27 Juni 2007

Meine Jacke ist gefährlich

Heute besuchen wir die Otto-Dix-Ausstellung im Bucerius-Kunstforum am Rathausmarkt. Lässig trage ich meine Jacke überm Arm.

Plötzlich tritt eine Aufseherin an mich heran und beginnt mich alarmierend großäugig anzuflüstern. Ich möge doch bitte, insistiert sie, die Jacke nicht überm Arm, sondern besser um die Hüfte gebunden tragen oder gerne auch anziehen; alternativ stünde es mir frei, sie der Garderoberie anzuvertrauen, die ein Stockwerk tiefer ihrem verdienstvollen Tagwerk nachginge.

„Ähm“, wundere ich mich, „warum darf ich denn meine Jacke nicht überm Arm tragen?“ Ihre Erklärung liefert ein Beispiel für das unkaputtbare Etikett „Typisch deutsch“, das mich in der Regel ärgert, weil mich Klischees meistens ärgern, hier aber hilflos macht. Denn die Erklärung ist einfach entwaffnend bizarr.

Sie sagt nämlich: „Das hat versicherungsrechtliche Gründe. Wenn Sie die Jacke überm Arm tragen und sich umdrehen, dann könnte der Reißverschluss andere gefährden.“

In der Tat hatte ich meinen Jackenreißverschluss bisher nicht im Verdacht, die öffentliche Ordnung bis hin zur Versicherungsrelevanz zu gefährden. Aber man lernt ja nie aus.

Folgsam binde ich mir also die Jacke um die Hüfte – und schaue mir das nächste Gemälde von Otto Dix an, auf dem eine fette, rauchende, schlauchbrüstige Hure sich einem Matrosen anbietet, der lüstern grinsend sein luziferianisches Wesen zur Schau stellt.

Beim nächsten Mal will ich die wilden Dix-Bilder (von denen sie hier eins sogar hinter einem roten Vorhang versteckt haben) auf dem Kiez sehen. Am besten in einem Pornokino in der Seilerstraße oder im Laufhaus an der Reeperbahn – also dort, wo von Reißverschlüssen nur eine Gefahr ausgeht: dass sie sich beim Aufzippen irreparabel verhaken.

19 Kommentare:

  1. Ich bin ja auch aktiv in einem Verein (typisch Deutsch) und da auch im Vorstand (noch typischer Deutsch) und wenn mir manchmal als Begründung nichts mehr einfällt, komme ich auch oft mit dem "das hat versicherungstechnische Gründe". Das wirkt eigentlich immer.

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  2. Na ja, vielleicht ist das im BKF wirklich so. So klein wie die Räume sind, braucht man sich nur einmal um sich selbst zu drehen und hat mit seinem Reißverschluss gleich alle anderen Museumsbesucher verletzt und alle Bilder zerstört. Wie gut, dass man in Museen die Garderobe kostenfrei benutzen darf ...

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  3. Das Ding heißt ja auch nicht umsonst "Reiß"-Verschluß (umreißen, anreißen, abreißen, zerreißen, aufreißen, einreißen, fehlt noch eine Variante ?).
    Wahrscheinlich werden Reißverschlüsse beim Straßen-, Bahn-, Luft- und Seetransport auch noch als Gefahrengut deklariert.
    Die Welt ist doch gefährlicher, als der arglose Mensch glaubt.

    Allen einen schönen Tag. Ohne Gefahren.

    Olaf

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  4. Ist die Original-Schimanski-Jacke eigentlich geknöpft, oder hat die einen Reißverschluß? Die wäre ja dann wohl besonders gefährlich.

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  5. Matt, das war ja wohl sehr leichtsinnig mit diesem hochgradig gefährlichen Reissverschluss herumzuwirbeln, noch dazu vermutlich ohne Waffenschein?

    Wie gefährlich so ein Teil sein kann, hat man doch im Film "Verrückt nach Mary" gesehen, wo Ben Stiller sich mit einem Reissverschluss fast selbst kastrierte!
    Nein, ich kann die Männer nicht verstehen, die heutzutage noch Hosen, Jacken oder Socken mit Reissverschluss anziehen..

    Das sind wohl die Hasardeure, die selbst im Alltag auf gefährlichen Nervenkitzel nicht verzichten können und sich dann wundern, wenn literweise Blut fließt!

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  6. Matt, all diese Kommentare und auch die Reaktion des Museumswärters sollten Ihnen doch eigentlich eine Sache verdeutlichen, die ich Ihnen auch stets ungefragt mitzuteilen pflege:

    Man trägt keine Jacke mit Reißverschluss!!1einself

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  7. Bei allem Respekt, verehrter GP: Was MAN trägt, hat mich noch nie sonderlich interessiert.

    Ich halte Reißverschlüsse für eine Erfindung, die mindestens gleichrangig ist mit der des Telefons: Sie kommt meiner natürlichen Faulheit entgegen.

