22 Februar 2013

Pareidolie (57)

Hätte ich gewusst, wie standardmäßig mürrisch die Unterseite meines Bürotelefons in die Gegend guckt, wäre ich bestimmt die vergangenen fünf Jahre (so lange spreche ich ungefähr schon rein in dieses Modell) allmorgens weniger beschwingt zur Arbeit gefedert.

Ab sofort nenne ich das Gerät Matthau.

PS: Eine ganze Pareidoliegalerie gibt es bei der Pareidolie-Tante.

21 Februar 2013

Schon wieder eine Wohnung zu vermieten

Die Rückseite der Reeperbahn entwickelt sich anscheinend zum Marktplatz für freie Hamburger Wohnungen, und das auch noch erfolgreich, wenn man das blitzartig vermittelte erste Angebot zugrundelegt.

Diesmal geht es zwar nicht um eine Bleibe auf St. Pauli, sondern im schönen Ohlsdorf, und sie wird zurzeit noch von einem großartigen Kerl aus meinem Freundeskreis bewohnt, nämlich von Cinema noir.

Er ist u. a. auch Fotograf und pflegte dereinst einmal eine potentiell unendlich fortsetzbare Bilderserie mit dem programmatischen Titel „Orte, an denen noch nie das Blog von Matt Wagner gelesen wurde“. Ich hoffe immer noch auf eine Wiederbelebung dieser verdienstvollen Reihe.

Aber zurück zur Wohnung, zu deren Vermittlung wir nun endlich schreiten sollten. Die Eckdaten:

• zwei Zimmer (etwa gleich groß)

• 50 Quadratmeter
• Vollbad und Kellerraum
• rund drei Fußminuten vom S- und U-Bahnhof Ohlsdorf entfernt
• Warmmiete momentan 485 Euro monatlich

„Wenn man bedenkt, dass der St.-Pauli-Kiez alles für die Anbahnung von Nachwuchs im weitesten Sinne anbietet“, schreibt Cinema_noir in seiner antichambrierenden Begleitmail, „so befindet sich hier in Ohlsdorf ja der spezielle Kiez für den letzten Gang des Menschen. Also eine Art Beendigungskiez.“

Das meint er übrigens positiv. Und es ist ja auch wirklich so, dass die Nachbarschaft in dieser grünen Lunge Hamburgs unübertrefflich illuster ist. So wird die Gegend etwa aufgewertet durch die dauerhafte Anwesenheit von Hans Albers, Heinz Erhardt, Gustav Gründgens, Heinrich Hertz, Inge Meysel oder des oben abgebildeten Herrn mit Rose.

Gentrifizierungseffekte sind dort überhaupt nicht zu beobachten; die erwähnten alteingesessenen Bewohner ziehen garantiert nicht mehr weg. Aber Sie ja vielleicht hin – Mail genügt, ich leite weiter.
 

19 Februar 2013

Mein Ausflug in den Familienblock

St. Pauli gegen Köln: Als Doppelfan muss ich da hin! Dass mir dies siedendheiß erst am Abend des Spiels einfällt, verbessert indes die Chance auf Umsetzung nicht unbedingt.

Doch siehe da: „Ja, ich habe noch eine Karte für 27 Euro, aber im Familienblock“, sagt die liebreizende Frau am Kartenschalter. „Gerne!“, jubiliere ich. „Familienblock deshalb“, erläutert sie, „weil Sie dort nicht rauchen und trinken dürfen.“

Wahrscheinlich glaubt sie, für mich sei diese Karte damit gleichsam vergiftet, doch es ist geradezu das Gegenteil der Fall. Denn: Ich werde hinterher nicht stinken wie Don Draper nach einem Kundenmeeting, mir werden keine Suffköppe Plörre übern Latz kippen, und auf der Toilette werde ich nicht ausrutschen, nur weil irgendein beschwipster Schwanker sich jedwede Treffsicherheit weggesoffen hat.

„Kein Problem“, sage ich also heiter, „aber ich muss doch kein Kind mitbringen oder so?“

„Nein, nein“, beschwichtigt sie.

„Und wenigstens Wasser gibt es dort zu kaufen?“

„Ja, ja.“

Vorfreudig schlendere ich kurz vor 8 rüber zum Stadion – und erblicke Schlangen vorm Einlass wie anno 77 in Ostberlin nach einer Bananenlieferung. Mild panisch reihe ich mich in etwa 50 Metern Entfernung vorm Eingang ein und nehme an, dass sie natürlich den Anpfiff verschieben werden. Schließlich kann man nicht Tausende draußen stehen lassen und drinnen einfach so tun, als wären sie schon drin.

Doch es geht recht zügig voran, weil vorn die Kontrolleure die Gefahr eines Aufstandes anscheinend mit einer zunehmenden Laxheit beim Abtasten zu mindern versuchen. Im Familienblock angekommen sehe ich aus dem Augenwinkel gerade noch das 0:1 und finde anschließend meine Reihe nicht.

Denn nirgends stehen Nummern, die Ordner können auch nicht helfen („Bin neu hier“). Als ich einen bereits sitzenden Fan frage, in welcher Reihe er sich befindet, glaubt er, ich wolle ihm seinen Platz streitig machen. „Ich sitze schon seit Jahrhunderten hier!“, schwört er mit Panik in der Stimme.

Immerhin finde ich heraus, dass es die richtige Reihe ist. Nur liegt mein Platz anscheinend am anderen Ende. Der seit Jahrhunderten mit seinem Schalensitz verwachsene Fan rät mir mit deutlicher Erleichterung, es vom anderen Aufgang aus zu versuchen, das sei leichter. Wahrscheinlich will er mich nur loswerden, weil er in mir einen Sargnagel für seine Sitzschalendynastie zu erblicken glaubt.

Also treppab, treppauf – und wieder das gleiche Problem: keine Reihennummern am Sockel. Deutlich zu lesen sind sie – wie ich bald herausfinde – nur auf den Lehnen der Sitzschalen, aber nur auf den Vorderseiten, und die werden ja verdeckt von denen, die draufsitzen. Ein Teufelskreis, und schuld ist der Stadionarchitekt.

Unmerklich habe ich inzwischen den Familienblock verlassen, das Spiel schreitet fort, Kalla ballert Horn an, und ich habe immer noch keinen Platz. Also gebe ich auf und setze mich einfach irgendwohin, ist ja hie und da noch was frei, trotz ausverkauft.

Ähnlich halten es auch andere Herumirrende. Keiner von ihnen findet den Platz, für den er bezahlt hat, also wird improvisiert. Ein fröhliches Hin und Her, schön chaotisch, aber hochkommunikativ. Wahrscheinlich möchte der FC St. Pauli so den Zusammenhalt der Fanbasis stärken, und das klappt auch. 


