24 März 2007

Salto mortale

Den Gehweg am U-Bahnhof Feldstraße (Foto: Bildarchiv Hamburg) nutzen zwei Obdachlose als Spielplatz. Der eine ist ein junger Kerl mit verlottertem Irokesenschnitt; sein Gesicht ist aufgedunsen von Schnaps und Sorgen, und er hat sich über Jahre ernst und konzentriert einen Biafrabauch angetrunken.

Plötzlich stürzt er sich nach vorne und absolviert einen tadellosen Salto. Seine stämmigen Beine krachen auf den Gehweg, kleine Staubwolken stieben hoch, vielleicht vom Asphalt, vielleicht auch von seinen verdreckten Stiefeln. Sein Kumpel, sicher 30 Jahre älter als er, sitzt auf dem Boden mit dem Rücken am Gehweggeländer. Er grinst zahnlos, während er langsam und ohne Enthusiasmus Beifall klatscht.

Erstaunlich fit, der Saltokünstler, denke ich im Vorüberfahren. Ich biege ab zum Recyclinghof, wo ich Druckerpatronen abgeben will. „Woher haben sie die?“, fragt mich eine Mitarbeiterin, die mir den korrekten Entsorgungsbehälter zeigt. „Na, gekauft“, antworte ich unsicher. Keine Ahnung, worauf sie hinauswill.

„Nein, woher haben Sie die?“, lässt sie nicht locker. „Aus dem Internet …?“, schlage ich zaghaft vor. „Ich meine: privat oder gewerblich?“, schnappt sie ungeduldig. „Ach so – privat“, sage ich. Ihre Frage war aber auch ziemlich unkonkret.

„Ihre Frage“, sage ich mit versöhnlichem Lächeln, „war aber auch ziemlich unkonkret.“ Sie schaut mich grinsend an durch ihre schwarze Hornbrille, ihre gefärbte Dauerwelle wippt im Frühlingswind, und dann sagt sie: „Sie sind mir aber ein ganz schöner Naseweis!“

Dieses Wort habe ich schon lange nicht mehr gehört, vor allem nicht auf mich gemünzt. Als ich den Hof verlasse, stoße ich wieder auf den obdachlosen Sportler. Ihm ist eine Zigarette heruntergefallen. Er bückt sich wacklig, doch ein kleiner Windstoß bläst sie ihm außer Griffweite. Er taumelt ihr zwei Schritte hinterher, bückt sich wieder, grabscht über seinen Biafrabauch ungelenk nach ihr und erwischt sie dann doch, beim dritten Versuch.

Und der, wundere ich mich, hat eben auf dem Gehweg einen Salto absolviert, ohne sich das Genick zu brechen oder wenigstens den Schädel? Und dann fällt mir noch ein, dass das anstehende totale Rauchverbot in Hamburg einer Bevölkerungsgruppe nun wirklich völlig schnuppe sein dürfte: den Obdachlosen.

1 Kommentar:

  1. -ja, es ist immer wieder bewundernswert, wie sich Menschen, die durch das sogenannte Soziale Netz fallen, über Wasser halten-

    AntwortenLöschen