    Bedenken Sie, was MAN alles Sinnvolles tun kann, wenn MAN nicht mühsam Knöpfe zuknöpfen muss!

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  8. Tja, vielleicht ändern Sie ja Ihre Meinung, wenn Sie demnächst im Knabenchor mitsingen dürfen.

    Aber erwarten Sie dann HIER kein Mitleid.

    Und dann müsste man auch den Blog umbenennen: Die Rückseite des Reissverschlusses und die lebenslänglichen Konsequenzen.

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  9. und so wurde der Reissverschluss zum Reizverschluss

    8P

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  10. Wissen Sie, was man alles Tolles tun kann, wenn man sich gar nicht mehr anzieht? Denn was „man” trägt, ist ja egal - also hinfort mit allen Konventionen! Gehen Sie nur noch nackt! Tragen Sie Aldi-Tüten!

    Aber bitte - wundern Sie sich bitte nicht mehr über Kurze-Hosen-im-Winter-Trager!

    Ich erwarte Sie dann am Donnerstag in genau der Gegend, in der jeglicher Bruch mit den Konventionen konformistisch ist. Daher überlege ich mir, dort im Armani-Anzug zu erscheinen.

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  11. die dame hat teilweise recht... und es ist nicht typisch deutsch - habe dasselbe auch schon im ausland gesagt bekommen.

    es geht nicht darum, mit dem reisverschluss andere, sondern die ausstellungsstücke zu beschädigen. da hängen millionenteure ölgemälde praktisch ungesichert an der wand - da braucht sich nur mal jemand schnell umdrehen, und ein jackenteil könnte etwas beschädigen (ich weiß... unwahrscheinlich, aber trotzdem)

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  12. s/reisverschluss/reißverschluss

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  13. Wann Ingo Insterburg zitieren, wenn nicht jetzt? "Es ist viel los in unsele Kaufhäusel in Hongkong. Wil haben gelade Leisvelschlussvelkauf!"

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  14. Lieber GP, Sie missverstehen mich: Ich lasse jeden anziehen, was er mag, meinetwegen auch einen Armani oder einen Blaumann oder gar nix. Ich nenne das textilen Liberalismus – das sollten Sie nachvollziehen können … ;-)

    Anna, danke für den Warnhinweis. Man kann nicht vorsichtig genug sein, gerade auf gewissen Gebieten.

    Der Reizverschluss, 8P, hat zweifellos seine Reize, vor allem auf dem Kiez.

    Herr oder Frau Anonymus, ich hätte das Argument zu schützender Kunstwerke vielleicht noch eher nachvollziehen können (obwohl sie allesamt hinter Schutzglas vor sich hin vegetierten), doch die Dame bezog ihre Bedenken ausdrücklich auf die Gefährdung von Menschen. Und die sind keine Millionen wert, so ist es nun mal.

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  15. Tatsächlich hat die Dame aber wohl gelogen. Die Versicherung sorgt sich nämlich wirklich in erster Linie um beschädigte Kunstwerke (wo die Versicherungssummen bei Dix in die Millionen gehen. Und selbst dann wird gejammert, dass damit nur der Markt-, nicht aber der tatsächliche Wert abgedeckt sei) und nicht um einen kleinen Kratzer etwaiger eng beisammen stehender weiterer Museumsbesucher. Dann müsste man ja auch in Bussen und U-Bahnen seine Jacke trotz hoher Temperaturen anbehalten - dort steht man ja auch diccht beieinander. Ich wage sogar zu behaupten: dichter als im Museum. Trotz Kunsthype.

    Vielleicht hat die Dame aber nicht aus bösem Antrieb gelogen, sondern weil sie es nicht besser wusste. Oder weil sie keine Lust auf die ewig gleichen Diskussionen ("Ich pass' schon auf, keine Sorge!") hatte.

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  16. So dringlich, wie sie guckte, war sie subjektiv völlig überzeugt von ihrer Argumentation. Und in mir fand sie ja auch einen friedliebenden Zeitgenossen vor, dem nichts ferner liegt als ein Streit …

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  17. Stimmt - Sie hinterlegen ja auch gerne Ihre Kamera beim Sicherheitsdienst. Und bezahlen dann sogar bereitwillig dafür. ;-)

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  18. „Gerne“? Nun ja.

    Aber ich merke schon: Sie bohren mit Vorliebe in alten Wunden. Dabei war sie gerade erst vernarbt.

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  19. Ich muß es zugeben: Mich hat diese Episode sehr belustigt. Vor allem, als ich dann sehen durfte, wie Ihre Kollegen munter Photos knipsten, weil sie schlichten Sinnes die Frage der Schutzstaffel mit „nein” beantwortet hatten.

    Verdammt. Sie haben Recht mit dem Bohren. Das wird noch viel schlimmer, glaub ich. Also nachher dann...

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