Man könnte die Maßnahme vielleicht noch effizienter gestalten, indem man von vorneherein überhaupt keine nummerierten Karten mehr anbietet, sondern „freie Platzwahl“ draufdruckt. Den Rest regeln dann der Markt und die Evolution („survival of the fittest“).

Um mich herum wird übrigens wohlgemut gekifft und gesoffen, als gäbe es morgen kein Gras und auch kein Astra mehr; als Thorandth mit Gelb-Rot vom Platz fliegt (42.), tun es ihm viele volle Becher nach; die eisige Luft ist plörregesättigt, und auf der Toilette pieselt bestimmt gerade irgendein beschipster Schwanker auf die Brille und gern auch mal daneben. Als ich nach Hause komme, stinke ich wie Don Draper nach einem Kundenmeeting.

 

So viel also zu meinem Ausflug in den „Familienblock“. Aber kein weiteres Wort zum Ergebnis des Spiels. Da, euer Ehren, berufe ich mich auf mein Aussageverweigerungsrecht als Schwerstbetroffener.

18 Februar 2013

Doppelt kodiert

Mit Mark beim ausverkauften Konzert von Fraktus in der Fabrik. Die Band ist seit 30 Jahren eine absolute Legende, auch wenn sie bis vor kurzem noch niemand kannte.

Ohne sie nämlich hätte es Kraftwerk, Rammstein, Scooter (!) oder Jethro Tull (Heinz Strunks Querflöte!) nie gegeben – und natürlich auch sämtliche Technoclubs zwischen Rio und Mojo nicht. Nicht ein einziger „Café del Mar“-Sampler würde existieren – und an dieser Stelle muss man sich natürlich fragen, ob das wirklich ein Verlust für die Menschheit wäre.

Egal: Als wir nach anderthalb vergnüglichen Stunden die Halle verlassen, zetert uns unaufgefordert ein Mann an. „So’n Scheiß hab ich mein Leben noch nicht gesehen!“, zürnt er lauthals. „Das war das Schlechteste, was es überhaupt gibt!“
Der Mann sieht echt wütend aus.

„Ich glaube“, raune ich Mark zu, „er hat den Witz nicht verstanden.“

„Oder“, lächelt Mark fein, „er möchte, dass wir glauben, er habe den Witz nicht verstanden.“

Handelt es sich bei diesem Wutanfall also etwa um eine doppelt dekodierte Ironie? Um ein zweifaches Um-die-Ecke-Denken?

Nun, wir werden es niemals erfahren.


14 Februar 2013

Fundstücke (171)

1. Der Herr (Kiezbäcker) hat’s gegeben, der Herr (bzw. sein Gehweg) hat’s genommen. Wahrscheinlich war es von vorneherein ein Fehler, den von Samstagnacht übriggebliebenen Promilleplauzen hausgemachten Kartoffelsalat mit Riesenbockwurst vorzusetzen. Blärch …

 


2. Das abgebildete Produkt gibt es bei Tchibo zu kaufen. So richtig zum Mitnehmen. Offensichtlich habe ich das Prinzip „Luftgitarre“ bisher völlig falsch verstanden.

3. Den Amazon-Preis von 66.567 € für die Dandy-Warhols-LP „Welcome to the Monkey House“ finde ich recht knackig; es gibt dort zurzeit auch kein teureres Album. Bei Ebay kriegt man das gleiche Modell für 34,69 €, aber wahrscheinlich ist es einfach nicht ganz so gut erhalten.

4. Liebes Vattenfall, Sie fragen bestürzt nach den Gründen für meinen Wechsel. Nun, vielleicht liegt es daran, dass Sie ihn mir ausdrücklich nahelegten, nachdem ich sehr muffig auf Ihre Preiserhöhungen reagiert habe. MfG, Matt


12 Februar 2013

Kiezpoeten unter sich

Wir sitzen in der Kiezbar 3 Freunde in der Clemens-Schulz-Straße (s. unpassendes Beispielfoto), als ein Hinz-&-Kunzt-Verkäufer hereinkommt und seine Zeitschrift anbietet. Ich möchte ihm eine abkaufen und krame nach Kleingeld.

„Darf ich Sie um eine kleine Spende bitten?“, fragt der Mann. Er ist ungefähr in meinem Alter und wirkt nicht sonderlich abgerissen. Nur seine dentale Situation war sicher schon mal besser.

Ich nicke, komme auf ungefähr zweiachtzig, reiche sie ihm und harre der Ausgabe Hinz & Kunzt. Allerdings hat der Verkäufer, wie er nur moderat verdruckst verdeutlicht, das mit der Spende etwas anders gemeint.

Er möchte die Zeitschrift nämlich am liebsten gar nicht herausrücken („Die kann ich woanders noch gut gebrauchen“), sondern für die Spende lieber eine immaterielle Gegenleistung erbringen.

„Kann ich Ihnen stattdessen etwas vortragen?“, fragt er, „ein Lied vielleicht oder ein Gedicht?“ Das Angebot überzeugt mich sofort. Angesichts des mittelmäßigen HipHops, den die ansonsten verehrungswürdige Barkeeperin heute aufgelegt hat, scheint mir ein Lied allerdings zu große Dissonanzgefahren zu bergen, weshalb ich mich für ein Gedicht entscheide.

Und nicht nur deswegen. Sondern auch wegen meiner frühen Vergangenheit als gescheiterter Lyriker („Auf Wiedersehen, Haferhalm“, Hugendubel, 1984, ein Sammelband mit praktisch ausschließlich schlechten Gedichten, was das Büchlein im nostalgisch verbrämten Rückblick zumindest sehr homogen erscheinen lässt. Immerhin war es im Offsetverfahren auf Sympathikus-Werkdruckpapier gedruckt, holzfrei weiß mit zweifachem Volumen.).

„Ein fremdes oder ein selbstverfasstes?“, fragt der Hinz-&-Kunzt-Verkäufer, der die Hinz & Kunzt eigentlich gar nicht verkaufen will. Natürlich das selbstverfasste.
 

Augenblicklich beginnt er mit routiniert fester Stimme ein Poem über das Wesen des Künstlertums zu deklamieren, dessen vollendetes Versmaß mir Ver- und Bewunderung abringt.

Nach einem herzlichen Lob geht er zufrieden hinaus in die Kieznacht, in die nächste Bar, zum nächsten Mildgestimmten, der eine Spende rausrückt und ihm die Zeitung dennoch lässt.

So was erlebt man nur auf St. Pauli. Und auch wenn die Sozialromantiker unter Ihnen jetzt wieder mal aufgeregt und rotwangig mit den Flügeln flattern: So richtig intensiv gelesen habe ich die Hinz & Kunzt eh noch nie.


09 Februar 2013

Gescheitert beim Verramschen

Die Trainingsphilosophie von Chris, dem Schlächter, kann man kurz und bündig zusammenfassen. Sie lautet: Zuckerbrot und Peitsche – nur ohne Zuckerbrot.

