24 Januar 2016

Pareidolie (108): Niemanns Sockensaurier


Zwar werden hier unter der Pareidolierubrik normalerweise nur Fundstücke veröffentlicht, bei denen der Zufall mit verblüffender Präzision Regie führte, doch heute muss aus gegebenen Anlass eine Ausnahme gemacht werden.

Der Grafiker und Zeichner Christoph Niemann findet nämlich großen Gefallen daran, mit ein paar drumherum gepinselten Strichen Alltagsgegenständen ungeahnte Kontexte zu geben. Und manchmal wird daraus eine Pareidolie – bzw. ein bezaubernder Sockensaurier.

Er ist zurzeit im Rahmen der Niemann-Ausstellung im Museum für Kunst und Gewerbe zu sehen, und zwar noch bis zum 10. April.

PS: Eine ganze Galerie gibt es bei der Pareidolie-Tante.

18 Januar 2016

Mein erstes und (wahrscheinlich) letztes Interview mit Gunter Gabriel

Damals, 2009, traf ich Gunter Gabriel, weil er eine wirklich respektable Platte am Start hatte. So richtig durch die Decke ging seine Karriere danach trotzdem nicht; deshalb sitzt er jetzt gerade im Dschungelcamp.

Das finde ich Anlass genug, um der Welt mein schonungslos liebevolles kulturnews-Porträt des damals, 2009, noch nicht ganz so schabrackigen Altcountrybarden erneut ins Gedächtnis zu rufen. 

Nach dem Interview versprach er übrigens, mir Platten seines – nach Johnny Cash – zweitliebsten Songwriters Shel Silverstein zuzuschicken. 

Raten Sie mal, worauf ich heute noch warte.





Der Mea-culpa-Mann

Je tiefer man fällt, desto höher kann man auch wieder steigen. Lebender Beweis: Gunter Gabriel.
 

Er steht da mit 67 wie ein Kerl, ein ganzer Mann. Aus zwei Metern Höhe schaut Gunter Gabriel herab, sein imposanter Ranzen wölbt sich auf Altherrenart unterm Oberhemd, und beim Gespräch legt er manchmal den Kopf schief, faltet die Stirn und schaut verwegen. Allerdings nur, weil er schon mal besser gehört hat. Aber haben wir das nicht alle?

Gunter Gabriel ist hier, weil er wieder zurück ist. Und er hat eine Botschaft. Sie lautet: Ich bin schuld, und zwar an allem.  Seine größte Zeit hatte er während der Ölkrise der frühen 70er. Jetzt steckt die Wirtschaft noch tiefer im Sumpf, und prompt ist Gabriel wieder da – als Mea-culpa-Mann.

Er sagt, wie scheiße er war, doch er bittet nicht mal um Verzeihung. Sein derbes, mächtiges Mea culpa hat er in eine Autobiografie gepackt und in eine Platte. Die Platte ist die beste seiner fast 35-jährigen Karriere. Weil sie endlich mal so cool und abgehangen klingt, dass man sie vorzeigen kann. Weil jeder Song, auch ein Cover wie Radioheads „Creep“ (das kongenial zu „Ich bin ein Nichts“ wird), die gebrochene Größe des Gunter G. widerspiegelt.

Wer beim Hören der erdigen Produktion „Plagiat!“ ruft, weil sie schwer ans Konzept des späten Johnny Cash erinnert, der ruft ins Leere, denn auch das gibt der gute Gunter vorauseilend zu: Sein Album hat nämlich den Untertitel „German Recordings“, ein Pendant zu Cashs „American Recordings“. Ist das die Strategie: einfach alles zugeben, damit einem keiner mehr was anhängen kann?

Gabriel legt den Kopf schief, faltet die Stirn und schaut verwegen. „Das ist hundertprozentig richtig“, sagt er. „Ich habe mich geöffnet und gesagt: Jawoll, ich bin pleite, jawoll, ich habe meiner Frau was auf die Fresse gehauen. Ich sag das jedem: Kotz dich aus! Bevor dich die Kotze erstickt.“

Gabriel redet wie einer, dem keiner mehr was kann, weil er längst gerafft hat, dass er selbst sein größter Feind war. Er hat seine Millionen aus Hits wie „Er ist ein Kerl“ in windigen Bauherrenmodellen versenkt, und er hat zu Hause derart rumgenervt, dass ihm die Ehefrauen reihenweise wegliefen, vier insgesamt. Jetzt lebt er auf einem Hausboot im Hamburger Hafen und versucht, die positiven Gefühle nachzuleben, die er einst unterm Schutt aus Eifersucht, Suff und Egomanie begrub.

Gunter Gabriel war mal sehr peinlich, doch er gewinnt gerade die knorrige Größe des Gescheiterten, der zu zäh war, um ganz unterzugehen. „Mir geht’s heute zehnmal besser als damals“, brummt der Exmillionär so tieffrequent, dass der Rekorder vibriert. „Ich bin reich, auf meine Art. Ich lege mich noch immer gerne voller Lust zwischen die Schenkel einer Frau und kann das genießen und sagen: Ist das nicht toll, dass wir uns riechen und spüren? Das ist doch ein Geschenk, das du als alter Sack noch genießen kannst!“

Der alte Sack wird sein Comeback hinkriegen. Mit dieser Platte, diesem Buch, dieser Haltung: Das klappt. „Ich habe“, brummt er gelassen, doch ohne Stolz, „in jeden Scheißhaufen reingetreten, der sich mir bot, ja.“

Zum Glück.



Foto: Matt Wagner







13 Januar 2016

Eine leere Drohung, leider

Uwe Christiansen ist ein Weltstar unter den Barmixern, denn er hat einen legendären Cocktail erfunden: den Cosmopolitan. 

Doch was nützt ihm da schon.

Denn weder dieser Erfolg noch das Warnschild, das er am Fenster seiner Bar in St. Pauli angebracht hat, halten Entschlossene davon ab, ihm an die Hauswand zu pullern. Und wie man sieht, ist das Schild leider auch nicht mehr als eine leere Drohung. 

Karl Popper forderte bekanntlich von der Wissenschaft, jede These strengen Falsifikationstests zu unterziehen. Insofern ist einer, dem die Blase drückt und parallel ein Warnschild mit der Behauptung „Wir pinkeln zurück“ ins Auge sticht, geradezu gezwungen, dort eine ordentliche Stange Wasser abzustellen.

Und siehe da: Sie, die Stange, folgte schlichtweg den beiden hauptzuständigen Naturgesetzen (Gravitation sowie Eintrittswinkel = Austrittswinkel), und das in geradezu mustergültiger Akkuratesse.

Wie langjährige Verfolger dieses Blogs sicher bereits genüsslich festgestellt haben, ist im Rahmen der soeben rekonstruierten Vorfälle auch ein St.-Pauli-spezifisches Naturgesetz strikt eingehalten worden: 



Wo immer man nämlich hier im Viertel den Fotoapparat gen Boden richtet und abdrückt, ist am Ende irgendwo eine Kippe im Bild.

Die Cocktails bei Christiansen’s schmecken übrigens formidabel, nicht nur der Cosmopolitan.