01 April 2008

Schlange in Gefahr

Kaum stehen die ersten Frühlingstulpen auf unserem Balkon, erblüht jene Weichherzigkeit, die mir bisher oftmals Probleme, aber nur selten neue Freunde einbrachte.

Eine Frau im S-Bahnhof Altona nutzte das aus. „Entschuldigen Sie“, sprach sie mich an und zeigte auf die Gleise, wo eine buntes Etwas lag, das an eine Wollschlange erinnerte. „Meinen Sie, ich könnte da mal runter steigen? Das kommt von den Zulu aus Südafrika und ist mir wichtig.“

Still lauerte dort unten das Starkstromkabel, welches die S-Bahn antreibt. Ich hörte es förmlich brutzeln. Seine Gegenwart bewog mich, der Dame von ihrem Vorhaben abzuraten. Wie gesagt: frühlingshafte Weichherzigkeit.

Sie solle sich doch, empfahl ich ihr, besser an einen Bahnmitarbeiter wenden. Woraufhin sie eilends die Treppe erklomm und erst einmal verschwunden blieb. Dabei war hier doch auch ein Wärterhäuschen. Ich fand dort zwei dösende Uniformierte vor, die mein Klopfen aus dem Dämmer riss.

Meine Schilderung eines zwischen den Gleisen ruhenden wollschlangenähnlichen Etwas’ aus Südafrika stieß auf mäßiges Interesse, doch sie kamen mit. Inzwischen war mir die zweite Bahn davongefahren. Wir standen am Bahnsteig, unsere Blicke ruhten auf der Schlange, die sich wahrscheinlich auch nicht hätte träumen lassen, nach einer halben Weltreise mal am Bahnhof Altona die Nachbarschaft einer Starkstromleitung genießen zu dürfen.

Die Eigentümerin blieb erst mal weg und ich da. Das Uniformiertenduo stand dösig herum und wartete. Beide hatten Schiss; zu kurz sei die Taktfrequenz der einfahrenden Bahnen, erklärten sie maulfaul, als dass sie sich zur Rettungsaktion ins Gleis trauten. Wieder fuhr mir eine Bahn davon. Was tat ich hier, verdammt?

Ich beschloss, die Frau zu suchen, vergatterte die Bahnleute zur Bewachung meines Rades und stieg hoch in die Halle, um Ausschau zu halten. Natürlich fand ich die Frau nicht – dafür bei meiner Rückkehr aber mittlerweile vier Uniformierte am Gleisrand vor. Und da stand auch die Frau.

Einer der neu hinzugekommenen Bahnleute fischte mithilfe eines hakenbewehrten Stocks die Schlange aus dem Gleis und galt der strahlenden Besitzerin hinfort als anbetungswürdig. Dabei war ich doch wohl der Held, nicht wahr.

Die Schlange war rot und blau gemustert. Sie bestand nicht aus Wolle, wie es von oben schien, sondern aus Glasperlen, welche die Zulu kunstvoll zusammengefügt hatten, irgendwo tief in Südafrika, wo es wahrscheinlich nicht mal Starkstrom gab, geschweige denn eine S-Bahn.

2 Kommentare:

  1. Ja, hier bist Du wirklich der Held.
    Für Ms. Columbo hättest Du es aber getan oder???

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  2. Na, hören Sie mal! Natürlich hätte sie mich niemals hinabsteigen lassen.

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