Sein allsamstägliches Vorgehen beim Fitnesskurs ist der Hauptgrund, weshalb ich über den Schlachthofflohmarkt wankte, als spielte ich in einem George-Romero-Film mit, aber keinen von den Lebendigen.

Die trotz dieser anatomischen Einschränkungen tapfer durchgeführte Suche nach Weinraritäten zum kik-Preis führte zu keinerlei Ergebnissen. Wenn ich also schon nichts zu  kaufen finde, dachte ich mir, dann verkaufe ich wenigstens was.

Also suchte ich zu Hause einen Stapel alter CDs zusammen und radelte ächzend in die Feldstraße zu Ruff Trade Records. Ein graubärtiger Althippie saß dort hinterm Tresen. Ich fragte ihn, ob er mir ein paar CDs abnehmen wolle.

„CDs?“, brummte er und schaute, als hätte ich ihn gefragt, ob er sich vorstellen könne, mit mir nach Tuvalu auszuwandern, „die kannste gleich wieder mitnehmen.“ Und das meinte der Mann auch noch ernst; er wollte nicht mal einen Blick in meine Tasche werfen.

Solche Erlebnisse zeigen überdeutlich, dass die Totenglöckchen für dieses kaum 30-jährige Trägermedium längst bimmeln. Mit Vinyl kann man inzwischen wieder richtig was reißen, aber CDs sind oft nicht mal mehr so viel wert wie ein Ersatzjewelcase, das man für das verkratzte alte kaufen muss, damit die CD überhaupt noch was wert ist.

Ich sitze übrigens auf Tausenden dieser Scheiben. Aber das haben Sie sicher schon geahnt.


03 Februar 2013

Damals mit Norah



Heute Abend fand das weltweit erste Konzert im wiedereröffneten Mojo Club an der Reeperbahn statt, und wer war gebenedeit genug, um dabei zu sein? Moi. Als Beweis mag das beigefügte Video gelten, welches einen kurzen Ausschnitt des Auftritts der Jazzband Studnitzky zeigt.

Wie mir aus gemeinhin glaubwürdiger Quelle zugetragen wurde, soll es weiterhin strikt untersagt sein, Teile der Mojo-Architektur zu fotografieren. Aber „Filmen“ ist ja schon etwas ganz anderes als „Fotografieren“, nicht wahr, und außerdem ist im Film von der Mojo-Architektur lediglich das Ensemble der Deckenlampen zu sehen. Und das – so habe ich insgeheim ex cathedra entschieden – zählt nicht.

An die erste Mojo-Ära habe ich übrigens nur wärmste Erinnerungen. Gut, auch die aufdringliche Gutgelauntheit eines Roger Cicero drängt sich dazwischen, doch weit wärmer sind die Erinnerungsgefühle, wenn ich zum Beispiel an die schüchterne Norah Jones denke. Am 17. Mai 2002 versteckte sie sich dort bühnenrandöffentlich hinterm Klavier, noch nichts ahnend vom anstehenden Weltruhm und den 20 Millionen verkauften Exemplaren von „Come away with me“.

Nur vier Tage später – das habe ich ebenfalls in meinen alten Terminplan nachgeschlagen – rockte Chris Isaak die Hütte. Zwischen den Stücken flirtete er mit den Damen im Publikum und gab jeder einzelnen das Gefühl, er würde sie und nur sie nach der Show mit aufs Zimmer nehmen. (Am Ende waren es wahrscheinlich alle.)

Mal schauen, ob es wieder so gut wird im neuen Mojo. Der Sound und die Luft sind jedenfalls schon mal spitze, Studnitzky sowieso.

Und die Architektur erst!


01 Februar 2013

Ich ist ein anderer

Beim Stöbern in meiner eigenen Plattensammlung fiel mir heute ein apart gestaltetes Album in die Hände, welches ich noch nie im Leben gesehen zu haben glaubte.

Neugierig geworden googelte ich danach – und stieß bei Amazon auf meine eigene Albumrezension.

An unserer Wohnzimmerwand hängt ein Gemälde des Künstlers Bodo W. Klös. Es zeigt ein viergeteiltes Porträt des Poeten Arthur Rimbaud, der einst den mysteriösen Satz schrieb: „Ich ist ein anderer.“

Meine Kritik des Albums ist übrigens erstaunlich zutreffend. Von diesem Rezensenten würde ich gern mehr lesen.

Wo kann man ihn liken?

30 Januar 2013

Es folgt: kein Mucks über Bowie!

Gestern  spielte man mir an streng geheimem Ort, einem versteckt gelegenen Aufnahmestudio in Altona, das neue Album von David Bowie vor. Es erscheint am 8. März.

Bevor es losging, musste ich eine verpflichtende Erklärung unterschreiben. Sie ermöglicht es den Sicherheitskräften, mich standrechtlich zu köpfen, sofern ich vor dem 25. Februar auch nur den leisesten Mucks über die Musik abtropfen lasse. Aufs Niveau dieses Blogs hätte die Strafe wahrscheinlich eine qualitätssteigernde Wirkung, mein Wohlbefinden allerdings wäre womöglich beeinträchtigt.

Deshalb halte ich lieber fein säuberlich die Klappe und erzähle nur von diesem dringenden Bedürfnis, das mich nach dem letzten Track befiel (und nein, das hatte GAR NICHTS mit dem letzten Track zu tun und ist somit KEIN MUCKS über Bowie, damit das ganz klar ist!).

„Entschuldige“, sagte ich zu einem Studioangestellten, „gibt es hier eine Toilette?“ „Ja, nur kenne ich das Passwort von dieser Etage nicht“, antwortete er und entsicherte sein Smartphone, „aber ich kann dir schnell das Hotspotlogin vom WLAN zumailen.“

Hotspot? Login? WLAN? Ich wollte doch einfach nur pinkeln.

Aber so dringend war es dann auch wieder nicht.


PS: Beim Bild oben handelt es sich lediglich um ein allgemeines Beispielfoto. Eigentlich wollte ich den Zettel mit den Songtiteln als Illustration benutzen, doch dann habe ich von Guillotinen geträumt und es lieber gelassen.


26 Januar 2013

Nachmieter auf dem Kiez gesucht! (echt jetzt!)

Nach allem, was Sie jahrein und -aus hier lesen müssen, können Sie gewiss überhaupt nicht verstehen, warum um alles in der Welt man auf den Kiez ziehen (oder dort wohnen bleiben) sollte.

Dennoch werden viele Irregleitete wie magisch angezogen von Hipnessfaktoren wie Huren, Hundehaufen und Schnapsleichen. Mein Freund A. allerdings, dem ich hier vor sechs Jahren einen ebenso zweifelhaften wie dauerhaften Ruhm als Pornobalkensachverständiger verschaffte, zieht jetzt weg.

Was bedeutet:

Mitten. Auf. St. Pauli. Wird. Eine. Wohnung. Frei.

