14 Februar 2008

Ein Gewinn erster Klasse

Mitten in der Nacht piept das Handy. Eine SMS.

Normalerweise schalte ich das Telefon abends aus. Diesmal habe ich es vergessen, und prompt piept es um halb fünf in der Früh. Doch die Nachricht, die sich mir nach dem Aufstehen präsentiert, ist nicht die schlechteste.

Wir hätten, heißt es, bei der Glücksspirale gewonnen. Und zwar in der Gewinnklasse 1. In der Tat spielen wir dort mit; es handelt sich also nicht um SMS-Spam. Und Gewinnklasse 1: Das klingt geradezu großartig.

Vom Lotto weiß ich, dass dort, in der Gewinnklasse 1, stets der Jackpotgewinner angesiedelt ist, also der mit den 20, 30 oder 40 Millionen. Auch beim Spiel 77 und der Super 6 ist die Gewinnklasse 1 eine Region, wo es hochinteressant wird.

Diese SMS klingt also nach einem neuen Leben, von heute auf morgen, mir nichts, dir nichts.


Mit einem hauchdünnen Schweißfilm auf der Oberlippe surfe ich zur Lottoseite im Internet. Da ist sie auch schon, die Spalte mit der Glücksspirale. Sie hat auch eine Gewinnklasse 1 – natürlich.

Doch als einzige von allen Lotterien kategorisiert sie die Gewinnklassen von unten nach oben. Nr. 1 ist also nicht die mit dem neuen Leben mir nichts, dir nichts. Sondern die mit den zehn Euro.

An diesen hauchdünnen Schweißfilm auf der Oberlippe könnte ich mich trotzdem gewöhnen.

13 Februar 2008

Fundstücke (36)



Am Ende seines Konzerts in der Insel am Alsterufer sagt der irische Sänger Brendan Keeley: „It’s the last song. I have to go home – because I live there.“ Entwaffnend.

Vorher, im Büro, erhielt ich eine CD mit der abgebildeten Karte. Dazu kann ich nur soviel sagen: Okay, ich werde mein Bestes tun. In einem Jahr schauen wir mal im Handelsblatt nach, ob ich einen guten Job gemacht habe.

Für einen unbekannten Spammer gilt das schon jetzt. Er schickte mir heute eine Mail mit folgendem Betreff: „It's time to bring your good willy hunting.“


Ich geb’s wirklich nicht gerne zu, aber das ist mal ein verdammt guter Spruch. Trotzdem gewann er mich nicht als Kunden.

Aus dem besten aller Gründe.

11 Februar 2008

Eine Begegnung mit Jane Birkin, im Dunkeln

Ich war in der Grundschule, als das von Jane Birkin schamlos-lustvoll gestöhnte Chanson „Je t’aime … moi non plus“ zum internationalen Skandal wurde. Fast 40 Jahre später – genauer gesagt: heute Abend – fasste mir dieselbe Jane Birkin an den Oberschenkel. Aber der Reihe nach. 

Im Schauspielhaus, wo sie auftreten soll, haben Ms. Columbo und ich eine Dreierloge im zweiten Stock bekommen, mit bestem Blick auf die Bühne. Irgendwann geht Jane Birkin singend durchs Parkett. Wir lehnen uns übers Geländer und schauen uns das von oben an. „Hier sind wir sicher“, sage ich erfreut zu Ms. Columbo, denn wir beide sind nicht gerade Rampensäue, die sich gern ins Scheinwerferlicht zerren lassen und dort dann ekstatisch einen Sirtaki improvisieren. Wirklich nicht. 

Plötzlich ist Birkin verschwunden – und taucht in der Loge unter uns wieder auf. Spot an, Freude im Publikum. Oha, denke ich, die Einschläge kommen näher. „Die Gefahr wächst“, flüstere ich spaßeshalber Ms. Columbo zu. Unter uns erlischt der Scheinwerfer, man hört Birkin nur noch singen. Aber wo ist sie jetzt? 

Die Tür zu unserer Loge öffnet sich, ein Livrierter vom Theater hält sie auf. Und dann kommt die Poplegende Jane Birkin persönlich hereingehuscht in unsere kuschelige Dreierloge. Sie geht geduckt, schließlich will sie den Saal überraschen. Es ist dunkel, sie tastet sich vorwärts, und jetzt kommt mein Oberschenkel ins Spiel. 

Fast 40 Jahre nachdem ich kleiner Hosenscheißer zum ersten Mal eine Ahnung davon bekommen habe, wie es sich anhört, wenn eine Frau lustvoll stöhnt, fasst mir genau diese Frau an den Oberschenkel. Aus Gründen der Balance. 

An der Brüstung richtet sie sich auf und singt. Der Scheinwerfer flammt auf und flutet unsere Loge mit Licht, und irgendwie schaffe ich es, ein supermieses Foto zu schießen, mit Ms. Columbos kupferbraun aufstrahlendem Haar überbelichtet im Vordergrund und dahinter, halb im Dämmer, der Rücken von Jane Birkin. Jubel im Publikum, das geschlossen zu uns hochschaut. 

Birkin dreht sich um, noch immer im gleißenden Licht, ihre charakteristische Lücke zwischen den Schneidezähnen blitzt auf. Irgendwie überdreht schüttelt sie Ms. Columbo die Hand, lächelt mir und meinem Oberschenkel zu, huscht hinaus aus der Loge und entert wenige Sekunden später wieder die Bühne. 

„Je t’aime … moi non plus“ stöhnt sie übrigens den ganzen Abend nicht. Aber das hatte ich sowieso nicht erwartet. 

Den Rest allerdings auch nicht.




10 Februar 2008

Das möglicherweise bedeutsame Plattenbruchstück



Bei Penny schenkte ein leicht derangierter junger Mann der Kassiererin jenen Cent, den sie ihm gerade rausgegeben hatte. „Ein Glückscent“, sagte der Mann.

Lächelnd bedankte sich die Kassiererin und deponierte das Geldstück neben der Kasse. Die darauffolgende Kundin, eine adrett gekleidete und gut 70-jährige Greisin, die aus der Pennykundschaft herausstach wie eine Rose aus einem Distelbeet, hatte 5,01 Euro zu zahlen – aber denkst du, die Kassierin wäre auf die Idee gekommen, ihr den Cent zu erlassen und mit dem gerade geschenkt bekommenen zu verrechnen?

Keine Chance. Sie ließ die Dame lieber solange zittrig in der Börse wühlen, bis die endlich eine passende Winzmünze gefunden hatte. So kommen wir als Gesellschaft, als Sozialsystem, als Solidargemeinschaft keinen Millimeter weiter, so viel ist sicher.

Mittags lustwandelten Ms. Columbo und ich durch den verfrühten Frühling. Im Schlachthofviertel stießen wir auf eine Brache, wo mehrere zerbrochene Langspielplatten im Dreck lagen.


Eine davon stammte von den Pet Shop Boys, und das Bruchstück sah verblüffenderweise aus wie eine grobe antike Landkarte der Vereinigten Staaten von Amerika.

Was das zu bedeuten hat, weiß ich aber auch nicht.


Der Kiez meldet Frühlingsanfang

Da war er: der erste Tag des Jahres, an dem ich handschuhlos Fahrrad fahren konnte. Da geht dir glatt das Herz auf.

Man wird sogar vor der Zeit schon frühlingsmilde: Bei Spar schiss ich aus purer Gutgelauntheit nicht einmal jene Frau mit den wurstpellenengen Reiterhosen zusammen, die mit ihren bakterienbeladenen Fingern glaubte die Brötchen kontaminieren zu müssen.

Natürlich hätte ich sie trotz meiner Hochgestimmtheit sofort angemotzt, wenn auch mein Fach mit den Quarkbrötchen bedroht gewesen wäre. Denn auch mein Fass hat Grenzen. (Stromberg)

Selbst die Tatsache, an der Kasse genau einen verdammten Cent zu wenig fürs Begleichen der Rechnung in meinen Taschen vorzufinden, was normalerweise zu einem genussvoll ausgelebten paranoiden Schub führt, trübte heute meine Stimmung nur unwesentlich.

Denn über St. Pauli grinste die Sonne, ich fuhr handschuhlos Fahrrad, und im Gegensatz zu gestern versuchten heute keine drei verschiedene Autos, mich über den Haufen zu fahren.

Das Leben kann so leicht sein. Wenn es nur will.


08 Februar 2008

Eine Botschaft aus Reihe null

Der Plan war gut – wie fast alle meine Pläne, die letztlich an der Wirklichkeit scheitern.

Der Plan lautete: Ich erledige all das, was freitagsnachmttags erledigt werden muss, esse gegen 18 Uhr vorgezogen zu Abend und gehe dann rüber ins Stadion, wo ich mir das Spiel des FC St. Pauli gegen Jena anschaue.

Guter Plan. Einziges Problem: Kurz vor halb sechs stelle ich erschrocken fest, dass der Anpfiff nicht etwa um 19, sondern bereits um 18 Uhr stattfindet. So schnell hat man mich noch nie zwei Käsebrote und einen Mix aus Rauke und Feldsalat reinschaufeln sehen.

Zwei Minuten vor Anpfiff erreiche ich hechelnd meinen Platz auf der Haupttribüne in der ersten Reihe, direkt hinter der Werbebande. Doch dort, auf Platz 73, sitzt schon jemand.

„Ähem“, hüstele ich, „das müsste mein Platz sein.“ Der junge Mann mit Wollmütze bleibt ganz ruhig. „Welche Reihe?“, fragt er. „Reihe eins“, sage ich, denn so steht es auf meiner Karte, und die Reihe hinter der Werbebande ist ja wohl Reihe eins, das kann ja gar nicht anders sein.

„Das hier ist Reihe null“, grinst der Mann, „das da ist die eins“, wobei er auf die gefühlt zweite Reihe zeigt. Heißt es nicht immer so schön, das hier sei der etwas andere Club? Quod erat demonstrandum. Wo sonst in Deutschland, Europa oder dem Rest der Welt gibt es eine Reihe null?

Kurz vor der Halbzeitpause meldet sich mein Magen. Die zwei Käsebrote plus Salatmix waren zu wenig. Am Grill ordere ich eine Currywurst. Mein Nachbar fragt: „Haben Sie auch Thüringer?“ Die Frau hinter der Theke bejaht und zeigt auf den riesigen runden Grillrost mit den diversen Sorten. „Das sind doch keine echten Thüringer!“, demonstriert der Mann Sachkunde. „Wohl“, antwortet die Frau. „Im Leben nicht!“, kontert der Mann – und bestellt zwei Krakauer.

