein Bekannter ein Bier, das ich ihm anbot, mit den Worten ab: „Danke, ich bin noch fein.“ Hallo??? Wenn eine britische Sängerin „Baby, spend your time on me“ singt, heißt das auf Deutsch doch auch nicht: „Schatz, verbring deine Zeit auf mir“! So wird Idiomatik zur Idiotie.

Wer sagt, das sei doch alles nicht schlimm und eine Wut­rede dagegen sogar irgendwie chauvinistisch, der plädiert letztlich dafür, Quatsch zu quatschen, statt Quatsch abzu­schaffen. Gut, soll er – aber hoffentlich verbrennt er sich den Mund an seinem Coffee to go, den er gerade als Freebee be­kommen hat, weil das ein Must-have für die ln-Crowd ist.

Übrigens: Ja, ich bin noch fein. Aber nur noch bis zum Ende des Tages. Dann gehe ich für einen Amoklauf in die Innenstadt. 

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