Genauer gesagt in der Herrenweide. Und er sucht einen Nachmieter. Die Daten folgen unten.

Wer also schon immer davon geträumt hat, nach dem Totalabsturz im Casino Novolino (Foto) oder dem Silbersack binnen fünf Minuten im eigenen Bett weitervegetieren zu können, dem kann geholfen werden. Interessenten bringe ich gern in Kontakt mit A. – ganz ohne Maklergebühr.


• Altbau (an der Fassade steht das Baujahr: 1885, ein altes Seemannshaus), 3. OG (Endetage), 2 Zimmer

• Gesamtfläche: 49 m²
– Wohnzimmer (22 m²): sehr hell und sonnig (komplett nach Südwesten)
– Schlafzimmer (6,5 m²)
– Küche (10 m²): Platz für 4 Personen. Einbauküche (Ikea-Style, 90er-Jahre)
– Bad (6 m²): geräumig, mit Badewanne (hier steht auch die Waschmaschine), Kachelboden
– Flur (3,5 m²) mit Regalnische (1 m²)
– Boden: Laminat
– Heizung: Fernwärme
– Geräte: zusätzlich zu Herd/Ofen und Kühlschrank (Wohnungsbestandteile) ein separater Eisschrank und eine Waschmaschine (beide in gepflegtem Zustand, Abstand: 250 €)

• Warmmiete: 555 € (kalt 425 + Betriebskosten 130)
– Wasser und Strom werden direkt mit Versorgern abgerechnet
– Kaution: zwei Monatsmieten
– Courtage: Keine

• Einzugstermin: 1. März (frühestens 25. Februar)
• Besichtigung: ab sofort
• Wohnung muss renoviert werden (Farbe), dafür bei Auszug nicht
• Voraussetzungen für die Hausverwaltung: Personalausweis und Verdienstbescheinigung (Schufa-Auskunft kann nicht schaden, wurde aber nicht erwähnt)

24 Januar 2013

Pareidolie (56)

Unter allen Pareidolielieferanten sind Knollengewächse die Topstars. Zuletzt gelang mir der Nachweis auf recht überzeugende Weise mithilfe einer kreuzgewöhnlichen Kartoffel, heute muss ein griesgrämiger Ingwer herhalten.

Wann schlägt die Steckrübe zurück? Welches Radieschen rafft sich auf? Was unternimmt der Kohlrabi? Es bleibt spannend.

PS: Eine ganze Pareidoliegalerie gibt es bei der Pareidolie-Tante.



22 Januar 2013

Die gemütlichsten Ecken von St. Pauli (79)


… doch mancher wäre wohl auch mit einer dampfenden Badewanne schon mehr als zufrieden …

Die jahrein, jahraus auf dem Abluftgitter an der Simon-von-Utrecht-Straße lagernden obdachlosen Polen müssen nicht selten den zufälligen Sarkasmus der Werbeplakate ertragen.

Im Winter kommt das naturgemäß öfter vor als im Sommer, weil ihr Elend deutlicher hervortritt und deshalb umso stärker kollidiert mit der dummfröhlichen Verführungsabsicht der Plakate.

Heute war es mal wieder so weit. Ob die Polen sich von einer Wodkaspende über die Unerreichbarkeit des Mittelmeers temporär hinwegtrösten lassen? Ist wahrscheinlich einen Versuch wert.

Hier gibt es alle alle gemütlichen Ecken.


21 Januar 2013

Nase zu und durch

Die Vogelschar, die sich mitten auf der Seilerstraße an irgendeinem Leckerli gütlich tut, muss aufgemischt werden.

Mit dem Fahrrad lässt es sich hervorragend mit Karacho hineinsteuern in dieses Gefiedergewirr, so dass alles lustig auseinanderstiebt, die Tauben und die Möwen.

Beim Durchbrettern wird indes bestürzend deutlich, woran die Vögel sich so interessiert labten: an einer sonntagsmorgens auf den meisten Kiezstraßen handelsüblichen kapitalen Kotzlache. Bremsen oder Ausweichen ist nicht mehr drin, es heißt Nase zu und durch.

Immerhin hat mir das eine sehr gute Begründung dafür verschafft, etwas nicht zu tun, das ich eh nur sehr selten getan habe, aber nur aus Faulheit: das Fahrrad im Haus unterzustellen.

Ich möchte übrigens nie mehr in einer Stadt leben, wo es keine Möwen gibt. Habe ich das schon mal gesagt?


19 Januar 2013

Schnauze oder Notaufnahme

Am Schlump steigen vier so halb- wie lautstarke Muskeltürken zu. Einer von ihnen, ein kleiner Pitbull mit Bartflaum auf der Oberlippe, hält es nicht für nötig, die auf dem Bahnsteig bereits verbotenerweise gerauchte Kippe wenigstens im Waggon auszumachen.

Die Rauchschwaden ziehen provozierend durch den Wagen und werfen unwillkürlich Fragen auf. Der Impuls, den Quarzer auf den von ihm verursachten Missstand hinzuweisen, muss indes wohlüberlegt werden.

Klar, man könnte natürlich hingehen und versuchen, ihm ins Gewissen zu reden – entweder legalistisch („Rauchen ist hier verboten“) oder persönlich betroffen („Das stört“). Sehr sorgfältig abzuwägen wären allerdings mögliche Reaktionen seinerseits.

Vielleicht möchte sich der Oberlippenflaum vor seinen Kumpels ja nicht maßregeln und ergo lieber die Fäuste sprechen lassen. Will ich das riskieren?

Die Alternative wäre defensiver, aber auch sicherer: drei Stationen zähneknirschend die Schnauze halten und sich dies insgeheim als urbane Toleranz schönreden. Das könnte das Wochenende verschönern, weil die Chance erheblich stiege, es zu Hause statt in der Notaufnahme zu verbringen.

Gut, zwar könnte sich die deutlich sichtbare Überwachungskamera an der Decke kalmierend auf mögliche Vergeltungsmaßnahmen auswirken, doch sicher ist das auch nicht unbedingt. Schließlich sieht man solche Bilder immer öfter in der Tagesschau. Und auf taktische Intelligenz zu hoffen, scheint mir beim Anblick dieser Truppe nicht sehr ratsam zu sein.

Die Tatsache, Recht zu haben und dies auch frei heraus zu thematisieren, muss also sehr sorgfältig abgewogen werden gegen die gar nicht geringe Chance auf einen Nasen- und Jochbeinbruch.

Noch während ich all dies so hin und her überlege, erreichen wir die Station Feldstraße, wo das halb- und lautstarke Quartett überraschend die Bahn verlässt. Eigentlich wirkten sie nämlich wie St.-Pauli-Aussteiger.

Als ich nach Hause komme, begrüßt mich Ms. Columbo stirnrunzelnd: „Hast du heimlich geraucht?“

Ich hätte doch was sagen sollen, echt.