Später trete ich versehentlich das Bier meines Sitznachbarn in Reihe eins um. Er will mich zum Nachschubholen verdonnern. Ich biete ihm ersatzweise das Umgießen meines Bieres in seinen ja nunmehr wieder aufnahmebereiten Becher an, was er ablehnt. Dann eben nicht. So geht dieses Duell genauso unentschieden aus wie das Spiel des FC St. Pauli gegen Jena.

Einer aus der Reihe vor mir (also null) dreht sich nach dem Abpfiff um und sagt: „Schon wieder zwei Punkte verloren, wie in Köln – so wird das nichts mit dem Aufstieg!“

Mit dem Aufstieg? Seit August vergangenen Jahres dreht sich mein ganzes Hoffen und Bangen um nichts weiter als das Vermeiden des Abstiegs, und der Typ aus Reihe null moniert gesunkene Aufstiegschancen?

Ich bin zu konsterniert, um mehr als ein hilfloses Grinsen hinzukriegen. Aber vielleicht sollte ich echt einen Aufstiegsplan schmieden für meinen kleinen Stadtteilverein. Mehr als an er Wirklichkeit scheitern kann er ja nicht, und mit so was kenne ich mich sehr gut aus.

07 Februar 2008

Marions Kochbuch revisited revisited

Das ARD-Magazin PlusMinus hat gerade dankenswerterweise die Methoden der beiden Massenabmahner von Marions Kochbuch thematisiert. Auch ich gehöre ja zu den naiven Dummchen, die dem Duo kulinare ins Netz gegangen sind.

Vollends grotesk wurde der Abmahnamoklauf aber erst heute: Bloggerkollege René soll unfassbare 3500 Euro zahlen, weil er ein Bildschirmfoto aus dem PlusMinus-Beitrag gezeigt hat, auf dem Folkert Knieper, Fotograf von Marions Kochbuch, zu sehen ist.

Klingt wie ein kapitaler Hirnriss. Und diese Idee ist nicht etwa auf dem Mist der ARD gewachsen, welche die Rechte an dem Beitrag hält und ihn für jedermann abrufbar archiviert hat, sondern eine Geistesgeburt von Kochbuch-Knieper.

Der Mann ist also einerseits damit einverstanden gewesen, vor Millionen von Menschen im Fernsehen aufzutreten, bemüht aber sofort wieder die Gerichte, sobald jemand diesen Auftritt per Foto dokumentiert.

Als bisher lupenreiner Demokrat und brutalstmöglicher Fan unseres Rechtssystems beschlichen mich durchaus erste Zweifel am Sinn vons Janze, wenn der Mann sogar mit diesem miesen Aschermittwochsscherz noch durchkäme. Und an zunehmender Grundgesetzverdrossenheit kann doch nun wirklich kein Gericht Deutschlands ein Interesse haben.

Es sei denn, es will heimlich mein revolutionäres Potenzial fördern. Kann es natürlich haben.


Der knarrenlose Kiez

Seit Dezember herrscht Waffenverbot auf St. Pauli. Bei den anfänglichen Kontrollen zog die Polizei trotzdem noch allerhand Quatsch aus dem Verkehr, vor allem Messer und Pfeffersprays.

Seit kurzem aber lässt die Fundfrequenz dramatisch nach. Und bei den letzten beiden Wochenendaktionen war das Ergebnis nach Zeitungsmeldungen besonders bestürzend: Man fand überhaupt keine Waffen mehr. Nichts. Keine einzige.

Die ganzen Muskeltürken, Irokesenalbaner, Glatzenfaschos, Lederjackenrussen, Ludenleibwächter und Kampflesben gehen also wirklich und wahrhaftig ohne Knarren und Klingen
auf Kiezbummel. Bei Kontrollen klimpern sie handzahm mit den Wimpern, lassen sich so triumphierend wie ergebnislos abtasten und ziehen dann friedlich weiter über Reeperbahn und Seitenstraßen.

Vielleicht beantworten sie sogar das
in den Kneipen unablässig vorgebrachte „Wolle Rose kaufe?“ nicht mehr mit Kieferbruch, sondern dem Kauf einer Rose. Alles ist möglich. Es scheint, als wären Löwen zu Lämmern geworden, einfach nur wegen eines gelben Schildes.

Oder hat man uns in ein Paralleluniversum gebeamt, und wir haben es bloß noch nicht gemerkt? Das finde ich noch heraus – und wenn ich mich zurückbeamen muss.

05 Februar 2008

Die Katze beißt sich irgendwohin



Wir sehen hier einen der zahlreichen Ausgänge der S-Bahnstation Reeperbahn. Er befindet sich am östlichen Ende, und früher stand rechts um die Ecke immer ein Dealer.

Mich hat er nie angesprochen, was ich insgeheim immer ein wenig beleidigend fand. Warum ignorierte er mich? Wahrscheinlich sehe ich aus, als bräuchte ich alles, nur keine Drogen. Oder als sei ich abgebrannt. Offiziell jedenfalls war ich froh, beim üblichen Sprint zum Bahnsteig nicht in Verkaufsgespräche verwickelt zu werden.

Inzwischen steht hier schon lange kein Dealer mehr. Vielleicht eine anhaltende Spätfolge der Schill-Beust-Episode, die darauf setzte, die drogenaffine Klientel aus dem Blickfeld der Touristen zu drängen, damit Hamburg netter aussieht, als es ist.

Schlaumeier werden mich natürlich jetzt in den Kommentaren fragen wollen, woher ich überhaupt gewusst haben mag, dass es sich bei jenem Mann, der mich nie ansprach, um einen Dealer handelte, wo er mich doch erst einmal beweiskräftig hätte ansprechen müssen, um sich mir als solcher zu enttarnen.

Ihm hing ja schließlich, so werden die Schlaumeier sicherlich vorhaben fortzufahren, kein Schild mit der Aufschrift „Dealer“ um den Hals. Das stimmt. Aber ich wusste es trotzdem. Genauso wie ich intuitiv weiß, ob jemand hetero ist, eine Hure beim Arbeiten oder ein Franke in freier Wildbahn.

Oder ein Schlaumeier, der jetzt denkt, ich hätte den ganzen Beitrag hier nur so dahersalbadert, weil ich unbedingt das Foto unterbringen wollte.

04 Februar 2008

Beginn einer neuen Ära

Erinnert sich eigentlich noch jemand an Bücher? Ich meine nicht das, was man zu Weihnachten verschenkt, was in der Amazon-Bestenliste auftaucht und sich bei Thalia zu Bergen türmt.

Sondern das, was man aufschlägt und langsam Seite für Seite von vorne bis hinten in der richtigen Reihenfolge durchliest. Bücher. Diese zusammengehefteten Papierseiten, die mal wichtig waren, so verdammt wichtig. In der Ära vor dem Internet, vor Spiegel online, vor der iTunes-Bibliothek mit zehntausend Songs, vor dem Job, der sich immer tiefer hineingefressen hat in dein Leben, deine Freizeit, deinen Urlaub.

Echte Bücher, zerzaust und gealtert durch echtes Lesen. Ich habe festgestellt, dass ich mich kaum noch daran erinnere, aus all den genannten Gründen. Früher habe ich Bibliotheken verschlungen, wild durcheinander, Hauptsache Buchstaben – von „Perry Rhodan“ bis Dostojewski, von Goethe bis Kerouac, von Dan Shocker bis Nabokov und von Rimbaud über Highsmith bis Brussig.

Und jetzt reicht es Woche für Woche nur noch für die FAS und den Spiegel und ein paar Flackerblicke in Fach- und Konkurrenzzeitschriften. Das musste sich ändern, unbedingt. Und seit heute hat sich das geändert, zumindest ist ein Anfang gemacht.

Heute nämlich hatten Ms. Columbo und ich unsere erste gemeinsame Lesestunde. Wir setzten uns pünktlich um halb 10 hin mit je einem Buch – und lasen. Sonst nichts. Keine Musik nebenbei, kein Mailcheck zwischendurch, kein Film im Hintergrund. Nicht mal das Telefon hat geklingelt, danke schön.

Am kommenden Montag folgt die nächste Lesestunde. Vielleicht gehen wir irgendwann sogar auf zwei pro Woche. Eine neue Ära hat begonnen. Sie ist so was von 20. Jahrhundert.

Aber vielleicht hat sie eine strahlende Zukunft.

Der stumme Besucher

Als ich heute morgen durchs Treppenhaus federe, um Brötchen zu holen, sehe ich es schon vom letzten Absatz aus. Wieder einmal sitzt ein Gestrandeter der Kieznacht von außen an der Glastür.

Ich weiß wirklich nicht, worin die heimelige Strahlkraft ausgerechnet unserer Haustür genau besteht, doch sie ist zweifellos da. Andere Häuser scheinen mir nämlich viel seltener heimgesucht zu werden.

Vorsichtig öffne ich die Haustür, es soll sich ja niemand verletzen. Mit Bata-Illic-hafter Geschwindigkeit strafft sich der Rücken, der mir zunächst halb entgegensackte. Er gehört zu einem derangierten Mann mit tiefen Gesichtsfalten. Ich schätze ihn auf etwa 50, vielleicht ein Russe. Seine rotschwarz karierte Jacke gibt ihm etwas Holzfällerhaftes.

„Würden Sie bitte den Eingang freimachen?“, sage ich. Er schaut wortlos und ohne sichtbare Regung hoch. Dann versucht er seinen widerständigen Körper ein paar Zentimeter nach rechts zu wuchten, damit ich vorbeikomme.

Er kann es natürlich nicht wissen, aber das reicht mir nicht. Nicht nach all dem, was da kumuliert schon vor unserer Tür saß im Lauf von zwölf Jahren; nicht nach all dem, was dort schon rauchte und soff, kiffte und kackte, schiffte und spritzte.

„Nein, ganz frei bitte“, präzisiere ich und bleibe halb hinter ihm stehen. Ächzend müht er sich hoch, und als er auf die Beine kommt, taumelt er zwei, drei Meter nach vorne, bis er den Aufstehschwung schadlos abgefangen hat. Er bleibt noch immer stumm.

Danke“, sage ich und gehe an der nächsten Ecke die Zeitung holen. Als ich zurückkomme, schlurft er mir entgegen. Er schaut mich an mit halb gesenktem Kopf, sein Blick ist fast ausdruckslos. Doch um seinen Mund hat sich so viel Zerknirschung und Melancholie eingenistet, dass er mir plötzlich leid tut.

Und das ist das Einzige, was ich im Vorübergehen für ihn tun kann.

03 Februar 2008

Als Weltretter fehlbesetzt

Neulich haben sie den mächtigen Ahorn (Foto: Oktober 2007) vorm Haus gefällt. Jetzt liegen dort nur noch Sägespäne. Die Stelle sieht aus wie ein geköpfter Ameisenhaufen.