16 Januar 2013

Got my Mojo working (again)

Eingangs der Reeperbahn wird am 2. Februar eine Legende wiederauferstehen: unser guter, alter Mojo Club.

Seit zehn Jahren ist er schon zu, doch jetzt hat er an alter Heimstatt eine neue Bleibe gefunden, wenn auch komplett unterirdisch. Oben auf dem Foto nämlich sehen wir keinen überdimensionierten Gullydeckel, sondern einen der beiden künftigen Eingänge des Clubs, der sich über drei subterrane Etagen erstrecken wird.

Heute war ich zu einer exklusiven Vorbegehung der Baustelle eingeladen – und dadurch in der Lage, zwar nicht die Radieschen, doch zumindest einen der Mojo-Deckel auch von unten betrachten zu können.

Eine Erfahrung, die wohl jener glich, die Orson Welles im Filmklassiker „Der dritte Mann“ machen konnte (wenngleich in Wien): Man hörte gedämpft den Verkehr über die Reeperbahn rauschen, während ahnungslose Spielbudenplatzpassanten das Treppenhaus unter ihren Füßen mächtig zum Gongen brachten.

Toll, toll, toll wird auch das Mojo-Klo. Es ist unisex ausgelegt, also für beide Geschlechter gemeinsam zugänglich – und soll während des Betriebs live von DJs beschallt werden. Der Andrang der Bewerber ist angeblich schon jetzt riesig.

Als ersten würde ich übrigens unbedingt DJ Koze buchen, aber das müssen natürlich die Mojo-Booker entscheiden. Nur eine Anregung.

Das Putzpersonal indes wird dieses innovative Toilettenkonzept wohl eher mit säuerlichem Grinsen zur Kenntnis nehmen. Denn wer selbst beim Pieseln abhottet, dürfte im Nassbereich erhöhte Kollateralschäden verursachen. Ich denke da nur an die Fliehkraft.

PS: Ist „Mojo“ im Amerikanischen nicht auch ein Slangwort für Schniedel? Hab ich mal gehört.



14 Januar 2013

St. Pauli goes Dschungelcamp

Normalerweise läuft einem hier auf dem Kiez ja alle naslang Olivia Jones über den Weg. Insofern fehlt gerade was. 

Denn Olivia ist im Dschungelcamp und verwandelt sich dort zusehends in einen gewissen Oliver Knöbel.
 

St. Pauli hätte übrigens noch mehr potentielle Urwaldkandidaten zu bieten. Ich zum Beispiel sähe dort liebend gerne mal Herrn N****-Kalle – und zwar nicht nur, weil das hier auf der Reeperbahn die Gefahr von Mittelhandbrüchen dramatisch senkte.

Aber auch.



10 Januar 2013

Ärmer, aber nicht um eine Erkenntnis

Als wir unlängst über eine Brücke die Speicherstadt verließen, sahen wir einen zylindrigen Pfeiler aus den trüben Fluten aufragen. Er endete ein paar Meter unterhalb der Brücke.

Interessanter noch als seine uns Landratten unbekannte Funktion, auf die auch das aufgepflanzte Nummernschild keine näheren Hinweise geben konnte, erschien uns augenblicklich die beträchtliche Münzsammlung, die es sich auf dem Pfeiler wohlergehen ließ.

Wie kamen die Geldstücke bloß dort hin? Ein Wurf von der Brücke musste doch unweigerlich dazu führen, dass das auftreffende Hartgeld seine überschüssige kinetische Energie sogleich zu einem Satz ins Wasser … ähem … ummünzen würde.

Das wollte ausprobiert werden: Sportlichen Herausforderungen nie abgeneigt, kramte ich sogleich in der Parkatasche nach etwas Rotgeld (so viel Geiz muss sein), fingerte ein Zweicentstück hervor und erbat Ms. Columbos voll(st)e Aufmerksamkeit. Sie stellte sich erwartungsvoll ans Geländer und harrte des Stunts ihres angetrauten Helden.

Ich visierte das Ziel an, schwang sachte den Unterarm, ließ die Münze los – und verfehlte den Pfeiler.

In 80.000 Jahren werden Archäologen sie aus dem seit Ewigkeiten erstarrten Elbgrund buddeln und wichtige Hinweise auf die Lebensweise im 21. Jahrhundert gewinnen. Bis dahin bin ich um zwei Cent ärmer.

Und der Gegenwert dieser Investition war auch eher mau, offen gesagt.


06 Januar 2013

Die Antwort auf die Augstein-Frage

„Weißt du, wer definitiv kein Antisemit ist?“, fragt mich German Psycho, während er sich im Jolie über das angeblich beste Wiener Schnitzel Hamburgs hermacht.

Anlass seiner Frage ist eine längere Diskussion über Jakob Augstein etc., in deren Verlauf ich eingestand, unter massivem Kopfschwirren zu leiden angesichts der Tatsache, um wie viele Ecken hierzulande bisweilen gedacht wird, damit am Ende der Argumentationskette jemand als Anti- oder Philosemit entlarvt oder belobigt werden kann.

Ich hatte mich im Verlauf sogar zu der kühnen Behauptung verstiegen, ich könne mit ein wenig Tüftelei auch Henryk M. Broder des Antisemitismus’ zeihen, was allerdings – wie ich sofort zugab – Zeit, Wein und unbedingt der Schriftform bedürfte.

„Definitiv kein Antisemit ist jedenfalls“, fuhr German Psycho fort, „wer israelischen Eiswein trinkt.“ Damit spielte er an auf ein besonderes kulinarisches Erlebnis, welches wir zwischen den Jahren teilen durften.

Im Mittelpunkt desselben stand eine  süße Köstlichkeit, welche sage und schreibe auf den Höhen des Golans heranreift und dort vom Weingut Yarden aus edelverschimmeltem Gewürztraminer gekeltert wird. Bei der Temperatur hilft man freilich mit technischen Mitteln (vulgo: Tiefkühltruhe) etwas nach, wie mir der Privatimporteur dieser Kreszenz, Dr. K, steckte, doch das kümmert nur Pedanten, keine Connaisseure.

Jedenfalls sind wir nach dem hedonistischen Yarden-Gelage also definitiv keine Antisemiten, und um das noch einmal deutlichst zu unterstreichen, haben wir heute bei oben verlinkter Adresse eine ordentliche Menge Flaschen nachbestellt. „Dieser Wein ist sogar koscher!“, bekräftige ich gegenüber Ms. Columbo. „Aber ist er auch halal?“, fragt sie bang. „Jedenfalls bringt er dich zum Lallen, zumindest bei ausreichender Zufuhr“, kalauere ich zurück.

Ich würde übrigens auch jederzeit und ohne Vorbedingungnen palästinensischen Eiswein süffeln, aber sagen Sie das mal der Hamas.

02 Januar 2013

Das lässt tief blicken

Am Neujahrsmorgen standen unten vorm Tunnel – einer Diskothek, deren Eingangsbereich wir von unserem Balkon aus sehen können – junge Menschen im Winterregen, darunter eine Frau im kleinen Schwarzen und wadenfrei.