Obwohl wir den Baum als Seilerstraßeninventar mochten, reagierten wir auf sein Ableben erschreckend emotionslos. Ich hätte wohl nicht einmal ernsthaft erwogen, mich an ihn zu ketten, wäre mir der Plan seiner Hinrichtung rechtzeitig zugetragen worden.

Jetzt ist er jedenfalls weg. Vom Balkon aus können wir das Treiben und Taumeln der Kieztouristen nun noch besser beobachten. Ganz schön bestürzend, diese pragmatische Sichtweise.

Und wo wir schon mal dabei sind: Vor einigen Wochen war doch ganz Deutschland aufgerufen, abends um acht für fünf Minuten das Licht zu löschen, als Zeichen gegen den Klimawandel. Der Ruf erging auch an Ms. Columbo und mich, denn nicht nur du, sondern auch wir sind Deutschland, jaha.

Wahrscheinlich hätte ich sie sogar überreden können, gemeinsam mitzutun (solange wir nicht hätten offline gehen müssen …), doch mir fiel die Aktion erst um elf wieder ein. Und es wäre ja wohl wirklich lächerlich gewesen, dann noch für fünf Minuten alleine im Dunkeln zu sitzen, während das viel klimasensiblere Restdeutschland bereits um acht seine bürgerliche Pflicht erfüllt hatte.

Nein, wir sind nicht richtig geeignet zum Weltretten. Ob ich am 24. Februar trotzdem grün wählen soll? Und darf?

02 Februar 2008

Nur gucken, nicht essen

Wir essen im La Sepia am Schulterblatt. Am Nebentisch sitzt ein illustres Herrentrio.

Einer ist klein und hüftvergoldet, trägt Schnauzer und eine merkwürdige Matrosenmütze mit der Aufschrift „Blues“. Der zweite hat sich zur Lederjacke eine strohfarbene Sturmfrisur im 80er-Jahre-Gedächtnisstil verpassen lassen, und der dritte ist ein Durchschnittsblonder.

All das schaue ich mir allerdings erst genauer an, nachdem Ms. Columbo mir unter Verweis auf die Sturmfrisur zuflüstert: „Schau mal, der sitzt die ganze Zeit vor seinem Teller und isst nichts.“

Das ist wahr. Der Limahlklon stiert versonnen ins Ungefähre, doch sein Besteck hat unverhofft frei. Doch erst, als der Kellner das Geschirr des Trios abräumt, wird das ganze Ausmaß der Merkwürdigkeit deutlich. Denn offensichtlich hat keiner der drei etwas gegessen.

Alle Teller weisen nach menschlichem Ermessen die exakten Liefermengen auf, sogar die Salatschüssel des Matrosenmützenmannes. An der eigenwilligen Speisekartenprosa, die „Ziegen uns Schaafs Käse“ anbietet und dafür sogar Geld verlangt, kann es nicht gelegen haben, denn dann hätten die Drei ja erst gar nicht bestellt.

Manche Rätsel lassen sich nur lösen, indem man jene befragt, die sein Geheimnis kennen. Wer das nicht tut, muss hinfort mit quälender Ungewissheit weiterleben.

Wie wir.

31 Januar 2008

Vorboten der nächsten Klinsmania

Die Pannen der heute-Sendung werden immer süßer. Sie gewinnen sogar eine persönliche Note.

Sportmann Wolf-Dieter Poschmann saß da und wartete aufs Stichwort seiner Kollegin Petra Gerster. Die sagte auch im Grunde alles richtig auf, nur seinen Namen nicht.

Sie nannte ihn nämlich „Jürgen“, nicht „Wolf-Dieter“.

Vielleicht ist das schon ein Vorbote der nächsten Klinsmania, keine Ahnung. „Jürgen“ jedenfalls zuckte kurz, als hätte er auf eine heiße Herdplatte gefasst, ohne das zeigen zu dürfen, und grinste dann gequält.

Gerster war natürlich jetzt in einer grässlichen Lage: Livesendung, Namen des Kollegen nicht gewusst, ganz übel. Doch keine Lage ist so grässlich, dass man sie nicht mit einem kleinen Rettungsversuch noch gründlich verschlimmbessern könnnte.

„Entschuldigung“, lächelte Gerster gezwungen, „HANS-JÖRG Poschmann“.

Diesen Augenblick zeigt das Foto. Hans-Jörg. Die Würde, mit der Wolf-Dieter die finale Zerschmetterung ertrug, muss man praktisch schon wieder bewundern.

Richtig gute Freunde werden Petra und Poschi aber jetzt nicht mehr.

Es strömt in Gießen

In der Bar Die Welt ist schön läuft zwar die ganze Zeit Housepop, doch zum Glück dezent genug, um sich unterhalten zu können.

Andernfalls hätte ich Andreas’ Erinnerung an seinen originellsten Studentenjob auch gar nicht mitgekriegt: das Ausliefern von 25 000 Klobürsten. Nicht schlecht. Da kann ich nicht mithalten.

Auch nicht beim Dreher des Tages. Den lieferte nämlich Ms. Columbo, und sinngemäß ging der so: Es gießt in Strömen, es strömt sogar in Gießen.

Chapeau. Dabei war heute in Hamburg nur Nieselwetter, und jetzt leuchten draußen gar die Sterne.

Versteh einer die die Sinfonie der Synapsen.

30 Januar 2008

Kampf der Systeme

Heute erprobte sich in Altona ein Lieferwagen der Paketpost erfolgreich als Bahnschranke, und das sehr effektiv.

Warnblinkend parkte er die Straße Am Sood zu, es gab kein Durchkommen. Er versperrte so ausgerechnet einem ebenfalls wild blinkenden DPD-Konkurrenten die Durchfahrt.

Beide Wagen waren verwaist, doch uns war sofort klar: Das hier war der Kampf der Systeme, hier focht Godzilla gegen Frankensteins Monster, und das mitten in Altona, vor unseren Augen.

Allerdings schien dieser Kampf gerade unentschieden zum Stillstand gekommen zu sein. Die eingedellte Stelle überm rechten Vorderrad des gelben Wagens verwies jedoch auf vorausgegangene Action.

„Ein Unfall!“, frohlockte ich gegenüber dem Franken, mit dem ich auf dem Weg zum Lunch war. DPD vs. DHL: Symbolträchtiger hätte das kaum sein können. Höchstens wenn auch noch ein grünes PIN-Auto in all das verwickelt gewesen wäre. Aber man kann nicht alles haben.

Als ich die Szenerie fotografierte, kam plötzlich der DHL-Mann zurück. „Wir hatten keinen Unfall!“, wedelte er abwiegelnd mit den Armen. Er wäre uns natürlich keinerlei Rechenschaft schuldig, doch er begann zu erklären.

Er habe den Wagen zwecks ortsnaher Auslieferung einfach mal dort abgestellt, weil Am Sood eh selten frequentiert sei. Und der zufällig dann doch ebenda langkommende DPD-Wagen habe die willkommene Gelegenheit einer unüberwindlichen DHL-Sperre einfach nur gewitzt genutzt, um sein Gefährt ebenfalls illegal abzustellen und rasch auszuliefern. Natürlich glaubten wir ihm kein Wort, zumal der DPD-Mann nun ebenfalls angelaufen kam und blaffte: „He, wie parkst du denn?“


„Wir hatten keinen Unfall“, flüstere der Gelbe uns noch einmal schnell zu, ehe er sich seinem Pendant zuwandte und die explosive Situation alsbald beendete, indem er seine Tour fortsetzte.

Tja, und so hatte auch dieser Tag wieder seine kleine banale, verblogbare Attraktion.

29 Januar 2008

Tannenzapfenzupfen (8)

(Foto via FHS Holztechnik)


Manchmal reicht ein einziger Satz, um zu wissen: Dieses Buch wird niemals mein Freund, zumindest nicht in der deutschen Übersetzung. Glücklicherweise stand dieser eine entscheidende Satz schon in der Pressemitteilung zu Snoop Doggs autobiografischem Roman „Love don’t live here no more“. Ein Service, der einem viel Zeit spart.

Der Satz heißt: „Auf den Straßen hingen wir mit den Baby-Bitches aus der Hood ab, die für uns ihre T-Shirts lüfteten und ihre Titties zeigten.“

Wahrscheinlich sind solche Übersetzungen mitverantwortlich dafür, dass der deutsche HipHop (vor allem der aus Berlin) oft so merkbefreit peinlich ist.


Vielen Texten aus den Tiefen der Promoabteilungen geht es aber kaum besser. „Die zweite Compilation dieser Ausgabe wird compiled von Sofia Coppola“, meinte mir unlängst jemand mitteilen zu müssen. Doch nicht immer wird man mit Denglisch gequält. Fast noch peinigender: von Kompetenz ungetrübter Sprachehrgeiz.

„Die Band gründete sich, um sich selbst zu gründen. Und um zu ergründen, ob die Gründe die Band zu gründen, begründet werden können. Aus diesem Grund gründete sich die Band, die eigentlich keine Band sondern eine Bande ist.“

Eins von den zwei Kommas, die diesem Geschwurbel fehlen, hat der nächste Satz zuviel, doch er erreicht wenigstens semantisch eine gewisse Reflektionsebene. „Newsletter zu schreiben“
, räsoniert da ein Promoter, „macht immer noch soviel Spass, wie ein Stacheldrahtsalat zum Frühstück.“

Beim Newsletterlesen geht’s mir ganz ähnlich.

Was bisher geschah: 7, 6, 5, 4, 3, 2, 1



27 Januar 2008

Der blutende Finger

Er ist höchstens 20, seine Augen wurden zu kleinen Schlitzen im Lauf der Samstagnacht, seine Lippen sind wie aufgespritzt.

Doch das Auffälligste an ihm ist sein Stahlhelm.

Vielleicht ist es ein Relikt der Wehrmacht, vielleicht auch ein Bundeswehrhelm, damit kenne ich mich nicht aus. Jedenfalls trägt er ihn ohne jede Scham. Denn das, was er seinen Begleitern – einem dicken Irokesenpunk und einem hageren Graubart mit einem Sechserpack Adelskroner – zu sagen hat, das sagt er auch dem Rest der Pennykundschaft, so laut bricht das alles aus ihm heraus.

Es geht um seinen Finger. Der blutet nämlich, und den hält er jetzt dem Kassierer eine Spur zu dicht vor die Nase. „Bei euch liegen Glasscherben im Regal!“, blafft der Stahlhelm, „was sagsten dazu? Warum liegen bei euch Glasscherben im Regal, hä?“

Er ruft es mit einer Mischung aus Empörung und Genuss, irgendwie freut er sich über den Zwischenfall und das Blut, das in einer dünnen Rinne an seinem Handgelenk hinunterläuft und im Ärmel verschwindet.