Im Winter sieht man so was erstaunlich oft in Hamburg und vor allem auf dem Kiez, wo das Bedürfnis, sich zu präsentieren, anscheinend stärker ist als jede Lungenentzündungsbefürchtung.

Man sieht sogar bei Minusgraden schalfreie Hälse und Dekolletees von einer derartigen Tiefe, dass sich in ihren Spalten jeder dahergelaufene russische Eiswind formidabel aufwärmen kann. (Und ich spreche nicht von den Huren in der Davidstraße; die tragen nämlich Skianzüge.)

Ich und Ms. Columbo laufen derweil vollvermummt an diesen merkwürdigen Menschen vorbei und fragen uns, ob wir wirklich zur gleichen Spezies gehören. Wenn hier eine dieser Winterhalbnackedeis mitliest: Frieren Sie denn nicht? Und wenn ja: warum bloß nicht?

Ich frage für eine genetisch benachteiligte Halbsardin, die sich schon ins Lammfell mummelt, wenn sie nur Langnese-Werbung im Fernsehen sieht.

Übrigens ließ auch unsere Haustür am Neujahrsmorgen tiefer blicken als noch am Abend zuvor, doch das ist ja durchaus nicht unüblich – und damit für dieses Jahr hoffentlich erledigt.

31 Dezember 2012

Fundstücke (170): Offener Silvesterbrief etc.













1. Am Eingang des U-Bahnhofs Mönckebergstraße liegt eine Mahlzeit für eine vierköpfige Familie aus – und keine einzige Taube interessiert sich dafür. Allem Anschein nach befinden wir uns unversehens in einem Paralleluniversum. Vielleicht war das ja die latente Konsequenz des Mayakalenders.

2. Wie stets am letzten Tag des Jahres möchte ich Ihnen allen, die noch heute Abend mit explosivem Material erwägen herumzudilettieren, inständig nahelegen, sich in vorauseilender Wehmut noch einmal der Unversehrtheit all Ihrer Glieder zu vergegenwärtigen. Diesbezüglich verweise ich auf die Einträge aus den Jahren 2011, 20102009, 20082007 und  2006, die ebenfalls alle nichts genützt haben.


3. Der chinesische Konzern, der beim Mutterkonzern des deutschen Unternehmens Linde einsteigt, heißt übrigens Weichai. Ich wollt’s nur sagen.


27 Dezember 2012

Stadt, Land, Stuss

Die Unterschiede zwischen unserem mehrtägigen Weihnachtsdomizil am Rande des Westerwalds und St. Pauli sind evident. Ein zutraulich vorm Wintergarten lagerndes Reh zum Beispiel ist auf dem Kiez eher selten, und zwar nicht nur wegen des seltenen Vorkommens von Wintergärten.

Die hiesige Fauna besteht hingegen vor allem aus Tauben, Ratten, Mäusen, Möwen, Staffordshire-Terriern und … ähem … Bordsteinschwalben.

Und damit melde ich mich zurück.


24 Dezember 2012

Intermezzo

So, hier herrscht jetzt Weihnachtspause mit Überbrückungsfoto.

Schließlich haben Sie ja auch Besseres zu tun, als im Web vorbeizuschauen. Und wenn, dann gehen Sie sowieso lieber beim Spiegel online als hier. Erzählen Sie mir nix.

PS: Das Bild zeigt die Hardcorekneipenmeile Hamburger Berg in einem der raren Momente aufkeimenden Liebreizes. Und verschneit riecht’s dort sogar besser.
Ein bisschen.


21 Dezember 2012

Kiezöffentlich im Klugscheißermodus

Im Herz von St. Pauli, wo ich mit  German Psycho und Twelectra den Weihnachtsurlaubsauftakt begehe, informiert mich die Bedienung über die Weißweinauswahl.

„Wir haben einen Pinot Grigio und einen Riesling“, sagt sie. „Gut“, antworte ich, „dann nehme ich den Grauburgunder.“

Klassiker! Aber noch nie selbst live erlebt. Bis jetzt. Sie runzelt die Stirn. „Aber wir haben gar keinen … Ach so, der Pinot … DU KLUGSCHEISSER!“

German Psycho, der gerade draußen ist, um eine zu rauchen, wird später anmerken, das sei keineswegs eine Beleidigung gewesen, und ich stimme ihm wohlgestimmt zu. Allerdings bemängelt er das grobe Duzen, dessen sich die Kellnerin im Überschwang der Gefühle schuldig gemacht hat, doch das wiederum sehe ich ihr gerne nach.

Später bestelle ich explizit noch einen Pinot Grigio, was sie gespielt genervt goutiert, und am Ende, als es ans Bezahlen geht und sie die Rechnung aufdröseln möchte, informiere ich sie über die Posten, für die ich zu blechen gedenke: „Einen Grauburgunder und einen Pinot Grigio.“

Beide kosten übrigens gleich viel im Herz von St. Pauli, nur so als Tipp.

19 Dezember 2012

Fundstücke (169): Die Reeperbahn im Winter





Alles liegt – auf dem Gehweg undefinierbarer Sperrmüll, am „Geiz Club“ ein Obdachloser und außerdem Titten-Tinas Kieztour brach (worüber uns der aufgeklebte weiße Zettel informiert).

Kein Zweifel: Die Reeperbahn hat zurzeit den Blues. 


Und ich wenigstens ein paar neue Fotos im Kasten.

Mehr aber auch nicht.


16 Dezember 2012

Watt Muse, datt Muse

Beim Muse-Konzert in der o2-Arena filme ich mit der Digicam einen Song mit, als mir plötzlich jemand eine Hand auf die Schulter legt. Es ist eine Ordnerin.

„Bitte stellen Sie das Filmen ein“, brüllt sie mir ins Ohr, „das ist untersagt!“

Wir befinden uns im Unterrang. Einige Meter tiefer wogt die Fanmasse, die Stehplätze erworben hat. Man sieht Dutzende, vielleicht Hunderte Handys und Kameras, die im Dunkeln leuchten.

Alle filmen mit.

Ich würde der Ordnerin gerne erläutern, wie sinnlos der Versuch ist, Zahnpasta zurück in die Tube zu drücken. Aber dazu ist es einfach zu laut.

Und es würde auch die Aufnahme verderben.

13 Dezember 2012

Pareidolie (54)

Auf der Weltkarte der ZDF-Nachrichtensendung heute (r.) sieht die Ostsee aus wie ein krummrückiger Punkrockbassist in Schlaghosen, der exorbitant klobige Schuhe trägt.

Letzteres liegt allerdings nur daran, dass die heute-Leute – im Gegensatz zu Wikipedia (l.) – die russische Exklave Kaliningrad ebenfalls in Ostseeblau tunken, obwohl die Stadt gar nicht à la Atlantis im Meer versunken ist.