„Ich verklag euch!“, ruft er, „in Amerika ginge das!“

Der Kassierer bleibt ungerührt, er beobachtet lieber den Irokesen, der ihm gerade 1,83 Euro in kleinstmöglichen Münzen vorzählt und zweimal von vorne anfangen muss. „Wir sind aber nicht in Amerika“, murmelt er dann doch, ohne den Stahlhelm anzuschauen.

„Die haben Glasscherben im Regal!“, triumphiert der dicklippige Helmträger lautstark und beschreibt mit seinem hochgereckten Arm einen Halbkreis für uns, das Publikum, damit wir auch alle seinen blutenden Finger sehen können.

„Nu lass man“, sagt leise der Hagere mit dem Bier, und das wirkt. Alle drei trollen sich nach draußen, und als ich kurz darauf ebenfalls die Reeperbahn betrete, spielt der blutende Finger längst keine Rolle mehr.

Dafür hat das Adelskroner stark an Bedeutung gewonnen.

Meine erste Sendung

Wer gute Musik mag, kann sich heute nachmittag um 17 Uhr auf ByteFM die Sendung Mixtape anhören.

Die Songliste habe ich zusammengestellt. Wiederholung: morgen früh um 10.

PS: Ich moderiere NICHT selber.

PPS: ByteFM hat sogar ein eigenes Blog.

Kirschenlogik bei Edeka

Im Zuge der skurrilen Zigarrettenaffäre um unseren Hamburger Altkanzler fiel mir heute etwas ganz Erstaunliches auf: Ab 1974 hieß das deutsche Kanzlerpaar fast ein Vierteljahrhundert lang immer Helmut und Hannelore.

Den Rucksackhippie, der mir nachmittags am Schulterblatt (Foto) chemisch bedingt vors Fahrrad taumelte, hätte diese verblüffende und öffentlich überhaupt noch nicht diskutierte Erkenntnis aber bestimmt keinen Deut interessiert, selbst wenn ich sie ihm erläutert hätte.

Er reckte die Faust und brüllte der Roten Flora entgegen: „Es lebe die anarchosyndikalistische Republik Deutschland!“ Ich umkurvte ihn mühsam, was er nicht mal merkte, so konzentriert widmete er sich seinem Taumeln, Brüllen und Fäusteln.

Schon morgens war ich bei Edeka einer skurrilen Person begegnet. Sie war vor mir an der Kasse, eine kleine Knuddelkugel südländischer Herkunft, vielleicht 50, aber geschminkt auf zehn Jahre jünger. Und überrascht vom immensen Kirschenpreis: acht Euro das Kilo.

Die nicht gerade saisonalen Früchte kamen nämlich aus Chile. „Wann ik stärbe“, idealisierte sie ihre Fehlentscheidung, „dann die acht E’uro bleibe hiä. Abä Kirschä nämme ik mit – sin in meine Bauch, wenn ik stärbe!“

Eine bestechende Logik, die ich mit einem anerkennenden Lächeln belohnte. Und das half ihr auch sichtlich über die Acht-Euro-Kirschen hinweg.

26 Januar 2008

Die Rettung des Kapitalismus auf einem Bierdeckel

Heute fiel mir übrigens ein, wie man auf einen Schlag sämtliche wirtschaftlichen Probleme unseres Landes ein für alle mal lösen könnte, inklusive Alterssicherung.

Und zwar so: Man verpflichtet einfach per Gesetz jeden Bürger, sein Einkommen komplett wieder auszugeben, Monat für Monat. Bis auf den letzten Cent.

Dafür erhält er ab dem 60. Lebensjahr eine monatliche Rente von 2000 Euro; wenn er mehr will, kann er einen Teil seines erzwungenen Komplettkonsums ja auch riestern, kein Problem.

Die Einkommenssteuer wird selbstverständlich ersatzlos abgeschafft. Dafür schießt die Mehrwertsteuer auf – sagen wir – 40 Prozent.

Die Effekte wären fantastisch: Durch die erzwungene Konsumexplosion jubelten die Unternehmen, schafften Arbeitsplätze ohne Ende, und parallel quölle der Staatshaushalt über vor lauter Mehrwertsteuer, von der natürlich neben dem ganzen Infrastrukturblabla auch die 2000 Euro Prokopfrente bezahlt werden müssten.

An den Details muss man natürlich noch feilen, aber das kann ja Friedrich Merz machen; der braucht eh ein Comeback.

So, und jetzt, nach der Rettung des Kapitalismus auf einem Bierdeckel, gehe ich schlafen.


25 Januar 2008

Nomen est omen, aber nur zufällig

Einer wie Jérôme Kerviel, der 4,9 Milliarden Euro verschwinden ließ, sollte eigentlich nicht mittellos auf der Flucht sein, sondern wenigstens ein, zwei Milliönchen in der Tasche haben. Für schlechte Zeiten.

Es muss sich sehr merkwürdig anfühlen, jetzt, in diesem Moment, irgendwo auf der Welt klein und einsam in einer Hotelbar zu sitzen, mit Sonnenbrille auf der Nase und einem Mojito davor, und sich zu vergegenwärtigen, das fünffache Bruttoinlandsprodukt von Simbabwe in den Sand gesetzt zu haben.

Wahrscheinlich folgte Kerviel allzu bedenkenlos Will Oldhams nonchalantem Rat: „Bitte lieber um Vergebung als um Erlaubnis.“ Eine Verhaltensweise, die man aber nur dosiert einsetzen sollte – und in einer Kneipe der Hamburger Hell’s Angels schon mal gar nicht.

Der volltrunkene Volltrottel, der gestern dort hineinwankte und den Wunsch äußerte, „einmal Verbrecher zu sehen“, brachte damit die Anwesenden dazu, spätestens jetzt welche zu werden, und zwar zu seinen Ungunsten.

Trotzdem kamen er und Jerome Kerviel glimpflicher davon als der Fußballspieler Bekim Kastrati, dessen Schicksal eine lateinische Redensart aufs Bitterste zu bestätigen scheint. Scheint! Denn diese Redensart war, ist und bleibt natürlich abergläubischer Humbug.

Sonst dürfte sich
ja eine wie Kerstin Schlapper-Rammelmann überhaupt nicht mehr aus dem Haus trauen.

Foto: die Zeitung mit den vier Buchstaben

23 Januar 2008

Warum in Hessen, wo am Sonntag gewählt wird, die Todesstrafe nicht abgeschafft werden kann

Von: mattwagner
Betreff: Todesstrafe in Hessen
Datum: 13. Januar 2008 21:18 MEZ
An: Roland.Koch@
******.de

Sehr geehrter Herr Koch,

laut Artikel 21 der hessischen Verfassung droht das Land bei besonders schweren Verbrechen noch immer mit der Todesstrafe. Können Sie mir sagen, ob Sie sich im Falle einer Wiederwahl für die Abschaffung einsetzen werden und wenn ja, in welchem Zeitraum?

Sofern dies nicht auf Ihrer Prioritätenliste stehen sollte, wüsste ich gerne, warum nicht.
Vielen Dank für Ihre Antwort.

Mit freundlichen Grüßen

Matthias Wagner


Von: Roland.Koch@******.de
Betreff: Ihre Mail vom 13. Januar 2008
Datum: 23. Januar 2008 17:11:15 MEZ
An: mattwagner


Sehr geehrter Herr Wagner,

(… ) In Art. 21 Abs 1 Satz 2 der Hessischen Verfassung heißt es, dass jemand bei besonders schweren Verbrechen zum Tode verurteilt werden kann. Die Todesstrafe wird in Art. 109 Abs. 1 Satz 3 der Hessischen Verfassung ein weiteres Mal erwähnt.

Zum Verständnis dieser Regelungen der Hessischen Verfassung muss berücksichtigt werden, dass die Hessische Verfassung die erste Verfassung eines deutschen Landes war, die nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden und noch in Kraft ist. Als sie am 1. Dezember 1946 in einer Volksabstimmung angenommen wurde, war die Todesstrafe im damals geltenden Strafgesetzbuch bei besonders schweren Verbrechen noch vorgesehen. Nach dem Krieg ist sie in Deutschland in mehr als 100 Fällen auch verhängt, in Hessen allerdings nie vollstreckt worden. Erst das Grundgesetz hat sie durch seinen Art. 102 im Jahre 1949 abgeschafft. Seitdem gibt es sie auch in Hessen nicht mehr.

Da das Grundgesetz die Todesstrafe verbietet, darf kein Bundesland sie wieder einführen. Dass die Todesstrafe im Text unserer Landesverfassung noch enthalten ist, hat also keine praktische Bedeutung mehr.

Um den Wortlaut der Verfassung gleichwohl zu ändern, wäre allerdings (…) eine Volksabstimmung nötig. Nach Art. 123 erfordert eine Verfassungsänderung zunächst ein mit mehr als der Hälfte der gesetzlichen Zahl der Mitglieder des Landtags beschlossenes Gesetz, dem anschließend das Volk mit der Mehrheit der Abstimmenden zustimmt.

In diesem Fall könnte die Bevölkerung aber nur darüber abstimmen, ob die Todesstrafe weiter im Verfassungstext stehen soll, obwohl es darauf wegen des Verbots der Todesstrafe im Grundgesetz nicht ankommt. Eine solche Volksabstimmung, die sich isoliert auf die Frage der Todesstrafe bezieht, haben bisher alle politischen Parteien in Hessen nicht für sinnvoll gehalten.

Der hierfür primär zuständige hessische Gesetzgeber hat sich in der zu Ende gehenden Legislaturperiode eingehend mit der Frage des grundsätzlichen Veränderungs- und Ergänzungsbedarfs der Hessischen Verfassung beschäftigt.
(…) Die angestrebte Einvernehmlichkeit für einen Gesetzentwurf zur Änderung der Hessischen Verfassung, der selbstverständlich auch die Aufhebung der Passagen zur Todesstrafe beinhalten würde, konnte jedoch nicht erzielt werden.

Der Bedeutung einer Reform der Hessischen Verfassung würde es nicht gerecht werden, wenn seitens Landesregierung durch die Einbringung eines Gesetzesentwurfs in den Hessischen Landtag eine beabsichtigte Verfassungsänderung vorgegeben würde. Es bleibt vielmehr auch in der künftigen Legislaturperiode Aufgabe aller im Hessischen Landtag vertretenen demokratischen Parteien, einen für alle Seiten tragfähigen Konsens zu finden, was aus meiner Sicht zu begrüßen wäre.

Mit freundlichen Grüßen

Roland Koch


Foto: Wikipedia

Kärtchen, wechsel dich!

Eine feine Sache, so ein Schleswig-Holstein-Ticket. Für 29 Euro fährst du durchs ganze Bundesland und kannst auch noch vier Leute mitnehmen.

Ms. Columbo und ich sind aber nur zwei. Deshalb stelle ich mich in Flensburg (Foto) an den Automaten, um die Nächstbesten gegen einen kleinen Obolus an unserer Fahrkarte zu beteiligen – eine Win-Win-Situation. Doch niemand kommt.

Dafür spricht mich auf dem Weg zum Bahnsteig ein stämmiger Mittdreißiger an und fragt, ob wir mit dem Schleswig-Holstein-Ticket nach Hamburg führen. Erfreut bestätige ich. „Ich muss bis Schleswig“, sagt er, „aber ich habe kein Geld.“

Na gut, wir nehmen ihn trotzdem an Bord. Schadet nichts, nützt aber auch nichts. Als der Schaffner kommt, reicht er uns einen Kugelschreiber und bittet um den Eintrag der Namen. So verstehe ich ihn jedenfalls und reiche die Karte samt Kuli zunächst unserem fremden Mitfahrer, der kurz verständnislos kuckt, doch dann klaglos JENS WINKLER hinschreibt, in Großbuchstaben.

Die Namen von Ms. Columbo und mir möchte der Bahnmann danach gar nicht mehr, einer reicht ihm. WINKLER ist damit binnen Sekunden vom Schnorrer zum Haupteigentümer der Karte aufgestiegen. Bei einer weiteren Kontrolle wäre er derjenige, an dem unser aller Reiseschicksal hinge, doch fährt er nur bis Schleswig.

Unterwegs greift er die Titelschlagzeile der Frankfurter Rundschau auf, die Ms. Columbo gerade liest, und sinniert darüber, ob man in der jetzigen Lage sein Vermögen nicht lieber in Gold statt in Aktien investieren solle. „Ich dachte, er hätte kein Geld“, muffelt Ms. Columbo später, nachdem WINKLER sich in Schleswig umstandslos verabschiedet hat.

Die restlichen anderthalb Stunden vergehen angespannt, doch ohne weitere Kontrolle, zum Glück. Kurz vorm Hauptbahnhof betritt ein junger Mann unser Abteil und fragt, ob wir ein Schleswig-Holstein-Ticket über hätten. Nein, das benötigten wir noch für die U-Bahn bis St. Pauli.

„Die Fahrten zahle ich Ihnen“, bietet er an, nachdem er sich vergewissert hat, dass mit „JENS WINKLER“ ein Männername auf der Karte steht. „Ich gebe Ihnen die dreizwanzig.“ Das entspricht exakt dem Betrag, den wir jetzt am Automaten zahlen müssen. Doch immerhin sind wir damit die Gefahr, die von JENS WINKLER ausgeht, endgültig los; jeder HVV-Kontrolleur hätte uns aus WINKLERs physischer Abwesenheit einen Strick drehen können.

„Aha, in Schleswig ist der Herr also ausgestiegen, hm? Und warum steht dann nicht IHR Name auf der Karte, Herr Wagner, wo Sie doch die längere Fahrt hatten, hm? Mitkommen. Personalausweise.“


Ja, so hätte es kommen können, doch so kann es jetzt nicht mehr kommen. Denn ein anderer besitzt das JENS-WINKLER-Schleswig-Holstein-Ticket, mit allen Risiken, die das bedeutet.

Statt froh und dankbar für den günstigen Ausgang der Geschichte zu sein, verspüren wir aber am Hauptbahnhof das kriminielle Bedürfnis, wenigstens eine winzige Amortisation der bisher unverändert 29 Euro gekosteten Länderkarte zu erzielen. Wir kaufen also zwei Kurzstreckentickets für 1,30 das Stück – im Wissen, dass ihre Gültigkeit nicht ganz bis nach St. Pauli reicht.

Ein Risiko von zweimal 40 Euro Strafe für einen maximalen Erlös von 60 Cent.
Super Deal. Doch wahren Meistern geht es eben nicht um mathematisch messbare Beute, sondern um Ruhm und Ehre.

Und siehe da: Alles geht gut. Wir haben die Kosten fürs Schleswig-Holstein-Ticket damit von 29 auf 28,40 Euro gedrückt. Nach diesem Coup können wir demnächst auch größere Dinger drehen.

Zum Beispiel so etwas wie Rififi.

21 Januar 2008

Unter Dänen



Die kleine dänische Bucht in Gråsten, wo wir einen Kurzurlaub verbringen, erinnert ein wenig an Bodega Bay.

Gestern morgen schrien uns die Möwen gar auf eine Art aus dem Schlaf, die jenem elektronischen Sound ähnelte, den Oskar Sala für Hitchcocks Horrorvögel am Trautonium zurechtgebastelt hatte.

Das Wetter hier ist rau, die Hütte warm, das Raclette zischt, der Grappa fließt, und Mülleimer heißen „Miljøstation“.

Was kann es Erholsameres geben?

20 Januar 2008

Marions Kochbuch revisited

In der heutigen WamS bereitet Steffen Fründt anhand meines Falles den Abmahnwahn von „Marions Kochbuch“ auf.

Damit hat die unschöne Sache endgültig die Sphäre der Mainstreammedien erreicht. Ob das für die Schädiger oder Geschädigten nützlicher ist (und wer überhaupt wer ist), ist noch nicht raus.

In meinem Fall sieht es zurzeit so aus: Statt 747 Euro habe ich nach Rücksprache mit der sehr empfehlenswerten Anwaltskanzlei Kremer nur ein gutes Drittel davon bezahlt.


Jetzt
stehe ich kampfeslustig tänzelnd in meiner Ringecke.

Kleine Gefechte unter Fremden

In der Kneipe schräg gegenüber der Davidwache bin ich mit GP verabredet. „Dort gibt es eine Raucherlounge“, hatte er frohlockt.

Als er den Kellner nach der genauen Lage des Raumes fragt, offeriert der allerdings sofort einen Aschenbecher. „Das ist verboten“, teste ich pflichtgemäß des Kellners Gesetzestreue. „Ja, aber bis März wird das nicht bestraft“, trägt er lächelnd Eulen nach Athen, denn natürlich weiß ich das längst. Und ich mag kleine unverhoffte, zwischen Ernst und Spott changierende Wortgefechte mit wildfremden Menschen.

Let’s roll: Ob er nicht wisse, dass dieses lachhafte Moratorium bis März nichts weiter sei als ein billiger Wahlkampftrick von Bürgermeister Ole von Beust, der keine Lust habe, bei der just Ende Februar anstehenden Landtagswahl auch noch die Stimmen der Raucher zu verlieren, aber danach umso ungerührter zuschlagen werde? Ob er, der Kellner, etwa darauf reinzufallen gedenke? Ja, ob er gar von Beust wählen wolle???

All diese Fragen knattere ich ihm fröhlich vor, und er lächelt sie lässig weg und sagt, nein, den gedenke er nicht zu wählen. „Ich werde Sie anzeigen!“, grinse ich. „Dann werde ich Sie rauswerfen!“, grinst er zurück. „Ich gehe sofort rüber zur Davidwache!“, plustere ich mich auf. So haben wir unseren Spaß.

Der Kellner holt den nächsten Chardonnay, der vollendete Gentleman GP hingegen hat inzwischen den Aschenbecher auf einem leeren Nachbartisch abgestellt und bläst den Rauch ins Irgendwo, jedenfalls weg von mir.

Wenig später beugt sich ein älterer Herr herüber. Ermuntert von GPs offensichtlich ungeahndetem Gesetzesbruch, doch noch immer sichtbar unsicher, bittet er um leihweise Überlassung des Aschenbechers. GP reicht ihn rüber.

„Tut gut, sich mal wieder so richtig illegal zu fühlen, nicht wahr?“, frage ich den Nachbarraucher gespielt komplizenhaft. „Äh, genau“, antwortet er. „Sie sind ein Revoluzzer“, ziehe ich die Schraube weiter an, „wie Che Guevara!“. Er schaut verwirrt, seine Begleiterin ebenfalls.

Kein Zweifel: Es wird höchste Zeit für den nächsten Chardonnay.

19 Januar 2008

Hinter der Heizung

Ich versuche, ein zerkrumpeltes Blatt in den Papierkorb zu werfen. Doch ich bin nicht Nowitzki, es landet hinter der Nachtspeicherheizung. Ms. Columbo zieht vorwurfsvoll die Augenbraue hoch.

Ich linse in den Spalt zwischen Wand und Heizkörper. Dort liegt das Blatt, aber auch andere Dinge. Zum Beispiel ein Block mit gelben Klebezetteln. Mir gehört er nicht.

„Du hast auch schon was hinter die Heizung geworfen“, versuche ich Gleichstand zu erzielen. „Aber nicht mit Absicht!“, kontert sie. „Habe ich doch auch nicht“, sage ich. „Na gut: Dann eben nicht aus Nachlässigkeit“, muss ich mir anhören.

„Du hattest also hehrere Motive, etwas hinter die Heizung zu werfen?“, frage ich rhetorisch. Ms. Columbo muss lachen. Eins ist jedenfalls sicher: Unabhängig von der ethisch-moralischen Situation liegen Dinge hinter der Heizung, die dort nicht hingehören. Sie zwingen mich, dort in lächerlicher Körperhaltung mit einem Schrubberstiel herumzustochern.


Manchmal ist Zivilisation durchaus ein wenig demütigend.

18 Januar 2008

Ein Ort der Scham und Schande

Bereits seit Oktober 2006 haben wir theoretisch die Möglichkeit, den Mailverkehr über unseren Telefonanbieter Alice/Hansenet (Foto) abzuwickeln. Das taten wir aber nie; wir sind schließlich anderweitig gut versorgt.

Heute aber dachte ich wie aus heiterem Himmel, ich schaue mal rein und überlege, ob ich nicht vielleicht doch via Alice mailen sollte.

Noch niemals war, wie gesagt, von diesem Anschluss eine Elektropost versandt worden, nur zwei Testmails hatte ich anno 2006 hingeschickt. Praktisch niemand auf der ganzen weiten Welt und darüber hinaus kennt also diese Mailadresse.


Ich kenne sie ja selber nicht.

Umso frappierender war der Zustand, in dem sich mir heute dieses Mailfach präsentierte. Es war geflutet mit Spam. Mir flimmerten die Augen vor lauter Betreffs wie „Hello“, „Re:“, „Uqtvyujsoiqfgoiv“, „Hi“ oder „Your Account is Suspended For Security Reasons“.