Aber ich will nicht meckern: Ohne diese kleine geografische Flunkerei sähe die Ostsee im ZDF weit weniger pareidolisch aus, und ich müsste mir jetzt einen ganz anderen Blogeintrag ausdenken.

PS: Eine ganze Galerie von Pareidolien gibt es bei der unermüdlichen Pareidolie-Tante, wo sonst..


11 Dezember 2012

Von 0 auf 180 – und zurück

Auf einer Handelsplattform im Netz, wo man auch Produkte aus zweiter Hand verkaufen kann, hatte ich eine CD aus meinem überbordenden Archiv eingestellt und erfolgreich verkauft, für 12,88 brutto. Zwei Tage nach dem Versand erhielt ich vom Käufer eine Mail. Sie klang unzufrieden:

Hallo, leider musste ich eben feststellen das sie mir die Falsche Ware zugeschickt haben!! Ich habe die CD inkl. DVD bestellt. Sie lieferten mir die Standard-Version des Albums! Wie sollen wir jetzt verfahren???? Frechheit zumal Ihr Ware bei CD gelistet ist/war!
Anscheinend hatte ich beim Einstellen das falsche Produkt angeklickt und es nicht bemerkt. Er schon, und wie. Noch ehe ich mich von meiner schamvollen Verdatterung erholen konnte, pingte seine nächste Mail ins Fach. Diesmal sparte er sich auch die Anrede und wählte das Stilmittel der unmittelbaren Ansprache:

Zumal ich dies als betrug bewerten kann, denn allein die Coverdarstellung ist die der Deluxe-Version mit DVD!!! Sie haben mir die Standard zugeschickt!!!! Und dann auch noch im Lieferschein stehend: CD. Obwohl die Listung bei CD+DVD stand. Klicken sie einmal auf den Artikel und schauen sie wo er gelistet ist!!
Wie mir schien, war dieser Mann rechtschaffen empört. Und sämtliche seiner Rückschlüsse waren alles andere als schmeichelhaft für mich. Allein das Wort „betrug“ in Zusammenhang mit mir lesen zu müssen, traf mich tief, trotz der Kleinschreibung. Dennoch kam ich nicht umhin, seine Suada nah an der Überreaktion anzusiedeln.

Für ihn gab es, wie mir schien, keine andere denkbare Erklärung für die ihm zugemutete Ungeheuerlichkeit als die kriminelle Energie eines Dr. Mabuse. Und der zu begegnen, bedurfte es aus seiner Sicht offenbar keineswegs des Floretts, sondern eines kapitalen Flakgeschützes.

Man liest in letzter Zeit viel von marodierenden Trollen im Netz, von Tobern und Pöblern, und es heißt, es läge an der Anonymität, die selbst wohlerzogene Mitbürger dort alle Anstandsregeln vergessen ließe. Wo im richtigen Leben (neudeutsch: RL) gemeinhin vier bis fünf Eskalationsstufen durchlaufen werden müssen, ehe man endlich beim „ARSCHLOCH!“ anlangt, sind es online höchstens die Hälfte. Mein Kunde schien diesen Erklärungsansatz zumindest nicht vollends zu widerlegen.

Ich beschloss, dieser Attacke auf meine Integrität, ja auf mein ganzes säkulares Moralsystem angemessen zu begegnen. Nämlich mit brutalstmöglicher Höflichkeit: 

Entschuldigen Sie vielmals, das war ein Fehler und keine Absicht. Ich erstatte Ihnen selbstverständlich Ihre Kosten. Behalten Sie bitte die CD. Ich hoffe, Sie können mir diesen Fauxpas nachsehen. Mit freundlichen Grüßen.
Die Wirkung war erstaunlich. Seine Reaktion kam nur wenige Minuten später – und grenzte geradezu an Selbsterkenntnis:

Hallo, Danke für den schnellen Schriftverkehr. Mir tut es selber Leid hier einen aufriss zu machen. Bitte entschuldigen sie meine Wortwahl. Da ich ihnen dankbar bin für Ihr verständniss etc. biete ich ihnen an mir 10€ zurück zu überweisen den rest dürfen sie getrots behalten. Ich danke Ihnen nochmals, mit frdl Grüßen und einer schönen vorweihnachtszeit. LG
Doch so leicht wollte ich ihn nicht vom Haken lassen. Wer mich beim Tippen der folgenden Zeilen beobachtet hätte, hätte mich sardonisch lächeln sehen:

Ich habe Ihnen den Komplettbetrag zurücküberwiesen. Da ich die CD falsch zugeordnet habe, muss ich auch die Kosten tragen. Aber danke für Ihr Angebot! Wenn Sie mögen, können Sie mir ja trotz der Umstände eine positive Bewertung geben. Besten Gruß.
Er hatte als tollwütiger Hammerhai angefangen. Aber jetzt war er nur noch ein Putzerfischchen, und man kann nun wirklich nicht sagen, dass diese Entwicklung die (Online-)Welt schlechter macht, oder? Er schrieb steviasüß zurück:

Bewertung wurde ebend gemacht. Positiv natürlich  ;-) Alles alles liebe und gute!!!
Einen Heiratsantrag hat er übrigens nicht nachgeschoben. 
Na ja, noch nicht.



10 Dezember 2012

Und noch eine Sprachnörgelei

Der hochverehrte Hamburger Werbetexterpapst ramses101 wird mich angesichts des heute präsentierten Fundstücks gewiss wieder als „Sprachnörgler“ bezeichnen.

Zuletzt tat er das erst am vergangenen Donnerstagabend, als wir uns im Brandanfang in der Deichstraße unterm unheilvollen Einfluss von Bier, Wein und German Psycho kräftig in die Haare gerieten, wobei das in meinem Fall aus rein anatomischen Gründen eigentlich gar nicht möglich ist.

Jedenfalls muss Sprachnörgler Matt an diesem Infoschild einige Auffälligkeiten konstatieren, ob es  ramses101, dem sanftmütigsten Fehlerdurchgehenlasser seit Konrad Dudens Geburt, nun passt oder nicht. Alles andere wäre grob fahrlässig.

Aus Sicht eines Deutschlehrers nämlich
wären beeindruckende acht Fehler zu markieren, was bei einem lediglich ebenso viele Wörter umfassenden Text eine Superleistung darstellt – und im Grunde nur von einem Schülerpraktikanten aus der Klasse von Frl. Krise zu packen wäre.

Übrigens thematisiere ich an dieser Stelle immer meine aufkeimende Befürchtung, die Dienstleistungsqualität des verantwortlichen Unternehmens könne ein ähnliches Niveau aufweisen wie der
Frontalunfall von Infoschild. In diesem Fall gälte das für den Media Markt in Altona.

Na ja, vielleicht kaufe ich den HD-Fernseher doch lieber bei Conrad. Oder Saturn.