Irgendwo mittendrin – auffindbar nur nach alphabetischer Sortierung – dümpelten meine zwei alten Testmails herum und piepsten ersterbend um Hilfe. Ich löschte rettete sie und beschloss, nie mehr zurückzukehren an diesen Ort, der jungfräulich hätte sein sollen und doch einer der Scham und Schande war.

Dann ritt ich in den Sonnenuntergang.

16 Januar 2008

Wichtige Fragen (4)

Ist es nicht sehr sarkastisch, aber auch ziemlich platt vom Schicksal, dem bisher so unfassbar unverwüstlichen Medienmogul Leo Kirch nur wenige Wochen, nachdem er sich erneut des deutschen Fußballs bemächtigte, einen Fuß zu rauben?

Dem kann der gesunde Menschenverstand doch nur mit Unverständnis begegnen.

Pleiten, Pech und Bürsten (2)

Die Aufsteckbürstenaffäre geht in die letzte Runde.

Heute erhielt ich ein mehrseitiges Schreiben der in Bremen ansässigen Rechtsanwälte von Procter & Gamble. Bei den auf Ebay ersteigerten Bürsten aus China, eröffnete man mir ohne Umschweife, handele es sich definitiv um Fälschungen.

Wenn ich nicht schriftlich innerhalb einer eng gesetzten Frist, am besten augenblicks, die unverzügliche Vernichtung der bereits seit Wochen zollseits konfiszierten Bürsten beantrage, brächten sie den Fall vor Gericht.

Das freiwillige Vernichtenlassen der Mundhygieneartikel sei also für mich sehr viel kostengünstiger, weshalb sie mir dringlich dazu rieten. Das hatte ich kommen sehen und bereits am 7. Januar in nicht unharschen Worten beim in Berlin gemeldeten Verkäufer dieses Szenario durchdiskutieren wollen.

Er antwortete auch.

Von: Kemal P.
Betreff: Re: 16 x Aufsteckbürsten Oral B FELXISOFT EB NEU OVP
Datum: 10. Januar 2008 02:40:24 MEZ
An: MattWagner


Ok alles klar, Nein das ist Definitiv keine fälschung ist schon merkwürdig aber ok kein problem. sollten die vom Zollamt probleme machen erstatte ich Ihnen gerne Ihr geld zurück.
mfg

Der Wahrheitsgehalt dieser handzahmen Mail von Herrn P. erwies sich dank der neusten Entwicklungen als ähnlich ausgeprägt wie die Echtheit seiner Oral-B-Aufsteckbürsten. Sie erforderte somit heute eine Antwort.

Von: MattWagner
Betreff: Re: 16 x Aufsteckbürsten Oral B FELXISOFT EB NEU OVP
Datum: 15. Januar 2008 22:10:52 MEZ
An: Kemal P.


Hallo, Herr P.,

es handelt sich bei den Aufsteckbürsten, die Sie mir verkauft haben, doch um Fälschungen. Das teilte mir heute das Anwaltsbüro B. in Bremen mit. Allerdings kann ich von einem Betrüger wohl kaum erwarten, dass er ausgerechnet auf dem Gebiet der Lüge mehr Taktgefühl walten lässt.

Wie auch immer: Ich wurde von Procter & Gamble gezwungen, die Vernichtung der Aufsteckbürsten zu beantragen. Damit ist der Fall eingetreten, für den Sie mir eine Rückerstattung angeboten haben. Bitte überweisen Sie also den Betrag von 21,80 Euro auf mein Paypalkonto; die Adresse kennen Sie ja. Ich nehme an, Sie werden das umgehend erledigen. Bei Paypal geht das ja innerhalb von Sekunden. Vielen Dank.

Für Ihren weiteren Lebensweg wünsche ich Ihnen alles Gute. Es kann ja im Grunde nur besser werden.

Mit freundlichen Grüßen

Matthias Wagner

Bisher kam noch keine Antwort.


Es ist übrigens schon ein recht merkwürdiges Gefühl, die Vernichtung einer Ware zu beantragen, die man ordnungsgemäß bezahlt, aber dank eines staatlichen Eingriffs nie genutzt hat.

Als müsste man sich selbst ohrfeigen.

Edit 27.1.2008: Der Bürstenverkäufer hat mir nach zwei weiteren Erinnerungsmails das Geld zurückerstattet.


15 Januar 2008

Ein Meilenstein für Kaffeetanten



Gut, vielleicht ist meine Erfindung nicht vergleichbar mit der des Rades. Aber fast: Vorm Einfüllen des Espressos toaste ich nämlich neuerdings Gläser oder Tassen, um das Getränk möglichst lange heiß zu halten.

Eine sehr effiziente Methode zur Erhitzung auch solcher Materialien, denen der Umgang mit Toastern nicht in die Wiege gelegt wurde. Es hilft übrigens sehr, wenn der Henkel (wie in der heutigen Fotodokumentation zu sehen) über den Rand des Gerätes hinweg ragt, sonst toastet man sich nämlich auch noch die Fingerkuppen, wenngleich indirekt.

Auch sollte man Glas oder Tasse nach der Hälfte der Zeit einmal drehen, um eine gleichmäßige Hitzeverteilung über das gesamte Gefäß zu erreichen.

Es empfiehlt sich nach Abschluss der Prozedur zunächst eine kurze taktile Prüfung des Glas- oder Tassenrandes mit den Fingern, bevor man optimistisch den Lippenkontakt sucht. Doch das ist auch schon alles, was man bei dieser neuartigen Espressotassenerhitzungsmethode beachten muss. Sie funktioniert sogar bei Teepötten und kleineren Tellern.

Das Verfahren stelle ich hiermit unter einer Creative-Commons-Lizenz der Weltöffentlichkeit zur Verfügung.

13 Januar 2008

Haubesuch in der Provinz

Merkwürdig: Auch das „Sonntag-Morgenmagazin“ im strenggläubigen Dillkreis, wo ich das Wochenende verbringe, druckt unverblümte Sexanzeigen.

Tja, wo immer ich hinfahre: St. Pauli – das Foto zeigt ein von mir persönlich verewigtes Motiv des dort legendären Tittenmalers Erwin Ross – ist schon da.

Unter den einschlägigen Angeboten im „Sonntag-Morgenmagazin“ findet sich auch eins von „Gerda“. Sie offeriert „Haubesuche“.

Hmm … Tippfehler oder Domina?


Man muss die gute Gerda wohl buchen, um es zu erfahren. Aber dazu bleibe ich nun wirklich nicht lange genug hier.

12 Januar 2008

Ausweisen, sofort!

Sah heute am Hauptbahnhof (Gleis 13 a/b), wie zwei südländisch (!) aussehende Nonnen einem alten Bettler nichts gaben.

Erster Gedanke: Sofort ausweisen! (Die Nonnen.)

Gut, ich habe dem Graubart auch nichts gegeben. Aber ich bin Deutscher! Zumindest im Sinne Roland Kochs.

Deutsche Straftäter sollten übrigens ebenfalls ausgewiesen werden. Und zwar nach Hessen.

Dass ich heute in ebendieses Bundesland gereist bin, hat mit dieser Forderung gleichwohl nichts zu tun. Und auch nichts damit, dass ich dem Bettler nichts gegeben habe.

Sondern mit was ganz anderem.

Das Bieterduell

Mir ist mal wieder eine Meisterleistung gelungen, die jedem, der dies hier in den nächsten Minuten liest, grenzenlose Bewunderung abnötigen wird. Doch der Reihe nach.

Neulich entschloss ich mich, alte Software bei Ebay zu versteigern. Auf dem neuen Rechner läuft sie eh nicht mehr, teils hat sie schon zehn Jahre auf dem Buckel. Wie man weiß, sind Softwarejahre Hundejahre, also mal sieben. 70 Jahre alte Software!

Aber vielleicht, so meine aus eigener Sammlererfahrung gespeiste Überlegung, gibt es irgendwo da draußen noch liebevolle Hätschler alter Rechnermühlen, die sich seufzend der patinösen Aura solcher Klassiker wie „Guinness Buch der Rekorde 1995” hingeben möchten.

Also wühlte ich in allen Kisten, suchte dies zusammen und das, packte schließlich 20 CDs mit Programmen und Lexika in eine Auktion, legte das Startgebot auf einen Euro fest, kalkulierte die auf Kante genähten Versandkosten mit brutto 2,35 Euro für einen gepolsterten Maxibrief und wartete wohlgemut ab.

Sieben Tage später stand das Höchstgebot fest. Zwei Leute hatten sich eine erbitterte Bieterschlacht geliefert, bis dem einen schließlich die Luft zu dünn wurde. Die unerhört dramatische Auktion endet bei exakt … einsfuffzig.

Damit wäre ich bestimmt 1995 im „Guinness Buch der Rekorde“ gelandet, hätte es damals Ebay schon gegeben. Doch ich schweife ab. Ich muss ja endlich zum Kern meiner Ausführungen kommen, nämlich dem Grund für die gleich einsetzende grenzenlose Bewunderung.

Heute also, nach Eingang der Überweisung in Höhe von brutto 3,85 Euro, verpackte ich die geronnene Arbeitskraft ganzer Entwicklergenerationen in den erwähnten Polsterumschlag und taperte zu Edis Lieblingspostfiliale in der Nachbarschaft.

Der Postmann nahm den Brief und wog ihn. „Tja“, sagte er dann, „über zwei Kilo. Geht nur als Päckchen. Macht 3,90 Euro.“

3,90 Euro. Fünf Cent mehr, als ich überwiesen bekommen habe. Eine echte Meisterleistung.

Grenzenlose Bewunderung bitte in den Kommentaren.

11 Januar 2008

Ein Appell an den deutschen Eisbären

Sagt mal, hört das denn gar nicht mehr auf mit diesen Eisbärbabys? Werden die nie mal alle?

Meines Erachtens sollten all jene Vertreter dieser respektablen Spezies, die in Zoos gepfercht sind, das Schnackseln komplett einstellen, schon aus Protest.

Doch ganz im Gegenteil. Der deutsche Eisbär geriert sich unverdrossen geil. Und deshalb sind selbst seriöse Nachrichtensendungen seit dieser Woche erneut zottelfellkontaminiert.

Wider Willen weiß ich nun, wie der Pfleger des neuen Nürnberger Eisbärbabys das neue
Nürnberger Eisbärbaby ruft, nämlich „Flocke“. Ich will so etwas nicht wissen!

An genau der Stelle meiner hier oben eingebauten Festplatte, wo nunmehr „Flocke“ abgespeichert ist, sollte besser eine sinnvollere Information zu finden sein. Zum Beispiel das Wort „Zerknalltreibling“.

Mit dieser Neuschöpfung versuchten angeblich
einst die Nazis das undeutsche Wort „Motor“ heim ins Reich zu holen. Das ist sehr, sehr witzig.

Selbst das Wissen, wann Don Alphonso gestern Abend in der zweistündigen DJV-Podiumsdiskussion zum Webjournalismus erstmals ungeduldig, vielleicht sogar schon verärgert mit dem rechten Fuß zuckte (nämlich nach 26 Minuten 38 Sekunden), hielte ich für eine sinnvollere Belegung des aber noch immer von „Flocke“ zäh verteidigten Speicherplatzes.

Also, Eisbären: Hört endlich auf mit dem ihr wisst schon! Gebt Speicherplatz frei! Lasst wenigstens 2009 als eisbärenbabyloses Jahr in die Geschichte der deutschen Zoos eingehen!


Machbar?

Foto: cl-mz, Photocase

10 Januar 2008

Das Ergebnis ist immer das gleiche

Die Kreuzung Barner Straße und Friedensallee ist verkehrstechnisch von großer Tücke, obgleich ihre HVV-Anbindung geradezu obszön grandios ist.

Diverse Buslinien durchkreuzen die Gegend, doch sind die Haltestellen etwas verstreut gelegen. An der Barner Straße kommt die 37 vorbei, hundert Meter weiter in der Friedensallee öffnet die 150 dir gern die Tür, und auf der anderen Seite des Häuserblocks in der Bahrenfelder Straße lockt die Linie 2.

Alle fahren in die richtige Richtung, nämlich zum Bahnhof Altona. Mein Ehrgeiz besteht nun in der Regel darin, den nächsten eintreffenden Bus zu erwischen, unabhängig von der Haltestelle. Dadurch erhoffe ich mir ein frühestmögliches Eintreffen zu Hause.

Dazu muss ich anmerken: Ich kann mir keine Abfahrtzeiten merken, aber das nur nebenbei. Zuerst probiere ich es stets mit dem 37er, der mich aber regelmäßig in den Wahnsinn treibt, weil er einfach nicht kommt.

Natürlich warte ich ein paar Minuten über die turnusmäßige Abfahrtzeit hinaus, bin ja kein Anfänger, doch dann keimt auch schon der erste dämonische Gedanke, der sich alsbald zur Zwangshandlung auswächst: Los, lauf rüber zur 150, flüstert der Dämon, die kommt bestimmt gleich!

Das tat ich auch schon mehrfach, nur um in der Ferne sogleich den 37er an meiner alten Haltestelle vorfahren zu sehen, während nunmehr der 150er geruhte, eine kleine Auszeit vom harten Tagwerk zu nehmen.

Einmal ging ich am Ende auch noch rüber zur Haltestelle der 2 und durfte frustriert der 150 hinterherwinken, die nur eine Minute nach meinem Verlassen der Station frohgemut eingetroffen war. Die 2 hingegen kam laut Fahrplan erst in zehn Minuten. Also lief ich gesenkten Kopfs zum Bahnhof (sieben Minuten) und traf spätestmöglich zu Hause ein.


Inzwischen bin ich aber auf buddhaeske Weise gleichmütiger geworden. Ich warte einfach auf die 37, wann immer sie kommt. Wozu habe ich 8133 Songs auf dem iPod?

Heute stehe ich dergestalt in mir ruhend an der Haltestelle, als eine leicht atemlose Mittfünfzigerin angerauscht kommt und mich fragt, ob der 37 schon durch sei. Ich verneine das, und die Dame stellt sich erleichtert zu mir.

Doch nur fünf Minuten später verliert sie schnaufend die Geduld und dampft ab zur 150. Jetzt, vorfreue ich mich diebisch, werde ich die ganze trickreich inszenierte Aufführung der hiesigen Verkehrsbetriebe also mal live an der richtigen Bushaltestelle erleben.

Denn das Abdampfen der Frau muss nach meiner Erfahrung und kosmischer Logik das sofortige Eintreffen der 37 bedingen. Sie hingegen darf das ganze Elend aus hundert Meter Entfernung hilflos fluchend mitansehen, während ich fröhlich pfeifend in den Bus steige und mir stumm gratuliere zu einer taktischen Meisterleistung.

Klasse Plan. Doch der Bus kommt nicht. Nicht nach fünf und nicht nach acht Minuten, sondern erst nach zwölf. Trotz der geflohenen Frau.

Man kann sich einfach auf nichts mehr verlassen. Nur auf den dauermelancholischen Blick der abgebildeten Statue. Ich kenne sie nur zu gut: Sie steht auf halbem Weg zwischen der 37er-Haltestelle und dem Bahnhof Altona.

08 Januar 2008

Eine Empfehlung, aber nur hypothetisch

Neulich erhielt Ms. Columbo vom Klamottenversand Lands’ End eine Weihnachtskarte. Es stehen unzählige Namen drauf, handschriftlich. Die ganze Belegschaft muss rangekarrt worden sein, wegen Ms. Columbo. Es ist fast so wie bei mir vor ein paar Tagen.

„Ich habe“, analysiert sie nachdenklich die Lage, „wohl doch ein wenig zu viel bei
Lands’ End bestellt.“ Sie betrachtet die Karte skeptisch. „Wahrscheinlich“, vermute ich, „steht sogar eine Aktskulptur von dir als Denkmal in der Lands’-End-Eingangshalle.“

Sollte ich übrigens jemals auf die Idee kommen, freiwillig eine Firma zu empfehlen – und das geht nur freiwillig, denn sich dafür bezahlen zu lassen, wäre genauso eklig wie klebrig –, dann wäre es mit Sicherheit
Lands’ End. Das liegt nicht an Ms. Columbos Karte, sondern am Schicksal meiner wind- und wasserdichten Winterjacke.

Nach rund siebenjährigem Gebrauch hatte ihr bis dato sehr robust wirkender Reißverschluss erschöpft aufgegeben.
Lands’ End wirbt ja mit lebenslanger Garantie und untermalt das gern mit dem selbstbewussten Ausruf: „Guaranteed. Period.“ Na gut, dann lasse ich mir von Lands’ End eben den Reißverschluss reparieren, dachte ich, und schickte die Jacke weg.

Wenige Tage später rief Lands’ End an. Sie reparierten leider keine Jacken, eröffnete mir eine Mitarbeiterin, auch ein Austausch des Reißverschlusses sei nicht machbar. „Aber …“, wollte ich gerade anheben und meinen Protest argumentativ um das griffige „Guaranteed. Period.“ herum aufbauen, als sie selbst „Aber …“ sagte und hinterschob: „… Sie bekommen natürlich eine neue Jacke.“

Ähm, gut, das ist … nett, stammelte ich. Wenige Tage später ging mir eine neue Jacke zu. Im Paket lag zudem ein Umschlag. Ich öffnete ihn und entdeckte einen Scheck. Über acht Euro. Ein begleitender Brief erläuterte den Grund: Das Jackenmodell sei inzwischen billiger, deshalb.

Ich hatte also eine sieben Jahre alte kaputte Jacke zurückgeschickt und verfügte jetzt über eine futschneue; außerdem war ich um acht Euro reicher, die ich am nächsten Tag in ein mittägliches Nudelgericht an der Pasta Bar im Ottenser Mercado zu investieren beschloss. Genauso kam es auch. Es schmeckte köstlich.

Wie gesagt: Sollte ich jemals freiwillig eine Firma empfehlen, dann wäre das
Lands’ End.

Aber so etwas tue ich grundsätzlich nicht hier im Blog.

Schlechter Geschmack

Auf einer Betriebsfeier testete unlängst eine bekannte Sommelière unseren Geschmackssinn. Wir mussten an zehn schwarzen Bechern schnuppern, die jeweils andere Duftnoten enthielten.

War ich während des Tests noch selbstbewusst und gegenüber dem Franken sogar arrogant („Das riechst du nicht??? Das ist Rosmarin, Franke! Rosmarin!“), so lag ich nach der Aufklärung völlig zerschmettert darnieder.

Denn was ich für Zitronengras gehalten hatte, entpuppte sich als Ingwer. Das zweifelsfrei identifizierte Lakritz verlachte mich als Soja, die Seife als Rosenwasser. Dafür kam der sofort und selbstbewusst öffentlich benannte Odeur des Marzipans (eins meiner Leibgerichte!) zu meiner totalen Verblüffung von der Haselnuss.

Der Duft, bei dem ich die Verdächtigen umstandslos auf Kirsche oder Schwarze Johannisbeere eingrenzen konnte, erwies sich als olfaktorische Folge einer Maracuja, während sich die echte Johannisbeere meiner Nase als Minze vorgestellt hatte.

Die von Wunderschnüffler Matt ohne jeden Anflug von Unsicherheit enttarnte Rote Grütze hingegen hob hämisch das Röckchen und rief: „Vanille!“

Richtig lag ich lediglich bei Kaffee und Paprika, und das war ungefähr so, als hätte ich beim Fußball kurz vor Schluss noch den Ehrentreffer erzielt – zum 1:8-Endstand.


Die bekannte Sommelière versuchte mir das Desaster mit unverbundenen Hirnregionen zu erklären, doch sie erreichte mich längst nicht mehr.

Übrigens war mein Rosmarin Pfeffer. Beim Franken habe ich danach das Thema einfach nicht mehr angesprochen.

07 Januar 2008

Neulich in der Buchhandlung

„Ich weiß nicht genau, wie der Autor heißt“, sagt die Kundin zur Verkäuferin, „aber ich hätte gern das Buch über Gott.“

„Über Gott?“, staunt die Verkäuferin Buchstützen, ohne naheliegenderweise an Manfred Lütz’ „Gott – Eine kleine Geschichte des Größten“ zu denken, das gefühlt seit dem Auszug der Israeliten aus Ägypten die Büchercharts verstopft wie ein Haarbüschel den Abfluss.

Aber das fällt der Fachverkäuferin gerade nicht ein.

„Wenn ich Gott in den Computer eingebe“, sagt sie stattdessen, „dann hängt der sich auf!“

PS: Sie meinte den Computer.

Das Foto zeigt (mal wieder) das Gebäude der Heilsarmee in der Talstraße.

06 Januar 2008

Das Geheimnis des Wollerns

Meine aktuell liebste Müllmail schneit regelmäßig mit dem Betreff „Wir wissen, was Frauen wollern“ herein; und immer wieder frage ich mich, ob sie nicht eher nach dem „Wie“ des Wollerns fragen müsste.

Schließlich handelt es sich beim Wollern um eine (zumindest für mich) durchaus geheimnisvolle Tätigkeit, deren genaue Ausführung doch gerade das Interessante wäre – also das Wie.

Jedoch vermeidet es der Spambetreff sorgsam, dem Wollern selbst auf den Grund zu gehen. Vielmehr verdunkelt er es geradezu aufreizend reizvoll; und selbst der Text der Mail trägt semantisch kaum Erhellendes bei.