PS: Ja, ich weiß, dass Media Markt und Saturn zur selben Unternehmensgruppe gehören.


08 Dezember 2012

Time to say goodbye (2)

Im Gegensatz zu Büchern, die man relativ problemlos verschenken kann, wird man nur unter größten Schwierigkeiten Abnehmer für zuschanden gespielte Fußballschuhe aus dem letzten Jahrtausend finden.

In meinem Fall erklärte sich nur noch die Mülltonne dazu bereit. Wobei ich zugeben muss, auch keinen anderen gefragt zu haben. Jetzt sind sie jedenfalls weg – trotz aller Erinnerungen, die an diesem Paar Treter hängen.

So gelang mir damit zum Beispiel dereinst einmal die direkte Verwandlung eines Eckballs, allerdings mit freundlicher Hilfe einer Bö und eines talentlosen Torwarts. Doch dieses Jahr steht nun mal unter dem Motto: Schaffe wöchentlich mehr aus der Wohnung hinaus, als du im gleichen Zeitraum nach Hause gebracht hast. 


Als ganz besonders effektiv erwies sich dabei der Abbau der Compact-Cassetten-Bestände. In den abgebildeten Tüten tummelten sich einige Hundert Bänder, darunter u. a. selbst mitgeschnittene Konzerte aus den 80er Jahren, Unikate zwar, doch klanglich von bestürzender Lausigkeit.

Die meisten Cassetten waren allerdings selbst zusammengestellte Mixtapes. Angesichts der Abertausenden Arbeitsstunden, die das Kompilieren insgesamt gekostet hat, vergoss ich beim Entsorgen erstaunlich wenig Herzblut.

Vielleicht liegt es daran, dass die Musik, die sich darauf befand, ja letztlich gar nicht weg ist. Sie befindet sich mittlerweile komplettement irgendwo da draußen: im Netz, in der Cloud. In Mausklickreichweite.

Hinsichtlich des Jahresmottos sorgte der gestrige Tag übrigens für einen gewaltigen Rückschlag. Ich sage nur ein Wort: Redaktionsflohmarkt.

Wie die Spezialedition von „Fluch der Karibik“ allerdings gleich dreimal in meine Tüte kam, will ich gar nicht wissen.

06 Dezember 2012

Sehr delikatet

Nehmen wir mal an, ich käme auf die Idee, mit Ms. Columbo in Peking ein Restaurant mit hanseatischer Küche aufzumachen.

Nehmen wir des weiteren an, eines Tages wäre – sagen wir – überraschenderweise Herbert Grönemeyer zu Gast, und wir beschlössen, dieses Großereignis zu Eigenwerbungszwecken der Welt resp. ganz Peking per Schaufensteraushang zu verkündigen.

Gesetzt also diese unwahrscheinlichen Fälle: Würden wir uns dann wirklich ohne jede einheimische Hilfe mächtig einen auf Chinesisch abbrechen? Nein, würden wir nicht. Das Restaurant China in der Kirchenallee ist da allerdings deutlich selbstbewusster.

Mit den üblichen Folgen.



04 Dezember 2012

Jungfernfahrt in der U4

Wann bekommt eine westliche Großstadt schon mal eine neue U-Bahn-Linie? In Athen zum Beispiel passierte metromäßig nach 1904 erst mal 96 Jahre lang überhaupt nichts mehr.

Von daher ist die Eröffnung der U4 in Hamburg ein großes Ereignis. Endlich passiert mal wieder was! Und die schnorrerhaft veranlagten Ms. Columbo und ich nutzen natürlich sofort das Angebot der hiesigen Verkehrsbetriebe, den U-Bahn-Frischling zur Einführung kostenlos zu befahren.

Vom Jungfernstieg aus geht es unter der Elbe hindurch gen Hafencity, wo uns zwei gewaltige Bahnhofshallen erwarten, deren Kubikmeterpreis sich bei parzellenweiser Vermietung bis ins Fantastilliardenhafte schraubte.

Die Station Hafencity Universität ist gar auf geradezu „Clockwork Orange“-hafte Weise illuminiert, während dazu diverses Meeresgetier leise säuselnd den Soundtrack liefert. Ganz vernarrt in die überwältigende Kraft von multichromen LEDs und Symmetrie schieße ich ein Foto ums andere und komme am Ende zu dem Schluss: Hier lässt es sich aushalten. Ein neuer gemütlicher Ort ist geboren.

Die Station zu verlassen ist allerdings (noch) nicht angeraten, denn draußen empfängt uns ein wilder Mix aus Zäunen, Brachen und Bauschutt. Sozusagen ein Gammelsurium.

Ein bescheuerter Kalauer, der Ms. Columbo übrigens erheitert. Und dafür mache ich das doch alles!




01 Dezember 2012

Dylan hat’s verschissen

Unter der lustigen Truppe, die jährlich vom Maritim-Hotel zum Gänseessen ins mondän angeranzte Haus in der Kirchenallee eingeladen wird, befindet sich nicht nur aus unerfindlichen Gründen der Autor dieses Blogs, sondern auch Journalisten, die ab und zu wirklich Artikel über Hotels verfassen.

Dadurch erfahre ich gleichsam nebenbei, welche jährliche Summe der Musiker Udo Lindenberg  an die Eigentümer seiner Dauerresidenz, das Atlantic-Hotel, überweist – und muss sagen: Das hätte ich nun wirklich nicht gedacht …

Ein älterer Kollege wälzte hingegen ein ganz anderes Thema, welches, wie schnell deutlich wurde, seit Dekaden in ihm gärt. Er erzählte mir zwischen Amuse-Gueule und Kürbissamtsüppchen von einer bitteren Erfahrung 1970, als er das längst legendäre Festival auf der Isle of Wight besuchte.

Bob Dylan nämlich, erinnerte er sich, habe nur eine Dreiviertelstunde (!) gespielt, sei dann einfach so (!!)  „in seinen Hubschrauber“ (!!!) gestiegen und wieder abgeflogen.

„Wir waren alle sauer, wir haben gebuht!“, erregte sich der Mann. Ob er noch mal ein Dylan-Konzert gesehen habe seither? Er schüttelte wild den Kopf, denn 42 Jahre später im Hamburger Maritim-Hotel Reichshof in der Kirchenallee war seine gleichsam überzeitliche Empörung noch immer nicht abgeklungen.

Ein solches Beharrungsvermögen imponiert mir. Was so etwas allerdings über die Qualität der kulturellen Meinungsbildung in Deutschland aussagt, möchte ich lieber nicht tiefer durchdenken.

Mit Jimi Hendrix 1970 auf Fehmarn war der Kollege übrigens ganz zufrieden. Wenige Wochen später war Hendrix tot, und Dylan lebt
immer noch. Zufall?

PS: Der abgebildete Prachtkronleuchter hängt übrigens im Restaurant des Maritim und schaut den Gästen abgeklärt in die Suppe.