Wollernde Frauen – das klingt jedenfalls interessant. Auch gebeugt: Er/sie/es wollert. Wollen wir nicht mal wieder wollern? Alles denkbar, alles von dunkler, verheißungsvoller Strahlkraft.

Für den Werbeslogan des Friseurladens in Stade gilt das deutlich weniger. „Dreht sich die Säule hell und klar / schneiden wir sofort Ihr Haar“: Das ist doch zweifellos aus den letzten Kriegstagen übriggeblieben.

Die Säule übrigens drehte sich kein Stück. Ja, sie wollerte nicht mal.

05 Januar 2008

Pleiten, Pech und Bürsten

Seit Wochen schon warte ich auf die bei Ebay ersteigerten Aufsteckbürsten für die Elektrische. Der von mir per Mail immer dringlicher zu einer offeneren Informationspolitik aufgeforderte Verkäufer schob das Ausbleiben der Bürsten ein ums andere Mal auf einen imaginierten adventlichen Päckchenstau.

Meine zunehmende Unleidlichkeit dämpfte das allerdings kaum. Es drohte bereits ein ernstes Zerwürfnis, da fand ich heute eine Mitteilung des Zolls im Briefkasten, dessen angetackerter Lieferschein auf China verwies. Noch dämmerte mir nichts; schließlich sitzt der Bürstenverkäufer in Berlin.

Unter den wenigen entzifferbaren englischen Wörtern des Zollzettels fanden sich allerdings auch die beiden hochverdächtigen „tooth“ und „brush“. Ein Hinweis auf meine sehnlichst erwarteten Aufsteckbürsten. Aber warum China?

Um das Rätsel zu lösen, begab ich mich unverzüglich auf eine Expedition gen Zollamt im Hamburger Osten. Als Fortbewegungsart wählte ich die bewährte Mischform aus Fahrrad und S-Bahn.

Als ich am Berliner Tor das Rad enterte, stellte sich jedoch heraus, dass meine Gangschaltung eingefroren war, und zwar in einem sehr kleinen Gang. Den Heidenkampsweg juckelte ich also runter wie ein Duracellhase auf Ecstasy. Die Leute kuckten, als säßen sie in einer Comedyshow.

Im Zollamt legte ich meinen Chinazettel vor. Der Beamte kam zurück mit einem kleinen Paket, reichte mir ein Messer und bat mich, das Paket aufzuschneiden. Das Erste, was ich aufschnitt (wenn auch versehentlich), war allerdings meine Hand, und zwar direkt unter der Zeigefingerwurzel. Irgendwann offenbarte sich aber auch der Inhalt des Pakets. Es waren in der Tat die Aufsteckbürsten.

Der Zollbeamte schaute skeptisch. Er nahm sie an sich und verschwand Richtung Computer. Nach zehn Minuten kam er zurück. Es bestehe, erklärte er, der Verdacht auf Produktfälschung. Die Bürsten müsse er der Herstellerfirma vorlegen. Falls es Nachbauten seien, würden sie vernichtet. Falls nicht, könne ich ja noch mal vorbeikommen, um sie mir abzuholen. So etwa in 14 Tagen.

Ich nickte verständig, während ich an meiner Hand nuckelte. Dann ging ich wieder hinaus in die gangschaltungsfeindliche Januarkälte, mit Wunde und ohne Bürsten.

Insgesamt ziehe ich dennoch ein positives Fazit. Zwar musste ich eine kleine Reise antreten, machte mich dank einer eingefrorenen Gangschaltung auf dem Heidenkampsweg lächerlich, tätowierte mich an der Zeigefingerwurzel, machte mich auf dem Heidenkampsweg dank der noch immer eingefrorenen Gangschaltung ein zweites Mal lächerlich – doch ich habe sie gesehen, meine Bürsten. Mit eigenen Augen. Sie existieren.

Gar keine sooo schlechte Bilanz für eine Ebayauktion, die erst am 7. Dezember zu Ende gegangen ist.

03 Januar 2008

Kneipenbesuch mit einem Rauchverbotsverbotsbefürworter

Der gestrige Beitrag hat mir viel Schimpf eingebracht. Obzwar ich dachte, mich sachlich geäußert und den Text nur hie und da mit einer feinen Prise Ironie gewürzt zu haben, halten mich nun selbst Menschen, die ich als bisher als wunderbar schätzen gelernt habe, für „kleinlich“, „niedrig“ oder gar einen „fanatischen Nichtraucher“.

Natürlich frage ich mich, ob man wirklich fanatisch nicht rauchen kann. Glaube ich eher weniger. Ich bin höchstens geradezu fanatisch kein Serienkiller. Doch solche semantischen Feinheiten spielen längst keine Rolle mehr in dieser aufgeheizten Situation.

Die Grundbereitschaft zur Hysterie bei den Rauchverbotsgegnern hat mich jedenfalls verblüfft. Dabei sind für die bisher bekannten Fälle von Militanz nach meinem Eindruck stets Raucher verantwortlich. Wahrscheinlich werden pöbelnde und marodierende Nichtraucher von der Presse einfach totgeschwiegen, deshalb …

Was mich bei der ganzen Diskussion so erstaunt: Wenn in der Kneipe jemand grundlos verprügelt wird, würdet ihr das (hoffentlich) missbilligen; wenn einem aber jemand in der gleichen Kneipe ein todbringendes Gasgemisch in die Lunge bläst, findet ihr das nicht nur tolerierbar, sondern fordert dieses Recht geradezu empört ein.

Beides aber, das Prügeln und das Paffen, meine Damen und Herrn, ist schlicht und einfach Körperverletzung – wobei Prügel die deutlich harmlosere dieser beiden Varianten darstellen.

Zum Glück aber fand heute im Aurel nichts davon statt. Als der ausgewiesene Rauchverbotsverbotsbefürworter GP und ich dort um 18 Uhr eintrafen, war die Kneipe von samtiger Frischluft erfüllt – und erstaunlicherweise voller als beim letzten Treff.

Natürlich halte ich das keineswegs für repräsentativ, bitte nicht missverstehen. Doch der von Raucherkassandras als Katastrophenszenario heraufbeschworene sofortige Kneipenkollaps hat zumindest heute in Ottensen noch nicht eingesetzt.

GP übrigens ertrug die Tortur, seine (und meine) Lunge für eine Stunde mal nicht langzeitschädigen zu dürfen, tapfer wie ein Mann. Nicht alle Raucher sind also hysterische Memmen. Wieder was dazugelernt.

02 Januar 2008

Ich bin die Exekutive!

Neulich schlugen zwei U-Bahn-Raucher in München einen Mann halbtot, als er sie aufs Rauchverbot aufmerksam machte.

Die Hamburger Regierung empfiehlt uns Nichtrauchern das nun zur Nachahmung. Nicht das Halbtotprügeln, nein, nein, sondern das Aufmerksammachen.

Da der Senat das Rauchverbot zwar höchstselbst verhängt hat, es aber aus wahltaktischen Gründen vorerst lieber doch nicht selbst durchsetzen möchte, fordert er uns in Gestalt von Gesundheitssenatorin Birgit Schnieber-Jastram auf, ab sofort couragiert die Raucher auf ihr Fehlverhalten hinweisen.

Wir sollen also für Ole & Co. die Exekutive spielen – sprich: die Rübe hinhalten. Na ja: no risk, no fun. Ich werde also demnächst zum Raucher gehen und ihm Folgendes darlegen:


„Entschuldigen Sie, hier ist das Rauchen verboten. Auch über die reine Gesetzeslage hinaus wäre es mir lieber, Sie respektierten mein Recht auf eine durchschnittliche Lebenserwartung und setzten mich keinen krebserregenen Giften aus, nur weil Sie a) Ihre Sucht nicht in den Griff kriegen und b) auch noch darauf bestehen, Sie öffentlich ausleben zu dürfen – was es Ihrer Spezies über Jahrhunderte praktisch widerstandslos ermöglichte, öffentliche Begegnungsstätten monopolartig zu bevölkern und Menschen, denen etwas an ihrer Gesundheit sowie dem olfaktorischen Niveau ihrer Kleidung liegt, von diesen geselligen Orten fernzuhalten, auf deren risikolosen Besuch sie doch ebenfalls ein Recht hätten. Also: Wie wär’s?“

Eigentlich überzeugende Argumente. Gleichwohl könnte der Raucher eingedenk der Münchner Vorbilder zu der Überzeugung kommen, seine Fäuste und Füße seien argumentativ noch stärker aufgestellt. Doch dann zückte ich einfach überlegen lächelnd meinen stärksten Trumpf – und verwiese auf die liebsorgende Gesundheitssenatorin Schnieber-Jastram, die mir das soeben demonstrierte Vorgehen nahegelegt habe.


Wenn schon, so würde ich souverän ausführen, dann sollte der aufgebrachte Raucher doch bitte ihr seine stichhaltigen Argumente darlegen. Sie sei zu den üblichen Geschäftszeiten im Rathaus anzutreffen.

Schon morgen Abend werden Ms. Columbo und ich das übrigens alles mal testen. Wir sind schon ganz aufgeregt vor Vorfreude.

(Motiv entdeckt im Kukuun, Spielbudenplatz)


01 Januar 2008

Die gemütlichsten Ecken auf St. Pauli (1)



Peder sagt, er sei Däne. Außerdem ist er mit Sicherheit: einsam.

Sein Kontaktzettel an einer Straßenlaterne an der Reeperbahn ist zerzaust von der Nacht, verheert von Silvester. „Peder er is Däne“, steht darauf, genauso wie „deutsch vohne“, was möglicherweise einen Hinweis liefern soll auf seinen derzeitigem Aufenthaltsort.

„Vünsche Mänlichen Freund bis 35“, barmt Peder und dass er „mit Ihnen alles teilen“ möchte. Rührend flattern seine Zettelfetzen im Januarwind, aber die Telefonnummer ist gut lesbar.

Eine osteuropäische Matrone trägt Plastiktüten vorbei und schaut sich den Müll der letzten Nacht an. Ihr Kind trottet hinterher; ein gelehriger kleiner Schüler, schon mit ausgebildet wachem Blick für die Unterschiede zwischen wertvoll und -los.

In der Talstraße liegen Weißbrotbrocken auf dem Asphalt, und keine einzige Taube kümmert sich darum. Auch die Vögel haben Kater.

In einer kleinen Einfahrt entdecke ich eine der
gemütlichsten Ecken (auch olfaktorisch), die ich je auf St. Pauli vorfand. Noch während ich sie fotografiere, reift der Gedanke, eine entsprechende Fotoserie zu starten.

Hier ist sie, die Folge 1.